Psychoanalytische Traumatherapie in der Auseinandersetzung mit Gewalt – Zur transgenerationellen Geschichte von Opfern und Tätern

Psychoanalytische Traumatherapie in der Auseinandersetzung mit Gewalt

Zur transgenerationellen Geschichte von Opfern und Tätern

 

“Wissenschaften entfernen sich im Ganzen immer vom Leben und kehren nur durch einen Umweg wieder dahin zurück.

Mit den Jahren steigern sich die Prüfungen.”[1]

 

Es freut mich, im Rahmen des PSZ aus meiner Erfahrung psychoanalytischer Traumatherapie einen Beitrag leisten zu dürfen. Sie wissen, ich bin in erster Linie Philosophin. Philosophie in psychoanalytischer, sprachanalytischer  und gesellschaftsanalytischer Weise umzusetzen, das heisst die Denkprozesse, Erkenntnisse und Theorien, die vorliegen, auf die Zeitzusammenhänge hin zu untersuchen, insbesondere auf die Herkunfts- und Entwicklungsgeschichte der Philosophinnen und Philosophen, das ist seit über vierzig Jahren meine Arbeit. Dabei wurde mir zunehmend bewusst, dass oft schwere Traumata das Werk mir nahe stehender Denkerinnen und Denker mitprägten. Das ist so bei Rosa Luxemburg, Simone Weil, Hannah Arendt, Sarah Kofman, Margarete Susman, Walter Benjamin, Ludwig Wittgenstein und vielen mehr. Die Bedeutung von “Trauma” wurde mir erstmals durch die Philosophie vertraut, eine Bedeutung, die sich in der psychoanalytischen und traumatherapeutischen Arbeit bestätigte. In der griechischen Bedeutung wird mit “trauma” ein “Leck” im Schiff des Odysseus bezeichnet, das gegen einen Felsen prallt und das in Gefahr ist zu sinken. In diesem Sinn ist unter “Trauma” eine “Wunde” in der Seele eines Menschen zu verstehen, die nicht nur eines Pflasters oder einer Vernarbung, sondern der psychischen – häufig der gesamtexistentiellen – Heilung bedarf.

Meine klinische Arbeit, die mit Überlebenden der Vernichtungslager des Zweiten Weltkriegs begann, die sich mit Opfern von Kriegen und Diktaturen in Europa und ausserhalb Europas fortsetzte wie mit Kindern und Erwachsenen aus transgenerationeller Geschichte von Gewalt hier in der Schweiz – verband ich immer mit einem zeit- und kulturanalytischen Erkunden der Geschichte und Vorgeschichte der Patientinnen und Patienten, ebenso mit einer ständigen sorgfältigen Klärung von Übertragung und Gegenübertragung im therapeutischen Prozess selber, jenem “Nichtwort, ausgespannt zwischen Wort und Wort”, wie Hilde Domin formulierte[2], sodann mit einer kritischen Auseinandersetzung mit wichtigen Aspekten aus den Aufzeichnungen von Sigmund Freud, Anna Freud, Melanie Klein, Theodor Reik, Hans Keilson, Sarah Kofman, Mohammed Masud R. Khan, Johannes Cremerius, Léon Wurmser, Julia Kristeva u.a.m.

Im heutigen Referat werde ich auf einige Aspekte eingehen, die mir wichtig erscheinen. Sie betreffen erstens die Frage nach den Ursachen und Zusammenhängen von Gewalt, von transgenerationeller Gewalt, insbesondere von Gewalt im geschlossenen, privaten Raum, die schwere Traumata bewirken. Ich werde im zweiten Teil auf  eine Fallgeschichte eingehen, in welcher deutlich wird, wie die nicht geheilten Kindheitstraumata einer Patientin bewirkten, dass sie zur Mittäterin von Gewalt wurde, die ihrem eigenen Kind angetan wurde. In einem dritten Teil werde ich auf methodische Aspekte der Traumatherapie eingehen, d.h. auf die Grammatik des therapeutischen Dialogs, die mir von zentraler Bedeutung erscheint. Dabei werde ich wichtige Aspekte meiner Methode mit einer kurzen Fallgeschichte verdeutlichen, in welcher es um die kumulativen Traumata einer Patientin infolge  sequentieller Objekterfahrung geht, deren komplexe psychische Belastungen und somatische Leiden in erster Linie der Rehabilitation des Subjektwertes bedurften. Die Verarbeitung von Scham, Scheu und Wertlosigkeit kann nur mit der Erfahrung, Subjekt zu sein, geschehen. Diese neue Erfahrung bedarf der Erprobung von Verlässlichkeit, damit die als Objekt erlittene Vergangenheit als Teil der Lebensgeschichte so abgeschlossen werden kann, dass kein “Anheimfallen” mehr droht, wie Hannah Arendt formulierte. Nur so wird es möglich, dem eigenen Ich Freiheit und damit Wahlmöglichkeiten im Denken und Handeln zuzugestehen, eine existentielle Rehabilitation, die einen angstfreien Blick auf die Zukunft zulässt.

 

Gewalt, Gesellschaft, “Geschlecht” etc.

 Dass in der Tierwelt die Starken die Schwachen, die Stärkeren die Schwächeren jagen und hetzen, unterwerfen und töten, instinktmässig, gnadenlos, häufig qualvoll, wird als Beweis für die Grausamkeit animalischer Triebhaftigkeit erklärt. Gewalt wird als notwendiges Mittel zum Zweck des Überlebens beurteilt, als Ausdruck triebhafter Rationalität, die der Tierwelt eigen sei. Die Tatsache weckt Ängste, auch in der Menschenwelt, schon bei Kindern. Die Vorstellung, selber das schwächere Tier zu sein und der Gewalt des stärkeren nicht entkommen zu können, ihr ausgesetzt zu sein, hilflos und wehrlos, lässt vor Schrecken erstarren. In albtraumhaften Vorstellungen scheint kein Entrinnen möglich zu sein. Mythologische Dokumente, Sagen und Märchen wie “Der Wolf und sieben Geisslein”, “Rotkäppchen und der Wolf” u.a.m. machen deutlich, wie animalische Grausamkeit in Menschengestalt seit Generationen zum Zweck der Einschüchterung benutzt wurde. Doch angstbesetzte Vorstellung bedeutet noch keinen Schutz, im Gegenteil. Das von zwei Hunden – von Hunden aus menschlichem Beziehungsgeflecht – zum Tod zerfleischte Kind macht die Frage nach den Ursachen von Gewalt noch dringlicher.

Tatsache ist auch, dass in der Tierwelt Gewalt keineswegs tägliche Realität ist. Es bestehen grosse Unterschiede im Beziehungs- und Machtverhalten der Tiere untereinander so wie im Verhalten gegenüber Menschen. Selbst im karnivoren Teil der Tierwelt findet sich Gewalt nicht ausschliesslich; die Pinguine mögen ein Beispiel sein. Schutz und Fürsorge für Kinder, für Schwächere und für Verletzte wird in den nicht-karnivoren Teilen der Tierwelt meist mit grosser Selbstverständlichkeit durch die Stärkeren umgesetzt, ohne Gebote und ohne Gesetze. Anzunehmen ist, dass es auf Grund einer “moralischen Triebhaftigkeit” geschieht, entsprechend einer inneren Verpflichtung, die ohne Zweifel in der “psyche” der Tiere dem Wert von Solidarität oder von Reziprozität entspricht.

