„Denken, was man will, und sagen, was man denkt“ – Von der Zumutung der Aufklärung

„Denken, was man will, und sagen, was man denkt“

Von der Zumutung der Aufklärung

Basel, 10. Mai 1999  (zusammen mit Hans Saner)

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Am 5. Dezemebr 1785 schreibt Immanuel Kant auf eine Frage des Herrn Predikanten Zöllner in der Berlinischen Monatsschrift, ob es der Religion bedürfe, um das Ehebündnis zu festigen, und was denn Aufklärung sei, denn dies zu wissen sei so wichtig wie die Antwort auf die Frage, was denn Wahrheit sei, eine Antwort. Diese beginnt mit dem Satz:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschliessung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Hilfe eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also die Wahrheit der Aufklärung.“

 

Aufklärung wird also als moralischer Imperativ formuliert. Er hat mit der Aktivierung des Verstandes zu tun, mit der Aktivierung der Rationalität, einerseits, und andererseits mit moralischen Eigenschaften, mit Mut und mit Entschlusskraft. Und es ist in schulmeisterlichem Ton, dass Kant fortfährt, diejenigen, welche die Unmündigkeit nicht aufgeben wollen, der „Faulheit und Feigheit“ zu bezichtigen.

Er hält dann fest, dass es in erster Linie des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft bedürfe, damit dem Imperativ der Aufklärung Genüge getan würde; „der Privatgebrauch derselben darf aber öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern“.

Was geschieht hier? Geht es tatsächlich um ein „Fortschreiten des Menschengeschlechts“, wie es später heisst, oder um die Selbstermächtigung der eh schon Mächtigen – jener Elite von Männern, die Fürsten, Wissenchafter, Professoren und  Geistlichen -, die der Sprache und des Handelns immer schon mächtig waren. Aber alle anderen, insbesondere die Frauen, die sich auf den Privatbereich beschränken und einschränken mussten, waren ausgeschlossen, ebenso die Massen der ungebildeten Menschen. Dass Kant gegen Schluss Friederich den Grossen rühmt, mutet eher peinlich an. Gewiss, er hat, wie Kant dies festhält, in Sachen der Religionstoleranz, der Religionsfreiheit, einen Schritt getan, der hoffnungsvoll war. Kant zeigt in der Folge auch das Paradox auf, das darin besteht, dass „derjenige, der ein heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, sagen kann: Räsonniert, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt, nur gehorcht“.

Kann so tatsächlich, über das Denken, das „die Freiheit des Handelns“eingeübt werden, wie Kant optimistisch folgert? Ich denke nicht, und die Geschichte  zeigt auch vorweg, dass die Aufklärung noch immer bevorsteht, dass sie bis heute an die Grenzen stiess, die mit dem Aufklärungsprogramm immanent gesetzt waren: dass sie vor allem die Selbstermächtigung der Mächtigen befördert.

Die Bestätigungen ergaben sich nicht nur durch den Ausschluss der Frauen, der Juden und der Sklaven (Abschaffung der Sklaverei formal erst viel später, dauert bis heute an, nur konditional auch die Emanzipation der Juden um 1800 / 1814 herum, Antisemitismus und Rassismus – heute skrupelloser Ethnizismus – dauern aufs verhängnisvollste an, die formal rechtliche Gleichstellung der Frauen noch später, die Gleichberehctigung im öffentlichen Raum aller Menschen steht noch aus), sondern auch

  • durch die ununterbrochene Geschichte „der Selbstzerstörung der Aufklärung“ (Horkheimer/Adorno, Dialektik, erstmals 1971), der Barbarei der menschenverachtenden „Sachzwänge“,
  • des skrupellosen Machtmissbrauch durch die totalitären Regimes – zu denen ich heute die neoliberale globalisierte Wirtschaft rechne, welche die Menschen für unnütz und für überflüssig erklärt und sie gleichzeitig dem Diktat des Konsumismus unterwirft, in der auch das Denken oder dessen Produkte zur Ware wird -.
  • Die Herrschaft der Massengesellschaft und die entmoralisierende Selbstunterwerfung der Menschen unter die Autorität des „alle tun es“, eine Unterwerfung, die sozial belohnt wurde und wird,
  • sowie die Herrschaft der „Dummheit der Gescheiten“ (Horkheimer/Adorno) oder eher deren Raffinesse, welche die Sprache, die in der Öffentlichkeit laut zu hörende, zur Propaganda pervertierte Sprache, benützen, um entweder verdummenden Optimismus oder Angst zu propagieren, um effektive soziale und politische Reformen – Reformen des gerechteren Zusammenlebens – zu verhindern, und welche Gewalt, Krieg und brutale Zerstörung als „gerecht“ und „legitim“ deklarieren, um vorgegebenermassen einen einzelnen Gewalttäter und die verbrecherischen Banden in dessen Dienst auszuschalten. All dies – in der Dialektik der Aufklärung – bis heute.

 

Wo die „Rationalität“, resp. die Herrschaft des Verstandes, der instrumentellen Vernunft, zur ausschliesslichen Grundlage des Entscheidens wird, wird auch das Irrationale zur Rationalität gemacht. Das ist das verhängnisvollste Element im Selbstbetrug der Herrschaft der Aufklärung.

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