Grenzen der Sprache – Ein Nachtext

Grenzen der Sprache – Ein Nachtext

 

„Ganz am Anfang sind wir, siehst du.

Wie vor Allem. Mit

tausend und einem Traum hinter uns und

ohne Tat.

 

Ich kann mir kein seligeres Wissen denken,

als dieses Eine:

dass man ein Beginner werden muss.

 

Einer der das erste Wort schreibt hinter einen

jahrhundertelangen

Gedankenstrich.“[1]

 

Rainer Maria Rilke war erst 23 Jahre alt, als er die Melodie der Dinge schrieb, ein nachdenklicher Beobachter seiner Einsamkeit, bewusst der vielfältigen Abhängigkeit von den Anderen und zugleich, wenn nicht in erster Linie, von sich selber. War es nicht das dringlichste Lernen für ihn, der sich von seiner Mutter nicht geliebt und daher nicht verstanden fühlte? Beruht nicht Lernen auf Leiden? Und Verstehen auf Lernen? Und die Sprache, die vielfältige Art von Sprache, ist sie nicht das Instrument der Vermittlung, das die leidvolle  Eingrenzung öffnet?

Tatsächlich kann der Entscheid, nicht mit der fehlenden Nähe zu hadern, sondern ein „Beginner zu werden“ – eine Beginnerin –  und einen Anfang zu wagen, die Möglichkeit vermitteln, auszusprechen und zu hören, allmählich zu verstehen. Einen Anfang setzen heisst, sicher einer Grenze bewusst sein, die zurückgelassen werd3n kann. „Erinnere dich“, fährt Rilke  fort, „dass die Menschen viele und bauschige Gebärden und unglaublich grosse Worte haben. (…) Mit Worten und Gesten suchen sie sich zu erreichen. Sie renken sich fast die Arme aus, denn die Gebärden sind viel zu kurz. Sie machen unendliche Anstrengungen, die Silben einander zuzuwerfen und sind dabei noch herzlich schlechte Ballspieler, die nicht auffangen können. So vergeht die Zeit mit Bücken und Suchen – ganz wie im Leben.“[2]

Die mit den Pflanzen verwandte Körpersprache, das „Bücken“ und Sich-wieder-Aufrichten, dann die Laut- und Klangsprache im wechselseitigen „Silben zuwerfen“, die  der Kommunikation der Tiere eigen ist, sind Mitteilungsformen, die den Menschen erhalten blieben, auch als die Entwicklung des Bewusstseins voranschritt und die Möglichkeiten des Entscheidens, das heisst des Verstehens und der Freiheit im Umgang mit Wahrnehmungen und Empfindungen sich mit deren wörtlichen Benennung, dem Hinterfragen und Erklären erweiterten. Körpersprache und jede Art von Laut- und Klangsprache wurden in jene der Wortsprache aufgenommen, die, ausgehend von Grundworten, in eine unendliche Vielfalt hineinwuchs, ohne die Anfänge des Mitteilens und des wechselseitigen Austauschs zu verlieren.

 

Konsonanten, die durch den Unterbruch oder Stoss des Atems, sei es im Gaumen, im Mundraum, mittels der Zunge oder der Lippen, entstehen, entsprechen vom Laut und Klang her sowohl dem Vermitteln von Gefühlen, wie es den Tieren eigen ist, wie jenem des Windes in den Zweigen und Blättern der Bäume oder dem Rauschen des Wassers in Bächen und Flüssen oder dessen Aufstossen und Klatschen in Seen und Meeren gegen den Widerstand von Felsen, Strand und Boot. Beim leisen oder beim lauten Aussprechen der Konsonanten werden Vokale mitgetragen, die je nach dem Ton die Bedeutung dessen, was zum Ausdruck kommt, verständlich machen.  Was das kleine Kind erlebt und was jeder erwachsene Mensch erlebt, der aus irgendeinem Grund das Sprechen und Verstehen einer oder mehrerer Sprachen verliert  und neu zu verstehen und zu vermitteln versucht, was im Austausch zwischen ihm und anderen Menschen wichtig ist, das geschah vermutlich auf ähnliche Weise in den Anfängen der Menschheitsgeschichte. Ein „Beginner“ sein ist ein Entscheid im Augenblick, der sich fortsetzt, zurück in die Anfänge des menschlichen Sprechens. Die eigen und fremde Ausgrenzung durch Nichtverstehen wird durch das Bedürfnis zu verstehen geöffnet.

Die Frage stellt sich, was im menschlichen Bedürfnis geschah, als die sprachliche Verständigung, die sich im Echo vervielfachte, doch sonst von Mund zu Mund verklang, sich in Bild- und Zeichensprachen, dann in Schriftsprachen mit Alphabet und Grammatik verfestigte. Geschah dadurch ein Bruch und ein Verlust? Oder erweiterten sich die ursprünglichen Möglichkeiten der Verständigung? Eventuell beides oder mehr?

Vermutlich ging es bei den ersten Schriftzeichen um ein Dokumentieren. Das Festhalten in vertikalen und horizontalen Zeichen, in formalisierten, vereinfachten Bildern, allmählich in Buchstaben geschah infolge eines sich erweiternden Zeitbewusstseins. Das Bewusstsein von Vergangenem und Zukünftigen – von Geschichte – erforderte, festzuhalten, was im Jetzt wichtig erschien. Es ging möglicherweise in erster Linie um  Eigentum, das nicht verloren gehen durfte, sondern für die Nachkommen erhalten oder verfügbar bleiben sollte. Möglicherweise bewirkte die Angst vor Verlust und vor Vergessen die Entwicklung der Schrift.

Doch die Schrift bot keine Sicherheit. Jedes Zeichen kann unterschiedlich gedeutet werden, sodass mit der Schrift die menschlichen Missverständnisse und Unstimmigkeiten nicht verhindert wurden, im Gegenteil.  Sie bauschten sich in – schriftlich begründeter – Fehde und Rache auf, in fortgesetztem, verbreitetem  Misstrauen, in Feinderklärungen und Kriegen, sie weiteten sich grenzenlos aus und verfestigten sich durch fortgesetzte Niederschrift. Die Schrift hält Wahrnehmungen und Gefühle, Erkenntnis und Denken fest und ermöglicht deren Weitervermittlung und Dauer, auch auf trügerische Weise. Johann Gottfried Herder hielt in seinen Sprachuntersuchungen fest, dass der Buchstabe die innere Natur des Menschen „verwillkürt“ habe.[3]

Gleichzeitig mit den Schriftzeichen entwickelten sich die Zahlen, die in der Klarheit ihrer Aussage wie in der verschlüsselten Symbolik von den Anfängen bis heute die Kulturen prägten. Meist wurden die Zeichen des Alphabets auch für die Zahlen benutzt, wie uns heute noch in der griechischen und in der römischen Schriftsprache vertraut ist. Doch die Bedeutung war komplexer als die Zeichen allein. Das Lernen  („mathesis“) setzte sich fort, ein zunehmendes Wissen um das Einzelne und die Einheit, um Anzahl und Ordnung, mithin um Zusammenhänge, die durch Vervielfachung und Aufteilung sowohl Abstand und Abfolge, Mengenverhältnisse, Breite, Höhe und Gewicht festzuhalten vermochten.

Vieles ist unbekannt über die Anfänge der Erforschung und Benennung des menschlichen Bedürfnisses, das Unbekannte und Geheimnisvolle zu erklären, doch es kann angenommen werden, dass im Umkreis unserer Kultur tatsächlich um das 6. Jahrhundert v. u. Z., als Pythagoras vor dem Tyrannen Polykrates von der Insel Samos nach Unteritalien floh und dort seine Schule aufbaute, ein ahnendes Verstehen der Zusammenhänge von Linien und Flächen, von Kreis und Kugel schon bestand und anwuchs, von Mathematik und Geometrie, von Philosophie. „Alles ist Zahl“ geht als Erkenntnis auf Pythagoras zurück, ein Erkennen des geheimnisvoll geordneten  und geregelten Zusammenhangs in allem Werden und Sichentfalten und Vergehen, sowohl in den Klangstrukturen der Musik wie in der Abfolge von Dunkelheit und Licht oder von Ebbe und Flut, von Geborenwerden und Sterben, letztlich im Weltganzen, dessen Bezeichnung „kosmos“ – „wohl geregelte 0rdnung“ gemäss Aristoteles ebenfalls Pythagoras zu verdanken ist.

Über Jahrhunderte hinweg wurde in der europäischen Geschichte das sich überliefernde und sich erweiternde Wissen durch religiös und politisch geprägte Verbote und gewaltbesetzte Macht zu unterdrücken versucht. Noch in die Neuzeit hinein begleiteten Ausgrenzung und Anschuldigung, Folter und Scheiterhaufen die Entwicklung des Denkens, bis dieses legitimiert wurde, da es im Dienst staatlicher und wirtschaftlicher Interessen stand. Doch das Dekret der Mächtigen geschah kaum je zu Gunsten des menschlichen Bedürfnisses zu lernen und das Wissen zu erweitern – „mathos“ -, sondern zu Gunsten der persönlichen, sich steigernden Verfügungsmacht über Welt, Raum und Zeit, hinein in entgrenztes, pathologisches Allmachtstreben, in masslose Produktion von Instrumenten der Macht und entsprechende Destruktion, die zunehmend verkoppelt wurde mit der Weigerung, menschliches und geschöpfliches Leiden – „pathos“ – wahrzunehmen. Im Macht- und Besitzhunger gegenüber der Welt wurde dieses für wertlos erklärt. Leiden aber ist keine abstrakte Tatsache, es tangiert den Menschen in seinem innersten Wert. Leiden kann niemals gerechtfertigt werden. Es ist das Verhängnis der Mächtigen, dass sie es gegenüber den Machtlosen, die von ihnen abhängig sind, nicht verhindern, sondern verstärken, dass sich dadurch selber entwerten.

