Menschen aus anderen Kulturen – Beratung und Therapie

Menschen aus anderen Kulturen – Beratung und Therapie

Weiterbildung Caritas Chur 18. Juni 2002

 

„Ein gleichbleibendes Leiden wird nach einer gewissen Zeit unerträglich, weil die Energie, die es ertragen lässt, erschöpft ist. Es stimmt also nicht, dass in einer anderen Aktualität vergangenes Leiden nicht mehr zählt“[2].

Jede Gesellschaft wird daran gemessen, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Die schwächsten Mitglieder sind diejenigen Menschen, die keine Möglichkeit haben, sich für ihr eigenes Wohlbefinden und für ihre eigene Sicherheit einzusetzen. Es sind überall die Kinder, sodann die in irgend einer Weise „behinderten“ Menschen und ebenso diejenigen Menschen – Kinder und Erwachsene -, die, häufig geschwächt, strapaziert und leidend, als „Fremde“ in die Schweiz kommen, insbesondere als Asylsuchende. Gerade diesen Menschen und auf besondere Weise den Kindern wird das Ertragen von Grausamkeit und Gewalt zugemutet, deren seelische Folgen häufig ein ganzes Leben lang verstörend weiterwirken.

Nach UNICEF-Informationen wurden allein in den 90er Jahren über 2 Millionen Kinder in Kriegen getötet worden, mehr als 15 Millionen Kinder haben ihr Zuhause verloren, 8 Millionen Kinder leben in Flüchtlingslagern, mehr als 200’000 Kinder wurden als Soldaten missbraucht, weit über 50’000 Millionen Kinder leiden unter traumatisierenden Kriegsfolgen. Dazu kommen weitere Millionen von Kindern, die unter furchtbaren Gewalt- und Verwahrlosungsbedingungen auf der Strasse leben, die jeder Art von Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt sind, in den Slums der grossen Städte Lateinamerikas und Nordamerikas, in Afrika und Asien, teilweise selbst in Europa. Erwachsene und Kinder, die es schaffen, in die Schweiz zu gelangen, sind nur ein ganz kleiner Teil der geplagten und vertriebenen, von Hunger, Gewalt und Angst besetzten, zumeist scher traumatisierten Menschen. Es sind in den letzten Jahren insbesondere Überlebende der Kriegsgeschehnisse im ehemaligen Jugoslawien, welche durch ethnizistische Verfolgung und extreme Gewalt zu Opfern wurden, insbesondere Menschen aus Bosnien und aus Kosovo, aber auch aus Kroatien, aus Montenegro, Mazedonien und aus Südserbien, Frauen und Kinder, manchmal Kinder allein, zum Teil auch Männer, welche die serbischen Konzentrationslager überleben konnten, Menschen muslimischer und zum Teil serbisch-orthodoxer Herkunft, Angehörige von Roma-Familien, welche während des Kriegs, aber schon vorher und nach dem Krieg schwerste Erniedrigung und Gewalt erlebten. Es sind Menschen aus der Türkei, zumeist kurdischer Herkunft, von denen in den meisten Fällen unvorstellbar brutale, systematische Folter durch die türkische Polizei und Armee angetan wurde; sodann Menschen aus den jüngsten Kriegszusammenhängen von Sri Lanka (Vathana T.), aus Afghanistan (Roia N.), aus Kambodscha, Irak und Iran, aus Kuwait, aus Libanon und Syrien, aus Marokko, aus dem Gazastreifen und anderen Gebieten des palästinensischen Irael, aus dem Kongo, aus Südafrika, Angola, Liberia und Somalia, auch aus Ghana, aus Kuba und noch immer aus südamerikanischen Ländern, in welchen Diktatur, Krieg, Vertreibung und Gewalt das Weiterleben verunmöglichten – alle geprägt von Verlust jeglicher Sicherheit, von Gewalt, von seelischem und körperlichem Leiden.

Das Leiden, das aus traumatisierenden Erfahrungen entsteht, äusserst sich auf vielfache Weise als Posttraumatisches Belastunggssyndrom, auf vielfache und unterschiedliche Weise, je nachdem welche Lebenserfahrungen der durchgestandenen Gewalt vorausgingen, in welchem Ausmass Gewalt angetan wurde, bei Kindern je nach dem Alter der Kinder und je nachdem, ob ihnen selbst Gewalt angetan wurde oder ob sie Zeugen von Gewalt gegenüber ihnen nahestehenden Personen – Mutter, Vater, weitere Angehörige – sein mussten.