Die Frage stellt sich nach den Kriterien menschlichen Verhaltens. Zivilisation und Kultur, religiöse, staatliche und gesellschaftliche Ordnung gelten als Bestreben, die Gewalt im Zusammenleben zu bändigen und zu kontrollieren, wieder nach Kriterien der Rationalität. Ob jedoch Kontrolle, Aufschub und Sublimation der triebhaften, animalischen Kräfte im Menschen, der aggressiven wie der sexuellen, individuell gelingen, hängt von vielem ab. Die Auseinandersetzung um Macht und Recht im Bestreben, Gewalt als Unrecht zu erklären, wurde zu einer Fortsetzung theoretischer Erkenntnis- und Denkarbeit, die bis heute wenig Einfluss auf das Zusammenleben der Menschen erreichen konnte. “Die “Eitelkeit der Zivilisation ist aufsässiger als der Hochmut der Barbarei”, hielt Benjamin Constant 1814 in seinem Werk “Sur la violence” fest, und seither ist die Gewalt, mit allem, was Fortschritt beinhaltet, ins Ungeheuerliche angewachsen. Freuds Aufsatz von 1929/30 über “Das Unbehagen in der Kultur” spannt dazu einen weiten Bogen, der jedoch nicht genügt, trotz der prophetischen Warnung, die er enthielt. Der menschliche Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb, den Freud immer wieder thematisiert, erklärt noch nicht die wirtschaftsideologisch programmierte Bagatellisierung und systematische Umsetzung von Gewalt, wie sie sich seit der Industrialisierung entwickelt hat, wie sie durch den Ersten Weltkrieg konkretisiert wurde, wie sie durch den Zweiten Weltkrieg ins Masslose weiterentwickelt wurde und nun durch die technologische Fortsetzung dessen, was als Fortschritt erklärt wird, durch die digitalisierte aktuelle Kommunikation, welche auch die Medien beherrscht, die Vorstellungskraft in die Virtualität abgleiten lässt, in welcher jede Art von Gewalt überhand nimmt.

Der Mangel an kritischem Denken und an sozialpolitischem Mut angesichts einer wachsenden Akzeptanz von Gewalt, die einhergeht mit einer wachsenden Verminderung des Respekts der Rechte von Kindern, Frauen und Männern gesellschaftlich unterschiedlicher Herkunft, kann nicht vor allem mit “wachsendem und zunehmend belastendem Schuldgefühl” in Zusammenhang stehen, wie Freud zu erklären versuchte. Tatsächlich ist die Menschheitsgeschichte bis heute geprägt durch ständige Fortsetzung individueller Gewalt, die oft im Namen von nationalen und ideologischen – von religiösen, politischen und wirtschaftlichen, rassistischen und ethnizistischen – Begründungen zum Zweck kollektiver Gewalt als notwendig und als legitim erklärt wird. Ideologien und staatliche Befehle oder offizielle Funktionen sind Vorgaben, wie Uniformen, welche benutzt werden, um andere, schwächere Menschen zu Objekten individueller Gewaltbedürfnisse zu machen. Erniedrigung, Angst und Entsetzen, Hunger, Durst und Schmerz, jede Art von  körperlichem und seelischem Leiden anderer Menschen, selbst unbekannter Kinder und Frauen, wird von unzählbar Vielen zur Bestätigung der persönlichen Macht, resp. zur Stärkung des eigenen, schwachen Ich-Wertes benutzt. Gewalt geschieht im Zusammenleben der Menschen nicht anders wie in Teilen der Tierwelt, nur berechnender, raffinierter und unersättlicher.

Gewalt wie sie in Diktaturen und Kriegen tägliche Realität ist, bis in die jüngste Vergangenheit und Gegenwart hinein, auch hier in Europa, ist die eine Tatsache, die immer wieder fassungslos macht. Die andere Tatsache besteht in der Erklärung des Gewaltmonopols des Staates überhaupt – auch des demokratischen Staates – sowie der strukturellen und funktionalen Ausübung von Gewalt durch Personen, an welche im Rahmen von Bürokratie, Militär, Polizei, Gerichtswesen, Strafvollzug etc. quasi das Recht zur Gewalt delegiert wird, an Männer und an Frauen, die sich oft – nicht immer – ihrer Funktion bedienen, um sie zum Zweck des persönlichen Machthungers anderen, schwächeren Menschen gegenüber umzusetzen. Da die westliche Gesellschaft – auch jene der Schweiz – seit Jahrhunderten patriarchal und hierarchisch (gr. “hieros” – “heilig”) strukturiert ist und daher Rang und Geschlecht, Status und Funktion mit einer Differenz menschlichen Wertes verbindet, wird diese Wertedifferenz als richtig und als notwendig erklärt, wie dies erneut die jüngsten Entwicklungen im schweizerischen wie im gesamteuropäischen Asylrecht, im Sozialrecht, im Strafrecht usw. beweisen. Gewalt ist trotz Aufklärung, trotz Fortschritt und trotz  Modernisierung in der Gesetzgebung eine ständige Tatsache. Selbst die 1948 nach dem Zweiten Weltkrieg zustande gekommene Erklärung der Menschenrechte als oberste, normative Verbindlichkeit aller Nationen, aller Gesetze und deren Umsetzung hat die Ausübung von Gewalt nicht aufs geringste beigelegt.

Da gesetzlich geregelte Institutionen wie die Ehe, die trotz der 1970 erfolgten rechtlichen Gleichstellung der Frauen nach wie vor ein institutionalisiertes Geschlechterverhältnis bedeutet, ebenso wie Elternschaft und Familiensystem mit noch immer ungenügendem Kinderrecht, wie Religionsgemeinschaften, Schulen, Angestelltenverhältnisse in Firmen, in Polizeicorps und Armeen in Verwaltungen und Spitälern etc. offiziell hierarchisch beglaubigte Verhältnisse sind, in welchen sich – quasi legitime – Gewaltgefälle konstituieren, wirken sich auch in ihnen vielfache Erniedrigungen “untergeordneter” Menschen durch “übergeordnete” als gewöhnliche, beinah reguläre Tatsachen aus, gegen welche auf rechtlicher Ebene kaum vorgegangen wird. Dazu kommt die seit Jahrzehnten wachsende Diktatur der Wirtschaft, die mit grösster Schonungslosigkeit über Erwerbsarbeit und Erwerbslosigkeit, damit über Existenzwert oder Existenzwertlosigkeit eines Grossteils der Menschen entscheidet, mit erniedrigenden Folgen für junge Menschen mit geringeren Ausbildungsmöglichkeiten, für ältere und geschwächtere Menschen sowie für jene im Asyl- und AusländerInnenbereich. Zunehmend erschreckt – wie ich schon erwähnt habe –  die wachsende Propaganda und dadurch Bagatellisierung von Gewalt durch die digitalisierten Medien, durch Internet, CD’s, Video Games, Fernsehfilme, Filme u.a.m., durch welche vorgegeben wird, dass durch das Ausüben von Gewalt die Angst vor Gewalt korrigiert werden könne, oder dass Erfahrung von Gewalt nicht nur zum Alltag gehöre, sondern Voraussetzung sei, damit Kinder heldenhafte Erwachsene würden. Die Harry Potter-Filme sind nur ein Beispiel für die Vermischung von Wunschbildern heldenhaften Lebens mit Gewalt.

