Gespräch unter Überlebenden und ehemaligen Hilfswerksmitarbeiterinnen

Gespräch unter Überlebenden und ehemaligen Hilfswerksmitarbeiterinnen

Veranstaltung vom 12. November 1997: GURS
Deportationslager in Südfrankreich 1939 – 1943

Begrüssung / Vorstellung der Gäste. Dank für die Teilnahme / Bitte um knappe Antworten.
I) Gurs, Rivesaltes, Les Milles sind Namen von Lagern in Südfrankreich. Neben zahlreichen anderen Lagern wurden sie 1939 zuerst für die Spanien-Flüchtlinge errichtet, jedoch schon ab 1939/40 mit den Verfolgten des Nazi-Terrors gefüllt. Die Namen der Lager stehen ebenso sehr für das verbrecherische System des 3. Reichs wie für das Leiden und den Weg in die Vernichtung von Zehntausenden von Menschen, darunter der Eltern von Frau Hannah Meyer-Moses wie des Vaters von Frau Hannelore und Frau Margot Wicki-Schwarzschild und weiterer Familienmitglieder.
– an alle: Sie haben sich bereit erklärt, im Rahmen der Ausstellung dieser Bilder aus Gurs über das, was Sie selber erlebt haben, zu sprechen. Ich stelle mir vor, dass dies sehr schwierig ist. Gibt es unter den ausgestellten Dokumenten ein Bild, das bei Ihnen besonders starke Erinnerungen weckt?
– an Herrn E. M. Landau: Sie waren 1939 erstmals in Paris verhaftet worden, wurden nach dem Waffenstillstand von Compiègne im Juni 1940 in Bordeau freigelassen, jedoch im august 1940 in den Pyrenäen, wo Sie sich versteckt hielten, wieder verhaftet und am 28. August nach gurs gebracht. Warum waren Sie verhaftet worden und warum wurden Sie in Gurs interniert?
– an Frau Hannelore Wicki: Sie, Ihre Schwester und Ihre ganze Familie gehörten zu den badischen Juden, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.Woran erinnern Sie sich besonders, wenn sie an jenen Tag denken? Trat da ein Unglück ein, das Ihre Familie und die übrigen jüdischen Familien vorausgeahnt hatten?
– an Frau Hanna Meyer: Wie wirkte das Lager Gurs auf Sie, als Sie, ein junges Mädchen, dort eintrafen: das Lager, die Baracke, die Umgebung, die Menschen? Können Sie das Ilot, in dem Sie untergebracht waren, schildern?
– an Frau Margot Wicki: Sie waren damals neun Jahre alt. Wie gestaltete sich der Alltag für ein Kind? Was durften sie tun, was nicht? Was nahmen Sie vom Leiden der Erwachsenen wahr? Worunter litten Sie selber am meisten?
– an Herrn S. Schmitt: Sie kamen aus einer nicht-jüdischen Familie, sondern aus einer sehr religiösen christlichen Familie. Ihre Eltern waren Quäker. Weshalb wurden Sie von den Nazis verfolgt und wie kamen Sie, nach verschiedenen Abenteuern und Aufenthalten in anderen Lagern, schliesslich nach Gurs? Sie erlebten Gurs, wie Sie es in Ihren eindrücklichen Publikationen festgehalten haben, als entsetzlichen Ort, als Ort, wo der einzelne Mensch sich nur noch an sein eigenes Überleben klammerte. Was war für Sie das besonders Schreckliche an diesem Lager?
– an Frau Emma Ott: Sie arbeiteten im Auftrag des Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes in Gurs, zeitweise gemeinsam mit Elsbeth Kasser. Warum nahmen Sie diese schwere Arbeit auf sich? Wie erlebten Sie diesen Aufenthalt? Was was belastete/beelendete Sie am meisten?
– an Herrn E. M. Landau: Sie kamen aus einer evangelischen Familie hatten sich dann von der Kirche entfernt und liessen sich in Gurs taufen, resp. traten zur katholischen Kirche über, aus religiöser Überzeugung, wie Sie mir sagten. Gab es von Seiten der christlichen Kirchen eine Art Missionstätigkeit? Wie war das Verhältnis der Menschen aus verschiedenen Religionen zueinander? Konnte die Taufe ev. die Rettung von der Deportation nach Auschwitz bedeuten – auch wenn dies für Sie kein Motiv war?

II) – an alle: Sie alle konnten – Gott sei Dank – überleben. Mögen Sie kurz die Umstände ihrer Rettung schildern?
– an Frau Emma Ott: Sie mussten die Angst und Verzweiflung der Menschen miterleben, die vom Sommer 1942 an auf Lastwagen gepfercht und wegtransportiert wurden, ins Ungewise, wie es hiess, tatsächlich in die Vernichtung. Erlebten Sie auch die Rettung von Menschen? Gelang es Ihnen, über das im Lager Gurs Erlebte nach Ihrer Rückkehr in der Schweiz zu sprechen?

III) an alle: -Sie alle gelangten irgendwann in die Schweiz. Wie erlebten Sie die Schweiz?
– Was gab Ihnen die Kraft, trotz des Schweren, das sie erlebt haben, ein gelingendes Leben zu leben (die einen Ehe, Kinder; Frau Emma Ott weitere ungewöhnliche Arbeit, z.B. in Afrika bei Dr. Schweizer)?
– Ist es vorstellbar, dass ähnliche Verbrechen an Menschen sich wiederholen? Wie erleben Sie die heutige Welt? Ist sie weniger rassistisch/antisemitisch? Wie erleben Sie die heutige Flüchtlings und Asylpolitik? Gibt es etwas, was Sie den heutigen jungen Menschen raten möchten?

Maja Wicki / Zürich, Anfang November 1997

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