Jeder Schriftsprache ging die Umsetzung der vielen Möglichkeiten der Hand voraus, die gewiss sehr früh nicht nur dem praktischen Nutzen, sondern auch dem Bedürfnis nach Schönheit dienten. Vermutlich hat die prometheïsche Entdeckung des Feuers und jene der Fähigkeit, Holz, Stein und Metall zu bearbeiten sowie Werkzeuge und Waffen herzustellen, die Menschen veranlasst, die Wohn- und Schutzorte der Höhlen zu erhellen und sie zu schmücken, insbesondere mit Bildern von Tieren, der nächsten Verwandten, mit denen und von denen die damaligen Menschen lebten und deren Abbilder bis in die heutige Zeit Staunen und Ehrfurcht wecken.[4] Die praktischen und die ästhetischen Bedürfnisse der Menschen wurden auf immer geschicktere und vielfältigere Weise befriedigt. Allmählich liessen sich aus Lehm Ziegel herstellen sowie Hütten und Boote bauen. Das Raumgefühl erweiterte sich, neue Lebensorte wurden entdeckt, und allmählich begann der Austausch und Handel von Gegenständen.

Es ist anzunehmen, dass sowohl ein Bewusstsein von Können und Macht wie ein Bewusstsein von deren Grenzen aufkam, als Wettstreit und Kampf unter den Starken aufkeimten, zugleich ein wachsendes Wissen um die menschliche Hilflosigkeit vor Unglück, Krankheit und Tod, um die Machtlosigkeit vor den grossen Kräften von Himmel und Erde. In dieser Epoche entstand ohne Zweifel die Überzeugung, die Menschen bedürften der Kommunikation mit diesen Kräften, des demütigen Anrufs um Schutz, eine Überzeugung, die sich über die Kraft der Mythen zu religiösen Glaubensinhalten und Ritualen der Verehrung entwickelte. Einzelne sind geblieben und setzen sich zum Teil bis heute fort, andere setzten sich in Geistes- und Naturwissenschaften dem kritischen Denken aus, auch der Akzeptanz des Nichtwissens. Zusätzlich zum wachsenden mythologischen Fundus, der vielen Menschen einen Halt bot, entwickelte sich jedoch innerhalb der wachsenden Stämme und Völker jene Überheblichkeit und Masslosigkeit, die in der jahwistischen Geschichte mit dem Bau des Turms von Babel und der Bestrafung durch die Sprachverwirrung erzählt wird.[5]

In dieser Epoche, in der die Geschicklichkeit der Hände mittels der ersten Werkzeuge die Flüchtigkeit des Augenblicks zu überwinden begann, wurde auch der Griffel allmählich als Werkzeug benutzt, um in Stein oder Ton Zeichen zu ritzen oder diese mit Hilfe von Federn auf Papyrus festzuhalten, respektive auf den aus dem Mark der Papyrus-Stengel kunstvoll gewonnenen Streifen, die, durch den eigenen Saft kreuzweise übereinander geklebt, zu gut benutzbaren Schriftflächen wurden.

Die frühesten Belege können nicht belegt werden. Die ältesten, die vorliegen, stammen schon aus späteren Epochen. Gemäss der Erkenntnisse des unermüdlichen englischen Altertumsforschers Robert von Ranke-Graves[6] kann angenommen werden, dass im alten Griechenland von den Priesterinnen der Mondgöttin eine Lautsprache als Geheimsprache mit Hilfe verschiedener Zweige benutzt wurde. Was erhalten blieb, macht deutlich, wie nah sich in den Anfängen die indogermanischen Schriften waren. Vermutlich waren die Menschen während Jahrhunderten mit ähnlichen Zeichen vertraut, die sich sowohl aus einfachen vertikalen und horizontalen Strichen als auch aus stilisierten Bildern – zum Beispiel einem Stierkopf, einem Kranich, einer Hand, einem Auge, einem Baum, dem Grundriss eines Hauses – zusammensetzten und die dazu dienten, Konsonanten sowie Zahlen festzuhalten. Sie finden sich in der sumerischen Keilschrift, die im Zweistromland seit dem dritten  Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung auf Tontafeln festgehalten wurde, in den ältesten ägyptischen Hieroglyphen (etwa aus der gleichen Zeit) wie in den frühesten Aufzeichnungen in den hebräischen Dokumenten aus der Zeit um 1000 vor unserer Zeitrechnung. Diese, wie auch die syrischen, griechischen, indischen, lateinischen und weiteren Schriftzeichen waren ungefähr im vierten vorchristlichen Jahrhundert aus den hethitischen oder den aramäischen abgeleitet worden, die wiederum von den phönikischen stammten, einer Konsonantenschrift, die vermutlich mit vierundzwanzig Zeichen vom elften bis ins fünfte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung verwendet wurden.

Ranke-Graves hat sorgfältig aufgearbeitet, wie in der griechischen Mythologie die Entstehung und Entwicklung des Alphabets („alpha“ ist der erste, „beta“ der zweite der achtzehn Buchstaben)  und der Schrift, wie wir sie zum Teil heute noch kennen, erklärtwurde.[7] Danach sollen die drei Schicksalsgöttinnen – die Moiren – oder die Mondgöttin Io die fünf Vokale und die ersten zwei Konsonanten geschaffen haben, Hermes habe sie zusammen mit elf weiteren Konsonanten zu Buchstaben geformt und aus Griechenland nach Ägypten gebracht. Kadmos aber, der boiotische Held und König der von ihm gegründeten Stadt Theben, Bruder der von Zeus geraubten und nach Kreta entführten Europa, habe sie wieder nach Griechenland zurückgebracht. Er habe die Reihenfolge der Buchstaben geändert, jedoch an der Spitze „alpha“ stehen lassen.[8] Wie Ranke-Graves nachweist, entsprach auch das irische und gallische Alphabet, das seine Buchstaben nach Bäumen benannte[9], im Aufbau der – gemäss der griechischen Mythologie – von Hermes angeordneten pelasgischen und später lateinischen Buchstabenfolge mit dreizehn Konsonanten und fünf Vokalen.

Doch kein Wissen ist definitiv, es erweitert und korrigiert sich. Im Herbst 2005 erschien ein umfassendes indogermanisches Wörterbuch[10], das  heute schon wieder der Ergänzung bedarf. Mitte Juli 2005 wurde die Sprachforschung durch die Mitteilung über einen noch älteren Schriftfundus überrascht, der auf einer 7000 Jahre alten Tontafel in Jela, westlich von Belgrad am Südufer der Sawe, entdeckt wurde, auch hier mit Piktogrammen, die jenen der phönizischen Zeichen ähnlich sind. Die Ursprünge gehen somit Tausende von Jahren zurück, während die breitere  Benutzung der Schriftsprache mit einer von Zeichen vermutlich erst vor drei- bis zweieinhalbtausend Jahren einsetzte.

Obwohl  – vielleicht eher weil – die Entwicklung der Schrift aufs engste mit der menschlichen Machtgeschichte verknüpft ist, führt die Auseinandersetzung über ihre Bedeutung in einen Zwiespalt. Jesper Svenbro[11], einer der grossen Altphilologen, hält im Buch Schreiben verweigern. Lesen verweigern in einem seiner neueren Essays unter dem Titel Ameisenwege fest, es sei nicht verwunderlich, dass Pythagoras und Sokrates, die „Giganten der westlichen Philosophiegeschichte, Urheber von Theorien unüberschaubarer Konsequenzen, der Nachwelt kein einziges geschriebenes Wort hinterlassen haben“[12]. Beide grossen Denker –  wie die Griechen generell – hätten die Schrift nicht als Göttergeschenk, sondern als Menschenwerk betrachtet. Aus diesem Grund werde erzählt, nicht Hermes, sondern Kadmos sei der erste gewesen, der sie verwendet und gelehrt habe. Als „belebt und beseelt“ sei allein die gesprochene Sprache betrachtet worden, während das „geschriebene Wort ohne Leben und unbeseelt“ erschienen sei. Die Schrift sei geschaffen worden aus der Angst vor dem Tod und davor, dass das gelebte Leben keine Spuren hinterlasse. Doch „die Götter sind unsterblich. Aus der Perspektive der Griechen betrachtet, brauchen sie deshalb keine Schrift. Sie brauchen nicht wie die Menschen darüber besorgt zu sein, eines Tages eine Leere zu hinterlassen. Sie werden immer da sein, immer und überall. Die Menschen hingegen sind früher oder später dazu verurteilt zu verschwinden, und die Schrift zielt just darauf ab, die Leere nach dem Weggang einigermassen zu füllen. Schreiben heisst mit anderen Worten, seine bevorstehende Abwesenheit anerkennen, seine Sterblichkeit eingestehen.“[13]

Bedeutet somit die Verweigerung zu schreiben eine grössere Gottnähe, wie Jesper Svenbro annimmt? Für Pythagoras und seine Anhänger, für die – wie auch für die Orphiker – das Töten von Tieren nicht erlaubt war, da alles Leben zur grossen, mit dem Göttlichen verbundenen Familie gehört, verhielt es sich auf der Ebene der Sprache analog. „Der Buchstabe tötet. Also schreibt Pythagoras nicht.“[14] Als bedeutender Denker scharte er eine grosse Anhängerschaft um sich, insbesondere im süditalienischen Kroton (heute Crotone), das damals unter griechischer Herrschaft stand. Mehr als fünf Jahrhunderte später, im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, wurde mit Nikomachos von Gerosa im heutigen Jordanien die pythagoreische Lehre mit dessen Einführung in die Arithmetik fortgesetzt, auch mit den Ordnungsprinzipien der Musik und der Geometrie, der Astronomie und der Kosmogonie, die der verehrte Weise gelehrt hatte.

Und Sokrates, warum hielt er nicht schriftlich fest, was er an Erkenntnissen seinen Freunden vermittelte? Sokrates fürchtete den Tod nicht und auch nicht die Leere. Er war überzeugt, dass das Göttliche im Menschen die Seele – „psyche“ – ist, dass die Seele daher unsterblich ist. Wenn aber die Seele unsterblich ist, bedarf es nicht der Schrift, um dem Menschen eine Dauer über den Tod hinaus zu ermöglichen. Die Seele überlebt den Tod, somit auch alles, was im Gespräch weitergegeben wurde. Für Sokrates war, gemäss Svenbro‘s Analyse, die Schrift das aufdringlich Verführerische, das einer sexuellen Penetration vergleichbar sei und das über die Lektüre Menschen zum Objekt werden lasse. Der Schrift wohne etwas Betrügerisches inne, da dadurch eine Scheinkenntnis und ein Scheinwissen entstehen können, wie dies für Phaidros durch das Büchlein des Redners Lysias, seines Liebhabers, geschehen sei. Was geschrieben werde, gehöre dem Vergänglichen an, während die Erkenntnisse selber, insbesondere die Ideen als Widerschein und Abglanz des Göttlichen im Menschen, über den Klang und Rhythmus des Sprechens weitervermittelt würden und im wachen, kritischen Gespräch über den Tod hinaus zeitlos blieben. „Es gibt daher für Sokrates keinen Grund, seine Gedanken schriftlich zu fixieren.“[15] Dass an Stelle von Sokrates sein Schüler Platon die Aufgabe der Niederschrift übernahm, erachtet Svenbro nicht als widersprüchlich, gründete Platon damit doch die Akademie, in der während Generationen dank der geschriebenen Fassung die sokratischen Dialoge fortgesetzt wurden.