Für jede Art von psychischer, körperlicher oder struktureller Gewalt, für jede Art von menschlicher Erniedrigung, von beruflicher oder arbeitsmässiger Entwertung, letztlich von Infragestellung des Existenzwertes werden – falls nicht eine gute psychische Verarbeitung möglich ist – von den Betroffenen Projektionsobjekte gesucht, auf welche Wut und Hassgefühle übertragen werden können, da dies den Verursachern gegenüber nicht möglich ist. Projektionsobjekt kann das Opfer sich selbst sein – oder es sind Lebewesen, die schwächer sind. Bei Polizeiuntersuchungen und in Gefängnissen, auf der Strasse und in Hinterhöfen, in Büros und in Fahrzeugen, in Sportvereinen und Schulen, selbst in Praxen und Psychiatrien findet ein Ausmass und eine Häufung unterschiedlicher Gewalt statt, die zu einem grossen Teil verborgen bleibt – so wie jene in den Familien. Gewalt ist allgegenwärtig – strukturell und instrumentell, psychisch und körperlich,  sexuell wie brachial.

 

Opfer und Täter im geschlossenen Raum: Transgenerationelle Fallgeschichte

 

Was verborgen bleibt, geschieht zwischen Täter und Opfer. Rohe Grausamkeit – erniedrigende Worte, ungerechtfertigte Anschuldigungen, Androhungen von Tod, Fusstritte, Tritte mit Stiefeln und schweren Schuhe, Schläge mit Fäusten, Keulen, Stöcken und mehr, Einsperren in Räumen, in Kellern und Kästen, jede Art von psychischer und körperlicher Quälerei ebenso wie jede Art sexueller Gewalt gegen Kinder und gegen Jugendliche beiden Geschlechts so wie gegen Frauen geschieht meist im Verborgenen, meist hinter geschlossenen Türen. Der geschlossene Raum – auch der häusliche Raum –  ist Teil der Absonderung des Opfers. Das lateinische “privatus” heisst “abgesondert”, “für sich”. Die “Absonderung” der Opfer dient dem Schutz der Täter. Allerdings geht mit der “Absonderung” oft nicht Unkenntnis der Gewalt durch Dritte einher. Häufig gibt es Mitwissende, die aus unterschiedlichen Gründen schweigen, ob aus Angst, Scham oder Scheu wie die Opfer selber, ob aus Indifferenz, aus falschem Gehorsam resp. aus Unterwerfungshaltung dem Täter gegenüber. Deren Schweigen wird zur Mittäterschaft.

 

2a) Das schutzlose Kind

Durch eine Sozialarbeiterin wurde eine knapp 26jährige Frau, Mutter von drei Kindern, wegen Suizidgefahr an mich überwiesen. Schon im ersten Gespräch schilderte sie mit tonloser Stimme, wie ausweglos ihr Leben ihr erschien. Während Jahren hatte sie erlebt, wie ihr Ehemann die einzige Tochter – das zweitgeborene Kind –  zum Objekt jeder Art von Gewalt machte. Jeder Umstand oder Anlass, der ihn aufbrachte oder in ihm ein “negatives” Gefühl weckte, wurde dazu benutzt: Wut ob irgend einer Unhöflichkeit oder Ungerechtigkeit bei der Arbeit (er arbeitete als Hilfsarbeiter bei einer Baufirma), Unbehagen ob der engen Wohnung, Ungeduld ob eines verspäteten Abendessens, Zorn ob des weinenden Kindes. Der geringste Ärger liess ihn ausrasten, so masslos, dass er das Kind gegen die Wand warf, mit den Füssen trat, auf es einschlug, bis es bewusstlos wurde und nicht mehr weinen konnte. Angstbesetzt erlebten der ältere und der jüngere Bruder, was der Schwester angetan wurde; angstbesetzt versuchte die Mutter, das Kind mit den vielen Verletzungen, mit seinem Stottern und den dunkeln, wie leeren Augen vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Als eines Nachts das Mädchen mit schweren Blutungen aus Ohren, Nase und Mund bewusstlos liegen blieb, brachte der Ehemann es selber in den Spital. Er gab einen Unfall vor, doch die zahlreichen Kopfverletzungen so wie die vielen verwachsenen Knochenbrüche an Armen, Beinen und Rippen, die bei der Röntgenuntersuchung erkennbar wurden, auch Schwellungen im Sexualbereich des Kindes – das ganze Ausmass an Schaden war so evident, dass noch in der gleichen Nacht die Polizei aufgeboten wurde. Der Vater des Kindes wurde gefangen genommen. Es folgten Untersuchungshaft, Strafverfahren, schliesslich Verurteilung zu 18 Jahren Gefängnis.

Auch die Mutter des Kindes wurde angeklagt und als Mittäterin – als passive Mittäterin –  verurteilt. Nach einigen Wochen Untersuchungshaft wurde sie frei gelassen. Die Betreuung der zwei Knaben, die in dieser Zeit in einem Heim untergebracht worden waren, durfte sie wieder übernehmen, unter steter Kontrolle durch die Sozialarbeiterin. Die Tochter wurde ihr entzogen. Nach einem langen Spitalaufenthalt – wo wusste sie nicht – wurde das Mädchen einer Pflegefamilie anvertraut, in einem anderen Teil der Schweiz. Von der Sozialarbeiterin konnte sie erfahren, dass das Kind an einem guten Ort war, dass es einen sicheren Halt erlebte, eine Sonderschule besuchen durfte, traumatherapeutische Hilfe bekam; dass Hoffnung bestand, dass es überleben, vielleicht gar genesen würde. Die noch junge Frau sollte ihr Kind nie mehr sehen.

Diesen richterlichen Entscheid konnte sie nicht akzeptieren. Sie konnte nicht akzeptieren, dass sie nicht wissen durfte, wo das Kind lebte; dass sie keinen Kontakt mit ihm haben durfte. Zwischen ihr und den zwei Knaben herrschte ein Klima des Unaussprechbaren – der Scham, des hilflosen Aufbegehrens, der täglichen freudlosen Pflichterfüllung. Schlaflosigkeit, stete Unruhe und Kraftlosigkeit, Kopfschmerzen und Schwindelgefühle, ein Gefühl der grauen Leere vor ihr, der schweren Last auf ihr, der Angst vor jedem nächsten Tag – all dies konnte sie der Psychotherapeutin schildern: sie mochte nicht mehr leben. Doch dies auszusprechen überstieg schon, was sie sich zugestand. Sie wusste nicht weiter, war dem Ehemann – dem Folterer ihres Kindes – zur Treue verpflichtet, besuchte ihn regelmässig im Gefängnis. Seine Grausamkeit leugnete sie nicht, sie wehrte jedoch ab, dass er dem Kind auch sexuelle Gewalt angetan habe, ein gewalttätiger Mann sei er gewesen, aber ein unanständiger, nein, das könne nicht sein.

Das Aufarbeiten ihrer Scham und ihrer Trauer, ihres eigenen Versagens und ihrer Mitschuld am Leiden ihrer Tochter ging einher mit dem Ergründen ihrer Hilflosigkeit angesichts väterlicher Gewalt, männlicher Gewalt überhaupt, einer lähmenden Hilflosigkeit, die sie in der eigenen Kindheit auch bei ihrer Mutter erlebt hatte. Es bedurfte einer langen Zeit, in welcher die Klage mit kaum tragbarer Verzweiflung einherging, worin sich – wie ich spürte – die Verzweiflung von Generationen von Frauen verdichtete, bis sie sich zugestehen durfte zu weinen, bis sie zu verstehen begann, dass es an ihr lag zu verändern, was sie als ausweglose Fortsetzung von Kindheit als Mädchen, als Fortsetzung von Frauenleben erlebt hatte. Dass sie sich nicht länger schicksalhaft unter Gewalt ducken musste, dass sie sich gegen Gewalt zur Wehr setzen durfte: dass sie Wahlmöglichkeiten hatte.