Der Begriff “Posttraumatische Belastungsstörung” (Posttraumatic Stress Disorder PTSD) ist seit den späten achtziger Jahren geläufig. Amerikanische Psychiaterinnen und Psychiater haben ihn in der Folge von Beobachtungen bei Rückkehrenden aus dem Vietnamkrieg als Diagnosebegriff geschaffen, mit dem eine Vielzahl von Symptomen – Angstzustände, Schlaflosigkeit, Gedächtnisverlust, Depressionen und andere Erscheinungen mehr, Übertragung des seelischen Leidens auf den Körper mit schwerwiegenden Schmerzempfindungen und Krankheiten, teilweise Folgen körperlicher Gewalt – erfasst werden sollten, die aus traumatischen Erfahrungen resultieren. Jedes Ereignis kann traumatisierend sein, wenn mit dem Ereignis eine Erfahrung des Zuviel einhergeht, sei dies ein Zuviel an Gewalt oder an Deprivation (z.B. Verlust einer wichtigen Bezugsperson, Schuldgefühle zu überleben). Als psychisches Trauma wird daher sowohl eine einmalige wie eine fortgesetzte Gewalterfahrung verstanden, durch welche die Lebenskontinuität durchbrochen wird und eine schwere Verletzung der seelischen Integrität, des Selbstwertgefühls und des Beziehungsgefüges erfolgt.

Mir scheint, dass der klinische Begriff des PTSD zu eng gefasst ist, dass an dessen Stelle eine kulturell und menschlich weitere und zugleich differenziertere Erfassung der Leidenssymptome angezeigt ist. Auch anläslich eines grossen internationalen Kongresses über Trauma und Traumatisierungsfolgen, der 1994 in Hamburg stattfand, wurde in verschiedenen Beiträgen darauf hingewiesen, dass statt von “Störung” eher von seelischer Reaktion mit gesamtkörperlichen Folgen (psychischen und somatischen) auf unerträgliches Leiden gesprochen werden sollte, durch welche zugleich auch der Wille, unversehrt zu leben, angezeigt werde.

Tatsache ist, dass die politisch bedingten Aufenthalts- und Lebensbedingungen, denen Asylsuchende unter N- und F-Status hier in der Schweiz ausgesetzt, auf schwerwiegende Weise retraumatisierend wirken. Anlässlich eines Hearings über den F-Status, welches durch die EKR organisiert worden war, hatte ich Gelegenheit, dies in Bern deutlich zu machen.

Eine grosse Anzahl meiner Patienten und Patientinnen, die mich um psychotherapeutische und traumatherapeutische Hilfe aufsuchen, haben – oft seit vielen Jahren – einen F-Status; einige gelangen an mich wegen Ausweisungsängsten, andere haben zum Teil seit acht bis seit mehr wie zehn Jahren den N-Status, einige wenige B-oder C-Status. (Dieses Status-Verhältnis entspricht interessanterweise den Zahlen der Asylstatistik 2001). Die Frage, ob ein „auf Zeit“ begrenzter Schutz Erwachsenen und Kindern, die Krieg und Folter überlebten, genügt, findet allein schon durch die hohe Anzahl von Therapiebedürftigen mit N- und F-Status eine Antwort. Zwischen Rechtssystem und benötigter Traumatherapie infolge sich fortsetzender, schwer belastender Traumatisierungsfolgen besteht ein Zwiespalt.

Buchstäblich alle PatientInnen mit F-Status leiden unter schweren, häufig kaum tragbaren psychischen und somatischen Belastungen, die verursacht wurden

1a) durch Traumatisierungen infolge von Gewalt, von Verfolgung und Krieg in ihren Herkunftsländern, wodurch ihr Ich-Wert, ihr Lebenswert, der Beziehungswert von ihnen nahestehenden Menschen, gesellschaftliche, berufliche und materielle Existenzsicherheit sowie politische Rechte zerstört wurden.

