Zukunftsvision – nicht Utopie, sondern realisierbares Projekt – Hearing zum Projekt “Inhalte schaffen – morgen konkret” – Landpartnerinnen Stotzweid-Fischenrüti-Horgen

Zukunftsvision – nicht Utopie, sondern realisierbares Projekt

Hearing zum Projekt  “Inhalte schaffen – morgen konkret”

Landpartnerinnen Stotzweid-Fischenrüti-Horgen

  1. April 2003 in Zürich

 

Es geht im heutigen Hearing

  • um ein “Projekt” der zwei “Landpartnerinnen” Anna Barbara Züst und Susanna Züst sowie
  • um ein mit der Architektin Monika Hartmann Vaucher gemeinsam entworfenes “Konzept”, das
  • mit einer “Vision” verbunden ist.

Ich habe mit grossem Interesse den Entwurf gelesen, bin am Samstagmorgen auch mit der Fähre über den See gefahren und habe das Land besucht, gemeinsam mit meinem Enkel. Ich freue mich, einige meiner – zuerst sprachanalytischen, dann existenzphilosophischen – Überlegungen zusammenzufassen:

  • Überlegungen zum Projekt:

Was ist unter “Projekt” zu verstehen? Entsprechend der lateinischen Wortbedeutung von “proicere / proiectum” (“pro” – vorwärts, voran, sowie “iacere” – werfen) handelt es sich beim “Projekt” um etwas, das zeitlich “vorangeworfen”, resp. für die Zukunft entworfen wird, ausgehend von “topos” (Land, Boden). Es geht nicht um etwas Utopisches (“ou”-nicht, “ohne Boden”), nicht um etwas, das sich  auflösen kann wie ein Wunsch oder ein Traum, im Gegenteil. Der Entwurf soll Realität werden. Das Denken und die Bilder, die entworfen werden,  richten sich auf die Gestaltung und Benutzung von Land aus, auf  vielfältige  Weise. Die Bilder geben den “In-halt” des Projekts wieder, der zum Werk werden soll, sowohl den sichtbaren, äusseren wie den “inneren” Wert des Entwurfs. Dieser wird ge”halten” und zusammenge”halten” durch das, was “partner”schaftlich bedeutet. Womit ist das Wort verknüpft?

Das altenglische Wort “partner” (in der männlichen und weiblichen Form gleich ist) entwickelte sich aus “parcener” – “Miterbe”. Es geht um ein Teil-Haben (lat. pars-partis) an etwas, das aus vergangenem Haben nicht an eine Person, sondern an mehrere übergeben wird. “Teilen” hatte immer die Doppelbedeutung der mathematischen Klärung wie der Trennung in gleiche Teile, hatte gleichzeitig aber auch die moralische Bedeutung der “Partizipation” (interessanterweise “pars/partis” verbunden mit “capere” – fassen, ergreifen). Partizipation  bedeutet immer eine Korrektur von Alleinbesitz,  bedeutet zugleich “Anteil haben” und “zugehörig sein”. “Brot, das du teilst, wächst nach”, wurde ich gelehrt, als ich ein Kind war.  Gleichzeitig verweist ein Sprichwörter auf den anderen Teil der Bedeutung:

“Wes Brot ich ess, des Lied ich sing”.

Die beiden Aspekte der Bedeutung von “teilen” sind  komplementär. Widersprüchlich sind sie nicht.  Was partnerschaftlich ist, setzt sowohl ein Teilen im Sinn des Gebens ein, wie ein Teilen im Sinn des Entgegennehmens, damit der Anpassung an das, was “geteilt” oder “mit-geteilt” wird. “Mit-teilung” ist, was im Sprichwort mit “Lied” gemeint ist. In jeder partnerschaftlichen Partizipation ergibt sich somit die Anpassung an den Ton, an das Tempo und an die Komposition – resp. an das Konzept. Darauf werde ich noch kurz eingehen.

Interessant erscheint mir, dass mittels der Sprache in beiden Sprichwörtern lange, vielfältige Erfahrungen zum Ausdruck kommen, die mehr als ein subjektives Wissen vermitteln. Sie sind Ausdruck von Klugheit, meine ich, sowohl im Zusammenhang von Besitz wie in jenem von Abhängigkeit. Dass in beiden Sprichwörtern “Brot” das Symbol des Wertes ist, der nicht allein beansprucht wird, sondern geteilt wird, verweist auf die lebensnahe, zentrale Bedeutung, die dem Bodens resp. dem Land zuzkommt.