Allmählich wurde es möglich, dass sie akzeptieren konnte, dass ihre Tochter in einer anderen Familie lebte. Sie konnte ihr zugestehen, mehr Sicherheit und mehr Lebenswert zu erleben, als sie ihr hatte geben können. Sie wünschte ihr ein Leben ohne Angst. So wurde es nach und nach möglich, dass sie ja sagen konnte zur Trennung  von ihrem Kind, vielleicht nicht für immer, wie sie zu hoffen begann. Sie begann zu hoffen, dass es eines Tages selber den Wunsch äussern würde, die Mutter wieder zu sehen. Durch diese Zustimmung empfand sie sich nicht länger als Opfer eines “ungerechten” Gerichtsentscheid, wie dies während langer Zeit der Fall war. Eine andere, neue Art von Liebe zu ihrem Kind begann sie zu spüren: es ging nicht um ein ihr entzogenes Eigentum, das sie vermisste, es ging um ihr Kind, das sie mit der Last der eigenen Wertlosigkeit, die sie als Kind und Mädchen selber seit der frühen Kindheit erleben musste, in die Welt gesetzt hatte und das darob so schwer hatte leiden müssen, dass es kaum mehr leben durfte. Es lag an ihr zuzustimmen, dass es genesen durfte. Ihre eigene Genesung hing von dieser Zustimmung ab.

In dieser Zeit veränderte sich auch die Beziehung zu den beiden Söhnen. Ein neues Interesse wurde wach an deren Ängsten und Bedürfnissen. Sie sprach mit ihnen über die Schwester, auch über den Vater, wenn sie Fragen stellten. Die Beziehung zum Ehemann blieb lange ungelöst. Sie besuchte ihn weniger häufig, machte eine Ausbildung als Pflegerin für betagte, kranke Menschen. Auch der Heilungsprozess von der Mittäterschaft brauchte eine lange Zeit. Eigenverantwortung und Lebenszustimmung unter schwierigen Bedingungen konnten nicht mit Selbstverachtung einher gehen, das wurde ihr zunehmend klar. Sie wünschte, nicht nur verstehen zu können, sondern – vielleicht – selber Verzeihung zu spüren. Es bedurfte eines neuen Lernens: der Achtung vor ihr selbst, des Subjektwertes.

 

Überlegungen zur Methode psychoanalytischer Traumatherapie

 “Behutsam, ihr Götter,

denn das Herz aus Porzellan

ist spröde und leicht

zu verletzen” (…)[3].

 Die “Methode” psychoanalytischer Traumatherapie ist von grosser Bedeutung. Es geht um den “Weg” – gr. “hodos” -, einen Heilungsprozess zu erreichen (gr. “meta” – “nach – hin”). Freud sprach von der “Technik”, d.h. von der “Kunst” oder vom “Handwerk” (gr. “techne”) einer “Kur”. Am 12. Dezember 1904 hatte er vor dem Wiener medizinischen Doktorenkollegium einen Vortrag “Über Psychotherapie” gehalten, in welchem er mit Hilfe eines literarischen “Fallbeispiels” auf den Ton resp. die Bedeutung des “seelischen Instruments” des leidenden Menschen einging. Freud gab zuerst seinem Unmut über “diesen und jenen Kollegen” Ausdruck, “welche Sprechstunden mit einem Patienten einrichten, um eine psychische Kur mit ihm zu machen, während ich sicher bin, dass er die Technik einer solchen Kur nicht kennt. Er muss also erwarten, dass ihm der Kranke seine Geheimnisse entgegenbringen wird, oder sucht das Heil in irgendeiner Art von Beichte oder Anvertrauen. Es würde mich nicht wundern, wenn der so behandelte Kranke dabei eher zu Schaden als zum Vorteil käme. Das seelische Instrument ist nämlich gar nicht leicht zu spielen. Ich muss bei solchen Anlässen an die Rede eines weltberühmten Neurotikers denken, der freilich nie in der Behandlung eines Arztes gestanden, der nur in der Phantasie eines Dichters gelebt hat. Ich meine den Prinzen Hamlet von Dänemark”[4].

“Hamlet” als literarisches “Fallbeispiel” mag sich eignen, um deutlich zu machen, dass Traumatherapie nicht gelingen kann, wenn der Patient zum therapeutischen Objekt gemacht wird. Freud verweist auf die Auseinandersetzung zwischen Hamlet und den zwei Adlaten des Königs, Rosenkranz und Güldenstern, die den Auftrag haben, Hamlet “das Geheimnis seiner Verstimmung zu entreissen” und zu diesem ‘Zweck’ Flöten hereintragen lassen[5]. Freud unterlässt es allerdings, auf die erste Reaktion Hamlets einzugehen, in welcher er seine Ahnung äussert, dass es sich dabei um eine Art Verführung handle. Ich will den Passus, der mir vom dialogischen Konzept her wichtig erscheint, aus Shakespeare’s Text kurz zitieren:

Hamlet: O die Flöten! Lasst mich eine sehn. – Um Euch insbesondere zu sprechen (nimmt Güldenstern beiseite): Weswegen geht Ihr um mich herum, um meine Witterung zu bekommen, als wolltet Ihr mich in ein Netz treiben?” (…) Wollt Ihr auf dieser Flöte spielen”?

Güldenstern: “Gnädiger Herr, ich kann nicht.”

Hamlet: “Es ist so leicht wie lügen. Regiert diese Windlöcher mit Euern Fingern und der Klappe, gebt der Flöte mit Euerm Mund Odem, und sie wird die beredetste Musik sprechen. Seht ihr, dies sind die Griffe.”

Güldenstern: “Aber die hab ich eben nicht in meiner Gewalt, um irgendeine Harmonie hervorzubringen; ich besitze die Kunst nicht”.

Erst Hamlet’s Aufbegehren wird von Freud zitiert:

Hamlet: “Nun seht Ihr, welch ein nichtswürdiges Ding Ihr aus mir macht? Ihr wollt auf mir spielen; Ihr wollt in das Herz meines Geheimnisses eindringen; Ihr wollt mich von meiner tiefsten Note bis zum Gipfel meiner Stimme hinauf prüfen, und in diesem kleinen Instrument hier ist viel Musik, eine vortreffliche Stimme, dennoch könnt Ihr es nicht zum Spielen bringen. Wetter, denkt Ihr, dass ich leichter zu spielen bin als eine Flöte? Nennt mich was für ein Instrument Ihr wollt, Ihr könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen”.

Hamlet gibt aufs klarste zu verstehen, dass er nicht den “Ton” seiner Seele preisgeben will, nachdem er spürt, dass die zwei Adlaten den eigenen Atem nicht zu regulieren verstehen, resp. das eigene “seelische Instrument” nicht spielen können. Es geht ihm nicht nur um die Feststellung, dass sie “die Technik der Kur” resp. des Spiels nicht kennen. Hamlet wehrt ab, zu deren “Zweck” benutzt zu werden. Er wehrt ab, deren Objekt zu sein. Seine Abwehr verweist auf  eine der klarsten Regeln, die zu beachten ist – jedoch auf welche?

