“Asylgewährung soll ein friedlicher und humanitärer Akt sein, der von keinem Staat als unfreundlicher Akt betrachtet werden darf” – Die Asylgesetzrevision – Heilmittel in der asylpolitischen Krise?

“Asylgewährung soll ein friedlicher und humanitärer Akt sein, der von keinem Staat als unfreundlicher Akt betrachtet werden darf”

Die Asylgesetzrevision – Heilmittel in der asylpolitischen Krise?

 

Der Grundsatz, dass Asylgewährung ein friedlicher und humanitärer Akt bedeutet, findet sich in der der sogenannten OAU-Konvention, die 1969 vor dem Hintergrund von blutigen Kriegen und Verfolgungen mit Abermillionen von Flüchtlingen von 41 afrikanischen Staaten unterschrieben wurde, von denen die meisten zu den ärmsten Staaten der Welt gehören. Welcher Grundsatz gilt für die Schweiz? In den 1957 erlassenen “Grundsätzen für die Handhabung des Asylrechts” heisst es, das schweizerische Asylrecht sei “nicht bloss Tradition, sondern staatspolitische Maxime, Ausdruck der schweizerischen Auffassung von Freiheit und Unabhängigkeit”.

Grundsätze haben handlungsanweisende Bedeutung. Für die Schweiz steht – ganz unmissverständlich – nicht die durch humanitäre Grundregeln geforderte Freundlichkeit gegenüber Hilfesuchenden im Vordergrund, sondern das eigene staatspolitische Interesse, das sie mit der Wahrung von “Freiheit und Unabhängigkeit” begründet, das heisst mit dem Recht, Asyl zu gewähren oder nicht zu gewähren.

Nun aber sind gerade “Freiheit und Unabhängigkeit” angesichts der zunehmenden Komplexität in den politischen und wirtschaftlichen, europäischen und internationalen Abhängigkeiten und Verflechtungen in parallel zunehmendem Mass defensiv besetzte Worthülsen. Die sich beschleunigende Dynamik dieser Verflechungen einerseits, das vom schweizerischen Souverän ängstlich verteidigte Prinzip von “Freiheit und Unabhängigkeit” andererseits hat die Schweiz in eine staatspolitische Krise geführt, deren – populistisch geschürte – Zuspitzung sich in der Asylpolitik zeigt.

Das 1979 vom Parlament verabschiedete und seit dem 1. Januar 1981 geltende Asylgesetz wurde bereits mehrmals revidiert, das letzte Mal am 22. Juni 1990, als der dringliche Bundesbeschluss über das Asylverfahren (AVB) in Kraft trat. Zweck des AVB war, angesichts der wachsenden Zahl von Asylgesuchen und von Pendenzen die erstinstanzlichen Verfahren zu beschleunigen. Die Pendenzenberge konnten tatsächlich abgebaut werden, und die Asylgesuche reduzierten sich beträchtlich. Der dissuasive Zweck der ABV, die noch bis zum 31. Dezmber 1995 gilt, wurde erfüllt.

Seither hat das Parlament allerdings auf überstürzte Weise das in der Dezembersession 1993 vom Bundesrat – ebenfalls überstürzt – beschlossene Gesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht verabschiedet und damit der hängigen Revision des Asylgesetzes vor allem im Bereich des Vollzugs der Weg- und Ausweisung vorgegriffen. Über das definitive Inkrafttreten wird eine Volksabstimmung am 4. Dezember 1994 entscheiden. Leider sind im Zusammenhang mit Misständen im Betäubungsmittelbereich, mit Drogenkriminalität und Drogenmarkttourismus die Emotionen so angeheizt, dass eine klare staats- und menschenrechtliche Beurteilung der Gesetzesvorlage durch die Bevölkerung zum vorherein aussichtslos erscheint.

Welches sind die wichtigsten Rechtsverbesserungen, die im neuen Asylgesetz anzustreben sind?

Es handelt sich um Aenderungsvorschläge und Empfehlungen, die sie im Rahmen ihrer Vernehmlassung formuliert hat und die vor allem den Bereich des Verfahrens, der Asylgewährung und der Asylverweigerung der sogenannten “Schutzbedürftigen”, deren Rechtsstellung sowie die Fürsorge an Asylsuchende und Flüchtlinge betreffen. Einige wichtige Aspekte sollen hier zusammengefasst werden:

Der Hauptzweck der Asylgesetzrevision definiert sich durch die Erfordernisse, die sich aus den veränderten wichtigsten Flucht- und Asylgründen ergeben. Seit einigen Jahren steht zumeist weniger eine individuelle lebensbedrohende Verfolgung hinter einem Asylgesuch, sondern es sind in den meisten Fällen eher Kriegs-, Bürgerkriegs- und massive Repressionszusammhänge, welche die Vertreibung, Flucht und Aufnahmenotwendigkeit grosser Bevölkerungsgruppen nach sich ziehen. Heute schon sind Tausende von sogenannten “Gewaltflüchtlingen” in der Schweiz – aus Sri Lanka, aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, aus afrikanischen und aus weiteren Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten, deren Rechtsstatus überaus prekär ist. Für diese Menschengruppen sieht das neue Asylgesetz die Bezeichnung “Schutzbedürftige” vor.