Eine weitere Deutung/Be-deutung fällt mir noch ein, die erwähnenswert sein mag. Sie drängt sich auf, wenn es sich um das “Teilen” und Nutzen resp. Be-nutzen  nicht von privatem Land, sondern von öffentlichem handelt – um Wald, Weide und Wasser. Die Allmenden sind ein Beispiel. Auch in diesem Zusammenhang kann Partizipation als eine Art “landpartnership” verstanden werden, als eine “Miterbschaft”, die in einer Gemeinde von einer Generation zur nächsten weitergeht. Dabei ist insbesondere die auf jeder/jedem Einzelnen ruhende Verantwortung von zentraler Bedeutung, einer Verantwortung. die geteilt wird, gemäss einem vereinbarten Regelsystem der Nutzung /Be-nutzung, das – wie eine Grammatik –  für alle gleich gilt.

 

(2)       Überlegungen zum Konzept

Beim Projekt Stotzweid-Fischenrüti in Horgen geht es um eine doppelte Art des “Teilens” von Boden: Es geht um das Teilen von Aktualität, Geschichte und Zukunft, mithin um eine Zeit-Partizipation im Übernehmen, Gestalten und Benutzen der 66’000 Quadratmeter Land, die, entsprechend der unterschiedlichen Eigenschaften des Landes, verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden sollen. Es geht, mit anderen Worten, um die Möglichkeit einer Realisierung dessen, was ich unter dem Begriff der sozialen, partizipativen “Reziprozität” verstehe (“recus” – “zurück”; procus – “vorwärts”), sowohl im aktuellen Übernehmen und Gestalten des Landes, das geprägt ist von Topographie und von Geschichte(n), auch von alten Villen und Fabrikräumen – wie im Einbezug von dessen zukünftiger Bedeutung und Benutzung.

Um das Gegebene mit dem Zukünftigen zu verbinden, bedarf es eines Fächers von sozialen, ökologischen und aesthetischen Visionen. Mit Hilfe dieser Bilder geht es darum, “Inhalte (zu) schaffen” – “morgen konkret”. Das “Konzept” ist buchstäblich die “Zusammenfassung” (“capere-cipere”– fassen; “cum”-zusammen) einer Realisierungsmöglichkeit der Zukunftsbilder, die das Projekt in sich trägt.

Worin bestehen diese Zukunftsbilder? Die zwei Szenarien, die sich im Entwurf finden, geben sie wieder:

  • einerseits mit dem Blick von Aussen durch den Besuch junger Studierender aus Deutschland, welchen die technischen und organisatorischen Strukturen der architektonischen Gestaltung des vorbildlichen Quartiers vermittelt werden,
  • andererseits mit dem Blick von Innen durch den Besuch einer Enkelin bei den Grosseltern, die in diesem Quartier leben.

In den beiden Szenarien findet sich die Darstellung einer idealen Welt der Zukunft. Ein Quartierleben wird geschildert, in welchem alle Voraussetzungen und Regeln sozialer Reziprozität und Partizipation auf optimale Weise erfüllt werden. Die Berufe, von denen die Rede ist, haben mit Technologie, Elektronik und Werbung zu tun, das Leben der Menschen, die hier leben, ist in jeder Hinsicht “schön”: was die offenen, weiten Wohnbedingungen inmitten von vielfältiger Natur mit einer üppigen Pflanzen- und Tierwelt wie was die alltägliche Sicherheit und Sinnhaftigkeit des Lebens betrifft. Es gibt weder Einsame noch Arbeitslose noch Absonderliche oder Verängstigte, es gibt auch keine marginalisierten Menschen; keinen religiösen oder politischen Fanatismus, keine Gefährdung von Kindern oder von irgendwie behinderten Menschen durch Zeitknappheit,  durch menschliche Kälte oder Gewalt, auch keinen erstickenden Gegensatz zwischen sinnlosem Überfluss an Besitz und beschämender, kaum erträglicher Armut. Ebenso wenig gibt es Verschmutzung von Wasser, Boden und Luft. Die Frauen und Männer, die geschildert werden, sind alle entgegenkommend und freundlich, sie akzeptieren jede Art von Herkunft und Hautfarbe, von Alter und von Nützlichkeit. Sie leisten auf selbstverständliche Weise alles, was den sozialen und ökologischen Pflichten eines guten Zusammenlebens entspricht.