 

3a)  Grammatik des therapeutischen Dialogs

 Den Begriff “Grammatik” erachte ich als klärend. Sie wissen, dass mit dem griechischen Wort “grammatike” alles, was “Anfangsgründe, Anfangskenntnisse” der Sprache bedeutet, gemeint ist. “Grammatik” beinhaltet somit das Regelsystem, durch welches das Sprechen, das Lesen wie das Schreiben Klarheit erlangt. Dank der Grammatik besteht die Möglichkeit mitzuteilen, was in der eigenen inneren Sprache von Bedeutung ist sowie zu deuten und zu verstehen, was in der gesprochenen Sprache der Zusammenhang der Worte, des Sprachrhythmus und des Tons sowie der Pausen, was andererseits in der geschriebenen Sprache das Neben- und Hintereinander der Schriftzeichen – der sprachlichen Graphik (“graphein” heisst ja “schreiben”, auch “einritzen”) – aussagt, gemäss der Gesamtheit der Regeln, die mit der Sprache als Möglichkeit der “Kommunikation” (lat. “communicatio““Verbindung“, “Verständigung“ und “Mit-teilen“) einhergehen.

Grammatikalisch von zentraler Bedeutung ist die Unterscheidbarkeit von Subjekt und Objekt. Das Subjekt ist es, nach welchem die aktive oder passive Form des Verbes sich ausrichtet und womit ein Objekt  – ob im Genitiv, Dativ, Akkusativ oder Ablativ –  in Verbindung steht, je nach der Präposition, durch welche das Verhältnis zum Subjekt deutlich wird. Entscheidend für den ganzen Satz ist immer das Subjekt, durch welches nicht nur das Verb resp. das Handeln bestimmt wird, sondern das Ordnungssystem des ganzen Satzes. Auch jedes Komma (“komma” auf gr. “Einschnitt, Abschnitt”, abgeleitet von “koptein” – “schlagen”) verdeutlicht die Art des Bezugs zum Subjekt, während der Punkt mit grosser Klarheit einen Unterbruch oder Abschnitt schafft (“pungere” auf lat. “stechen”, aus dem Zusammenhang der Schrift mit dem Griffel auf Wachstafeln oder mit dem Meissel auf Stein), sodass ein neuer Satz beginnen kann[6].

Hamlets Widerstand macht ihn zum Subjekt. Hamlet gibt zu verstehen, dass  e r  die Art des Handelns – das Verb – bestimmen will, dass  e r  weder das Objekt des Königs noch das Objekt seiner Adlaten sein will. Er will nicht benutzt werden, will nicht der Neugier und nicht der Ruhmessucht Anderer ausgesetzt sein. Wie und wann er sich wem mitteilt, um sich von dem, was ihn belastet, zu entlasten, will er selber bestimmen. Auf jeden Fall setzt Hamlet voraus, dass die Person, der er sich anvertraut, das Instrument der inneren Sprache, der Psyche, in jeder Hinsicht kennt und zu deren “Übersetzung” in die Grammatik der Sprache fähig ist. Er kann nicht sein geheimes Inneres öffnen, wenn er nicht voraussetzen kann, als Subjekt respektiert zu werden. Er fordert, dass die “Auseinandersetzung” resp. der Dialog (“dia-logos” resp. “dia” – “auseinander” und “legesthai” –  sich unterreden resp. “legein” – sprechen) mit den unbewussten, geheimen Teilen der Psyche, die das Denken, die Empfindungen, die Beziehungsstruktur und das Handeln prägen, nicht auf vorgetäuschte Weise erfolgt; denn dergleichen zu tun sei “so leicht wie lügen” , wie er spöttisch bemerkt. Damit gibt er zu verstehen, dass er sich nicht in ein trügerisches Spiel zu einem ihm fremden Zweck einlassen will.

Die Grundregel der therapeutischen Grammatik, die dadurch vermittelt wird, heisst, dass ein Patient/eine Patientin in einer therapeutischen Beziehung nicht zum Objekt gemacht werden darf, nicht zum Objekt der Selbstanalyse des “Arztes”, wie Freud suggeriert, auch nicht zum Objekt narzisstischer Befriedigung, wissenschaftlicher Forschung oder Karriere. Der Patient/die Patientin ist auf dialogische Weise das andere, ebenbürtige Subjekt in der therapeutischen Situation der Kommunikation mit dem Therapeuten /der Therapeutin. Wird diese zentrale Regel beachtet, bewirkt sie eine spürbare Veränderung im Ich- und Selbstwert der Patientin/des Patienten, die/der durch vielfache Erfahrungen der traumatisierenden resp. verletzenden Objekthaftigkeit, der dabei erlebten Entwertung oder Erniedrigung, der mit Gefühlen der Ohnmacht verbundenen Ausgesetztheit sich in einen Kokon der Überlebensstrategie zurückziehen musste, mit vielfachen Zeichen des psychischen Leidens, häufig zusätzlich mit schwerwiegenden somatischen Folgen. Die spürbare Veränderung im Ich- und Selbstwert entwickelt sich durch das Erwachen, das Erstarken und die Erfahrung der Sicherheit als Subjekt, wodurch nicht nur der eigene Handlungsmodus als Gefühl der Freiheit sich umsetzt, sondern die Beziehung zum eigenen Ich als eine selbststärkende, selbstheilende Kraft erlebt wird. Die psychische, häufig auch die damit einhergehende körperliche Genesung wird möglich durch die spürbare Veränderung der sequentiellen Objekthaftigkeit in ein neues Verhältnis des Menschen zu sich selbst: in ein Subjekt-Objektverhältnis des eigenen Ich zum eigenen Selbst.

 

3b) Traumatisierungsfolgen aus sequentieller Objekterfahrung

 

Auf diese Grundregel möchte ich näher eingehen. Man muss sich bewusst sein, was seit der frühesten Kindheit an Objekterfahrungen das mit der Geburt geschaffene Subjektsein erschwert, verdunkelt oder lähmt. [7] Mit dem eigenen Herzton, der vom Moment der Geburt an das Leben bestimmt, mit dem eigenen Atem und dem damit verbundenen eigenen Rhythmus der Sprache verbindet sich die Sehnsucht, einen persönlichen Dialog zu finden und als Subjekt verstanden zu werden, als Ausdruck des Hungers, der Wünsche und des Wohlbefindens, der Ängste und des Schmerzes, in allem der Empfindungen und allmählich der Erkenntnisse, immer im Bestreben, nicht abgewiesen, sondern in die Kommunikation aufgenommen zu werden.

Das Kind spürt, ob es in seiner Subjekthaftigkeit verstanden wird oder nicht, ob es in seiner persönlichen Besonderheit geachtet wird oder als “es” –  “das” Kind, das Ding – gilt, über welches verfügt wird. Sein Ich-Wert hängt davon ab, w i e  das grundlegende Bedürfnis, in der Besonderheit als Subjekt anerkannt und geliebt zu werden, erfüllt wird. Wenn die dialogische Grammatik von Mutter- und/oder Vaterseite her nicht stimmt, wenn das Kind ausschliesslich als Ding-Objekt gilt, entwickeln sich in ihm aus der Mangelerfahrung, aus der Angst oder aus der Sehnsucht Grundhaltungen des Überlebens, welche in der Folge jede Art von Beziehung und jede Art von Kommunikation prägen, mit starkem Einfluss auf die geschlechterspezifische Besonderheit und/oder Differenz. Eine Fallgeschichte mag dies deutlich machen.