Die dadurch entstandenen – häufig komplexen und schweren – posttraumatischen Leiden werden

1b) durch Retraumatisierungen verstärkt, die durch den – manchmal während vielen Jahren sich fortsetzenden – N- Status wie durch den F-Status bewirkt werden. Wird das Asylgesuch nach belastender Wartezeit abgelehnt und wird wenigstens ein F-Status bewilligt, ist als erste Reaktion eine psychische Erleichterung spürbar. Nach relativ kurzer Zeit aber nehmen die Retraumatisierungsfolgen überhand.

Diese zeigen sich in lähmender Depressivität (bis zu suizidaler Verzweiflung), manchmal in kaum mehr kontrollierbarer Aggressivität, bei allen Betroffenen wegen der „Vorläufigkeit“ in Angstzuständen, die zunehmend beklemmender werden, mit damit verbundenen Atem- und Schlafstörungen, mit ständigen Kopfschmerzen, Nacken-, Rücken- und Magenschmerzen und zahlreichen weiteren Leidensfolgen (cf. Fallbeispiele).

Der F-Status ist menschlich entwertend und existentiell demütigend. Er bedeutet eine gesetzlich legitimierte Nichterfüllung menschlicher Grundbedürfnisse und Grundrechte (in praktisch-alltäglicher Hinsicht auf unterschiedliche Weise, je nach Gemeinde resp. je nach Kanton).

Für Schweizerinnen und Schweizer würden die mit dem F-Status einhergehenden Existenzbedingungen als nicht zumutbar erachtet.

Die Differenz dessen, was bei Asylsuchenden und was bei SchweizerInnen als „zumutbar“ gilt, ist so gross, dass von rassistischer Diskriminierung gesprochen werden muss.

Die mit diesen Diskriminierungen einhergehenden posttraumatischen Folgen sind schwerwiegend. Sie zeigen sich

2a) – in existentieller Ungewissheit und in jährlich sich verstärkenden Ängsten infolge der ständigen Vorläufigkeit des Aufenthaltsrechts, welche bewirkt, dass keine Möglichkeit eines Zukunftsentwurfes gegeben ist, weder für Erwachsene, noch für Jugendliche und Kinder;

2b) – in folgenschwerem Verlust des Ich-Wertes durch den mit dem F-Status verbundenen gravierenden Freiheitsentzug im Wohn- Arbeits- und Weiterbildungsbereich: es gibt

keine Wahlmöglichkeit der Gemeinde- oder der Kantonszugehörigkeit, gravierende Einschränkungen der Arbeitsmöglichkeit und häufig sich fortsetzende Arbeitslosigkeit trotz Arbeitswille und Tätigkeitsbedürfnis, keine Recht auf Berufsausübung resp. Weiterbildung für Intellektuelle, auch keine für HandwerkerInnen, lediglich herabsetzende Hilfsarbeit, Service- und Putzarbeit, doch selbst diese, trotz aller Bemühungen, wird häufig nicht zugestanden wegen des F-Status;

2c) – in sich fortsetzenden persönlichen Herabsetzungen und kräftemässigen Ausnutzungen des Arbeitseinsatzes durch ungebührlich niedrige Stundenansätze für Lohnzahlungen, die zumeist nicht an die Arbeitenden erfolgen, sondern an die Sozialämter, trotz grosser Arbeitsbemühungen (bis zu 100% und mehr), mit dem Resultat ständiger Abhängigkeit vom Sozialdienst und ständiger Kontrolle aller Ausgaben.

(Bei N-und F-Status erfolgt oft während Jahren voller Arbeitseinsatz in Betrieben der Asylorganisation ohne den geringsten Lohn, so im Kanton Zürich in Velowerkstätten, in Party-Service „Paprika“, bei Umzugs- und Handwerkseinsätzen, bei Übersetzungsaufgaben etc. etc.);

2d) – in häufig schwer belastender Einschränkung von Heilungsmöglichkeiten bei körperlichen und psychischen Leidenszusammenhängen, da keine freie Wahl von ArztInnen und PsychotherapeutInnen gewährt ist, nur eine beschränkte, allgemein-medizinische und psychiatrische Zuteilung gemäss offizieller Namensliste, insbesondere in grosse Ängste bei Zahnproblemen, infolge extremer Einschränkung zahnärztlicher Behandlung. (Zähne werden gezogen, nicht behandelt, da zahnärztliche Behandlungskosten von den Kantonen nicht übernommen werden). Die Kosten für Psychotherapie, insbesondere für die zumeist dringliche Traumatherapie, werden nur im psychiatrischen Rahmen gewährt, woraus zumeist Abhängigkeit von Psychopharmaka, aber keine wirklich Genesung erfolgt;