Wir selber bewegen uns in dieser Tradition, auch wir fahren mit Schreiben und Lesen fort. Sind wir aber kritisch gestimmt bei jeder Lektüre, auf der Hut vor Betrug und Täuschung? „Es ist ein seltsam Ding mit der Schrift“, hielt Claude Lévi-Strauss nach jahrzehntelanger Untersuchung der Religionen schriftloser Völker in seinem Werk Tristes Tropiques fest[16], das sich insbesondere auf die Ergebnisse seiner Forschungsreisen im Amazonasgebiet zwischen 1935 bis 1939 abstützt. Er stellte sich die Frage, ob das Auftauchen der Schrift Veränderungen „intellektueller Natur“ bewirkt habe oder in erster Linie verhängnisvolle Auswirkungen dessen aufzeige, was als „Fortschritt“ gelte. Ferner ob die damals vorherrschende Erklärung, dass „die Kenntnis der Schrift in hohem Mass die Möglichkeiten des Menschen vervielfältigt, sein Wissen zu bewahren“, zutreffe oder nicht. „Gern würden wir sie (die Schrift) uns als ein künstliches Gedächtnis vorstellen, dessen Entwicklung eine bessere Kenntnis der Vergangenheit und damit eine bessere Fähigkeit, Gegenwart und Zukunft zu organisieren, erlauben müsste. Und auch wenn man alle Kriterien ausschaltet, die je vorgeschlagen wurden, um die Barbarei von der Kultur zu unterscheiden, möchte man wenigstens dieses eine behalten: dass es Völker gibt, welche die Schrift kennen und somit in der Lage sind, alte Erwerbungen zu kumulieren und schneller an das Ziel gelangen, das sie sich gesteckt haben, während die schriftlosen Völker, welche die Vergangenheit nur so weit bewahren können, wie das individuelle Gedächtnis sie festzuhalten vermag, Gefangene einer schwankenden Geschichte bleiben, der stets der Ursprung und das dauerhafte Bewusstsein der Planung fehlt.“[17]

Was unterscheidet das Aufzeichnen der eigenen Erfahrungen und Fragen, der eigenen Bedürfnisse und Erkenntnisse vom Übersetzen schon bestehender, fremder Aufzeichnungen in eine andere Sprache? Über die Lektüre von Tagebuch-Aufzeichnungen Iosif Hechters, der sich als Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Mihail Sebastian nannte, wurde eine Annäherung an die sich verändernden Lebensbedingungen in Rumänien während der Vorkriegs- und Kriegsjahre möglich. Wir konnten seine Notizen nicht auf Rumänisch lesen, sondern bedurften der ins Deutsche vorgenommenen Übersetzung. Für Hechter selber bedeutete die Arbeit als Übersetzer eine schöpferische Arbeit von hohem Wert. Sein Verstummen während Wochen und Monaten auf Grund der im Schrecken von Verfolgung, Zwangsarbeit und zu befürchtender Deportation nach Transnistrien nicht mehr aussprechbaren Ängste, Mangelerfahrungen und Leiden ging einher mit einer inneren Flucht, die er als Überlebensarbeit verstand. Es war die Flucht in  Shakespeare’s Werk, das für ihn Zuflucht bedeutete. Immer wieder wünschte er, seine Sonette zu übersetzen und machte sich an die Arbeit. Sie ermöglichte ihm, den Geist nicht erstarren zu lassen, sondern diesen auf das Verstehen von Shakespeare’s literarischer Sprache auszurichten, eine fremde Sprache –  das Englisch des 16. Jahrhunderts -, und durch das Bemühen sorgsamsten „Über-Setzens“ in die durch faschistische Medienmacht und Gewalt missbrauchte, beinah verbrannte rumänische  Sprache wieder den Zugang zu dieser zu öffnen. Übersetzen war für ihn Fährdienst und Brückenbau

Wir wissen aus den Kindheitserfahrungen, wie schwierig es ist, Vertrauen in die eigene Sprache zu finden und zu wissen, dass ein Wort, das wir im Erlauschen und Erlernen der Sprache der Erwachsenen unter anderen Worten in uns aufnehmen, das richtige Wort ist: dass es dem gerecht wird, was wir spüren, fühlen oder denken. Jede Aussage ist eine Übersetzung aus der noch wortlosen Sprache in die Sprache, in die wir hineingeboren wurden und in der wir aufgewachsen sind, deren Gebrauch im Lauf der Erfahrungen voller Rätsel und Unklarheiten, voller Täuschungen und Enttäuschungen wird, nicht zunehmend leichter, sondern zunehmend schwieriger und dunkler, verletzt durch Missverständnisse, durch Erfahrungen privaten und öffentlichen Betrugs, durch Verführung nächster Kreise zu nicht akzeptierbaren Zwecken. Gleichzeitig bietet die Sprache Freundschaft an, eine Klangnähe wie eine alte Vertraute.

An uns ist es, die Grenzen der Sprache, über die wir verfügen, zu erkennen, als Schutzkleid für unser Innenleben im Austausch mit uns selber und mit Menschen, die uns verstehen, nicht als Zwang zu verstummen.

Die einengenden Grenzen der „offiziellen“ Sprache, in die wir hinein gewachsen sind, lassen sich tatsächlich durch Verbindung zu anderen Sprachen mittels der eigenen, inneren Sprache so erweitern, wie Iosif Hechter dies unter den Bedingungen der Überlebensnot und Todesangst im Umfeld seiner machtmissbrauchten rumänischen Sprache erlebte.

Französisch gehörte zu seinen ihm nahen Familiensprachen, Englisch war für ihn fremder, wurde jedoch durch Lesen und Lernen zunehmend vertrauter. Unter engsten Wohnbedingungen in Bukarest, im Bewusstsein der unklar sich zuspitzenden Kriegsbedingungen, in der verzweifelten Sehnsucht nach grösserem Freiraum und nach weniger Lebensknappheit, nach mehr Möglichkeit, die Lektüre von Shakespeare’s Werk zu vertiefen und sein eigenes Theaterstück Die Insel abzuschliessen, las er am 25. Dezember 1942 Jane Austen’s Prejudice and Pride. Dabei gab er sich Rechenschaft, dass sie den Roman nicht in einem geräumigen, eigenen  Zimmer geschrieben hatte, sondern „auf ihren Knien im Esszimmer ihres Vaters, in Anwesenheit ihrer ganzen Familie, ohne dass irgendjemand wusste, was sie da tat“[18]. Die eigene knappe Wohnsituation in  der Wohnung der Eltern in Antim erschien ihm dadurch erträglicher. Vermutlich wuchs aus diesem Vergleich heraus sein Entscheid, Prejudice and Price ins Rumänische zu übersetzen. Er machte sich gleich an die Arbeit und stellte sich vor, dass mit dem Einkommen, das dadurch gesichert sein könnte, er sich endlich der Übersetzung von Shakespeare’s Werk und dem Abschluss seines eigenen Theaterstücks widmen könnte.

Iosif Hechter war sich jedoch bewusst, dass, wenn schon das Übersetzen aus der eigenen Innenwelt in die offizielle Wortsprache schwierig ist, das Übersetzen aus einer literarisch hochrangigen fremden Sprache in die leidvoll geschädigte Herkunftssprache noch viel anspruchsvoller ist.  Es ist ein Prozess der grössten Sorgfalt und Konzentration, der sich dem Leiden entgegen stellt und dieses zu heilen sucht. Zu wissen, ob das Wort, das im Übersetzen als richtig erachtet wird, tatsächlich dem ursprünglich gemeinten Inhalt der Aussage eines anderen Menschen, einer Schriftstellerin oder eines Dichters entspricht, ist ein Wagnis der Nähe. Das einzelne Wort ist ja kaum wie „Ja“ oder „Nein“ eine – häufig – unmissverständliche Mitteilung, sondern steht in Verbindung mit anderen Worten, deren Abfolge nicht nur klangliche, sondern auch inhaltliche Veränderungen erbringt, je nachdem wo der Platz des einzelnen Wortes ist.

Ein anderer Dichter, Schriftsteller und Übersetzer rumänischer Herkunft, dreizehn Jahre jünger wie Iosif Hechter,  ist Paul Celan[19], der in Czernowitz, der damaligen Hauptstadt der Bukowina, geboren und aufgewachsen ist, als einziges Kind seiner Eltern eng umsorgt, gefördert und  geliebt.  Sein Familienname Antschel, rumänisch Ancel, wandelte er später zum Anagramm Celan um. Deutsch war seine Muttersprache, Deutsch und Hebräisch die Sprache des Lernens während der ersten Schuljahre, die Zwischensprache Jiddisch, die Umgangssprache im Gymnasium, das er 1938 abschloss, erst Rumänisch, dann Ukrainisch. Polnisch, Spanisch, Russisch, Ungarisch und weitere Sprachen  lernte er früh über das Hören, war doch Czernowitz, das nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Habsburger Reichs von Rumänien annektiert worden war, eine Hochburg der Kulturen, insbesondere ein Sammelort jüdischer Einwanderer aus allen Teilen Europas. Englisch suchte er für sich allein zu lernen, vor allem in Hinblick auf das Verstehen von Shakespeare’s Werk, wie auch Iosif Hechter es getan hatte. Zudem war London in der osteuropäischen Vorstellungskraft, so wie Paris, ein bestmöglicher Fluchtort, als mit dem anwachsenden Antisemitismus zu Beginn der Dreissigerjahre und insbesondere seit Hitlers Wahl zum Reichskanzler des „neuen“ Deutschlands der Nationalsozialismus eine verhängnisvolle Realität wurde.