 

3c) Schwester von drei Brüdern

Eine heute 45jährige Biologin, die eine Publikation von mir gelesen hatte, war aus dem nahen Ausland an mich mit der Bitte um Therapie gelangt. Infolge schwerer körperlicher Leiden (starke Migräne, Schlafstörungen, Essprobleme u.a.m.) war sie seit ca. sechs Jahren nicht mehr in der Lage ist zu arbeiten. Am Anfang schleppte sie immer einen überschweren Rucksack mit sich. Was sie psychisch belastete, war eine ebenso schwere Last von Erniedrigung und Leiden, von Angst, von Scham und von Schuldgefühlen, zusammengebündelt durch ein erstickendes Tabu im Zusammenhang  schwerster Missbrauchserfahrungen, die sie von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter erlebt hatte. Seit Jahrzehnten bestand ihre einzige Erfahrung als Subjekt darin, sich selber zum Objekt von Leiden zu machen. Massive Selbstverletzungen wie Verbrennungen mit Zigaretten und Dutzende von Glassplittern in der linken Fusssohle waren Belege. Seit dem 12. Altersjahr hatte sie sich angewöhnt, so leise zu sprechen, dass sie sich selbst kaum noch hörte. Vor dem 12. Altersjahr hatte sie überhaupt nicht gesprochen, wie sie erklärte.

Sie war das jüngste von vier Kindern, das einzige Mädchen, war begabter und vom Aussehen her in jeder Hinsicht auffallender gewesen als ihre Brüder. Ihr Vater war schon über fünfzig Jahre alt, als sie zur Welt kam, ein Überlebender des KZ Buchenwald, der in  der Hauptstadt eines Nachbarlandes der Schweiz eine angesehene psychiatrische Praxis führte; die Mutter der vier Kinder war Patientin deren Vaters gewesen. Sie hatte den Krieg als Kind mit ihrer Mutter unter traumatisierenden Bedingungen überlebt, versteckt in einem fensterlosen, nicht erkennbaren Raum in der Scheune eines Bauernhofs.

Im grossflächigen, alten Stadthaus, in welchem die Patientin aufwuchs, befanden sich die Praxisräume ihres Vaters und die Wohnräume auf der gleichen Etage. Täglich war von 13h an der breite Korridor mit wartenden Patientinnen und Patienten angefüllt; der Vater arbeitete von 16h bis 24h in einem Raum. Wo er sich sonst befand, war den Kindern nicht bekannt. Für sie galt, still zu sein. Die Erinnerungen sind karg. Keiner der Söhne konnte weder ihm noch der Mutter genügen, sie wurden kaum beachtet. Das Interesse des Vaters galt der Tochter; wenn er an ihr vorbei ging, griff er mit der Hand in ihr lockiges, dichtes Haar und streichelte ihr sanft die Kopfhaut. In der Familie lebte noch eine weitere Patientin des Vaters als Assistentin, Sekretärin und Kindermädchen. Sie hiess die “Tante” und war in hassbesetzter Rivalisierung mit der Mutter der Kinder, die als schwer depressiv galt und täglich Medikamente einnahm.

Die Tochter und die drei Söhne waren in einem einzigen Schlafzimmer untergebracht; niemand kümmerte sich um diesen geschlossenen Raum. Vom sechsten Altersjahr an wurde die Patientin von den zwei älteren Brüdern, die später erstrangige Intellektuelle wurden, sexuell missbraucht; der Missbrauch begann in der Ferienzeit, in einem Sommerhaus auf dem Land, und er setzte sich während Jahren fort. Der zweitjüngste Sohn – der jüngste Bruder – war mit dabei, schaute zu, tat ihr nichts an, aber schützte sie nicht. Die “Tante” hiess das Mädchen fast täglich, sich auf den Küchentisch zu legen und “untersuchte” den Genitalbereich. Sie sagte kein Wort dabei, ihr Verhalten flösste grosse Angst ein.

Weder zu Hause noch im Unterricht fiel ihr Verstummen auf; sie schrieb hervorragende Prüfungen, wurde ins Gymnasium aufgenommen, wie die Brüder auch. Deren Gewalt setzte sich fort, auch als sie erwachsen wurde. Sie veränderte sich insofern, dass durch die zwei älteren Brüder, den eigentlichen Tätern, ihr der Tod angedroht wurde, falls sie spreche; der drittälteste Bruder, der den beiden älteren in jeder Hinsicht unterlegen war, beanspruchte sie als seinen Besitz – in jeder Hinsicht ausser in sexueller. Er beobachtete und kontrollierte alles, was sie hatte und was sie tat –  ihre Kleider, ihre Post, ihre Freizeit, alles. Als sie sich in der Studienzeit ins Ausland absetzte, reiste er ihr nach, durchbrach die Türe mit Gewalt und drohte ihr noch mehr Gewalt an, falls sie sich ihm nicht füge. Sie wurde zunehmend kränker, ernährte sich kaum mehr, war Nacht für Nacht schlaflos. Sie wünschte zu sterben und wünschte gleichzeitig, endlich zu leben. So war es, als die analytische Therapie begann.[8]

Es war ein langes Einüben der dialogischen Kommunikation, das erfordert war. Das sorgfältige Zuhörenkönnen der Therapeutin – ein Hören mit dem “dritten Ohr” (wie Theodor Reik – Nietzsche zitierend – formulierte) – verband sich mit der von der Patientin gewünschten Position einander gegenüber, so dass nicht nur die Stimme, sondern auch die Sprache der Augen, resp. die Übersetzung der inneren Sprache durch den Blick in der Gegenübertragung eine dialogisch unterstützende Klarheit der Kommunikation bewirken konnte. Die jahrzehntelange erlittene Gewalt und das Gebot des Schweigens hatten bei der Patientin ein Ausmass an Angst und Selbstentwertung bewirkt, das einer sorgfältigen Kontrolle der Gegenübertragung bedurfte, damit nicht eine andere Art von Angst, Angst vor dem Ausmass an Verantwortung, den therapeutischen Dialog lähmte, auch nicht ablehnendes Entsetzen, Mitleid oder gar Verachtung, wie die Patientin am Ende einer Stunde scheu und zugleich mit Staunen fragte, warum die Therapeutin ihr gegenüber nicht solche Gefühle spüren lasse.

Die komplexe psychoanalytisch-traumatherapeutische Arbeit zu schildern, ist im heutigen Zeitrahmen nicht möglich. Von zentraler Bedeutung war die sich der Sprache entziehende, zeichnerische Verarbeitung der durch die Albträume sich offenbarenden, verdrängten Erfahrungen schwerster Gewalt, Ohnmacht und Einsamkeit. Ein häufiger Traum war, dass die Patientin am scharfen Rand eines Karrussells stand, das sich schneller und schneller drehte. Das Karrussell war zugleich ein riesiger, metallener Raum ohne Fenster; die Stimme des Vaters dröhnte im Raum, sie müsse zur Mitte, hin zur Mitte. Doch die Mitte mündete in einen bodenlosen Schlund. Entsetzliche Angst beherrschte sie, wenn sie erwachte

Durch die Bilder, die sie während der Stunden mit Kreide festhielt, wurden die extremen Flash-backs seltener; allmählich ergab sich eine Verbesserung erholender Schlafmöglichkeit. In Verbindung mit der analytischen Psychotraumatologie kam es zu  existenzverändernden Massnahmen: zu einer neuen Wohnmöglichkeit in geographischer Distanz zu den belastenden Beziehungen, während einigen Monaten bei einer Studienkollegin im französischsprachigen Gebiet der Schweiz, auch zu speziellen neurologischen und physiotherapeutischen Methoden der Schmerzbehandlung (Atemtherapie, chinesische Akkupunktur, Massage, ophthalmologische und orthopädische Behandlung etc.), um die Überdosierung von Medikamenten abzubauen, die sie während Jahren eingenommen hatte und welche Magenprobleme und Schwindelgefühle ausgelöst hatten.

