Wie sagen wir, was wir meinen? Was heisst, was wir sagen? – Trennung – Teil des Werdens

Wie sagen wir, was wir meinen? Was heisst, was wir sagen?

Trennung – Teil des Werdens

 

Immer steht “Trenn u n g ” als Wort in Beziehung zu anderen Worten, substantivisch oder verbal, auf aktive oder passive Weise. Die deutsche Sprache schafft mit den -u n gWorten, den –heit- und – keitWorten eine Tatsache. Was im Denken oder Tun, im Wahrnehmen oder Erleben ein aktives oder ein passives Handeln war, gerät aus den Zeitgeschehnissen heraus und wird als ein “factum” benannt. Die Bedeutung des Wortes bleibt offen. Handelt es sich um etwas Gutes oder um etwas Belastendes? Was geht mit Trennung einher? Wer oder was trennt wen oder was wovon? Die Bedeutung des Wortes verändert sich je nach dem Beziehungszusammenhang, in welchem es gebraucht wird.

Was heisst “Trennung”? Der Anfang menschlichen Lebens geschieht durch Trennung – nicht im Moment der Zeugung, sondern im schmerzlichen, lebensnotwendigen Prozess der Geburt. Doch diese erste Erfahrung von Trennung – Trennung von der Geborgenheit des Mutterbauchs, die Sigmund Freud als das grundlegende menschliche Trauma bezeichnet – bedeutet nicht Verlust der Mutter. Das erste Erwachen des individuellen Lebens, dadurch das erste Aufblühen der Freiheit geschieht im Zusammenhang der ersten Trennung, sind es doch die ersten Atemzüge des Kindes, in welchen sich die erste Zustimmung zum eigenen Leben äussert. Durch das “Abtrennen” der Schnur erfolgt eine neue, andere Beziehung des Kindes zur Mutter, eine Beziehung voller Nähe, die einhergeht mit dem Verstehen von Blick und Klang der Stimme, mit Sicherheit im Getragenwerden, im allmählichen Loslassen und Begleiten, mit vielen neuen Erfahrungen im Wahrnehmen über alle Sinnesorgane, im Erlernen eigener Schritte, mit wachsender Beziehungserfahrung des Kindes zu sich selbst und zur Welt. “Trennung” ist somit Teil des Werdens, des zeitlichen Aspekts des individuellen Menschseins, das sich mit dem Lebensanfang in seiner Einzigartigkeit zu entfalten beginnt, gleichzeitig aber hineinversetzt wird sowohl in eine grosse Generationengeschichte wie in die aktuelle Zeitgeschichte.

 

… trennen, sich trennen, getrennt werden, getrennt sein, Trenn u n g

Oft mag es schwierig erscheinen, den Wert des eigenen Seins – des Ich-Seins – zu spüren, wenn als Kind nach der ersten Trennung wenig tragender Halt erlebt wurde, wenn neue Trennungen auferlegt wurden, wenn in neuen Beziehungsstrukturen der Subjektwert Bedingungen unterstellt war, die nicht erfüllt werden konnten. Sicherheit und Halt verbinden sich so mit Erfahrungen des Mangels, mit unerfülltem Bedürfnis und mit Sehnsucht nach Erfüllung des Bedürfnisses. Um zu überleben, werden Sachen zum Beziehungsersatz. Sein und Haben sind eng vernetzt. Jede Art von Trennung geht in dieser Vernetzung mit Angst einher, mit Angst um Verlust des eigenen Ich-Wertes, mit Angst um Verlorenheit und Verlassenheit. Angst ist die sprachlose innere Kraft, die wohl warnt und die zum Handeln antreibt, die aber auch hemmend und beklemmend vor all jenem zurück hält, was noch nicht erlebt wurde. Was mit “Trennung” einhergeht, ist von dieser Angst geprägt; nichts Befreiendes scheint damit in Verbindung zu stehen.

