Biographie

Biographie

 

Ich möchte von meiner Lebensgeschichte erzählen und dabei auch die allgemeine Situation schildern, damit meine Geschichte verstanden wird. Es ist bekannt, dass ein Individuum sich von den Geschehnissen beeindrucken lässt und seine Persönlichkeit geformt wird. Um ein Individuum zu verstehen und seine Situation zu analysieren, müsste man seine Erlebnisse und Lebensbedingungen in Betracht ziehen.

 

Ich wurde 1979 in Hozat in der Provinz Tunceli (kurdisch:Dersim) geboren. Wir sind zwölf Geschwister, davon ist eins gestorben. Meine Familie hatte eine mittelmässige finanzielle Lage. Ich habe meine Mutter verloren, als ich drei oder vier Jahre alt war. Ich habe nur eine Erinnerung an meine Mutter; sie lag im Bett und wartete auf den Tod. Mein Vater lebt noch, er ist zirca 70 Jahre alt. Ich habe ihn seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Der Tod meiner Mutter hatte mich beeindruckt. Ich bin ohne Mutterliebe aufgewachsen. Mein Leben fand eine solche Form an. Nach dem Tod meiner Mutter heiratete mein Bruder, danach war die Frau meines Bruders für mich eine Ersatzmutter. Meine Schwester, die verheiratet waren, besuchten uns ab und zu. Trotzdem wünschte ich mir, dass meine Mutter hätte leben müssen. Es ist nicht schwierig, darüber zu sagen oder zu schreiben. Es ist aber sehr schwierig, als Kind den Tod der Mutter zu erleben. Manchmal sage ich mir, dass es sehr schön gewesen wäre, wenn ein einziges Mal das „Mutter“ ausgesprochen oder ihre Wärme mitbekommen hätte. Auch heute habe ich diese Sehnsucht. Sie können sich selber vorstellen, wie es dann für ein 3-4jähriges sein sollte. So ist Zeit vergangen. Ich wuchs auf, wir lebten in Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten, die Geschehnisse um mich beeindruckten auch mich. Ich suchte für alles nach einem Sinn. In meinem Land Kurdistan wurde sehr viel Gewalt angewendet und Massaker durchgeführt. In meinem Land wurde der Gewalt und der Folter unterzogen.

 

Je mehr die Nationale Bewegung grösser wurde, desto stärker wurde der wilde Staatsterror und erreichte unheimliche Dimensionen. Der Staat sah alle Menschen in Kurdistan als Terroristen, die umgebracht werden sollten. Ich war zunächst ein Beobachter dieser Geschehnisse, dann aber betrafen sie auch mich. Dörfer wurden überfallen, Menschen wurden gefoltert und umgebracht, unser Haus wurde überfallen, mein Vater wurde auf den Posten gebracht und gefoltert und so weiter. All diese Vorfälle haben bei mir Spuren hinterlassen, weil das alles vor unseren Augen geschah. Wegen diesen Schikanen mussten viele Das Dorf verlassen. Von meiner Familie blieben ich, mein Vater und die Familie meines Bruders im Dorf zurück. Der Staat hat keine Kinder oder Frauen unterschieden, alle waren das Ziel des Staatsterrors. Der Staat wollte die Volksopposition um jeden Preis niederschlagen. Ich habe mein Leben so verbracht bis zu meinem 15. Oder 16. Lebensalter. Dann entschied ich mich nach Istanbul zu gehen und von dort aus nach Europa, weil die Gefahr bestand, dass ich vom Staat unter irgend einem Vorwand umgebracht worden wäre oder man hätte mich gegen meine eigenen Leute eingesetzt. In diesem Alter hatte ich viel Gewalt seitens des Staates erlebt. (…) Ich ging in die Schweiz, weil mein Bruder schon da lebte. Ich stellte ein Asylgesuch und versuchte zu erzählen, was mir in meinem Land zugestossen wurde.  Ich wurde dem Kanton Aargau zugeteilt, lebte in Brugg. Nach ein paar Monaten wurde ich zu einer Befragung vorgeladen. Nach kurzer Zeit bekam ich einen negativen Entscheid. Ich kam wegen dem Druck seitens des Staates hier her. In Kurdistan erweiterte sich der Krieg, vor allem in der Provinz Tunceli (Dersim) gab grosse Unruhen. Ich wollte wegen diesem Druck nicht zurückkehren. Neben vielen anderen Dörfer wurde auch unser Dorf Atadogdu (Testek) zerstört. Ich hatte zwei Wahlen: entweder zurückzugehen und dasselbe wir früher erleben oder mich dem nationalen Kampf anzuschliessen.