Unter den Fremdsprachen war Französisch für Celan seit seiner Kindheit eine der vertrautesten, so dass er 1938, als junger Erwachsener, das erste Studienjahr in Frankreich, an der medizinischen Fakultät in Tours, absolvierte. Nach einem Jahr gab er jedoch das Medizinstudium auf und kehrte nach Czernowitz zurück mit dem Plan, sich auf Romanistik zu konzentrieren. Gleichzeitig nahmen Unruhe und Angst ob der wachsenden Bedrohung durch Hitler-Deutschland  überhand, innenpolitisch durch antisemitische Propaganda und schwerste Pogrome, aussenpolitisch durch den am 11. März 1938 realisierten Zusammenschluss von Österreich und Deutschland zu „Grossdeutschland“, dem „Dritten Reich“,  dem sich im gleichen Frühjahr auch die Slowakei anschloss. Im Herbst des gleichen Jahrs kam es zu der von Deutschland erzwungenen Annexion von Tschechien, und im nachfolgenden Herbst, am 1. September 1939  zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen, damit zum „offiziellen“ Beginn des  Zweiten Weltkrieg. Rumänien gab zwar vor, „neutral“ zu sein, doch die Macht der „Eisernen Garde“, die mit den „Legionären“ von der Basis her das Land beherrschte,  bewirkte, wie Iosif Hechter in seinem Tagebuch mit Schrecken festhielt, die Allianz mit  Hitler-Deutschland und den Einbezug in den Krieg an der Seite der Wehrmacht. Als Reaktion der Sowjetunion wurde am 28. Juni 1940 Czernowitz und die ganze nördliche Bukowina von russischen Truppen besetzt, gewissermassen „zurückerobert“, wie der Angriff als Korrektur des am Ende des Ersten Weltkriegs erfolgten Verlustes gerechtfertig wurde. Anfänglich konnte Paul Celan das Studium fortsetzen, doch als im Juni 1941 die deutschen Truppen in die Stadt eindrangen und diese besetzten, wurde das Überleben zunehmend bedroht. Flucht war kaum mehr möglich, ausser durch Übertritt in die sowjetische Armee, was einige wenige junge, jüdische Marxisten wagten .

Die jüdische Bevölkerung wurde im Ghetto zusammengedrängt und registriert,  und ab Anfang Februar 1942 planmässig deportiert, entsprechend der wenige Wochen vorher, am 20. Januar 1942, anlässlich der „Wannsee-Konferenz“ bei Berlin beschlossenen „Endlösung der Judenfrage“: die älteren Menschen, auch Celans Eltern, in Vernichtungslager nach Transnistrien, wo sie an Typhus und Ruhr starben, wie Celan‘s Vater, verhungerten und erfroren oder zu Tausenden erschossen wurden, wie Celan‘s Mutter. Die jüngeren Frauen und Männer wurden in  Lager für Zwangsarbeit deportiert, so auch der damals zweiundzwanzigjährige Paul Celan, unter anderem zum Schleppen von Steinen und anderer schwerster Arbeit beim Strassenbau in Bessarabien, im Gebiet der heutigen Ukraine, da die deutsche Wehrmacht zwischen den besetzten Gebieten Verbindungsstrassen brauchte.  Unzählige starben an den Folgen von Gewalt durch die deutsche SS, an Unterernährung und Erschöpfung, an Tuberkulose oder an Fleckfieber,wie  am 16. Dezember 1942 die achtzehnjährige Selma Meerbaum-Eisinger[20], Paul Antschels Grosscousine, die wie er eine Dichterin war.

„Das ist das Schwerste: sich verschenken

und wissen, dass man überflüssig ist,

sich ganz zu geben und zu denken,

dass man wie Rauch ins Nichts verfliesst.“[21]

Die Mütter von Selma und Paul waren Cousinen gewesen, Töchter von zwei Brüdern mit dem Familiennamen Schrager. Selmas Vater war gestorben, als sie acht Jahre zählte, doch der zweite Ehemann ihrer Mutter konnte für sie in den Schuljahren ein liebevoller Stiefvater sein. Beide Elternteile wurden gleichzeitig mit Pauls Eltern nach Transnistrien deportiert und getötet.

Der kleine Band  mit 57 Gedichten, die von Selma Meerbaum—Eisinger erhalten blieben, kam dank zwei Schulfreundinnen zustande, Else Schächter-Keren und Renée Abarmovici-Michaeli, die überlebten. Sie hielten die handschriftlichen Notizen während der Nazizeit versteckt und nahmen sie mit sich, als sie nach dem Krieg nach Israel auswanderten. Dort wurden sie vom ehemaligen Klassenlehrer Hersch Segal auf Selmas Gedichte angesprochen. Er veröffentlichte das kleine Buch im Privatdruck, ohne dass es grosse Beachtung gefunden hätte. Durch einen Zufall kam ein Ausdruck davon in die DDR und in die Hände von Jürgen Serke, der eine Neuausgabe ermöglichte.

Auch Celan führte im Arbeitslager ein kleines Notizbuch mit sich, in welches er, quasi als Zeichen des Widerstandes, die Übersetzung von Shakespeare’s Sonett LVII eintrug, vermutlich die erste Übersetzung von so hoher Bedeutung, die er wagte.  Sie wurde für ihn zum Leitmotiv des Muts, gegenüber der brutalen Gewalt der SS und der Überheblichkeit der deutschen Besatzungsmacht überhaupt nicht zu resignieren:

„Da ich Dein Sklave bin, was kann ich tun, als deinen

Wünschen entgegenharrn die Stunden lang, die Tage?

Die Zeit, die kostbarste, ist mir wie irgendeine.

Und Dienste? Keinerlei, eh du’s mir aufgetragen.

Die Fristen, weltenlang, ich wag sie nicht zu schelten,

wenn ich, mein Herr und Fürst, verfolg der Zeiger Kreisen.

Abwesenheit – sie kann mir nimmer bitter gelten,

wenn du das Abschiedswort gesprochen vor der Reise.

Kein Fragen kommt mich an, kein eifersüchtig Denken

an deinen Aufenthalt, das Fernsein, die Geschäfte.

Doch muss an jene dort, an die von dir Beschenkten,

dein trauriger, dein Knecht die leeren Blicke heften.

Solch treuer Narr ist Liebe: nimmer sieht

sie Arg in deinem Tun – was auch geschieht.“ [22]

 

Es gelang Paul Antschel zu überleben. Im Frühjahr 1944, nach der Bombardierung und erneuten Rückeroberung von Czernowitz durch die sowjetische Armee, kehrte er wieder in seine Heimatstadt und an die Universität zurück, doch das Wissen um den furchtbaren Abtransport und Tod seiner Eltern, weiterer Verwandter, geliebter Freundinnen und Freunde hielt ihn besetzt. Überleben hiess, von schuldbesetzter Trauer nicht mehr frei werden. Hatte er versagt, Eltern und Geliebte zu schützen? Celan übersetzte weitere Sonette, so Sonett CVI, das mit den Zeilen beginnt „Wenn in der Chronik abgelebter Zeit  /  die schönsten Wesen mir vors Auge kamen“[23] (…). Auch vertiefte er sich in Martin Bubers Werke und ins Hebräische als in sprachliche Quellen des Wissens, die er vor dem Krieg nur abwehrend wahrgenommen hatte. Doch er konnte in Czernowitz nicht bleiben, auch nicht in Bukarest, wo er sich 1945 an der Universität einschrieb. Vermutlich hat er dort den unerklärlichen Tod Iosif Hechters miterlebt, der am 29. Mai 1945 auf dem Weg zur ersten Vorlesung von einem Lastwagen überfahren wurde.

Während der knappen zwei Jahre in Bukarest mit Studium, Übersetzungs- und Lektoratsarbeit schrieb Paul Celan auch eigene Gedichte, zusätzlich bereitete er die Flucht über Ungarn nach Wien vor, wo er Anfang 1947 eintraf, noch immer schwer traumatisiert und scheu. Er blieb ein gutes Jahr und veröffentlichte seinen ersten Gedichtband – Der Sand aus den Urnen – , der ihm selber aber ungenügend erschien und den er wieder aus dem Verkehr zog. Anfang Mai 1948, kurz bevor er nach Paris weiterreisen wollte, lernte er im Kreis von Literaten die damals 21jährige Ingeborg Bachmann kennen, eine Begegnung, die eine höchst schwierige und widersprüchliche, zum Teil vehemente Liebesgeschichte einleitete, auf welcher sie mehr beharrte als er und gegen welche er sich stärker sträubte als sie, ohne ganz loslassen zu können, bis der wechselseitige Austausch um 1960, vermutlich unter dem wachsenden Druck der vielen anderen Belastungen, allmählich verstummte. Der Briefwechsel gibt am klarsten Einblick in die komplexen Mäander von Anziehungskraft und Differenz zweier Menschen, für welche Lyrik die wichtigste Sprachkraft war, deren Herkunft[24] und frühe Lebensentwicklung aber nicht unterschiedlicher hätte sein können[25].

Ab Juni 1948 lebte Paul Celan in Paris. Paris bedeutete Rückkehr und Hoffnung. Die Liebe zu Gisèle Lestrange, die um 1951 begann, war eine bedingungslose, nicht fordernde Liebe, die für ihn zur tragenden und zentralen Beziehung wurde. Seine jüdische Herkunft und die Jahre der Verzweiflung in Rumänien tauchten ab in die Schattenwelt. Gisèle war wie ein wärmendes Licht. Ein Jahr später wurde die Beziehung durch  Heirat gefestigt. Ein Gedicht, das er 1955 seiner Frau widmete, als sie das zweite Mal schwanger war, mag die Bedeutung dieser Erfahrung verdeutlichen:

„In Gestalt eines Ebers

stampft dein Traum

durch die Wälder am Rande des Abends.

Blitzendweiss

wie das Eis, aus dem er hervorbrach,

sind seine Hauer.

Eine bittere Nuss

wühlt er hervor unterm Laub,

das sein Schatten den Bäumen entriss,

eine Nuss,

schwarz wie das Herz, das dein Fuss vor sich her stiess,

als du selber hier schrittest.

