Gleich nah und gleich weit weg von Jerusalem und Ramallah – Neve Shalom oder Wahat al-Salam: Erziehung zum Frieden

Gleich nah und gleich weit weg von Jerusalem und Ramallah

Neve Shalom oder Wahat al-Salam: Erziehung zum Frieden

 

Auf einem kahlen Hügel südlich der Autostrasse, die Tel Aviv mit Jerusalem verbindet, etwa je dreissig Kilometer von Jerusalem, Tel Aviv und Ramallah in der Westbank entfernt, gründete 1972 der Dominikanermönch Bruno Hussar eine Siedlung, die er “Quelle des Friedens” nannte: auf Hebräisch “Neve Shalom” und auf Arabisch “Wahat al-Salam”. Der Zweck der Siedlung, die im vergangenen Jahr quasi erwachsen wurde, ist schon im zweisprachigen Namen ersichtlich: dass es für jüdische und arabische Bewohner und Bewohnerinnen des gleichen Landes einen Ort geben soll, wo friedliches Zusammenleben vorgelebt wird.

Es sind viele Jahre her, seit ich einen Augenschein von Neve Shalom/Wahat al-Salam nehmen konnte: Äusserlich gleicht das Dorf auf dem 100 Aren umfassenden Pachtland des benachbarten Trappisten-Klosters Latrun vielen anderen Siedlungen in Israel: eine Gruppe von Wohneinheiten, Schulgebäuden, Gästebungalows, ein Olivenhain, Schafherden, denen das spärliche Gras an den Flanken der Hügel als Nahrung genügt, in absehbarer Nähe Dörfer, die von arabischen oder jüdischen Familien bewohnt werden. Von den Fortschritten, die seither im Dorf erreicht wurden, habe ich Kenntnis durch die regelmässig erscheinenden “Briefe vom Hügel”. Sie berichten auch von den Schwierigkeiten, die das Dorf augenblicklich durchzustehen hat, wie von den Ausbauplänen, für die es dringend neuer Mittel bedarf.

 

Gründung vor dem Hintergrund kriegerischer Spannungen

Als Neve Shalom/Wahat al-Salam 1972 gegründet wurde, war der Konflikt zwischen dem israelischen Staat und der arabischen Bevölkerung an einem Höhepunkt angelangt. Nachdem im Krieg von 1967 Jerusalem, der Gazastreifen und das Westjordanland erobert worden waren, und die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge ums Vielfache angewachsen war, verhärteten sich auf beiden Seiten die Positionen. Unter der israelischen Besetzung wuchs bei den Palästinensern das Gefühl nationaler Identität und Selbstbehauptung; Forderungen nach einem eigenen Staat wurden immer lauter, gefolgt von immer dreisteren, blutigen Anschlägen in Israel selbst sowie im Ausland. Gleichzeitig verstärkte Israel seinen militärischen und zivilen Kontroll- und Repressionsapparat in den besetzten Gebieten sowie seine militärischen Schläge gegen Länder, wo die PLO relativ ungehindert agieren konnte.

Als 1970 nach dem Tod Abdel Nassers Anwar Sadat die Führung in Ägypten übernahm, kristallisierte sich in den arabischen Staaten allmählich der Plan heraus, die Niederlage von 1967 zu korrigieren. Im Oktober 1973 unternahm Sadat einen Überraschungsangriff auf die israelischen Truppen auf dem Ostufer des Suezkanals, und gleichzeitig griffen die syrische Armee die Golanhöhen an. Die Israelis aber wehrten die ägyptischen Streitkräfte ab und trieben auch die syrischen Truppen bis nach Damaskus zurück.

Die militärische Überlegenheit Israels hatte sich einmal mehr bestätigt, doch der politische Konflikt war damit nicht gelöst, im Gegenteil. Auch nach dem von den USA und der UdSSR vermittelten Waffenstillstand sowie nach dem Sonderfrieden zwischen Anwar Sadat und Menachem Begin im Jahre 1977 blieb das Zusammenleben von jüdischer und arabischer Bevölkerung in Israel von Misstrauen und Feindseligkeit geprägt.