Ich wollte eigentlich in der Schweiz ein neues Leben führen. Meine Kindheit verbrachte ich in Armut. Morgens und abends sah ich Razzien des Militärs. Die Erwachsenen drohten uns sogar mit den Militärs. Unsere Ahnen haben vieles Erlebt. Der Massaker in Dersim vom 1937-1938 ist noch in Erinnerung. Die Spannung der Eltern, die diesen Massaker erlebt haben, bekommen ihre Kinder mit. Die Verarbeitung der Erlebnisse ist nicht einfach. Bei der Erziehung ihrer Kinder verwenden die Eltern immer wieder den Massaker, damit „dressieren“ sie ihre Kinder. Von Leuten, die eine solche Phase durchgemacht haben, kann man nicht plötzlich einen Lebensstil wie in Europa erwarten. Man erzählt immer wieder vom Krieg. Wenn wir heute zum Beispiel in einer Bar diskutieren würden, würden Sie mir vom Meer, von Spielen, Vergnügen oder Fernsehen erzählen, ich dagegen vom Krieg, von Waffen und den Bergen. Meine psychische Verfassung erlaubt mir nur davon zu erzählen. Wenn Sie aber stark sind, werden Sie mich auf Ihre Linie bringen. Vielleicht braucht es dafür zehn Jahre. Ich muss mir einen neuen Weg finden. Ich habe verschiedenes probiert. Ich bin in verschiedenen Ländern gewesen, hatte aber keine Erfahrungen im Leben in der Metropole. Da ich keine andere Möglichkeiten gehabt hatte, schloss ich mich der PKK an. Die Schweizer Behörden glaubten mir nicht, dass ich viele Schikanen erlebt hatte. Ich wollte nicht auf die Seite des türkischen Staates gehen und gegen mein eigenes Volk schiessen, habe den ehrenhaften Weg vorgezogen. Für den Kampf meines Volkes war ich bereit zu sterben. Ich habe den Feind schon als Kind kennengelernt. Der hat meine Kinderträume zerstört. Meine Leute wurden geschlagen, ich wurde vom Grab meiner Mutter weggetrieben, Frauen wurden vergewaltigt… (ein langer Satz über Schikanen der Behörden)

Die Schweiz hat mich zwar nicht wie die Türkei gefoltert, aber mir nicht erlaubt, dass ich mit einem neuen Leben beginnen konnte. Ich wurde auch von meinen Leuten hier getrennt. Nach dem ich mich entschieden hatte, flog ich eines Abends nach Damaskus/Syrien. Ein Freund wartete draussen auf uns. Wir haben uns kennengelernt. Er brachte uns direkt zu einem Ausbildungslager der PKK in Damaskus. Dort haben wir mehr als hundert andere Freunde gesehen. Hier begann für mich ein ganz neues Leben. Nach dem wir etwas gesprochen hatten, gingen wir ausruhen. Morgen wurden wir von einem Freund geweckt. Ich war durcheinander. Es war noch dunkel, man sah Sterne. Mir kamen mein Dorf und meine Kindheit vor die Augen. Ich sah den Morgenstern. Mir kam die Zeit in den Sinn, als ein Hirte war. Alles rollte vor meinen Augen wie einen Film…