2e) – in psychischen Notzuständen (Schuld- und Liebeshungergefühlen, Verlustängsten, ev. Suchtverhalten mit Medikamenten, Alkohol, Zigaretten etc.) infolge schwerwiegender Einschränkung familiärer Beziehungen, da die Besuchsmöglichkeit von nahestehenden Angehörigen (Elternteile, Grosselternteile, Geschwister), die im Herkunftsland zurückgeblieben sind und die zumeist alt und schwer krank sind, kaum zugestanden wird (resp. nur nach vielen Bemühungen und grossem Zeitaufwand, auch nur, wenn zahlreiche – insbesondere materielle – Bedingungen erfüllt werden);

2f) in Gefühlen der Auflehnung (ev. folgenschwer in der Pubertät) oder des Minderwertes bei Kindern und Jugendlichen durch gravierende Herabsetzungen und Entwicklungseinschränkungen  im Vergleich mit gleichaltrigen Schweizer Kindern: z.B. nur sehr beschränkte Sporttätigkeit, da Ausrüstungen und Club-Beiträge von der Asylorganisation nicht übernommen werden (resp. von den Eltern nicht geleistet werden können), auch keine spezifischen Musikausbildungen, kein Teilnahme an Schulferienlager (Kosten werden auf offizieller Ebene nicht übernommen, auch nicht von Pro Juventute), keine Teilnahme an Auslandreisen der Schulklasse, kein Erholungs- und Ferienaufenthalt für Familien (resp. für Frauen und Kinder), keine (oder kaum zugestandene) Besuchsmöglichkeit von Verwandten, die im Herkunftsland zurückgeblieben sind, dadurch in psychisch bedingte Beziehungsstörungen etc.

Ich machte in Bern deutlich, dass es – letztlich mit menschenrechtlicher Begründung – dringlich der Umwandlung des F-Status in B- oder C-Status bedar: Da der F-Status wesentliche menschliche Grundbedürfnisse und Grundrechte nicht erfüllt, da er herabsetzend, ausbeuterisch und psychisch lähmend ist, zumeist auch schwere somatische Folgen bewirkt, ersuchte ich um Umwandlung des F-Status in B- oder C-Status, sobald sich die Nicht-Zumutbarkeit einer Rückreise resp. die Gewährung des Asylrechts auf Grund schwerwiegender, traumatisierender Gewalterfahrungen im Herkunftsland als überzeugend und als dringlich erweist.

Berufliche Fähigkeiten und Arbeitswunsch sind in allen Fällen, die mir bekannt sind, unbestritten, können jedoch durch F-Status in den meisten Fällen nicht realisiert werden, so dass gleichzeitig eine Ausbeutung der Arbeitskräfte und eine erniedrigende Abhängigkeit von der kantonalen asylorganisatorischen Sozialhilfe fortbesteht.

Die Umwandlung des F-Status in B- oder C-Status würde nicht nur die Restitution des menschlichen Wertes von Frauen, Männern und Kindern bewirken, die auf Grund schwerer Traumatisierungen ihre Heimat verlassen und in die Schweiz fliehen mussten; der Status-Wechsel würde auch die kantonalen Unterstützungskosten erleichtern und wäre somit auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu empfehlen.

Beispiele: Bahrija S. mit Adem und Adem: Srebrenica/Potocar; Nusret, Nura und Almedin aus Dodboj/Republica Serbska; Nermina S. und Azra: Kosovo/Gorani; Familie Mem und Lyrija S. aus Mitrovica; Suhada T. und Mutter, Brüder und Tante aus Rahovac; Geneviève G.: Ghana; Madeleine T., Mann und Kinder: Armenier aus Georgien etc.).

Ist das Leben die einzige Zuflucht?

In einem Gedicht von Paul Celan (aus der Sammlung “Schneepart”), der die nationalsozialistische Verfolgung überlebt hatte, jedoch nach einigen Jahren in Paris das Überleben nicht mehr ertrug, heisst es:

“Ich höre, die Axt hat geblüht

ich höre, der Ort ist nicht nennbar”,

…..