In den drei unterschiedlichen, miteinander verbundenen Gebieten oberhalb Horgen soll die Vision  einer guten, schönen und gerechten Welt – einer besseren Welt – realisiert werden:

– In der Stotzweid mit der deutlichsten geschichtlichen Vernetzung durch die Benutzung der alten Villa, durch das Angebot vielfacher Arbeitsmöglichkeiten und öffentlicher Gestaltungsräume in der Feller-Fabrik;

  • im Areal Fischli-Villa mit der naturnahen und kulturellen Verbindung von alten Menschen und Kindern, von Erholung, Kunst und Weiterbildung;
  • in der Fischenrüti die Möglichkeit zu wohnen in zugleich dichter und grosszügig-offener, materiell verantwortungsbewusster architektonischer Gestaltung wie in sozial gesteuerten Besitzverhältnissen und in nachbarschaftlichen Unterstützungsverpflichtungen

(3) Die Vision – Ausdruck einer Hoffnung

Der Entwurf der Landpartnerinnen und der Architektin  bewegt mich. Er bietet in der heutigen Zeit – einer Zeit, die geprägt ist durch eine zunehmend erschreckendere Enge, Kälte und Härte und damit durch einen verhängnisvollen Verlust an Sozialethik – ein Modell an, das danach trachtet, hier in Zürich (Horgen ist ein Teil von Zürich) die Entwicklung der Lebensbedingungen von Menschen der kommenden Zeit zu beeinflussen. Ich verstehe es nicht nur als eine Vision, sondern als  ein Modell des Zusammenlebens in privater Hellräumigkeit, zwischenmenschlicher Verantwortung und daher angstfreier Nähe, mithin als ein Modell des sowohl persönlichen wie kollektiven Wohlbefindens.

Der Vision erinnert mich teilweise an jene, welche vermutlich hinter dem Modell von Genossenschafts- und Gewerkschaftssiedlungen stand, vor hundert Jahren und in der Zwischenkriegszeit, welche Realität wurden und welche gerade in der Stadt Zürich verschiedene Quartiere resp. Stadtkreise prägten und zum Teil heute noch prägen, die für Familien mit Kindern ebenso wie für alte Menschen noch immer begehrte Wohnorte sind, aus finanziellen Gründen, wegen der Nähe von Kindergärten von Schulen, von Läden und Spitälern wie wegen der zugleich offenen und in sich geschlossenen Quartierstruktur. Diese Siedlungen mitten in der Stadt oder am Rand der Stadt stellen noch heute einen grossen Gegensatz zu den  fabrikähnlichen oder gefängnisartigen Hochbau-Miethäusern dar, die vor allem in den Fünfziger- und Siebzigerjahren gebaut wurden.

Ob der Entwurf der Landpartnerinnen tatsächlich lauter “gute” Menschen in der Weiterentwicklung und –gestaltung anziehen und einbeziehen wird, wie es die zwei Szenarien schildern, lässt sich nicht voraus beantworten, auch nicht, ob Horgen in politischer Hinsicht das Modell des sozial gerechten, ökologisch und aesthetisch idealen Stadtteiles tatsächlich unterstützen wird, damit es gedeihen kann. Was im Entwurf nicht erwogen wird, sind die gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die in der jüngsten Zeit immer stärker von Rechtsaussen besetzt werden, auch in vielen Gemeinden hier im Kanton Zürich.

Ich komme zum Abschluss meiner Überlegungen.

Wichtig scheint mir, dass mit dem Entwurf der Landpartnerinnen, der uns als Projekt, Konzept und Vision vorliegt, eine Hoffnung vermittelt wird.

  • Es ist die Hoffnung, dass die Möglichkeit, über Tausende von Quadratmetern Land zu verfügen und diese – in Freiheit und Verantwortung – mit der gestalterischen Möglichkeit der Architektur so zu bebauen, zu nutzen und zu gestalten, dass das Werk für lange Zeit ein Beispiel guten Wohnens und Zusammenlebens bleiben wird, dass diese Möglichkeit sich in Wirklichkeit tatsächlich so umsetzen wird, dass sie Vorbildcharakter haben kann.
  • Damit geht die Hoffnung einher, dass die Werte, die den Entwurf von heute prägen, in der zukünftigen Wirklichkeit beibehalten werden, sich vorweg erneuern und eventuell noch verstärken.
  • Diese Hoffnung nährt sich aus der Tatsache, die in den Visionen zum Ausdruck kommt, dass Projekt und Konzept nicht nur persönlichen Bedürfnissen von heute entsprechen, sondern durch das Angebot der reziproken Partizipation in Hinblick auf den zukünftigen Besitz des Landes mit den Bedürfnissen von Menschen von morgen übereinstimmen werden, eventuell von Hunderten von Menschen auch zukünftiger Generationen.

Mein Wunsch ist, dass die Hoffnung, die sich mit den “Inhalten” verbindet, welche “heute geschaffen werden und morgen konkret werden”, sich als tragende kreative Kraft auch in Zukunft fortsetzen kann.

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