Er spiesst sie auf

und erfüllt das Gehölz mit grunzendem Schicksal,

dann treibts ihn

hinunter zur Küste,

dorthin, wo das Meer

seiner Feste finsterstes gibt

auf den Klippen:

vielleicht

dass deine Frucht wie die seine

das feiernde Auge entzückt,

das solche Steine geweint hat.“[26]

Ein Eber? Wie ist das Tier zu verstehen? Der Eber erscheint auch in der griechischen Mythologie als gewaltiges Wesen, dem allein Herakles, Sohn von Zeus und Alkmene, gewachsen ist, der ihn im Berggebiet Arkadiens gefangen nimmt und lebendig nach Mykene trägt.  Doch Celan’s Verszeilen sind anders zu lesen. Es sind Traumbilder des damals 35jährigen Dichters, ein dunkler Gesang wehrloser Männlichkeit mit der unter dem Laub der Wäldergeschichte aufgespiessten Eichel, schicksalhaft unterwegs durch das Gehölz zu den klippenversteinerten Tränen am Rand des Ursprungs allen Lebens, das mit dem Meer die Erde umspannt, im Geist die Hoffnung, dass die gemeinsame Frucht, das Kind, dem Auge nicht Weinen, sondern Entzücken biete.

Tatsächlich kam 1955, im selben Jahr, als das Gedicht entstand, Eric[27] zur Welt, nachdem François, der Erstgeborene, bald nach der Geburt gestorben war. Es war für Celan eine kurze Phase lebensbejahender Jahre, in welchen Glückserfahrungen die Erinnerungsschichten von Ängsten, Grauen  und Trauer in den Hintergrund drängten, jene von Eiseskälte und brennender Hitze, von Hunger, Erniedrigungen und Tod, wie Celan sie in den Jahren der deutschen Besetzung und der Zwangsarbeit in Bessarabien durchstehen musste. In der Aktualität des Schreibens wurde für ihn das neue Erwachen von Werden und Ich-Sein spürbar, im Suchen nach Worten für das, was das innere Auge der Seele in den nächtlichen Zeitreisen der Träume so nah erlebte wie das äussere Auge beim Betrachten des neu geborenen Kindes.

Eric Celan war fünfzehn Jahre alt, als sich sein Vater 1970 vom Pont Mirabeau in Paris in die Seine stürzte und sich selber den Tod holte, erschöpft vom Leben, das in den letzten zehn Jahren zunehmend durch die schon 1953 begonnenen und sich vielfach gesteigerten, völlig ungerechtfertigten Plagiatsanschuldigungen von Claire Goll[28] verdunkelt wurde, der Ehefrau seines 1950 verstorbenen Freundes Yvan Goll[29], eines ebenfalls staatenlosen Dichters, nicht rumänischer, sondern elsässischer Herkunft, mit dem er über den gemeinsamen rumänischen Freund Alfred Margul-Sperber[30] verbunden war.  Das durch Claire Goll geschaffene Leiden steigerte sich in verwirrende, erstickende Verfolgungssängste und   forderte Psychiatrie-Aufenthalte und eine Trennung von seiner Frau Gisèle. Es war ohne Zweifel mitverantwortlich für Paul Celans Erschöpfung und Tod.

Halt und Stütze bedeutete ihm in diesen Jahren immer wieder die Übersetzung von Shakespeare’s Sonetten, so von Sonett CXXXVII, das mit den Zeilen endet: „Mein Herz, mein Aug: verirrt im Wahren, beide, / und heimgesucht nun von dem Lügen-Leide.“ [31] Dem Leiden und der verwirrenden Hilflosigkeit Celans, die er  empfand, als er Anfang 1960 die Übersetzung zustande brachte, kam Shakespeare’s Sonett näher als er für sich gewagt hätte auszusprechen, was er erlebte. Da war gleichzeitig die Aggressivität der absurden Plagiatsanschuldigungen von Claire Goll, ferner die heftigen und zugleich widersprüchlichen  Liebeserwartungen Ingeborg Bachmanns, die damals in Paris weilte, Gisèle Celan kennen gelernt hatte, Schuldgefühle empfand und sich am nächstfolgenden Tag in Max Frisch verliebte, gleichzeitig traf ihn die Nachricht vom Tod von Albert Camus und die Nachricht vom Tod von Rosa Leibovici, seiner Geliebten während der Zeit in Bukarest, ferner das Wiedererwachen antisemitischer Äusserungen in deutschen Dichterkreisen, die er gegen sich gerichtet fühlte, zusätzlich die Mitteilung von Nelly Sachs‘ Rückzug in eine psychiatrische Klinik, die ihn bewog, sofort nach Schweden zu reisen, um sie aufzusuchen  –  ein nicht mehr zu mässigender und nicht mehr zu ertragender Ansturm von Belastungen, dem er nicht gewachsen war.

Im Leidvollen hatte der Briefaustausch mit Nelly Sachs, der beinah dreissig Jahre älteren Dichterin,  zeitweise einen seelischen Halt bieten können. Wurde er von ihr nicht „Bruder“ genannt, ein Bruder im vielfach gemeinsamen Schmerz des Exils, der Schuldgefühle des Überlebens, der Einsamkeit und Ängste? Der Entscheid, sie ohne Zögern in der Klinik in Stockholm aufzusuchen, bevor er selber des Rückzugs in eine ähnliche Klinik brauchte, konnte die Erwartungen der Nähe nicht erfüllen. Als er zu Nelly Sachs kam, waren es Stunden der Fremdheit. Über Jahre hatten sie einander nur über Gedichte und Briefe gekannt, nicht vom Sehen. Auch die kurze Begegnung vom 30. Mai 1960  in Zürich, im „Storchen“, als Nelly Sachs  in Meersburg weilte und den Droste-Literarturpreis entgegen nahm, liess vor allem die emotionalen Unterschiede im Gottverständnis spüren. Er widmete ihr ein kleines Gedicht, in dem er ungeschminkt der Differenz Ausdruck gab.

„Vom Zuviel war die Rede, vom  /  Zuwenig. Von Du  /  Und Aber-Du. von  /  der Trübung durch Helles, von  /  Jüdischem, von  /  deinem Gott.  –  Da-  /  von.  /  Am Tag einer Himmelfahrt, das  /  Münster stand drüben, es kam  /  mit einigem Gold übers Wasser.  –  Von deinem Gott war die Rede, ich sprach  /  gegen ihn, ich  /  ließ das Herz, das ich hatte,  /
hoffen:  /  auf  /  sein höchstes, umröcheltes, sein  /  haderndes Wort –   –  Dein Aug sah mir zu, sah hinweg,  /  dein Mund  /  sprach sich dem Aug zu, ich hörte:  –  Wir  /  wissen ja nicht, weisst du,  /  wir  /  wissen ja nicht,  /  was  /  gilt.“ [32]

Nelly Sachs‘ stützender Halt am Glauben der Ahnen, Celans Wissen um das Nichtwissen: es öffneten sich grosse Entfernungen. Über Gott und das Göttliche liess sich nicht sprechen, die Worte verblassten. Abgegriffenes zu wiederholen wurde ausgeschlossen. Gleichzeitig war ihm Nelly Sachs‘ Sprache mit den emotionalen Verschichtungen und Traumerinnerungen, die  die Zeitgrenzen aufbrechen, zutiefst vertraut,  so wie seine Gedichte sie in der inneren Verwandtschaft, die beide brauchten, berührten.

„ … Auch wir hinterlassen

unser Einsamstes den Neugeburten –

Einer dreht sich um

und sieht in die Wüste –

die Halluzination öffnet

die Wand der Sonnenwildnis

wo ein Ahnenpaar

die Sprache des enthüllten Staubes spricht

muschelfern unterm Siegel -…“[33]

 

Was bedeutet das „Siegel“, das Nelly Sachs meinte? – welches Siegel, das vor Milliarden Jahren eingeprägt wurde? War es jenes des Erschreckens und der Angst, jenes der Schuld und der Trauer? Oder jenes der Hoffnung? Möglicherweise ist es eine  noch viel ältere Prägung, die dem Menschen als Siegel geblieben ist und die ihn kennzeichnet – „muschelfern“?

Die Anfänge sind eine Grenzziehung des Wissens, das sich in der Ahnung verliert. Ist es das Menschsein überhaupt, das in der jüdischen Mythologie mit dem göttlichen Atem entstanden ist, allmählich mit der Trennung von Mann und Frau, dann mit dem schuldhaften Drang, das Verbotene zu wissen, schliesslich mit der anwachsenden Schuld, die durch den Brüderstreit und die Tötung Abels durch Kain unlösbar wurde? Für Nelly Sachs waren die chassidischen Erzählungen und Deutungen eine Verankerung in der geistigen Heimat, die sich der durch Todesangst erzwungenen Flucht und Entfernung entgegenstellten. Als im Dezember 1957 der Briefaustausch zwischen ihr und Paul Celan begann, hatten beide schon lange Kenntnis von einander durch die Gedichtsammlungen, die auf dem Büchermarkt zugänglich waren. Für Celan muss Nelly Sachs in der bitteren Trauer, die sich für ihn zunehmend verdüsterte,  wie eine nächste Verwandte erschienen sein, eine Art Schwesterfigur, die gleichzeitig nah und abwesend war.

Eine andere Art älterer Schwester war für ihn auch Rose Ausländer[34], die ihn 1957 auf der Durchreise durch Europa mehrmals  in Paris besuchte, diese Dichterin von starker Sprachkraft und Lebenskraft, die er im Ghetto von Czernowitz  kennen gelernt hatte, in der Zeit grösster Not und Angst. Rose Ausländer war 1939 aus New York, wo sie nach dem Tod ihres Vaters seit 1921 mit einigen Unterbrüchen gelebt hatte, zurück in ihre Heimatstadt gekommen, um sich um ihre schwer kranke Mutter zu kümmern – Etie Rifke, die aus Berlin stammte -, trotz der bedrohlichen Kriegssituation, in der sich Rumänien befand, und trotz der Kenntnis der prekären Überlebenschance für jüdische Menschen. Von der sowjetischen Armee wurde sie nach ihrer Ankunft als eventuelle amerikanische Spionin gefangen genommen und während vier Monaten in Haft gehalten. Sie kam wieder frei, ohne frei zu sein, da kurz darauf Wehrmacht und Gestapo die Stadt besetzten, gnadenlos die Registrierung, die Deportation in Zwangsarbeitslager und nach Transnistrien, kurz, die Tötung von insgesamt 450‘000 jüdischen Menschen begann, da versteckte sie sich zusammen mit ihrer Mutter in einem Kellerraum  im Ghetto, stand Kälte, Hunger und erstarren, Ratten und Dunkelheit durch, bis 1944 die Sowjetarmee die Stadt wieder eroberte.