Der Begriff ist in juristischer Hinsicht unpräzise, und die SFH verlangt in ihrer Vernehmlassung eine Präzisierung. Sie versteht darunter Menschen, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind, weil ihr Leben, ihre Sicherheit oder ihre Freiheit infolge einer Situation allgemeiner Gewalt, einer ausländischen Aggression, schwerer Menschenrechtsverletzungen oder anderer schwerer Störungen der öffentlichen Ordnung gefährdet sind und die aus diesen Gründen nicht in ihre Heimat zurückkehren wollen oder können.

Über die Aufnahme Schutzbedürftiger soll nicht der Bundesrat allein entscheiden. Eine Experten- und Expertinnengruppe, die aus Vertretern und Vertrterinnen des EDI, des EDA, des EJPD und der Hilfswerke zusammengesetzt ist, soll Aufnahmeanträge stellen können. Auch die Aufhebung der Schutzgewährung darf nur nach Anhörung einer Expertengruppe erfolgen. Im einzelnen Fall dürfen keine Nichteintretensentscheide getroffen werden, ohne dass eine persönliche Anhörung der Gesuchstellenden erfolgt ist. Das non-refoulement-Prinzip muss in jedem Fall beachtet werden. Den besonderen rechtlichen Aspekten bei frauenspezifischen Verfolgungssituationen muss unbedingt Rechnung getragen werden. Ebenso ist bei unbegleiteten Minderjährigen die Befragungssitutation und die Prüfung der Zumutbarkeit eines eventuellen Wegweisungsvollzugs dem Alter und der psychischen Belastbarkeit der Kinder anzupassen.

In Bezug auf die Rechtsstellung der “Schutzbedürftigen” sowie in Bezug auf die Fürsorgeleistungen sollen die gleichen Masstäbe wie für anerkannte Flüchtlinge gelten. Lediglich in den ersten drei Monaten des Aufenthalts sollen diese denjenigen für Asylsuchende angepasst werden. Dabei sind insbesondere die psycho-sozialen Erfordernisse eines eventuell längeren Aufenthalts in der Schweiz zu beachten. Das heisst, dass Fragen der Familienzusammenführung, der Einschulung von Kindern, der Ausbildung von Jugendlichen, der Erbwerbstätigkeit der Erwachsenen sowie der fachkundigen Betreuung bei psychischer und physischer Erkranung besondere Beachtung verlangen. Dies ist umso wichtiger, als der Status der vorläufig aufgenommenen Schutzbedürftigen auf Rückkehr ausgerichtet ist, und Rückkehrfähigkeit nur durch Förderung der psychischen und beruflichen Kompetenz der Flüchtlinge erhalten oder geschaffen werden kann.

Die SFH unterstützt zweifelsohne die vom Bundesrat gleichzeitg vorgesehen Massnahmen einer wirksamen Hilfe vor Ort sowie international koordinierter Aktionen zur Behebung der Fluchtursachen im Herkunftsland der Flüchtlinge.

Was die Fürsorgeleistungen an anerkannte Flüchtlinge betrifft, ist die SFH der Meinung, dass die Zuständigkeit beim Bund bleiben und nicht, wie im Gesetzesentwurf vorgesehen, an die Kantone übertragen werden sollte. Eine Vielzahl kantonaler Fürsorgestandards würde ohne Zweifel die Betreuungsarbeit bedeutend erschweren. Auch sollte das Know-how der Hilfswerke in der Betreuung und Integration der Flüchtlinge und deren gute Akzeptanz in der Bevölkerung nicht leichtfertig aufgegeben werden, zumal dem Bund daraus der Vorteil erwächst, in der SFH, dem Dachverband der Flüchtlingshilfswerke, eine einzige Ansprechpartnerin zu haben. Ebenso sollte die Frage der Pauschalierung der Untertützungsleistungen an anerkannte Flüchtlinge wie an Schützbedürftige nicht auf übereilte Weise entschieden werden.

 

Kritik am Gesetzesentwurf in formaler Hinsicht

Die Vorbereitungsarbeiten für den vorliegenden Entwurf erfolgten auf überstürzte und politisch massiv gestörte Weise. Das gleichzeitig unter massivem Öffentlichkeitsdruck formulierte und verabschiedete Gesetz über Zwangsmassnahmen wurde schon erwähnt. Es erstaunt daher nicht, dass der asylgesetzliche Revisionsentwurf unausgereift ist, zumal die Expertenkommission lediglich zu zwei wichtigen Problembereichen – zur humanitären Aufenthaltsbewilligung und zum Status für Gewaltflüchtlinge – Lösungen vorschlagen konnte. Zu anderen wichtigen Zusammenhängen – etwa zur Umgestaltung des Fürsorgerechts oder der Integration von Ausländerinnen und Ausländern – wurde sie nicht einmal konsultiert. Der Gesetzesentwurf ist daher in vielen Bereichen ein reiner Verwaltungsentwurf und entbehrt der fachkompetenten Abstützung. Angesichts der politischen Bedeutung, die der Totalrevision des Asylrechts zukommt, sollte der Gesetzesentwurf an die Expertenkommission zurückgewiesen und der noch in Kraft stehende dringliche Bundesbeschluss verlängert werden. Die übereilte Gesetzesarbeit der jüngsten Zeit kann das offensichtliche staatspolitische Malaise der Schweiz nicht verbessern, sondern verschlimmert es zunehmend. *

 

[1] Dr. phil. / Überlegungen im Auftrag der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH

 

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