 

Friedensschule seit 1978

Die Gründung von Neve Shalom/Wahat al-Salam war etwas Aussergewöhnliches. Von allem Anfang an teilten sich gleichviel jüdische und arabische Familien (islamischen und christlichen Glaubens) in die Pflichten und Aufgaben des Aufbaus und der Verwaltung der Siedlung. Ebenfalls von Anfang an gab es einen Kindergarten, der gemeinsam von einer jüdischen und einer arabischen Kindergärtnerin geführt wurde, wo beide Sprachen gesprochen, die Lieder beider Völker gesungen und die Märchen beider Kulturen erzählt wurden. Schon die kleinen Kinder lernten (und lernen noch immer), dass sie nicht gleich sein müssen, sondern verschieden sein dürfen, und dass sie sich trotzdem gegenseitig verstehen und vertragen können.

Im Jahre 1978 begann man in Neve Shalom/Wahat al-Salam, die Idee der Friedensschule zu verwirklichen. Die Friedensschule besteht aus drei- bis fünftägigen Seminaren, in denen Jugendliche und Erwachsene – immer gleichviel jüdischer und arabischer Herkunft – mit der Religion, der Geschichte und den kulturellen Traditionen  der jeweils anderen vertraut gemacht werden. Sie lernen, einander zuzuhören und Fragen zu stellen. Vor allem lernen sie, einseitige Clichés und Vorurteile mit der komplexeren Realität zu vergleichen. Die Gespräche werden sowohl hebräisch wie arabisch geführt und werden häufig in den Wohnorten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fortgesetzt.

Das Konzept ist letztlich dasselbe, das schon im Kindergarten gilt: Die Besonderheit, die Würde und die Tragik der eigenen Volks- und Kuturzugehörigkeit soll nicht verwischt, sondern durch die bessere Kenntnis der Angehörigen der anderen Kultur sogar gestärkt werden; gleichzeitig sollen durch den Austausch der verschiedenen Herkunftserfahrungen, aber auch durch das Vorbild des Lebens in der Siedlung Voraussetzungen geschaffen werden, die den jungen Menschen erlauben sollen, friedlich und gemeinsam an der Lösung von Konflikten im schwierigen politischen und menschlichen Alltag zusammenzuarbeiten.

In den fünfzehn Jahren seit Bestehen der Friedensschule haben fast 10’000 jüdische und arabische Jugendliche und etwas mehr als 1000 Erwachsene beider Völker die Seminare besucht. Die Anfragen und Anmeldungen übersteigen bei weitem die Möglichkeiten der Leitung und der Unterbringung. Das Bedürfnis ist gross und wächst zunehmend: Ausdruck eines breiten Hungers bei der jüdischen wie bei der arabischen Bevölkerung nach einem Zusammenleben in Frieden.

Um diesem Bedürfnis besser gerecht zu werden, wurden im vergangenen Frühsommer in Neve Shalom/Wahat al-Salam 19 von 39 geplanten Gäste-Bungalows eingeweiht, sodass für eine zahlreichere Unterbringung von Gästen vorgesorgt ist.

 

Die Besonderheiten des Primarschulprojekts

1984 wurde auch eine Primarschule gegründet, in der gleichviel jüdische und arabische Kinder durch gleichviel Lehrkräfte beider Herkunftskulturen in beiden Sprachen und Kulturen unterrichtet werden. Nach wie vor ist dies die einzige Schule dieser Art in Israel. Zwar nehmen verschiedene andere jüdische Schulen auch arabische Kinder auf, ohne jedoch auf deren Sprache oder Religion Rücksicht zu nehmen. In Neve Shalom/Wahat al-Salam dagegen wird von der ersten Klasse an in beiden Sprachen gelesen und geschrieben; die älteren Kinder geben dabei den kleineren Nachhilfeunterricht. Die Frage der Gleichberechtigung der arabischen mit der jüdischen Kultur stellt sich nicht, da sie in personeller, sprachlicher und religiöser Hinsicht voll verwirklicht wird.

