Was ist unter „Trauma“ zu verstehen und was bewirken Traumatisierungen?

Sexual abuse is part of violence committed to children in their helpless dependency of adults. Adults who abuse children as objects of their sensual need of submission and sexual possession may be parents or other family members, neighbours, teachers, doctors, social workers etc. In my clinical knowledge, the repetition of violence and of abuse in family history from generation to generation is often a hidden reality; it shows the transformation from victims to perpetrators and from perpetrators again to victims. Traumatherapeutical responsability means the psychotherapeutical aid to the victims including the rehabilitation of existential value. This means an inner security of life also in the future by changing the transgenerational history from violence, fear and human suffering. It is the healing change from being object of violence and abuse to the knowledge of being a human subject – a change in the reciprocity of human value that will be real prevention of sexual abuse of children.

 

Sexueller Missbrauch ist Teil der Gewalt, die Kindern auf Grund hilfloser Abhängigkeit von Erwachsenen angetan wird. Erwachsene, welche Kinder als Projektionsobjekte triebhafter Unterwerfungs- und Besitzgier missbrauchen, sind sowohl Eltern oder andere Familienmitglieder wie Nachbarn, Lehrpersonal, medizinische oder therapeutische Verantwortliche, SozialarbeiterInnen etc. In meiner klinischen Erfahrung ist die transgenerationelle Wiederholung von Gewalt und Missbrauch eine häufig tabuisierte Tatsache, in welcher aus Opfern Täter werden, welche neue Opfer bewirken. Die traumatherapeutische Verantwortung schliesst sowohl die psychotherapeutische Hilfe an die Opfer ein wie die Rehabilitation des Existenzwertes. Dies bedeutet eine innere Sicherheit auch für die Zukunft, indem die transgenerationelle Geschichte von Gewalt, Angst und menschlichem Leiden verändert wird. Es ist Genesung von der Tatsache, Objekt von Gewalt und Missbrauch zu sein zur neuen Tatsache, menschliches Subjekt zu sein – ein Wissen um die Reziprozität menschlichen Wertes, welche die wichtigste Voraussetzung ist, um den Missbrauch von Kindern zu verhindern

 

Was ist unter „Trauma“ zu verstehen und was bewirken Traumatisierungen?

 

Das Leiden, das aus traumatisierenden Erfahrungen entsteht, äusserst sich auf vielfache Weise, je nach dem Alter, je nach Geschlecht und je nach Herkunftsgeschichte oder sozialem Zusammenhang der betroffenen Menschen, je nachdem, ob ihnen selber Gewalt angetan wurde, oder ob sie Zeugen von Gewalt gegenüber ihnen nahestehenden Personen wurden, ob sie selber Verfolgung und Vertreibung, ob sie menschlichen und/oder materiellen Verlust erdulden mussten. Das Gesetz der Gewalt besteht darin, eine Kettenreaktion von Leiden zu bewirken, selbst in Gesellschaften, denen Krieg und Verfolgung erspart blieben, wo trotzdem Kinder, Frauen und Männer Opfer von – gesellschafts- und familienbedingter – Gewalt werden.

Kann seelisches Leiden als “posttraumatische Belastungsstörung” klinisch erfasst und behandelt werden?

Der Begriff “posttraumatische Belastungsstörung” (Posttraumatic Stress Disorder PTSD) ist seit den späten achtziger Jahren geläufig. Amerikanische Psychiaterinnen und Psychiater haben ihn in der Folge von Beobachtungen bei Rückkehrenden aus dem Vietnamkrieg als Diagnosebegriff geschaffen, mit dem eine Vielzahl von Symptomen – Angstzustände, Schlaflosigkeit, Gedächtnisverlust, Depressionen und andere Erscheinungen mehr – erfasst werden sollten, die aus traumatischen Erfahrungen resultieren. Jedes Ereignis kann traumatisierend sein, wenn mit dem Ereignis eine Erfahrung des Zuviel einhergeht, sei dies ein Zuviel an Gewalt oder an Deprivation, etwa wenn das Ereignis den Verlust einer wichtigen Bezugsperson nach sich zieht. Als psychisches Trauma wird daher sowohl eine einmalige wie eine fortgesetzte Gewalterfahrung verstanden, durch welche die Lebenskontinuität durchbrochen wird und eine schwere Verletzung der seelischen Integrität, des Selbstwertgefühls und des Beziehungsgefüges erfolgt.

Im wissenschaftlichen Diskurs wird zunehmend deutlich, dass der klinische Begriff des PTSD zu eng gefasst ist, dass an dessen Stelle eine kulturell und menschlich weitere und zugleich differenziertere Erfassung der Leidenssymptome angezeigt ist. In verschiedenen Publikationen wird darauf hingewiesen, dass, statt von “Störung”, eher von seelischer Reaktion auf unerträgliches Leiden gesprochen werden sollte, durch welche zugleich auch der Wille, unversehrt zu leben, angezeigt wird.

