Auch die Sprache lässt sich nicht zum Objekt machen – Einführung zum Abend “Frauen – Texte – Sprache”

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Auch die Sprache lässt sich nicht zum Objekt machen

Einführung zum Abend  “Frauen – Texte – Sprache”

 

Warum suchen wir über die Sprache nach uns selbst? Ist dies nicht zum vornherein ein trügerisches Unterfangen? Hat nicht die Sprache grosse Schuld daran, dass wir uns selbst Fremde sind?

Die Frage mag erstaunen. Sie muss jedoch so gestellt werden. Das heisst, sie kann auch anders gestellt werden: Gibt es überhaupt Erinnerungen an Erfahrungen, die der Sprache vorangingen?  – ich meine Erfahrungen, die mit uns selbst zu tun haben (andere kennen wir nicht). Ich vermute, dass wir über keine verfügen. Denn selbst wenn sich sprachlose Erfahrungen in der Erinnerung erhalten konnten, versuchen wir, sie sprachlich widerzugeben, bezeichnen sie als Erfahrungen der Kälte oder der Wärme, des Erschreckens oder des Wohlbefindens, als gosses Dunkel oder Licht, als rot, grün, schwammig und so weiter. Träume, Fieberphantasien und andere Nachterfahrungen prägten sich auf diese Weise ein, früheste Erfahrungen der Berührung oder der Verlassenheit, des Alleinseins und des Schmerzes. Wir wissen nicht, wie und wann sich die Worte in uns festsetzten, wie wir anfingen, sie zu gebrauchen. Doch wir wissen, dass die angelernten Worte sich schnell des Wortlosen bemächtigen, dass seither – quasi auf Abruf –  auch das Sprachlose und Unausgesprochene bei Bedarf in ein Wortkleid gesteckt werden kann.

So früh und so unausweichlich wurden wir durch die Sprache in die Welt eingebunden, dass für alles, was uns angeht, eigentlich nur die Namen, Prädikate und Verben, die “Pfui” und “Brav” zur Verfügung standen (vielleicht heute noch zur Verfügung stehen), die den Bildern und Empfindungen aus Erziehungsgründen übergestülpt wurden, die das Beziehungsgeflecht ordneten und hierarchisch werteten und die unsere ersten Handlungen als anarchisch und unerlaubt oder als ordentlich und mithin als erlaubt klassifizierten.

Wohin konnte die Phantasie entfliehen? Und vor allem:

Wie konnten wir mit dieser Sprache lernen, “Ich” zu sagen und mit diesem “Ich” unsere eigene Subjektivität zu meinen – nicht das “es”, mit dem wir bezeichnet wurden? Wie kamen wir dazu, die Sprache unserem Bedürfnis gefügig zu machen, unserern Phantasien und unserer Erfahrung, einen eigenen Willen zu haben, Widerstand zu spüren gegen Anweisungen und Befehle, Wahres von Unwahrem zu unterscheiden, kurz: Subjekt zu sein –  und nicht Objekt?

Wie bauten wir diese Beziehung zwischen unserer Innenwelt und der Sprache auf, diese innerweltlich-sprachliche Spiegelbildlichkeit, diese nicht irgendwann gefestigte, sondern ständig sich verändernde und ständig in Frage gestellte Beziehung? So schnell kann sie abbrechen. Manche von uns, die glaubten, die Sprache – “ihre” Sprache – gefunden zu haben, sind wieder verstummt. “Schmal ist die Identität der Sprache”, sagt Herta Müller in einem Interview, das diese Woche im deutschen Magazin “Spiegel” veröffentlicht ist. Auch die Sprache lässt sich nicht zum Objekt machen.

Wir werden in der Folge Textauszüge von Dichterinnen lesen (denn alle sind sie Dichterinnen, die Schriftstellerinnen, Denkerinnen, Lyrikerinnen und briefeschreibenden Revolutionärinnen), die mit ihrem Schreiben versuchten (und noch versuchen), diese “schmale Identität”, die wir über die Sprache zu erreichen uns sehnen, zu verdichten. Der Weg dahin ist Nachtweg oder Tagweg, Schmerzensweg fast immer. Manchmal gibt es ein Innehalten, eine Zeitlosigkeit, ein Glück: Nischen, die sich unversehens öffnen. “Zu wissen, dass die Zeit eine Einbildung ist und nichts mich zur Eile drängt. Ich möchte einmal wirklich schauen dürfen und die Dinge so sehen, wie sie sich uns nie zeigen” schreibt Marlen Haushofer. Manchmal aber sind diese Nischen trügerische Rastplätze. Wer unbekümmert den Schritt hinein wagt, fällt ins Leere. Die Liebe? fragt ihr.

“Liebe” ist so ein Wortkleid, das im Lauf der Sprachdomestizierung vielem übergestülpt wurde, vorweg, immer wieder. Ob das Wortkleid stimmt oder nicht, ob es übereinstimmt mit der eigenen, vielleicht trügerischen subjektiven Erfahrung – von der “Rippe Adams” und der “Trennungsagonie” (Silvia Plath) zum “schönen Beischlaf” (Elfriede Jelinek) zum “Lebewohl” und Verzicht aus Grossmut (Karoline von Günderrode) zu “Christa schluckt viel” (Sabine Peters) zur “Lust am Taumel (Friederike Mayröcker) bis zu den “Blicken meines Kindes” (Sibilla Aleramo)  –  wer kann es wissen, ausser der sprachesuchenden, ichsuchenden, schreibenden Dichterin?  “Die Liebe ist die Zeit und der Raum, in denen sich das ‘Ich’ das Recht nimmt, aussergewöhnlich zu sein”, hält Julia Kristeva fest.

Und das “gewöhnliche” Ich? Dasjenige, das mir im Angstraum entgegenblickt, das “von mir weggeführt wird in einem Sträflingskleid” (Hilde Domin)? – Spiegelbild des gedemütigten Objekts, das dem um seine “schmale Identität” bangenden Subjekt ständig zum Verwechseln ähnlich ist? Wie eine Stärkung  verstehe ich daneben das Bekenntnis Rosa Luxemburgs, das sie während des Gefängnisaufenthaltes in einem Brief an den fernen Geliebten festhielt: “Aber ich schreibe ja eigentlich nur für eine Person: für mich selbst. Die Zeit, als ich die “Akkumulation” schrieb, gehört zu den glücklichsten meines Lebens.”

Die Sprache als Weg zu uns selbst? Vielleicht trotz aller Verfänglichkeiten, trotz der Zweifel und des Verstummens einer der untrüglichsten Wege?

Hören wir nun zu!

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