Vergebung

Vergeben – Vergebung
„Die Tür, offen zu offenen Türen, zu offenen Wegen, zum Wald. Der Wald aus atmenden Bäumen, Bäume aus atmendem Grün, Bruderberührung der Luft. Luft geatmet in die offene Tür.“ (Rose Ausländer, aus dem Gedicht „Die Tür“)
Vergebung im Sinne der „Salongespräche“ beruht auf keinem religiösen Gebot. Der Fokus liegt auf der inneren Freiheit des Menschen. Durch das Vergeben öffnet sich die Verstrickung im Verhältnis zwischen Opfer und Täter/Täterin. Was an Unrecht getan wurde, kann nicht aufgehoben werden, aber von Seiten des Opfers kann durch das Vergeben das angetane Leiden von der Last der Erniedrigung befreit werden. Vergeben ist ein Geben in doppelter Weise: es gilt dem schuldigen Menschen, der das Leiden verursacht hat, und kommt gleichzeitig dem Opfer zu Gute. Es bewirkt eine Öffnung und unterbricht die Fortsetzung von Leiden, indem Hader und Rache aufgehoben werden. Geschehenes wird aufgearbeitet, Schweigen gebrochen , Zusammenhänge werden zu verstehen versucht. Vergeben erlöst vom Opfersein. Dies kann auch die transgenerationelle Schuld- und Leidensgeschichte verändern. Wir sind nicht schuld an den Taten unserer Vorfahren, aber wir tragen eine Mitverantwortung im Umgang mit der Geschichte. Wir können uns öffnen und neu orientieren, indem wir die durch Machtgefüge, Ideologien, Gesetze, soziale Erwartungen usw. geschaffenen Mangelerfahrungen der Kindheits- und Jugendjahre durchschauen, öffnen und einen Heilungsprozess zulassen. DenkerInnen aus verschiedenen Richtungen haben sich mit Schuld und Vergebung befasst. Aristoteles macht die Schuld am Mass der Freiwilligkeit versus Unfreiwilligkeit der Tat fest. Moritz Schlick thematisiert in seiner Ethik der Güte die inneren Motivationen, die zu einem Handeln des Wohlbefindens wie z. B. zum Nicht-Strafen führen. Für Hanna Ahrendt ist Vergebung die vornehmste Umsetzung von Freiheit, ob im Kleinen oder im Grossen, damit das Heilmittel im menschlichen Zusammenleben gegen die Unwiderruflichkeit der Tat.

Maja Wicki

Maja Wicki