Ein psychisches Trauma ist eine schwerwiegende, nachhaltige Störung oder gar Verletzung der seelischen Integrität, d.h. des persönlichen Lebenswertes und der existentiellen Sicherheit. Jede Art von existenziellem Mangel und von Existenzgefährdung, d.h. von Mangel in der Erfüllung wichtiger Grundbedürfnisse, Beziehungsproblematik in der frühen Kindheit, Unfälle, Natur- und Verkehrskatastrophen, tätliche Angriffe durch sexuellen Missbrauch, Waffen- und Körpergewalt, der Verlust von wichtigen körperlichen Funktionen (Erblindung, Gehörverlust, Immobilität etc.), schwere organische Erkrankungen und chirurgische Eingriffe, der Tod von LebenspartnerInnen und anderen nahen Bezugspersonen sowie weitere schwere Erlebnisse – etwa Hunger, Obdachlosigkeit, Verfolgung und Vertreibung, auch das erzwungene Mitansehenmüssen von Quälerei oder gar Tötung anderer Menschen, insbesondere naher Angehöriger, langanhaltende Todesangst durch politische Bedrohung, durch ethnischen oder religiösen Fanatismus und durch Krieg – können schwerwiegende Traumatisierungen auslösen, die sich in vielfältigem seelischem Leiden – sog. psychischen Störungen – zeigen, die teilweise auch mit körperlichen Krankheitsfolgen – Somatisierungen – verbunden sind. Häufig werden durch Gewalt- und Verlusterfahrungen frühere Traumatisierungen reaktiviert, die oft lange zurückliegen und scheinbar vernarbt waren.

All dies bewirkt eine kaum mehr tragbare existentielle Entwertung und damit verbunden eine sich fortsetzende Lebensgefährdung. Das Leiden wird gemäss der internationalen Klassifikation für psychische Störungen durch den WHO (ICD) als Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bezeichnet. Zu den Folgen gehören als retraumatisierende Begleitumstände häufig auch existentielle Probleme rechtlicher Art (Suchtproblematik, Arbeitslosigkeit, problematische Abhängigkeit von Sozialhilfe, nicht mehr kontrollierbare Aggressivität, ungenügender rechtlicher Aufenthaltsstatus und Ausschaffungsgefährdung bei Asylsuchenden u.a.m.).

Psychoanalytische Traumatherapie bietet Möglichkeiten der sorgsamen Aufarbeitung und Integration der traumatisierenden Erlebnisse an, die – häufig in Verbindung mit guter rechtsanwaltschaftlicher Hilfe – zur Rückgewinnung einer der Persönlichkeit entsprechenden seelischen Sicherheit und Lebensqualität führen können.

Zwei Beispiele mögen dies deutlich machen:

