Adolf Funk zum 90. Geburtstag – Vernissage Galerie Proarta 4. Februar 1993
Adolf Funk zum 90. Geburtstag – Vernissage Galerie Proarta 4. Februar 1993
Lieber Dölf, liebe Lissy,
sehr verehrte Damen und Herren
Es ist ein Ereignis von ungewöhnlicher Festlichkeit, das wir heute feiern, und ich empfinde es als grosse Ehre, den Abend mit ein paar Gedanken eröffnen zu dürfen: Adolf Funk feiert seinen 90. Geburtstag und zugleich seine 35. Einzelausstellung!
Das Glück, dass er und Lissy Funk unter uns sind, dass dieses Paar, das seit 58 Jahren alle Licht- und Nachtseiten von Kunst und Alltag teilt, gibt dem Abend einen Glanz von solcher Wärme, dass jeder Versuch, die Hintergründe dieses grossen Werks auszuleuchten, verblassen muss. Trotzdem will ich es wagen; denn ein Wagnis ist es allemal, über Kunst zu sprechen und dabei etwas Richtiges zu sagen, das heisst, den Kunstverstand und die Kunst zusammen eine sprachliche Form finden zu lassen, die stimmt. Aber Kunstverstand hat ja mit Verstehen zu tun. Das Verstehen – nicht die gesellschaftliche Bedeutung, nicht einmal die Freundschaft – ist mithin die Voraussetzung, um über Kunst zu sprechen. Aber wie?
Im Grunde genommen bin ich überzeugt, dass man zu diesen Bildern gar nichts sagen sollte. Man sollte sie nur anschauen. Sie sind aus dem Schauen entstanden – aus dem gesammelten Schauen des Malers-, und sie richten sich wieder an unser schauendes Verstehen. Wenn wir dazu bereit sind, wenn wir die Theorien, die Analogien und die gelehrten Interpretationen weglassen, kommt es zu einer unmittelbaren Begegnung zwischen uns und dem Geist, der dem Werk innewohnt, der es – auf sonst unerklärliche Weise – zu Kunst werden lässt. So geht etwas aus dem unzerteilbaren, nichtendenden Prozess schöpferischen Gestaltens.auf uns über, auch dies auf weiter nicht-erklärliche Weise, vielleicht, wie Franz Kafka einmal festgehalten hat, weil das, “was aus einem Wahrheitsgrund kommt, im Unerklärlichen enden muss”.
Ich denke, dass es so ist.
Die Erfahrung der Kunst, sowohl der schöpferischen Verdichtung und Darstellung des Geschauten im Bild wie des verstehenden Schauens hat mit “einem Wahrheitsgrund” zu tun. Was mag dieser Wahrheitsgrund bei Adolf Funk sein? Ich versuche seit vielen Jahren, ihm auf die Spur zu kommen, – nicht um zu erklären, sondern um zu verstehen.
Ich denke, dass der “Wahrheitsgrund”, wie Kafka ihn meint, mit Adolf Funks Liebe zum Leben zu tun hat. Es ist die Liebe zur geheimnisvollen Kraft der Erneuerung, die die Natur im nicht abbrechenden Wandel der Jahreszeiten erhält, zugleich als die gleiche und als immer wieder andere Natur, eine Kraft der Erneuerung, die vergleichbar ist der Liebe in einem langen Leben. Hier, denke ich, ist der “Wahrheitsgrund” zu suchen: Im Sommer das Glück des Sommers, die Schwere der unverfälschten Blau und Grün des Sees, des Himmels und der Wiesen, des Rot- und Lila- und Goldteppichs über dem warmen Erdbraun des Gartens, es ist das Sirren der Grillen, das die Farben wie durchschneidet und in Abendsehnsucht und Trägheit auflöst.
Und im Herbst ist es das Glück des Herbstes, der grösseren Klarheit des Blicks in die geahnte Unendlichkeit des Firmaments, das Glück früher Morgeninspektionen im Garten und das Ernten des taunassen Salats und der seidenporigen Gurken, später der Erdduft und die Vielfalt der Brauntöne von Ocker bis Schiefer und dunklem Gold. Dann der Rückzug der Natur in das geheime Grenzland zwischen Erstarrung und Vorbereitung neuens Lebens, das Glück des Winters, die zunehmende Kargheit in den Wäldern und auf den Wiesen, schwarzsilberner Frost und Weiss, im Schnee die Spurenfuttersuchender Tiere und die Durchsichtigkeit, die schmerzende Helligkeit der kältesten Tage.
Dann der plötzlich spürbare Wandel, das Glück des Frühlings, vanilla- und zitronenezart die wiederkehrende Wärme, das helle Kindergrün der Wiesen und Laubbäume, der Kresse am Rand der Wiesenbäche, der Veilchen- und Fliedersträusse, der mit weissrosa Blütenwolken geschmückten Apfelbäume, das Glück des leichteren Schritts, der kleinen Melodien, die gepfiffen oder gesummt, wie Vögel, die eben das Fliegen lernen, davonflattern und sich auf der Leinwand als helle Komposition wiederfinden, der Pläne, die dabei entstehen, wieder einmal wegzufahren, vielleicht ans Meer, das den Winter auch überstanden hat, oder nach Afrika.
Dies alles und noch viel mehr ist Adolf Funks “Wahrheitsgrund”, das Glück zu leben, die Liebe zum Leben. Unser grosser Gewinn ist es, daran teilhaben zu dürfen durch seine Kunst. In diesem Sinn wünsche ich Euch, liebe Dölf und Lissy, dass dieser festliche Abend der Ausstellungseröffnung einen Teil der Frühlingserwartung erfülle. Ihnen, verehrte Damen und Herren, wünsche. ich einen gewinnbringenden, heiteren Abend im Sinn von Adolf Funks Kunst.