„Meine Jahre  –  Was taugen sie mir  /  meine Jahre  /  ich rechne nicht mehr /  mit ihnen  /  ab  /  ich rechne nicht mehr“

„Ausgleich  –  Ich lebe in meiner  /  Verwesung  /  ein Wesen im Kopf  /  und Gelenken  –  im Reich  /  verwesender Leiber  /  blühender Augen und Lippen“

„In memoriam Chane Rauchwerger  –  Getto  /  Hungermarsch  /  Bei 30 Grad unter Null  /  schlief meine fromme Tante /  (immer betete sie  /  glaubte inbrünstig an Gerechtigkeit)  /  schlief meine sündlose Tante  /  ihre Tochter ihr Enkel  /  nach vielen Hungermarschtagen  /  auf dem Eisfeld in Transnistrien  /  unwiderruflich  /  schliefen sie ein  –  Der Glaube  /  der Berge versetzt  /  o weiser Wunderrabi von Sadagora  /  Chane Rauchwerger glaubte an dich  /  wo warst du  /  damals  /  wo war dein Wunder“[35]

Rose Ausländers Mutter starb 1947 eines natürlichen Todes, vierundsiebzig Jahre alt, schwer leidend, tief betrauert von ihrer Tochter. Diese war 1944 wieder nach New York zurückgekehrt, wo sie als Sprachlehrerin arbeitete, wie sie überall, wo sie gelebt hatte, sich auf irgend eine Weise mit Arbeit über Wasser hielt –  als  Sekretärin, als Sprachlehrerin, als Bankbeamte, als Redaktorin in Zeitungen und Zeitschriften, als Übersetzerin -, doch stets, seit ihrer Jugend, war sie in erster Linie Dichterin.  Während Jahren konnte sie nach dem in Czernowitz durchgestandenen Horror nicht mehr in Deutsch schreiben, sondern nur noch in Englisch[36], bis ihr die Dichterin Marianne Moore, eine nahe Freundin, anriet, zu ihrer Muttersprache zurückzufinden. Und so geschah es. Irgendwo hielt sie fest, dass die englische Muse sich ohne Probleme zurückzog und wieder der Muttermuse en Platz überliess. Ihre Gedichte, die früher nur in Zeitungen und Zeitschriften erschienen waren, und deren erste Buchausgabe durch Alfred Margul-Sperbers Unterstützung 1939 in Bukarest erschien, jedoch ohne geringste Beachtung blieb,  erschienen nun häufiger in kleinen Bänden und wurden zunehmend zum Geheimtipp für Kennerinnen und Kenner von Lyrik, ob in Amerika oder allmählich in Europa. Als sie 1964 definitiv nach Europa resp. zuerst nach Wien zurückkehrte und im darauf folgenden Jahr nach Düsseldorf  zog, wo sie bis zu ihrem Tod im Nelly-Sachs-Haus, im Altersheim der Jüdischen Gemeinde, lebte, die letzten zehn Jahre, nach einem 1977 erfolgten Sturz und Oberschenkelhalsbruch  nur noch liegend, entstand ein grosses, umfangreiches Werk, das ihr viele bedeutende Ehrungen entgegen brachte. Sie schrieb in jenen Jahren fast pausenlos, hielt in meist knappen Zeilen fest, was sich in ihr angestaut hatte:

„Was anfangen mit den vielen / ungeschriebenen Gedichten /  den stenografischen Notizen / unlesbaren Zeichen  –  Was anfangen  /  mit den zerrissenen Worten  /  die sich verbinden  /  mich anklagen fordern /  sie zusammenzusetzen  –  Wo fange ich an  /  wo höre ich auf  /  im drängenden  /  Herzlauf der Zeit“[37]

Der „Herzlauf der Zeit“ verstummte an seiner eigenen Grenze. Rose Ausländer starb am 3. Januar 1988.

Möglicherweise bedeutet das „Siegel“, unter welchem für Nelly Sachs „die Sprache des enthüllten Staubes“ liegt, die dem Menschen mit je eigenem Namen  eingeprägte Bedürftigkeit. In der griechischen Mythologie ist gemäss Sokrates‘ Erklärung, die in Platons Symposion festgehalten wurde, die menschliche Bedürftigkeit das testamentbeladene Erbe von Penia[38], der Mutter von Eros. Eros selber fasst mit seinem Namen den kaum stillbaren Mangel zusammen, geliebt und gehalten zu werden, einen mit Sehnsucht und Angst verwobenen Mangel, der bewirkt, in der „Wüste“, die sich vor dem „umherirrenden“ Blick öffnet, vor Durst nach Liebe versengt zu werden und dem Nächsten, der davon einen Tropfen mehr erhält, diesen nicht zu gönnen. Es findet sich in dieser Erzählung, in Fortsetzung jener des biblischen Bruderneids, die Urtrauer über die Urschuld, wenn Liebe in Hass umschlägt, wenn Eifersucht in Gewalt umgesetzt wird, wenn das Vertrauen gegenüber sich selber wie gegenüber den anderen verloren geht, eine älteste Darstellung der Angst, dem Blick des „Herrn“, wer immer er sei, nicht zu genügen, jener Angst vor Strafe und vor friedloser Rache, zutiefst der Angst vor dem Kampf zwischen „Gut“ und „Böse“ im eigenen Ich und in jenem des Nächsten.

Lässt sich davon ableiten, dass die Tragik der menschlichen Geschichte durch Verstehen lösbar sein könnte? Doch gibt es ein Verstehen menschenunwürdiger Gewalt und Grausamkeit? Kann dieser eine Grenze gesetzt werden durch Vergeben, diese Lösungsmöglichkeit angesichts fortgesetzter Kriege und Schuld, wozu Jesus von Nazareth aufgerufen hatte und in Anlehnung an Jesus im Lauf der Jahrhunderte zahlreiche Frauen und Männer, die der steten, sich steigernden Gewalt und dem Leiden Einhalt bieten wollten, selbst wenn dies nicht im Namen einer Religion, sondern in der Selbstverständlichkeit des denkenden Herzens geschah? War diese nicht die Triebkraft für Henri Bergson in den Friedensbemühungen nach dem Ersten Weltkrieg, für Moritz Schlick angesichts der beginnenden Gefährdung 1930 in Wien mit seinem Entwurf einer Ethik der Güte, dann während der schwersten Zeit nationalsozialistischer Verfolgung für  Simone Weil in der englischen Emigration mit ihrem letzten Werk über die  Einwurzelung der Menschen im wechselseitigen Anerkennen und Erfüllen von Grundbedürfnissen, für Etty Hillesum vor dem Abtransport in Holland mit dem ergreifenden Bekenntnis zur Freundschaft, oder nach dem Krieg für Hannah Arendt in den USA? In Vita activa hielt sie fest, dass durch das Verzeihen nicht das Unrecht aus der Geschichte getilgt werden könne, dass aber dem Menschen, der Unrecht tat, ein neues Zusammenleben mit den anderen Menschen zugestanden werde. Dass der Wiederholung von Unrecht und Leiden Grenzen gesetzt werden können.

Seit den Anfängen menschlichen Zusammenlebens war letztlich jede Art von Misstrauen, von Überheblichkeit und Unterwerfung, damit von Macht und Gewalt gegenüber anderen Menschen verknüpft mit Angst um den eigenen Platz und Raum im Zusammenleben, vielleicht um den Anspruch auf Besitz, als Ausdruck mangelnder Beachtung und Liebe, letztlich des zehrenden Leidens, das durch  Neid und Eifersucht, Schuld und Rache verursacht wird. Aufwühlend ist die weiter wachsende destruktive Gewalt der Menschen gegenüber der schöpferisch gestaltenden Macht des Erdenlebens.  Beruht letztere auf Sehnsucht? Warum genügt nicht zu wissen, dass in jedem Augenblick Entscheidungsmöglichkeiten bestehen? Dass Verstehen und Verzeihen die dem Menschen gegebene Möglichkeit sind, der Gewalt Einhalt zu gebieten? Wie kann Wissen das Handeln so beeinflussen, dass dessen Folgen nicht mehr zu bedauern sind?

Die Chance beruht auf der doppelten Besonderheit, die den Menschen prägt: auf jener der Verarbeitung des Erlebten wie auf jener des Entwurfs des noch nicht Erlebten durch das Denken, diesem „probeweisen Handeln mit kleinen Energiemengen“, wie Sigmund Freud es verstand[39]. Es stellt sich der Angst entgegen, verbindet sich mit der Wahlmöglichkeit von Ausrichtung und Zielsetzung des inneren Blicks wie des schauenden Auges, überhaupt mit der Aktivierung der emotionalen und intellektuellen, kritischen Kräfte im Dienst des persönlichen Überlebens wie des Zusammenlebens mit anderen Menschen in der umfassenden Bedeutung von Liebe.

„Nicht Angst, mir eigen, nicht der weltenweiten

Wahrträume Sinn für Dinge, die da kommen, kann

bemessen meiner Liebe Fristen oder Zeiten,

entgrenzt und unverwirkt ist sie, in niemands Bann.

Der Mond, der sterbliche, verschattete: er blinkt!

Augurenwort, dir war Augurenspott beschieden.

Das Schwankende von einst? Gekrönt und unbedingt.

Und mit dem alterslosen Ölzweig kommt der Frieden.

Umbalsamt, meine Liebe, bist du, bist umtaut

von frischer Zeit – kein Tod, dich fortzuschwemmen.

Ich lebe, ihm zum Trotz, im Reim, den ich gebaut,

derweil er dumpfen grollt und sprachelosen Stämmen.