Anouar, ein palästinensischer Lehrer, der früher an einer öffentlichen Schule unterrichtet hat und nun zum Leitungsteam der jüdisch-palästinensichen Siedlung gehört, stellt fest, dass das allgemeine Niveau der Kinder in Neve Shalom/Wahat  al Salam im Vergleich mit demjenigen der Schüler und Schülerinnen “draussen” bedeutend höher sei. Auch ihre Anpassungsfähigkeit an ein anderes Milieu sei spürbar besser. “Wir konnten dies bei den Älteren feststellen, die unsere Schule bis anhin mit zwölf Jahren verlassen mussten. Sie zeichneten sich alle als sehr gute Schüler und Schülerinnen aus”, hält er fest. (In diesem Jahr soll das Primarschulegebädue vergrössert werden, sodass auch auf der Sekundarschulstufe unterrichtet werden kann). Anour fährt fort: “Wir vom Unterrichtsteam fühlen uns verpflichtet, ständig an uns selbst weiterzuschaffen. Wir müssen auch bereit sein, immer wieder von vorn zu beginnen. Was wir tun, können wir von niemandem lernen; wir müssen es selbst erfinden, aber auch vorweg verändern und verbessern.” Ein grosser Idealismus erfüllt den jüdisch-palästinenischen Lehrkörper. “Unsere Arbeitszeit ist um wenigstens zehn Wochenstunden länger als an den öffentlichen Schulen, unser Salär ist niedriger, auch unsere Ferien sind kürzer”, fügt Anouar bei.

Auch die Feste aller drei Religionen – der jüdischen, christlichen und islamischen – werden gemeinsam gefeiert, wiederum nicht, um die Unterschiede und Besonderheiten einzuebenen, sondern um die gleiche Bedeutung jeder einzelnen Religion deutlich werden zu lassen. Zu den wichtigsten Festen werden auch die Eltern aller Kinder eingeladen – etwa zum Weihnachtsfest, zum Seder an Pessah, zum islamischen Opferfest im Juni – für viele das erste Mal, dass sie Gelegenheit haben, an einem “fremden” religiösen Fest teilzuhaben. Während es keine besonderen Probleme stellt, die religiösen Feste auf paritätische Weise zu feiern, gestaltet sich die Feier des Israelischen Unabhängigkeitstages als schwierig. Ety, eine der jüdischen Lehrerinnen und ebenfalls Mitglied des Leitungsteams, stellt fest, dass nach wie vor dieser Tag in Neve Shalom/Wahat al Salam problematisch sei. Sie hätten noch keine befriedigende Form gefunden, um ihn so zu begehen, dass es für beide Gruppen annehmbar sei. Denn was für die jüdische Bevölkerung Anlass zum Feiern gebe, sei für die arabische ein Anlass zum Trauern. Dagegen bereite es keine Mühe, ergänzt Anour, gemeinsam den jährlichen Gedenktag an den Holocaust zu begehen, ebensowenig den für die arabische Bevölkerung wichtigen “Tag der Erde”, der an die tragischen Ereignisse von 1976 erinnert, als anlässlich einer arabischen Demonstration gegen die Konfiskation von arabischem Grund und Boden durch den israelischen Staat fünf Araber getötet wurden.

Seit dem Herbst 1990 ist die Primarschule auch externen Schülerinnen und Schülern geöffnet. Die ersten, die den Kreis der “Dorfkinder” erweiterten, waren elf arabische Kinder aus der Stadt Abu Gosh. Heute besuchen rund 90 Kinder – zu gleichen Teilen jüdische und arabische -den Kindergarten und die sechs Klassen der Grundschule; die Hälfe von ihnen werden morgens und abends mit kleinen Schulbussen zu Hause abgeholt und wieder heimgebracht.