Tatsächlich wird mit “Trennung” Unterschiedliches ausgesagt: so vieles verbindet sich an verborgener Geschichte mit der Bedeutung eines Wortes. Synonyma sind hilfreich, um zu verstehen, was gemeint ist. Es ist ein nachdenkliches Auflisten von Worten, das sich der psychischen Übersetzung dessen, was das Wort aussagt, annähert.

… trennen, sich trennen, getrennt werden, getrennt sein, Trenn u n g

… entfernen, sich entfernen, entfernt werden, entfernt sein, Entfern u n g

… lösen, sich lösen, gelöst werden, gelöst sein, Lös u n g

… loslösen, sich loslösen, losgelöst werden, losgelöst sein, Loslös u n g

… loslassen / entlassen, sich entlassen, entlassen werden, entlassen sein, Entlass u n g

… verlieren, sich verlieren, verloren werden, verloren sein, Verloren h e i t  / Verlust

… verlassen, sich verlassen, verlassen werden, verlassen sein, Verlassen h e i t / Verlässlich k e i t

… spalten, sich spalten, gespalten werden gespalten sein, Spalt u n g

… absondern, sich absondern, abgesondert werden, abgesondert sein, Absonder u n g

… sperren, sich sperren, gesperrt werden, gesperrt sein, Sperr u n g

… absperren, sich absperren, abgesperrt werden, abgesperrt sein, Absperr u n g

… brechen, sich brechen, gebrochen werden, gebrochen sein, Brech u n g / Bruch

… aus(einander)brechen, sich aus(einander)brechen, aus(einander) gebrochen werden,

aus(einander)gebrochen sein, Aus(einander)bruch

… entmischen, sich entmischen, entmischt werden, entmischt sein, Entmisch u n g

… entzweien, sich entzweien, entzweit werden, entzweit sein, Entzwei u n g

… scheiden, sich scheiden, geschieden werden, geschieden sein, Scheid u n g

… entwirren, sich entwirren, entwirrt werden, entwirrt sein, Entwirr u n g

… unterscheiden, sich unterscheiden, unterschieden werden, unterschieden sein,

Unterscheid u n g

… verabschieden, sich verabschieden, verabschiedet werden, verabschiedet sein,

Verabschied u n g / Abschied

… entsorgen, sich entsorgen, entsorgt werden, entsorgt sein, Entsorg u n g / Sorglosig k e i t

… ändern, sich ändern, geändert werden, geändert sein, Änder u n g

… verändern, sich verändern, verändert werden, verändert sein, Veränder u n g

… befreien, sich befreien, befreit werden, befreit sein, Befrei u n g

… vergeben, sich vergeben, vergeben werden, vergeben sein, Vergeb u n g

 

Die Fülle von Bedeutung, die mit “Trennung” einhergeht, erinnert an die vielen Teile eines Fächers, die in einer Hand zusammen gehalten werden. Je nach den Teilen, die geöffnet werden, ergibt sich ein anderes Bild mit anderen Farben, mit anderer Enge oder Weite, gleichzeitig eine unterschiedliche Möglichkeit, den eigenen Atem zu erleichtern und zu stärken. Die frühesten Erfahrungen im Lebensprozess, in diesem “procedere” an gelebter Zeit, die mit Trennung beginnt, begleiten die späteren Erfahrungen, bis zugelassen wird, den Fächer weiter zu öffnen. So wird möglich zu verstehen, dass selbst das Schmerzhafte und Leidvolle, das mit auferlegter, nicht selber gewählter und nicht selber gewünschter Trennung verbunden ist, Sinn macht. Jede Art von Trennung ermöglicht, die Frage nach dem Wert – dem Beziehungswert, dem Lebenswert, dem Wert von Sein und von Haben – neu zu verarbeiten. Trennung geht in der ganzen Bedeutung des Wortes einher mit dem grossen Lernprozess des Lebens.

 

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