  1. Ein heute 38jähriger Mann aus einer Schweizer Kleinstadt war in der frühen Kindheit bis zum Schulalter den ständigen Schlägereien und Wutausbrüchen seiner Eltern ausgesetzt, schiesslich deren Scheidung. Er wurde in ein Kinderheim versetzt und nach kurzer Zeit in drei weitere. Ein älterer Bruder missbrauchte ihn sexuell ab dem elften Altersjahr. Er wünschte einen Beruf zu erlernen und eine gute Familie aufzubauen, doch es gelang ihm nicht. Neben Arbeitslosigkeit und Schulden belasteten ihn über Jahre schwere Depressivität, Unwertgefühle und Wut, die er durch Alkohol- und Drogenkonsum zu ertragen versuchte. Mehrmals war er in Strafverfahren verwickelt. Manchmal floh er für einige Monate ins Ausland und versuchte, irgendwie als Künstler zu überleben. Eine Zeitlang dachte er auch, über die Zugehörigkeit zu religiösen Sekten einen Halt zu gewinnen, doch er erkannte dank seiner intellektuellen Wachheit, dass die Sicherheit eine Täuschung war, dass er zu deren Machtzwecken missbraucht wurde. Die Verzweiflung über sein verlorenes Leben wurde immer unerträglicher. Wieder verfiel er der Flucht in Drogenkonsum, geriet wieder in finanzielle Probleme und in Strafverfahren. Eine Freundin konnte ihn bewegen, eine Traumatherapeutin aufzusuchen. Sein Bedürfnis Fragen zu stellen, zu verstehen und zu lernen, was in der Kindheit und Jugend unerfüllt geblieben war, konnte dank einer ihn stärkenden Psychotherapie geweckt und allmählich erfüllt werden. Es bedurfte einer lange dauernden, von ihm unterbrochenen und wieder aufgenommenen „Übung“ im Verstehen seiner selbst, doch zunehmend wurde für ihn möglich, sowohl die schweren Traumatisierungen, die er in der Kindheit erlebt hatte, gut aufzuarbeiten und seine kreativen, lebenszustimmenden Fähigkeiten zu wecken. Auch bedurfte er in verschiedenen Zusammenhängen einer guten rechtsanwaltschaftlichen Hilfe. Schliesslich gelang es ihm, dank einer technischen Ausbildung, die er abschliessen konnte, eine Anstellung zu finden und seinem Bedürfnis, auf nützliche Weise tätig zu sein, gerecht zu werden.
  1. Eine heute knapp fünfzigjährige Frau, die in einer mittelgrossen Stadt im ehemaligen Jugoslawien als Sport- und Mittelschullehrerin eine angesehene, emanzipatorische Intellektuelle war, die gewagt hatte, sich von ihrem gewalttätigen Ehemann scheiden zu lassen und allein für ihre zwei Kinder aufzukommen, hatte während drei Jahren den Krieg in einem Keller zu überleben versucht. Ihr Sohn hatte schon 1991, als die Zwangseinberufung in den Militärdienst an ihn erfolgte, nach Kanada fliehen können; die Tochter hatte sich 1990 verheiratet und gleichzeitig an der Universität der nächst grösseren Stadt ein Studium begonnen. Im Frühjahr 1995 drangen eines Morgens in der Dämmerung drei bewaffnete Männer in ihr Haus ein, verhöhnten sie und vergewaltigten sie. Wie sie schaffte, aus der weitgehend zerstörten, von serbischen Flüchtlingen besetzten Stadt zu fliehen und wie sie in die Schweiz gelangte, daran kann sie sich kaum erinnern. Sie ist von ständiger Angst besetzt, gleichzeitig von vielfachen körperlichen Schmerzen. Auch in der Schweiz hielt sie sich nach Möglichkeit wie während des Kriegs versteckt. In extremer Verzweiflung gelangte sie an eine Psychotherapeutin, als sie einen Rückschaffungstermin erhielt. Da war es ihr erstmals möglich, ihr Leiden jemandem anzuvertrauen und um Hilfe zu bitten. Sie konnte schildern, wie sie sich und ihre frühere Persönlichkeit als zerbrochen empfand, dass sie sich seit der extremen Gewalterfahrung nicht mehr wiedererkennen und nicht mehr akzeptieren konnte, dass vom ursprünglichen Optimismus, der sie geprägt hatte, nichts erhalten geblieben sei, dass es keinen Lebenssinn und keinen Wert gebe. Alle Gedanken kreisten um den Krieg, um das Haus, die Schreie der Menschen, ihre Panik, die Gewalt. Nachts bleibe sie schlaflos, und wenn sie einschlafe, erwache sie schweissgebadet aus Alpträumen. Immer wieder nähmen Gefühle der Todesangst und der totalen Verlorenheit überhand. Nun, wo ein Rückschaffungstermin an sie gelangt sei, könne sie sich keine Zukunft mehr vorstellen. Sie habe vor einigen Monaten gewünscht, Deutsch zu lernen und sie habe sich darum bemüht, aber sie könne sich nicht auf die Wörter und nicht auf Konstruktion von Sätzen konzentrieren. Auch leide sie unter ständigen Rücken- und Nackenschmerzen, unter Kopfschmerzen, Verdauungsproblemen und einer grossen Müdigkeit. Ihr sei bewusst, dass der Körper einen Teil der allzu schweren psychischen Last übernehmen müsse.

Die extreme Angst vor der erzwungenen Rückschaffung bewirkte endlich den Weg in die Psychotherapie. Gleichzeitig konnte eine erfahrene Rechtsanwältin eingeschaltet werden, mit deren Hilfe das Aufenthaltsrecht in der Schweiz gesichert werden konnte. Allmählich gelang es, den ursprünglichen Lebensmut wieder zu finden. Schwer war es während langer Zeit, die demütigende Abhängigkeit von Sozialhilfe zu ertragen, die enorme Einschränkung von Arbeits- und Erwerbsmöglichkeit, die nicht selber wählbare Wohnmöglichkeit, die extreme Kontrolle jeglicher Alltagsgestaltung. Erst infolge eines zweiten juristischen Verfahrens konnte ein Flüchtlingsstatus erreicht werden, der weniger erniedrigend und weniger retraumatisierend ist.

Wessen schwer traumatisierte Menschen aufs dringlichste bedürfen, ist eine Erfahrung der persönlichen Unbedrohtheit und des Vertrauens, die sich oft erst nach langer Zeit in einer guten psychotherapeutischen Begleitung und dank juristischer Hilfe einstellen kann. Mittellosigkeit darf diese Erfahrung nicht verhindern. Je mehr Zeit zwischen der Traumatisierung und einer einsetzenden Therapie erfolgt, umso schwerwiegender entwickelt sich das posttraumatische Leidenssyndrom.

 

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