Ein Lichterteppich für Bosnien quer durch die Schweiz
Pressecommunique
Ein Lichterteppich für Bosnien quer durch die Schweiz
Zürich. – Gestern Donnerstag um achtzehn Uhr gingen von Lausanne über Delemont, Neuchâtel, Biel, Bern, Aarau bis Basel, von Schaffhausen über St. Gallen, Chur, Davos, Lugano bis Luzern und Zürich Tausende von Frauen, Männern und Kindern mit Fackeln und Kerzen auf die Strasse. Auch in zahlreichen kleineren Orten fanden politische und religiöse Gedenkfeiern statt. Der Lichterteppich quer durch die Schweiz galt den verzweifelten Kriegsflüchtlingen in Bosnien. Vielerorts läuteten gleichzeitig die Glocken der Kirchen.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe und die ihr angeschlossenen Hilfswerke – Caritas, Schweizerisches Rotes Kreuz, HEKS, Schweizerisches Arbeiterlnnenhilfswerk, die Jüdische Flüchtlingshilfe und der Christliche Friedensdienst – hatten gemeinsam mit weiteren Organisationen (zum Beispiel in Basel das St. Katharina Werk) zu dieser landesweiten Demonstration aufgerufen. Nachdem sich im Lauf des Novembers bei der schweizerischen Bevölkerung neben dem Gefühl der Ohnmacht und des Entsetzens ob der Grausamkeiten im bosnischen Kriegsgebiet immer stärker der Willen äusserte, den unglücklichen Opfern zu helfen, sollte mit dieser öffentlichen Kundgebung dem Bundesrat Mut gemacht werden, sowohl die Hilfe vor Ort zu verstärken wie eine grosse Anzahl zusätzlicher Hilfsbedürftiger während des Winters aufzunehmen. Jede Fackel und jede Kerze sollte stellvertretend für ein bedrohtes Menschenleben leuchten.
Angesichts der sich täglich verschärfenden Notlage geht es ums Naheliegendste: um Überlebenshilfe. Die Bevölkerung hat mit ihrer Präsenz auf der Strasse dem Bundesrat klar gemacht, dass sie seine weiteren Hilfsmassnahmen unterstützen will, selbst wenn diese im Alleingang und ohne eine ebenbürtige Bereitschaft in den übrigen westlichen Staaten durchgeführt werden sollen.
SFH (maw) 26. 11. 92
Was noch vor kurzem Jugoslawien hiess, ist heute ein Land des Todes
Bosnien-Herzegowina wurde einst “die Schweiz des Balkans” genannt – mit Bergen und Tälern wie in unseren Voralpen, mit einer Bevölkerungsanzahl, die vor dem Krieg etwa derjenigen unseres Landes entsprach, mit einer Vielzahl an Religionen und Kulturen, deren Zusammenleben vorbildlich war. Seit einem Jahr ist Bosnien-Herzegowina Schauplatz unvorstellbaren Grauens, ein Gräberfeld und Trümmerfeld, durch das die überlebenden Menschen von den Gewehrläufen verrohter Soldaten gejagt werden, an die zwei Millionen muslimischer Frauen, Kinder und alter Leute, vielleicht mehr, jeder und jede einzelne in Todesangst, von Verzweiflung und Hunger gepeinigt, von Krankheiten gezeichnet.
In monatelang beschossenen und belagerten Orten ernähren sich die eingekesselten Menschen von Gras und Hafer. Wo einst Kinder spielten, werden Kinder gemordet. Wo einst Frauen für ihre Familien sorgten, werden Frauen systematisch vergewaltigt. Wo einst Landwirtschaft, Handel und Handwerk blühten, wird heute gefoltert und getötet. Vormalige Fabriken dienen als Konzentrationslager, Werkhöfe als Hinrichtungsstätten.
Auch im Kosovo mit seiner albanischen Mehrheit und in der Vojvodina mit ihrer beträchtlichen ungarischen Minderheit wird die nicht-serbische Bevölkerung von den serbischen Machthabern aufs schlimmste drangsaliert. Politische und kulturelle Entrechtung, persönliche Schikanen, willkürliche Entlassungen am Arbeitsplatz, Enteignungen, grundlose Verhaftungen und Folter bei Polizeiverhören haben schon Hundertausende zum Verlassen der Heimat gezwungen. Es ist ein absehbares Verhängnis, dass derart masslose Menschenrechtsverletzungen und Provokationen zum offenen Krieg führen.
Warum dieser systematische Wahnsinn, der politische Unterdrückung und Krieg heisst? Warum werden die einen Menschen zu Opfern und die .anderen zu Mördern? Wie ist der kaltblütige Hass zu erklären, der aus Nachbarschaft über Nacht Feindesland macht?
Genügt es zu sagen, dass Rassismus und Nationalismus das Grauen bewirken? Fänden rassistische und nationalistische Parolen Gehör und Gefolgschaft, wenn das eine zentrale Gebot – auch für uns – unumstösslich feststände: Dass das Recht auf Leben und das Recht auf Glück für alle Menschen unterschiedlos das gleiche ist. Dass ein jeder und eine jede nur soviel Recht für sich beanspruchen kann, als er den anderen zugesteht.
Wer unter uns wegschaut und sich vormacht, das alles gehe ihn oder sie nichts an, macht sich mitschuldig. Wer nichts oder nicht genug dazu beiträgt, Leid zu lindern, macht sich ebenfalls mitschuldig.
Hilfe vor Ort, wie die einzelnen Hilfswerke und der Bund (zum Beispiel über die Schweizerische Katastrophenhilfe) sie im ehemaligen Jugoslawien schon leisten, muss verstärkt werden, damit sie wirksamer ist als ein Tropfen Wasser in einer Wüste der Not. Flüchtlinge, die wir aufnehmen, brauchen grosszügige und langwährende Unterstützung, damit sie allmählich das, was für uns selbstverständlich ist, zurückgewinnen können: ein Leben in Geborgenheit.
Es ist d r i n g e n d , dass auch Sie helfen!
Helfen Sie der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu helfen! (maw).
lies hierzu auch: “Effizienz ohne Gewinn – Gemeinnützige Organisationen klagen über sinkende Spendeeinnahmen”, Artikel erschienen am 21. Februar 1992 im CASH
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