Eine stete Achtung der reziproken Subjekthaftigkeit in der dialogischen Kommunikation –

etwa im Eingehen auf literarische Bedürfnisse der Patientin, auf Kunst, auf die Freude am Witz etc. – ermöglichte eine erstaunliche Veränderung des Ich- und Selbstwertes, die sich im Ton der Sprache, im Gesichtsbild, in der Körperhaltung, ja in der gesamten Schmerzverminderung deutlich machte.

 

Traumatherapeutische Zielsetzung – Rehabilitation als Subjekt

Die zwei Fallbeispiele mögen deutlich machen, dass transgenerationelle Gewalt unterschiedliche herkunftsbedingte Ursachen haben kann –  im ersten Fall armutsbedingte, im zweiten Fall zeitgeschichtlich bedingte, dass sich jedoch jede entwürdigende Objekterfahrung, wenn sie sich wiederholt, sequentiell verschärft. Ich stimme mit David Becker (Santiago de Chile) überein, der unter Trauma einen Prozess versteht, der zwar mit einer verstörenden Erfahrung beginnt, doch nicht auf die Erfahrung begrenzt bleibt, sondern weiter wirkt. Mit jeder traumatisierenden Erfahrung geht ein Zuviel einher, sei dies ein Zuviel an Gewalt oder an Deprivation. Dies ist auch der Fall, wenn es um den Verlust einer wichtigen Bezugsperson geht. Als psychisches Trauma wird daher sowohl eine einmalige wie eine fortgesetzte Gewalterfahrung verstanden, durch welche die Lebenskontinuität durchbrochen wird und eine schwere Verletzung der seelischen Integrität, des Selbstwertgefühls und des Beziehungsgefüges erfolgt: durch welche der “psyche” eine schwere “Wunde” angetan wird.

Im Zusammenhang der langen klinischen Arbeit wurde mir zunehmend deutlich, dass der Begriff des PTSD[9] – der “posttraumatische Belastungsstörung” – zu eng gefasst ist, dass an dessen Stelle eine kulturell und menschlich weitere und zugleich differenziertere Erfassung der Leidenssymptome angezeigt ist, dass statt von “Störung” eher von seelischer Reaktion auf nicht tragbare, nicht verarbeitbare Verletzungen des Ich-Wertes und der Lebenssicherheit gesprochen werden sollte, die so sehr belasten, dass die psychischen und somatischen Reaktionen eine ständige Fortsetzung der durchgestandenen Gewalt-, Leidens- und Verlusterfahrungen in der Bedeutung von Trauma resp. Traumata ist.

Von zentraler Bedeutung ist es in analytisch-traumatherapeutischer Hinsicht, Opfern von Gewalt die traumatisierende Erfahrung, Objekt von Übergriffen, von Besitz und Fremdherrschaft zu sein – eine Erfahrung der Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit, der erniedrigenden Abhängigkeit und Wertlosigkeit – durch eine Erfahrung verlässlichen, stärkenden und tragenden Subjektwertes zu korrigieren. Im traumatherapeutischen Zusammenhang heisst dies, dass eine dialogische Grammatik von Subjekt zu Subjekt zwischen Therapeutin resp. Analytikerin und Patientin von der ersten Stunde an besteht und fortgesetzt wird. Je nach kultureller Zugehörigkeit und je nach sprachlichen Möglichkeiten entwickelt sich der Dialog langsamer und bildhafter, oder impulsiver, heftiger und direkter. Oft geht ein schwieriges Suchen nach dem richtigen Wort mit einher, ein filigranähnliches Übersetzen tabuisierter Empfindungen, verdrängter Geschehnisse, verbotener Kenntnisse. Zeichnen oder Malen ist manchmal eher richtig als Sprechen.

Persönlich erlebte Traumata können tatsächlich Teil und Folge gesamtgesellschaftlicher Bedingungen sein, die sowohl in der anamnestischen Aufarbeitung wie im therapeutischen Zusammenhang miterfasst werden müssen. Dies mag erklären, warum die psychoanalytische Traumatherapie immer die transgenerationelle Geschichte, in welcher die Patientin oder der Patient der aktuelle, betroffene Teil ist, sowie die politische, wirtschaftliche und militärische Zeitgeschichte, in welche die Familiengeschichte verflochten ist, in die Verarbeitung persönlichen Leidens miteinbeziehen sollte, damit Genesung möglich wird. Traumatherapeutische Erfahrungen mit jüdischen Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgungen und Konzentrationslager, mit Roma aus allen europäischen Staaten, mit deutschen Menschen, deren Familiengeschichte, Kindheit und Jugend mit Tabus belegt war, mit kurdischen und armenischen Frauen und Männern, mit Überlebenden aus Krieg, Vertreibung und Lager im ehemaligen Jugoslawien, mit Überlebenden aus afrikanischen und asiatischen Kriegsgebieten, mit Töchtern und Söhnen aus zerrütteten Schweizer Familien, von denen einige seit Generationen in grosser Armut lebten – beinah alle Erfahrungen belegen die Dringlichkeit einer psychischen und existentiellen Rehabilitation des persönlichen Lebenswertes, durch welche Vergangenheit als Teil der Geschichte verarbeitbar wird und Zukunft als neu gestaltbare Geschichte sich öffnet.

Die Beispiele transgenerationeller Gewalt und deren Folgen, gleichzeitig des traumatherapeutischen Prozesses, sind nur zwei unter vielen. Sie mögen die Frage wecken, ob Resignation angezeigt sei. Es könnte scheinen, als gäbe es keine andere Möglichkeit. Doch dem ist nicht so.

 Jede Art von Resignation bedeutet Unterwerfung unter Gewalt, und jede Unterwerfung bewirkt, dass Gewalt als unüberwindbar erscheint. Ist daher grössere Härte gegenüber Gewalttätern gefordert, um Gewalt aufzuheben, wird gefragt, so wie in der jüngsten Zeit von den westlichen und den östlichen Regierungen vorgegeben wird, durch Antiterrorgesetze und Antiterrorstrafmassnahmen jede Art von Terror zu sistieren? Doch Terror und Antiterror basieren auf der gleichen Verachtung menschlichen Lebenswertes, basieren auf Gewalt. Gewalt kann nicht allein durch Verbot und Bestrafung aufgehoben werden.

So stellt sich die Frage noch eindringlicher, was es braucht, um Gewalt zu mindern. In gesellschaftsanalytischer und psychoanalytischer Hinsicht ist es klar, dass jede Art von Gewalt auf die Vorgeschichte der Gewalt, auf deren Ursachen und Gründe hin befragt werden muss. Im traumatherapeutischen Prozess – lat. “procedere” – ist daher die anamnestische Arbeit immer auch mit der Suche nach dem inneren Halt verbunden, welcher die Aufarbeitung von – psychischen und physischen – Mangelerfahrungen, von Gewalt, Verlust und Kälte zulässt. Wenn dieser innere Halt fehlt, setzt sich Leiden in weiterem Leiden und in neuer Gewalt fort, oft – wie die Fallbeispiele belegen-  in transgenerationellen Wiederholungen, so dass unter nicht mehr tragbarer Last und Wut aus Opfern Täter – auch Täterinnen – und erneut Opfer, immer wieder Opfer werden.

