Privat – Beraubt, befreit, abgesondert – gewöhnlich, gemein – das Eigene, persönlich

Privat

Beraubt, befreit, abgesondert – gewöhnlich, gemein – das Eigene, persönlich

 

Ludwig Wittgenstein beginnt die „Philosophischen Untersuchungen“ mit einem langen Zitat aus Augustinus‘ „Confessiones“ über das Wörterlernen. Darauf hält er fest: „Jedes Wort hat eine Bedeutung. Diese Bedeutung ist dem Wort zugeordnet. Sie ist der Gegenstand, für welchen das Wort steht.“

Was aufs erste so klar erscheint, erweist sich im Lauf der „Untersuchungen“ als höchst unklar, und Wittgenstein stellt fest, dass mit dem Benennen eines Dings noch nichts getan ist. Es habe auch keinen Namen, sondern nur Bedeutung im Satzzusammenhang.

Die Bedeutung von „privat“ verändert sich nicht nur im Satzzusammenhang, sondern auch im Zusammenhang der Theorien sowie der praktischen Anwendung, d.h. des Gebrauchs des Wortes, der sich vor allem durch den spezifischen Gegensatz, zu dem es verstanden wird, herausstellt.

Die Bedeutung des lateinischen „privare“ – berauben, befreien – bezieht sich auf den Rechtscharakter des antiken Haushalts („oikos“) und dessen Mitglieder, der Frauen, Kinder und Sklaven. Was sich in diesem Bereich abspielte, war des „Lichts der Öffentlichkeit“ beraubt, wie Hannah Arendt in ihrer begriffsgeschichtlichen Untersuchung über das Entstehen der Gesellschaft immer wieder betont. In der Antike bedeutete das Private noch nicht die Sphäre der Intimität, wie heute, sondern definierte sich durch das, was generell die Organisation des Familienverbandes und des Lebensnotwendigen, des Lebensunterhalts betraf. Das Private entsprach somit eher dem, was seit Beginn der Neuzeit unter dem Gesellschaftlichen, d.h. dem Nicht-Staatlichen verstanden wird. Es definierte sich ausschliesslich durch den Gegensatz zur Öffentlichkeit. „Für die Antike war entscheidend, dass alles Private ein nur Privates ist, dass man in ihm, wie schon das Wort anzeigt, in einen Zustand der Beraubung lebte, und zwar beraubt der höchsten Möglichkeiten und der menschlichsten Fähigkeiten“, schreibt Hannah Arendt in „Vita activa“, und fährt fort: „Wer nichts kannte als die private Seite des Lebens, wer wie der Sklave keinen Zutritt zum Öffentlichen hatte oder wie die Barbaren ein allen gemeinsames Öffentliches gar nicht erst etabliert hatte, war nicht eigentlich ein Mensch. Wenn wir dem Wort „privat“ nicht mehr anhören, dass es ursprünglich einen Zustand der Beraubung kennzeichnet, so auch darum, weil der neuzeitliche Individualismus eine so enorme Bereicherung der Privatsphäre gebracht hat.“

Hannah Arendt macht jedoch klar, dass in der Antike wie in der Moderne das Privatre „weltlos“ war und „weltlos“ ist und dadurch einer wichtigen Realitätserfahrung entbehrt.

Um den Unterschied zwischen dem antiken und dem neuzeitlichen Verständnis des Privaten deutlicher zu machen, mag der Glücksbegriff sich eignen. Als entscheidend erscheint mir, dass in der Antike das Erlangen der „eudaimonia“, des Glücks, ausschliesslich jenen zustand, die von Zwängen der „Notdurft“, d.h. den Gesetzen von Leben und Sterben und der Organisation des Lebensnotwendigen, befreit waren, die somit nicht dem Privatbereich des „oikos“ unterworfen waren, sondern diesem vorstanden und zugleich in der „polis“ ihren Platz und ihre Stimme hatten. Dies waren ausschliesslich die freien, besitzenden Männer. Die „eudaimonia“ war mit der Freiheit konnotiert, mit der Sprache, mit Eigentum und den Gestaltungsmöglichkeiten des Öffentlichen. Ausschliesslich die Mitglieder der „polis“ waren somit „glücksfähig“, und die „Gesetzesmauer“ rund um die „polis“ hatten den Zweck, diesen hohen Gehalt von Freiheit und Glück zu schützen.

Hannah Arendt macht deutlich, dass mit dem Beginn der Neuzeit das Private als das Eingezäunte und Eingegrenzte erscheint, sowohl das Private als Eigentum wie auch als Intimität, während das Öffentliche sich zunehmend als sich verändernder Raum des Handelns, des Austauschs, des Verkehrs und der Verwaltung dieses welthaften Raums gestaltete.

 

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