Die Schule von Neve Shalom/Wahat al-Salam wird vom Staat zwar als Privatschule anerkannt, erhält aber keine staatliche Unterstützung. Die Begründung  ist, dass sie zu klein sei. Das Dorf bemüht sich nun, seine wirtschaftliche Basis durch den Ausbau der Gästehäuser und der Jugendherberge, eines kleinen Ladens u.a.m. zu verstärken, andererseits den arabisch-jüdischen Lehrkörper zu vergrössern und neue Konzepte zu entwickeln, um mehr Kinder in die Erziehung zum Frieden zu integrieren. Bislang macht das monatliche Schulgeld pro Kind 200 Shekel oder 335 Dollar aus, ein hoher Beitrag, der von den Eltern zu entrichten ist, und trotzdem sind zusätzliche Spenden zum Unterhalt und Ausbau des ganzen Projekts nötig: eines Projekts, das angesichts der ständig anwachsenden Gewalt und nationalistischen Verhärtung im Nahen Osten  nicht aus finanziellen Gründen scheitern darf, sondern überall in der Welt unterstützt und gefördert werden muss, als Beitrag zur gelebten, im Kleinen verwirklichten Hoffnung, dass Frieden möglich ist.

 

Kasten

Neve Shalom/Wahat al Salam  sieht sich dieses Jahr vor die Notwendigkeit gestellt, 25 Hektaren Land zu kaufen, um dieses gegen das vom Kloster Latrun gepachtete Land, auf dem die Siedlung steht und sich weiter entwickeln will, einzutauschen. Falls dieser Landabtausch nicht zustandekommt, besteht Gefahr, dass eine ultra-religiöse jüdische Gruppe, der die jüdisch-arabische Friedensarbeit von Neve Shalom/Wahat al Salam ein Dorn im Auge ist und die sich für das Land interessiert, dieses kauft und dort ein Dorf baut, wie es ihre erklärte Absicht ist. Neve Shalom/Wahat al Salam hat eine Frist von sechs Monaten, um die nötigen Mittel zu beschaffen, mehr nicht.

Die Hälfte des Betrags von rund 3 Millionen Franken konnte durch Spenden sowie durch die Anleihe einer holländischen Organisation aufgebracht werden. Der Rest steht noch aus. Die Leitung der Siedlung wendet sich mit einem dringenden Appell auch an die Schweizer Freunde und Freundinnen von Neve Shalom/Wahat al Salam, ihr entweder mit grosszügigen zusätzlichen Spenden zu helfen, aus der Notlage herauszukommen, oder ihr zu einem langfristigen, zinsgünstigen Darlehen zu verhelfen.

 

Die “Moneta”-Redaktion fragt sich, ob es möglich wäre, durch einen Kredit aus dem Förderbereich Entwicklungsarbeit (zu 4 1/4 bis 4 1/2 Prozent) der Alternativen Bank der Schweiz diesem dringenden Bedürfnis von Neve Shalom/Wahat al Salam entgegenzukommen.

Nach den Statuten der ABS können Kredite für Auslandprojekte jedoch nur dann bewilligt werden, wenn

(a) der Kreditnehmer oder die Kreditnehmerin schweizerischer Nationalität ist,

(b)  in der Schweiz eine (individuelle oder kollektive) Bürgschaft für das DArlehen geleistet wird,

(c) die Bürgen und Bürginnen schweizerischer Nationalität sind oder über eine Niederlassungsbewilligung in der Schweiz verfügen.

Zusätzlich verlangt die Bank genaue Kontrollmöglichkeiten des Projekts, damit kein Zweifel aufkommen kann, dass das Geld richtig eingesetzt wird.

Auch wenn alle diese Bedingungen zutreffen, stellen sich noch Bedenken hinsichtlich der Rückzahlbarkeit des Kredits, da beim Kurswechsel von israelischen Shekel in Schweizer Franken ein so grosser Kursverlust entstehen könnte, dass der Zinsvorteil, den ein Förderkredit böte, hinfällig würde. Die Vor- und Nachteile eines ABS-Kredits müssten also eingehend geprüft und mit anderen Finanzierungsmöglichkeiten verglichen werden.

Französische Übersetzung:

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