Trotzdem, obwohl Herkunft und Zeit, in welche ein Mensch hineingeboren wird, nicht gewählt werden können, gibt es keine Unausweichlichkeit in der Geschichte, keinen unbedingten Zwang zur Wiederholung von Gewalt, die von früheren Generationen als Opfer oder als Täter erlebt wurde. Die individuellen wie die familiären wie die grösseren kollektiven Geschichten sind veränderbar. Sie können jedoch nur dann eine Veränderung finden und sich nicht weiter wiederholen, wenn die Geschichte mit Bedacht und Umsicht aufgearbeitet werden kann. Dazu bedarf es in persönlicher Hinsicht einer Bereitschaft zu verstehen, die häufig erst unter dem Druck des Leidens erwächst. Hierin liegt die therapeutische Chance für Opfer wie für Täter und Täterinnen. Und in sozialer und kultureller Hinsicht bedarf es anderer rechtlicher Bedingungen der Sorgfalt, damit eine “Heilung” kranker Verhältnisse auf nachhaltige Weise möglich wird (nicht von ungefähr haben “Therapie” und “Kultur” etymologisch eine ähnliche Bedeutung).

Das Zusammenleben der Geschlechter und der Generationen kann allerdings nur dann angstfreier und gerechter werden, wenn Gewalt in keinem System mehr, auch nicht in jenem der Wirtschaft, zum “courant normal” gehört oder gar verherrlicht wird. Menschen dürfen nicht austauschbar gemacht werden wie Ersatzteile einer Maschine, sie dürfen –  ob aus Gründen der Profitsteigerung, ob aus versicherungstechnischen Gründen oder ob aus irgend welchen anderen – weder für unnütz noch für überflüssig erklärt werden. Wenn Ethik überhaupt noch verbindliche Massstäbe setzen kann, muss diese Maxime allen anderen übergeordnet werden. Es bedarf eines gemeinsamen Widerstandes von Frauen und Männern gegen die Unerträglichkeit systematischer Menschenverachtung und Menschenausbeutung, es bedarf eines kritischen und kreativen Denkens. Es bedarf der Rehabilitation des Subjektwertes aller Menschen in der wechselseitigen, vielfachen Abhängigkeit von einander. Der Leidensdruck ist in der aktuellen Zeit nicht nur gewachsen, sondern auch bewusster geworden.

Die Frage, was es braucht, damit Gewalt in der Fortsetzung von Gewalt in der ganzen Sinnlosigkeit durchschaut und erkannt werden kann, kann nur beantwortet werden, wenn der Verzicht auf Gewalt als Gewinn menschlicher Freiheit und als Voraussetzung guten Zusammenlebens erlebt werden kann, letztlich wenn Menschen nicht mehr der Gewalt bedürfen.

Von zentraler Bedeutung ist gewiss, mit dem kritischen Hinterfragen und der Dekonstruktion der dualen und damit hierarchischen Bilder einerseits von Männlichkeit und Weiblichkeit, andererseits von übergeordneten und untergeordneten Kriterien menschlichen Wertes, die leider auch durch die monotheistischen Religionen über alle Jahrhunderte hinweg verstärkt wurden, die gesellschaftlichen Verhältnisse so zu verändern, dass der gleiche menschliche Wert in allen gesetzlichen und alltagspraktischen Zusammenhängen umgesetzt wird. Es ist anzunehmen, dass reale Veränderungen im öffentlichen Rahmen auf positive Weise auch im häuslichen Rahmen umgesetzt werden. Als reale Veränderung würde vor allem gelten, dass das gleiche Recht aller Menschen auf Erfüllung der gleichen Grundbedürfnisse anerkannt und umgesetzt wird. Die menschlichen Grundbedürfnisse sind geschlechter- und statusunabhängige Bedürfnisse, deren Erfüllung die Voraussetzung ist für die Erfahrung gewaltfreien Zusammenlebens. Eventuell sind die von Freud erarbeiteten Erkenntnisse des Aggressionstriebs – überhaupt der menschlichen Triebhaftigkeit – durch jene der Grundbedürfnisse zu ersetzen.

Ich fasse zusammen: Zielsetzung allen analytisch-traumatherapeutischen Erkennens ist zu verstehen, dass für jeden Menschen – für Opfer wie für Täter – eine neue Erfahrung von Subjektwert ermöglicht, die Erfahrung leidvoller Objekterfahrung so zu verarbeiten, dass für die weitere Existenz  Wahlmöglichkeiten bestehen, so dass erlebte Gewalt nicht der Fortsetzung bedarf. Dazu gehört aufzuzeigen, dass Gewalt als Gegengift zur eigenen Ohnmachtserfahrung potentiell immer verfügbar ist, um als Kompensation eigener Schwäche an Schwächeren geübt und ausgeübt zu werden, dass Gewalt jedoch nicht ausgeübt werden

m u s s , sondern unterlassen werden kann – unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft und Stellung. Gewaltverzicht ist ein Beweis grösserer Freiheit. Genesung von den Folgen durchgestandener Traumata infolge von Gewalt ein  Prozess persönlichen und zwischenmenschlichen Subjektwertes, der die transgenerationelle Geschichte korrigiert.

 

[1] Johann Wolfgang Goethe. Gedanken und Aufsätze. Gesamtwerke, 12. Band, S.49. Verlag Birkhäuser, Basel 1944

[2] Hilde Domin. Hier. Gedichte. Frankfurt a. M. 1964

[3] Aus “An die Umzugsleute” von Ernst van Heerden, einem südafrikanischen Dichter (geb. 1916), übersetzt von Hans Günther Hirschberg, in: Der Rhythmus der Regens. Gedichte und Nachdichtungen. Pro Lyrica. Schaffhausen 1999. S. 164-165

[4] Sigmund Freud. Schriften zur Behandlungstechnik und Ergänzungsband. Über Psychotherapie (1951904). S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1975. S. 113

[5] Hamlet, III. Akt, 2. Szene

[6] Damit möchte ich deutlich machen, dass die grammatikalischen Regeln im Verhältnis von Subjekt und Objekt in der therapeutischen Beziehung nichts mit “Subjektivismus gemeinsam haben.

[7] von Mohammed Masud R. Khan im Zusammenhang des “kumulativen Traumas” entwickelt, s. M.M.R.Khan. Das kumulative Trauma. In: Selbsterfahrung in der Therapie. Verlag Dietmar Klotz, Frankfurt a.M. 1997. S. 50 ff

[8] Sie hatte eine Publikation von mir über  Simone Weil gelesen, die 1943 mit 34 Jahren an den Folgen von Anorexie gestorben war.

[9] Der Begriff “Posttraumatische Belastungsstörung” (Posttraumatic Stress Disorder PTSD) ist seit den späten achtziger Jahren geläufig. Amerikanische Psychiaterinnen und Psychiater hatten ihn in der Folge von Beobachtungen bei Rückkehrenden aus dem Vietnamkrieg als Diagnosebegriff geschaffen, mit dem eine Vielzahl von Symptomen – Angstzustände, Schlaflosigkeit, Gedächtnisverlust, Depressionen und andere Erscheinungen mehr – erfasst werden sollten, die aus traumatischen Erfahrungen resultieren.

Write a Reply or Comment