Und du: in diesem hier, da steht es noch, dein Bild,

wenn Gräbererz verwittert und Tyrannenschild.“[40]

Die Liebe von Gisèle für Paul und von Paul für Gisèle war eine ungleiche Liebe, jedoch für beide eine untrügerische Liebe, in den Anfängen für ihn ein Staunen über die Erfahrung der Verankerung und Ruhe, die er in seiner angstbesetzten Unruhe in dieser zarten und starken Künstlerin – Malerin und Graphikerin – erlebte, bei ihr ein Staunen über die Nähe, die dieser schöne, fremde Dichter ihr gewährte. Sie sprachen sich über Jahre mit Du an, mit Sie und wieder mit Du, sie gaben sich viele zärtliche Namen – sie war seine Pfirsichblume, sein Pfirsich, seine Maja, seine Geliebte. Er war ihr kleiner Seidelbast, ihr zärtlich Geliebter, ihre grosse Liebe. Auch in den Jahren seiner schweren Wahnvorstellungen, als er sie eines Nachts mit einer bedrohlichen Schreckensgestalt verwechselte, nach dem Messer griff und zu töten versuchte, als sich ihre Lebensräume in der Folge trennten und er den Rückzug in die eine und andere Klinik brauchte, galt für sie weiter, was sie ihm in ihrem ersten Brief vom 11. Dezember 1951 geschrieben hatte: „Ich möchte verstehen. Ich möchte erkennen. Ich möchte wissen“, und im Brief von 1. Januar 1952: „ (…) und ich möchte Dich gegen alle Boshaftigkeiten des Lebens beschützen können.“[41] Und so schrieb sie am 16. Mai 1965: „Ich denke an Dich, an diesen langen Tag für Dich, an diese langen Tage, und freue mich, dass ich Dich morgen besuchen komme“, und sie schilderte ihm den Garten im Haus von Moisville in der Haute Normandie, wo sie mit dem damals zehnjährigen Eric die Vögel und die langsam erblühenden Rosen beobachtete. „Hier erinnert mich alles an Dich, wie überall, so viele Erinnerungen, Prüfungen und Freuden markieren unsere Gegenstände, die Orte, an denen wir gemeinsam gelebt haben. Ich denke an Dich, ich denke an dich, mit meiner ganzen Liebe, mit meinem ganzen Wunsch, dass es Dir besser gehen möge, dass Du wieder zu Kräften kommst, auch die Lebensfreude wieder findest. Ich warte mit Eric auf Dich – Bis morgen, mon Amour chéri, tun Sie sich Gutes, ich liebe Sie.“[42]

Für Celan bedeutete in diesen schweren Jahren das Übersetzen aus fremden Sprachen ins Deutsche, manchmal ins Französische, gleichzeitig etwas Widersprüchliches und etwas Stärkendes, buchstäblich eine der Herztätigkeit  ähnliche Arbeit, „das Stimmhafte aus dem Stimmlosen fällend, in der Systole die Diastole verdeutlichend, welt- und unendlichkeitssüchtig“[43], wie er sich selber erfasste, gleichzeitig in der Spannung der kaum ertragbaren Geschichte, die auf ihm lastete, haltsuchend in der Angst vor der Unkenntnis der kommenden Zeit und des möglichen Versagens der Sprache.  Er blieb Shakespeare treu, indem auch er auf Begriffen beharrte, „bis sie unter dem starren Blick entweder ihre (wahre?) Farbe bekennen oder sich auflösen, ja er radikalisierte es teilweise über die Vorlage hinaus“[44]. Im Zweifel am Durchstehen der eigenen dichterischen Schöpfungskraft wurde die Arbeit an Shakespeares Sonetten zum Halt „inmitten der zerbröselnden Identitäten, dem Verfallen nach Fristen und den bald kurz, bald lang bemessenen Zeiträumen, dem Statischen in Bild und Denkmal, dem Ehernen wie dem Ephemeren, dem Dumpfen und unbeweglich Sprachlosen der Stämme ebenso wie dem in der Dinge Flut Hinwegreissenden. Es ist dies etwas unbeschreiblich, nur in Figuren der Sprache vorschwebend Eigenes, (…) etwas allenfalls mit sich selbst Identisches, fremd und eigen: das zugleich Beständige und doch ‚Entgrenzte‘, das gegenüber Zielen auf immer ‚Unverwirkte‘, von ‚Balsam‘ bewahrt und ‚umtaut von frischer Zeit‘, ein ‚du‘ und doch ‚mein‘: es ist – die ‚Liebe‘. der die ‚Krone‘ gebührt“[45], wie in Sonett CVII zugleich von Shakespeare und von Celan festgehalten wurde.

Die Tragik des wachsenden Verlusts seiner Durchhaltekraft spürte er voraus. Mitte Januar 1970, als die Wahnvorstellungen ihre Macht über ihn erneut verstärkten, schrieb er: „Meine allerliebste Gisèle, dieser Augenblick, den ich, vielleicht, einordnen kann. Du kennst meinen Vorsatz, den meines Daseins; Du kennst meinen Seinsgrund.

Das ‚Kilodrama‘ ist eingetreten. Vor die Alternative gestellt, zwischen meinen Gedichten und unserem Sohn zu wählen, habe ich gewählt unseren Sohn. Er ist Dir anvertraut, hilf ihm. Verlass nicht unser (einsames) Niveau; es wird Dich nähren.

Ich habe keine Frau so geliebt, wie ich Dich geliebt habe, wie ich Dich liebe.

Es ist die Liebe – eine äusserst umstrittene Sache -, die mir diese Zeilen diktiert.“  Paul

Dann am Vorabend ihres Geburtstages, am 18. März 1970, schrieb er den letzte Brief: „Was kann ich Dir schenken, meine liebe Gisèle? Hier ein Gedicht, das ich an Dich denkend geschrieben habe – hier – wie ich es aufgeschrieben habe, sofort, in seiner ersten Fassung, unverwandelt, unverändert. Herzlichen Glückwunsch zu Deinem Geburtstag! Paul

Es wird etwas sein, später,

das füllt sich mit dir

und hebt sich

an deinen Mund

Aus dem zerscherbten

Wahn

Steh ich auf

Und seh meiner Hand zu,

wie sie den einen

einzigen

Kreis zieht.“[46]

Die Hand war für Paul Celan das Symbol für die Schrift, fürs Schreiben. Oft hatte er in Briefen an Gisèle, auch an Verleger und Freunde von der Hand geschrieben, die sich dem Hass und der Zeit entgegenstelle. Er selber hielt in  diesen letzten Gedichtzeilen die Abrundung des Lebenskreises fest, nicht als Verhängnis, sondern als aufrechtes Austreten aus dem Wahn. Gisèle schrieb in ihrem Antwortbrief vom 20. März 1970, dass das Gedicht sie begleite: „Mein lieber Paul, die Tulpen, ihr Rot, ihr Leben, heute morgen ab sechs Uhr, nach den Stunden mit so wenig Schlaf, sie waren mit mir. Auch das Gedicht begleitet mich. Danke, noch einmal danke. Guten Aufenthalt in Deutschland!“[47]

Diese letzte Reise nach Deutschland, wo er am 21. März 1970 in Stuttgart zu einer Lesung im Rahmen der Hölderin-Tagung eingeladen war und am nächsten Tag in Tübingen zum Besuch im Hölderlin-Turm, dann am 26. März zu zwei Lesungen in Freiburg im Breisgau, wobei an der einen auch Martin Heidegger teilnahm, alles war für Celan Belastung. Er fühlte sich nicht verstanden. Der Ausflug nach Colmar, überhaupt ins Elsass, den ihm der Germanist und  Gastgeber Gerhart Baumann anbot, den er seit 1966 kannte, habe ihn an die Bukowina erinnert, wie dieser festhielt, doch Celan habe erschöpft und krank gewirkt.

Und nach der Rückkehr aus Deutschland nach Paris? In Band II der Briefe zwischen Paul und Gisèle wie zwischen Paul und Eric Celan findet sich eine genaue Zeittafel, in welcher auch die letzten Lebenstage des Dichters festgehalten sind. Am 16. April 1970 habe er sich mit Eric vereinbart und ihm gesagt, er könne leider am nächstfolgenden Tag nicht wie geplant mit ihm zusammen zur Aufführung von Beckett’s Warten auf Godot ins Theater Récamier gehen.  Später habe er noch Jörg Ortner getroffen, einen Freund und Graphiker, den er öfters gesehen habe.

Vermutlich war es in der Nacht vom 19. auf den 20. April, dass er sich zum Pont Mirabeau begab und sich in die Seine stürzte. Im Taschenkalender, der auf seinem Schreibtisch lag, hat er am 19. April mit Bleistift notiert und doppelt unterstrichen „Départ Paul“.  Daneben lag eine auf S. 464 aufgeschlagene Hölderlin-Biographie[48], wo er zwei Zeilen aus einem dort zitierten Brief von Clemens Brentano unterstrichen hatte: „Manchmal wird dieser Genius dunkel und versinkt in den bitteren Brunnen seines Herzens.“[49]

Gisèle, die am 20. April in grosser Sorge um ihn seine Wohnung aufsuchte, fand auf dem Schreibtisch seine Armbanduhr liegen. So ahnte sie, was geschehen war. Paul habe ihr einmal gesagt, dass er nicht mehr da sei, wenn sie irgendwo seine Armbanduhr fände.

Sein Leichnam wurde erst am 1. Mai am Rechen eines Wehrs bei Courbevoie gefunden und am 12. Mai 1970 ohne religiöse Zeremonie im Friedhof Thiais beigesetzt, in dem auch das Grab des  kleinen François war, des erstgeborenen Kinds von Gisèle und Paul Celan. Ein grosser Kreis erschütterter Freundinnen und Freund begleitete Gisèle und Eric Celan in ihrer grossen Trauer.[50]

„Vor mein                                                                       „Du wirfst mir Ertrinkendem

Wetterleuchtendes Knie                                              Gold nach:

kommt die Hand zu stehn,                                           Vielleicht lässt ein Fisch

mit der du                                                                        sich bestechen.“

dir übers Aug fuhrst,

„ Meine                                                                                        ein Klirren                                                                       dir zugewinkelte Seele

holt sich Gewissheit                                                      hört dich

im Kreis, den ich zog                                                      gewittern,

um uns zwei,

in deiner Halsgrube lernt

manchmal freilich                                                          mein Stern, wie man wegsackt

stirbt der Himmel                                                          und wahr wird,

unsern Scherben voraus.“

ich fingre ihn wieder heraus

komm, besprich dich mit ihm,

noch heute.[51] 

 

[1] Rainer Maria Rilke (1875-1926). Zur Melodie der Dinge (1898). In: Wladimir der Wolkenmaler und andere Erzählungen, Skizzen und Betrachtungen aus den Jahren 1893-1914.  1961 Frankfurt am Main, Insel Verlag (Taschenbuch). S. 173

[2] Rilke. 1961 Frankfurt am Main. S. 174-175

[3] Johann Gottfried Herder. Haben die Menschen sich selber Sprache erfinden können? 1960 Hamburg, Felix Meiner Verlag. S. 6

[4] Zum Beispiel in Frankreich in den Höhlen von Lascaux im Tal der Vézère in der Dordogne (Périgord), die um 1860 entdeckt wurden und die eine Fülle kunstvollster Malereien aus der Zeit zwischen 17’000 und 15’000 v. u. Z. enthalten, dem jüngeren Abschnitt des sogenannten Jungpaläolithicums.

