Gutmensch und Moralkeule – Vom Verunglimpfen und Rechtfertigen in der politischen Rhetorik

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Gutmensch und Moralkeule

Vom Verunglimpfen und Rechtfertigen in der politischen Rhetorik

19. Januar 2015 – Stadtbibliothek Luzern, Löwenplatz, Bourbaki Panorama

 

„Vom Verunglimpfen und Rechtfertigen (des Verunglimpfens) in der politischen Rhetorik“ ist das Thema des heutigen Abends. Somit steht das, was generell als „politische Rhetorik“ gilt, im  Mittelpunkt unserer sprach- und gesellschaftsanalytischen Diskussion.

Verunglimpfen als politische Methode tangiert den Bereich der Ethik und der Moral, in juristischer Hinsicht jenen des Zivil- und Strafrechts, in sprachwissenschaftlicher Hinsicht jenen der Kommunikationswissenschaft. Die Verunglimpfung des „guten Menschen“  zum „Gutmenschen“ ist ein Beispiel, das in der Aktualität auf der Hand liegt, wobei noch unklar ist, was unter „gut“ verstanden wird.

Gehen wir zuerst aufs „Verunglimpfen“ ein. Jemanden verunglimpfen verbindet sich mit einer nicht glimpflichen, sondern schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung, die in vielfachen Variationen geschehen kann. Verunglimpfen kann beinhalten                                                                                           abfällig kommentieren und mit Worten – eventuell auch mit Zeichnungen, Fotografien oder anderen grafischen Mitteln – erniedrigen, dadurch schmähen und beleidigen, herabwürdigen und demütigen. Es kann bedeuten                                                                                                       – jemanden miesmachen und kränken, persönlich mit Schmutz bewerfen und gesellschaftlich diffamieren.

Die Frage stellt sich, warum die Bezeichnung „Gutmensch“ zur persönlichen und gesellschaftlichen Disqualifikation genutzt wird. Ist es ein neues Phänomen, dass das, was jemand als „gut“ erachtet und entsprechend umsetzt, von Anderen zu dessen Kränkung und Diffamierung benutzt wird?

Nein, es ist kein neues Phänomen, sondern ein archaisches, somit ein erzkonservatives,  überhebliches Phänomen, das sich der mit der Aufklärung einhergegangenen Öffnung jeglicher Alleinrichtigkeitserklärung des „Guten“ entgegenstellt und sich auf der Basis dieser Verengung als berechtigt erklärt, andere moralische Prinzipien wie deren Begründung und Umsetzung lächerlich zu machen. Es geht dabei um ein zerstörerisches, im Sinn Nietzsches „böses“, nach seinem Ermessen  jedoch „richtiges“ Tun, da er das, was „gute Menschen“ als „gut“ erklären, ohnehin als verlogen und schädlich erachtet.

Bei der Vorbereitung wurde mir einmal mehr die Bedeutung der politischen Rhetorik bewusst. Was in der Antike als Kunst des Redens und Argumentierens einerseits der Vorbereitung auf politische Macht diente, gleichzeitig schon damals als Propaganda zum Zweck der Verhinderung kritischen Denkens durchschaut wurde, zum Beispiel von Sokrates bezüglich der Sophisten, die die Rhetorik als höchste Kunst erachteten, deswegen von ihm als schlechte Philosophen bezeichnet wurden, das wurde über alle Jahrhunderte fortgesetzt. Über das geschickt-schlaue Argumentieren Wahrheit zu behaupten, widerspricht dem sorgfältigen Erkunden und Erarbeiten einer richtigen Erkenntnis, die sich jederzeit dem kritischen Hinterfragen öffnet.

Der heutige Abend widmet sich der politischen Rhetorik zu einem ideologischen Zweck, wie sie sich seit dem 19. und 20. Jahrhundert durch die anwachsende Medientechnik – die Plakate, Zeitungen und Zeitschriften, allmählich Radio und Filme, heute auch alle Methoden der digitalisierten Kommunikation  – als gewiefte Propaganda zur Betörung der unkritischen, anpassungswilligen Bevölkerung entwickelt hat. Karl Kraus hatte schon 1914 in Zusammenhang der Aufpeitschung der Massen zum Krieg festgehalten, die Seele sei von der Technik enteignet worden, es bleibe ihr keine Narbe zurück. Und er fragte sich, wie sich „die Gewalttätigkeit der Schwäche, der Blutdurst der Nüchternheit“ erkläre. Es ist die Technik der Wort-, Klang- und Bildwahl, die zur Betörung einer breiten Bevölkerung genutzt wird, die populistische nationalkonservative, nationalistische, rechtspopulistische, fremdenfeindliche Rhetorik, die als Werbetechnik einzelne Begriffe schafft, durch deren Wiederholung einerseits eine Realität konstruiert und vorgegeben wird, auch in jüngster Zeit z.B. „Masseneinwanderung“ , andererseits Oppositionelle als gemeingefährlich verunglimpft werden, z. B. als „Terroristen“,  oder als lächerliche, nicht ernst zu nehmende Gestalten wie als „Gutmenschen“.

Wie reagieren? Ebenfalls lächerlich machen oder zurück angreifen und rächen? Oder ernsthaft fragen weshalb und dagegen argumentieren? Oder resignieren? Karl Kraus hatte von den „Riesenauflagen des Stumpfsinns“ gesprochen und sich gefragt, „wie die Gehirne der zweitnächsten Generation beschaffen sein werden“[1]. Die Frage, die er  vor hundert Jahren stellte, verband er mit jener, wohin all die Sünden kämen, die die Menschheit täglich begehe. „Sollten überirdische Wesen nicht finden, dass der Äther schon zum Schneiden dick sei?“ Und er fügte bei: „Dass die Welt nicht von ihrer Sünde erschrickt, sieht ihr ähnlich. Aber vor eben diesem Spiegelbild sollte sie erschrecken. Doch wozu das Aufsehen? Der Planet ist so geringfügig, dass ihn ein Hass umarmen kann.“

Ich schlage vor, dass von Resignation ebenso abzusehen sei wie von jeglicher Art von Rache, dass in erster Linie das Gespräch gesucht werden sollte, um zu klären, was unter „gut“ zu verstehen ist, unter dem „guten“ Menschen, der zum „Gutmenschen“ verunglimpft wird.

Mit diesem Vorschlag schliesse ich ab und möchte Ihnen das Wort übergeben.

 

 

[1] Alle Zitate aus Karl Kraus. Aphorismen. Sprüche und Widersprüche. Pro domo et mundo. Nachts. Suhrkamp Taschenbuch 1318. Erste Auflage 1986

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