Ich wurde von einem Freund in einen Zug (Gruppe) eingeteilt. Wir lernten die Regeln. Es gab ein Disziplin. Jeder hatte die gleiche Rechte. Am zweiten Tag lernten wir Abdullah Öcalan kennen. Er gab uns die Hand und fragte uns nach den Namen. Er schien mir ein sehr bescheidener Mensch zu sein. Er hatte de gleiche Rechte wie wir. Er wollte Gerechtigkeit. Er hielt von Menschen viel. (…) Wir hatten nun ein neues Leben, standen jeden Morgen um fünf Uhr auf. Wir bekamen ideologische und praktische Ausbildung. Alles klappte wie in einem kleinen Staat. Alles klappte wie einen Computer. Wir hielten der Reihe nach Tag und auch Nacht Wache. Ich war sieben Monate in diesem Lager. Wir wurden ausgebildet. Nach sieben Monaten wurden in den Nordirak gebracht und dort einer Einheit übergeben. Nach ein paar Tagen Ruhezeit wurden militärisch ausgebildet. Es herrschte eine Kriegsdisziplin. Wir hatten Tag und Nacht ein Gewehr dabei, dieses wurde ein Teil von uns. Nach ein paar Monaten -ich war damals siebzehn Jahre alt- wurde ich mit Tausenden anderen zusammen an die Front geschickt. Jeder war bereit, in den Krieg zu gehen und sterben. Wir waren in Zahlreichen Gefechte. Es gab Tode, Freunde starben neben mir, die Leichen der Frauen wurden geschändet, es gab Lebensmittelnot… (…) Die Dörfer wurden in Brand gesteckt. All diese unmenschliche Dinge relativieren sich mit der Zeit, es scheint dann gewöhnlich zu sein. Die selbe dinge wiederholen sich. Man sieht als eine Aufgabe, hier mitzumachen. Mein Leben und meine Kindheit rollten wie einen Film vor meinen Augen. Man fragt sich, warum das alles passiert. Man teilt mit den Freunden den Tod. Um diese Zeit zu beschreiben, reichen mir die Worte nicht. Man denkt nicht mehr wie einen normalen Menschen. Deine Persönlichkeit nimmt eine solche Form an. (…)

Hier möchte ich ein Beispiel geben. Es war im Jahre 1995. Wir waren dreissig Personen und kamen im Nordirak in ein Gefecht, das morgen um vier Uhr begann. Siebenundzwanzig von unseren Freunden wurden umgebracht. Wir drei konnten davon entkommen. Wir haben gesehen, dass die Leichen unserer Freunde geschändet werden und mit Geschlechtorganen der Frauen gespielt wird. Das alles hat mich sehr beeindruckt, lange war ich davon betroffen. Ich habe im Krieg unmenschliche Dinge gesehen. Ich liebe aber trotzdem Menschen. (…)

Ich war von 1994 bis 2000 bei der PKK. Aus verschiedenen Gründen habe ich mich von der PKK getrennt. Die türkische Behörden hatten davon Kenntnis, dass ich bei der PKK war. Eine Zeit lang war ich in meiner eigenen Provinz Tunceli (Dersim) aktiv. Da ich keine Möglichkeit mehr hatte in Kurdistan und in der Türkei zu leben, musste ich wieder nach Europa gehen. Ich habe die Schweiz vorgezogen, weil von meiner Familie Jemand hier lebte und ich schon früher hier gewesen war. Im November 2000 stellte ich hier ein politisches Asylgesuch, ich erzählte, was ich erlebt habe, danach wurde ich dem KT Appenzeller zugeteilt. Ich habe hier schwere Lebensbedingungen. Ich wollte die Psyche der Vergangenheit bewältigen. Die Heimleitung glaubte mir nicht, als ich von meinen Problemen erzählte. Schluss endlich wurde ich doch zum Hausarzt geschickt, der sich um mich nicht kümmerte, gar mich verspottete. Ich stand mit meinen psychischen Problemen allein da. Ich kann diese Probleme nicht bewältigen. Ich kann schlecht schlafen, habe Alpträume, erwache mehrmals in der Nacht, träume öfters vom Krieg. Ich kann nicht weggehen, ich habe morgens von 10.00 –11.30 und abends von 16.30-17.30 eine Meldepflicht. Mit dem Personal können wir uns nicht verständigen. Das Personal ist nicht in der Lage, unsere psychische Verfassung zu verstehen. Sprechen wir mit ihnen Türkisch, so sagen sie uns, dass wir doch in die Türkei gehen könnten, um Türkisch zu sprechen. Wenn wir uns etwas wünschen, sagen sie gerade, dass nicht sie uns in die Schweiz eingeladen hätten. (…)

Ich bin in einer schwierigen Lage. Auch ich habe Anrecht auf ein Leben. Die Schweiz hat mir dieses Recht schon ein Mal weggenommen. Ein zweites Mal darf dies nicht der Fall sein. Ich möchte, dass Sie als Psychologin meine Probleme verstehen.  Ich habe Angst, eines Tages mir oder meiner Umgebung Schaden zu fügen.  Ich wünsche mir endlich ein normales Leben zu führen. (…)

Ich bitte Sie um eine Hilfe. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir zugehört und von mir dieses Schreiben verlangt haben.

 

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