[5] Genesis 11 1 ff.

[6] Robert von Ranke-Graves. (1895 – 1989). Griechische Mythologie. Quellen und Deutung. Ins Deutsche übersetzt von Hugo Steinfeld. 1960 Reinbek b. Hamburg, Rowohlts Enzyklopädie

[7] Robert von Ranke-Graves. Griechische Mythologie. 1960 Reinbek bei Hamburg, Rowohlts Enzyklopädie. S. 163-164

[8]aleph“ bedeutet in der phoinizischen Sprache Ochse; Boiotien wurde das Land der Ochsen genannt.

[9] Beth-luis-nion (Birke – Vogelbeerbaum – Esche), cf. Ranke-Graves 1990, S. 163-164

[10] Julius Pokorny. Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch. 2 Bde. 2005 Bern-München, A. Francke Verlag. Am Entstehen ist durch die Forschungsarbeit von George Dunkel auch ein Lexikon der indogermanischen Partikel, das noch nicht abgeschlossen ist (cf. Dossier Ecce Homo. Zeitreisen an unsere Anfänge. Roger Nickl. Die Mutter unserer Sprache. In: Unimagazin. Universität Zürich. 19. Jahrgang, Nr.1, Februar 2010)

[11] Jesper Svenbro (geb. 1944) Ameisenwege. Figuren der Schrift und des Lesens in der griechischen Antike. 2000 Graz-Wien, Literaturverlag Droschl

[12] Svenbro. 2000 Graz-Wien. S. 23

[13] Svenbro. 2000 Graz-Wien. S. 24

[14] Svenbro. 2000 Graz-Wien.  S. 25. – Auch Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch von Hermann Diels. Hg. von Walther Kranz. 1974 Hamburg, Weidmann Verlag. Bd. I, S. 96 ff

[15] Svenbro. 2000 Graz-Wien. S. 26

[16] Claude Lévi-Strauss (1908-2009). Tristes Tropiques. 1955 Paris, Librairie Plon. – Übersetzung ins Deutsche von Eva Modenhauer. Traurige Tropen. 1982 Frankfurt am Main, 4. Auflage 1982, Suhrkamp Taschenbuch Verlag. S. 293

[17] Lévi-Strauss. 1982 Frankfurt am Main. S. 293

[18] Mihail Sebastian. „Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt“. Tagebücher 1935 – 1944. 2005 Berlin, Classen Verlag. S. 713

[19] Paul Celan (ursprünglich Antschel / Ancel: 1920 – 1970)

[20] Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942). Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund. Herausgegeben und eingeleitet von Jürgen Serke. 1986 Frankfurt am Main, Fischer Verlag.

[21] Selma Meerbaum-Eisinger. Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. 1986 Frankfurt am Main, Fischer Verlag. S. 93. – Der abwesende  „Geliebte“ war ein Mitschüler aus dem Gymnasium von Czernowitz gewesen, Lejser Fichmann, dem es am 3. August 1944 gelang, zusammen mit ca. 300 anderen jüdischen Jugendlichen von Constanta aus ein türkisches Schiff zu besteigen, um nach Palästina zu gelangen. Doch einen Tag später wurde das Schiff in der Nähe des Bosporus von einem sowjetischen U-Boot beschossen und sank. Nur die wenigsten konnten überleben. Lejser Fichman war einer der Toten.

[22] William Shakespeare  (1564 – 1616). Sonett CVII.  In:  Eindundzwanzig Sonette.  Deutsch von Paul Celan. Insel Bücherei Nr. 898. 1967 Frankfurt am Main und Leipzig, Insel Verlag. S. 21  –  Die englische Fassung, S. 20: „Being your slave, what should I do but tend  / Upon the hours and times of your desire? / I have no precious time at all to spend, / Nor services to do, till you require.  –  Nor dare I chide the world-without-end hour / Whilst I, my sovereign, watch the clock for you, / Nor think the bitterness of absence sour / When you have bid your servant once adieu.  –  Nor dare I question with my jealous thought / Where you  may be, or your affairs suppose, / But like a sad slave and think of nought  / Save where you are how happy you make those.  –  So true a fool is love that in your will, / though you do anything, he thinks no ill.“

[23] Shakespeare / Celan. Einundzwanzig Sonette. 1967, Frankfurt am Main / Leipzig, Insel Verlag. S. 37 – In englischer Fassung, S. 36: „When in the chronicle of wasted time / I see descriptions of the fairest wights“. . .

[24] Ingeborg Bachmann (1926 – 1973) war die Tochter eines Lehrers und überzeugten Nazi-Anhängers aus Klagenfurt

[25] Ingeborg Bachmann Paul Celan: Herzzeit. Briefwechsel. Hg. Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll, Barbara Wiedemann. 2008 Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag

[26] Paul Celan (1920-970). In Gestalt eines Ebers. Aus der Sammlung: Von Schwelle zu Schwelle (1955), in: Gesammelte Werke. 1983 Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag. Erster Band, S. 98

[27] Eric, ein Anagramm von „écris“

[28] Claire Goll (eigentlich Clara Aischmann: 1890 – 1977)

[29] Yvan Goll (eigentlich Isaac Lang : 1891 – 1950)

[30] Alfred Margul-Sperber ( 1898 – 1967), ein Journalist und Dichter, der sowohl in Paris wie in Rumänien gelebt hatte und zwischen 1940 und 1944 auch Iosif Hechter in Bukarest nahe stand.

[31]  Shakespeare / Celan. Eindundzwanzig Sonette. Sonett CXXXVII. 1967 Frankfurt am Main / Leipzig, Insel Verlag. S. 47 – Fassung in Englisch, S. 46: „In things right true my heart and eyes have err’d, / And to this false plague are they now transferr’d.“

[32] Paul Celan. Zürich, Zum Storchen. Für Nelly Sachs.  In: Paul Celan. Gesammelte Werke. Erster Band. Gedichte I. 1983 Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag. S.214-215

[33] Nelly Sachs (1891-1970). Späte Gedichte. 1961 Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag

[34] Rose Ausländer (ursprünglich Rosaline Scherzer: 1901 – 1988)

[35] Rose Ausländer. Meine Jahre. Ausgleich. In memoriam Cahne Rauchwerger. In: Schweigen auf meinen Lippen. 1994 / 2001 Frankfurt am Main, Fischer Verlag. S, 118, 119, 120

[36] Rose Ausländer. The Forbidden Trees, Englische Gedichte. 1995 Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch-Verlag.

[37] Rose Ausländer. Was anfangen. In: Schweigen auf Deine Lippen. 1994 / 2001 Frankfurt am Main. Fischer Taschenbuch Verlag

[38] „penia“ bedeutet „Bedürftigkeit“

[39] Sigmund Freud. Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933/1932). In: Studienausgabe. 1969 Frankfurt am Main, Fischer Verlag. S. 524

[40] William Shakespeare  (1564 – 1616). Sonett CVII.  In:  Eindundzwanzig Sonette.  Deutsch von Paul Celan. Insel Bücherei Nr. 898. 1967 Frankfurt am Main und Leipzig. Insel Verlag. S.39  – Die englische Fassung S. 38:

„Not mine own fears, nor the prophetie soul / Oft he wide world dreaming on things to come, / Can yet the lease of my true love control, / Suppos’d as forfeir to a confin’d doom.  –  The mortal moon her exlipse endur’d, / And the sad augurs mock their own presage; / Incertainties now crown themselves assur’d, / and peace proclaims olives of endless age.  –  Now with the drops of  this most balmy time / My love looks fresh; and Death to me subscribes, / Since spite of him I’ll live in this poor  rhyme / While he insults o’er dull and speechless tribes: –  And thou in this shalt find thy monument / When tyrants‘ crests and tombs of brass are spent.“

[41] Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange. Briefwechsel. Mit einer Auswahl von Briefen Paul Celans an seinen Sohn Eric. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Erster Band, 2001 Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag. S. 7 / S. 9

[42] Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange. 2001, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag. S. 114

[43] Shakespeare. Einundzwanzig Sonette. Essay von Wolfgang Kaussen. 1967 Frankfurt am Main und Leipzig, Insel Verlag. S. 57

[44] Shakespeare. Einundzwanzig Sonette. Essay von Wolfgang Kaussen.1967 Frankfurt am Main / Leipzig, Insel Verlag. S. 85

[45] Shakespeare. Einundzwanzig Sonette. Essay von Wolfgang Krause. 1967 Frankfurt am Main / Leipzig. Insel Verlag. S. 87

[46] Eine Übersetzung ins Französische, die er selber vornahm, folgte wenig später.: „Il y aura quelque chose, plus tard,  /  qui se rempli (se remplira) de toi  /  et se hisse(ra)  /  à (la hauteur d‘) une bouche  –  De mon (Du milieu de) délire (ma folie)  /  volé en éclats  /  je me dresse (m’érige)  /  et contemple ma main  /  qui trace  /  l’un, l’unique  /  cercle“ (Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange, Briefe. Band I. 2001 Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag. S.587)

[47] Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange. Briefe. Bd. I. 2001 Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag. S, 588

[48] Wilhelm Michel (1877 – 1942). Das Leben Friedrich Hölderlins. 1967 (Ersterscheinung 1912) Frankfurt am Main, Insel Verlag

[49] Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange. Band II.  herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, in  Vbindung mit Eric Celan. Aus dem Französischen übersetzt von Eugen Helmlé, Anmerkungen für die deutsche Ausgabe eingerichtet von Barbara Wiedemann. 2001 Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag. S. 493

[50] Am gleichen Tag starb in Stockholm Nelly Sachs.

[51] Paul Celan. Gesammelte Werke. Dritter Band. 1983 Frankfurt am Main, Verlag Suhrkamp. S. 80, 81, 82, 90

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