Ich höre, sie nennen das Leben die einzige Zuflucht”.

Erniedrigung, Gewalt, Todeserfahrung und Leiden, Angst als sich fortsetzende Gewalt in der davon besetzten Psyche kann nur geheilt werden, wenn Ernedirugng und Gewalt nicht weiterhin wiederholt werden. Das heisst, dass Asyl und Therapie Wiederbeheimatung in der Welt bedeuten müssen, durch aufbauende Zuwendung und durch Respekt, nicht theoretisch, sondern ganz konkret, in jedem einzelnen Land, auch in der Schweiz. Es gilt, in der Öffentlichkeit, in den Schweizer Familien wie in den Schulen ein Verstehen der Nicht-Erträglichkeit von Erniedrigung und Gewalt zu wecken, es gilt, die das Interesse und die Fähigkeit zu entwickeln, mit unterschiedlichen kulturellen Herkunftsgeschichten, die sich teilweise fortsetzen, leben zu lernen, Konflikte zu klären, ohne dass sie gewalttätig ausgetragen werden müssen. Anstelle von Misstrauen und Herabsetzung, die in Feindseligkeit auswachsen kann, müssen soziale und emotionale Kräfte gestärkt werden, die ein vielfältiges und widerspruchsvolles Zusammenleben erlauben. Fremdnfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft in der Schweiz haben unter anderem mit einer massiven Desorientierung in Bezug auf Recht und Unrecht zu tun. Daraus folge ein Verlust an gegenseitigem menchlichem Respekt, der durch die Respektlosigkeit der „offiziellen Stellen” – Polizei, Richter, Vollzugsbehörden – noch verstärkt wird. Menschen, die ihre Heimat und ihre kulturelle Geborgenheit verlassen musste, insbesondere Kinder und Jugendliche, die der Tatsache ausgesetzt sind, dass sie „Fremde“ sind, brauchen eine starke Lobby, der die Sorge um den Wert von Leben, auch um den Wert jeder menschlichen Besonderheit das zentrale Anliegen ist. Damit das Leben die “einzige Zuflucht” sein kann, darf es nicht die Fortsetzung von Erniedrigung und nicht die Fortsetzung von Angst geben, nicht menschliche Herabsetzung und nicht Gewalt, auch nicht von offizieller Seite her, sondern das Leben,.

Auch in der Schweiz sollte den Behörden und den Menschen, die hier leben, bewusst werden, dass Herkunfts- noch Zeitbedingungen von niemandem gewählt werden. Die Erfüllung der Grundbedürfnisse und die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten, damit die Erfahrung des persönlichen Wertes dürfen nicht ständig in Frage stehen, wenn Pass, Hautfarbe, sprachliche oder religiöse Zugehörigkeit anders sind als bei einem Grossteil der Bevölkerung. Die Ertragbarkeit von Mangel an Recht und die Ertragbarkeit von Leiden sollte daran gemessen werden, was diejenigen, die über die Lebensbedingungen anderer Menschen entscheiden, die über Macht verfügen, selber ertragen könnten.

Eine wichtige Zielsetzung der Verantwortlichen und der Mitverantwortlichen der Hilfswerke sollte sein,

  • im Erkunden der Ursachen und Folgen psychischen Leidens wegen der Beeinträchtigung

des persönlichen und gesellschaftlichen Wertes

  • infolge von schwerwiegendem Mangel in der Ausbildungs-, Arbeits- und Bewegungssmöglichkeit, im Verstehen, in der Kommunikation oder im Handeln von Menschen, die infolge von Verlusten der Lebenssicherheit in ihrer Heimat in die Schweiz gelangten
  • die Verantwortung und Handlungsmöglichkeit in beruflich-fachlicher, politische und sozialer Kompetenz wie in menschlicher Hinsicht so umzusetzen, dass eine Verbesserung der Lebensmöglichkeiten dieser hilfebedürftigen Menschen geschaffen wird, die deren Lebenswert wieder spürbar macht.

 

 

[2] Simone Weil. Cahiers / Aufzeichnungen. Bd. 2. Übersetzung Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Verlag Carl Hanser, München/Wien 1003

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