Ein Schrifsteller unserer Zeit: Amos Oz

Ein Schriftsteller unserer Zeit: Amos Oz

Im Hechtplatztheater in Zürich am 4.Februar 1990

 

Als Vorspann für seinen Jüngsten Roman “Black Box” hat Arnos Oz ein Gedicht von Natan Altermann gewählt: “Das Weinen”. Es besteht aus drei Vierzeilern, die ich Ihnen vorlesen möchte: “Du aber wusstest, dass Nacht ist und kein Blatt da rauscht, Nur meine Seele krank vor Weh in die Stille lauscht, Und nur zu mir dein Weinen raubvogelgleich aufschiesst, Mich, mich allein zu verzehren beschliesst. Denn es kann sein, dass jäher Schauer mich durchzuckt, Und ich umherirr: hilflos, verloren, angstgeduckt, Weil deine Stimme aus vier Winden zu mir gellt, Wie des Lausbubs Ruf, der den Blinden zum Narren hält. Doch du verbargst dein Gesicht, sagtest nicht: schon gut, Und Dunkel erfüllte dein Weinen und Taubenblut, Inà dessen finsteren Weiten du dich verwobst mit bitterer Hand, Bis zum Vergessen, Vergehen, bis zum Unverstand”.

Warum dieses Gedicht als Vorspann? Warum diese trauervolle Vorbereitung zu einem spannenden Roman? Wir werden darauf kommen.

Vorerst aber: Wer ist Arnos Oz?

Er ist ein”Schriftsteller unserer Zeit”, sage ich. So einfach. Was ist damit gemeint? In einem seiner früheren Bücher – “Im Land Israel” (deutsch 1984) – gibt Arnos Oz ein Gespräch mit dem arabischen Redakteur und Publizisten Abu-Chaled wieder. Abu-Chaled arbeitet bei einer

Ost-Jerusalemer Zeitung namens “Al-Fagr” (das heisst “Morgenröte”), die Arnos Oz vom Geist her an eine frühe zionistische Zeitschrift gleichen Namens erinnert. Abu-Chaled sagt in diesem Gespräch: “Der Schriftsteller unserer Zeit muss alle Schreibstile vereinen können. Es gibt keine reine Literatur. Wenn der Schriftsteller sich vom Leiden und von den Nöten der Gesellschaft loslöst, ist das zwar auch ein Engagement, aber zugunsten des Bösen, zugunsten von Verbrechen und Unterdrückung”.

Amos Oz’ Auffassung vom Bösen hat mit dem Inhalt des vorausgeschickten Gedichts zu tun –  und mit dem Inhalt des Romans, mit dem wir uns heute befassen. Doch davon später. Vorläufig dies: Arnos Oz, dieser Mann aus dem Kibbutz Chulda, der seit einigen Jahren in Arad lebt, dieser Sohn zionistischer Einwanderer aus Odessa, der als Kind nach dem Willen seines Vaters keine andere Sprache ausser Hebräisch lernen durfte, damit er Israel nie verlassen könne, und dessen Bücher nun in 18 Sprachen übersetzt sind, dieser Kämpfer für “Peace Now” mit dem Prophetennamen, dieser Geschichtenerzähler mit dem langen Sprachatem, der von Werk zu Werk mit wachsender Virtuosität komponiert, der von der Klage zum “staccato” und zum “precipitato”  übergeht, um in einem “adagio” zu enden, er ist vor allem – nach Abu-Chaleds Definition – ein “Schriftsteller unserer Zeit”. Würde er nicht schreiben, denke ich, so würde er sich “mit unnachgiebiger Hand aus dem Leben gedrängt fühlen”, wie Franz Kafka seine Notwendigkeit schilderte, schreibend Zeugnis des “kleinen” und des “grossen” Lebens abzulegen, als Berichterstatter, als Kommentator und als Deuter dieses Lebens, in das hinein jeder und jede auf vielfältigste Weise vernetzt ist. Und da immer die Sprache Ausdruck und Vermittlungsträger dieser Vernetzung ist, bedeutet Schriftsteller sein, wie Arnos Oz einer ist, einen existentiellen Auftrag erfüllen. Dieser Auftrag ist nicht zufällig und beliebig, er ist Verpflichtung: Verpflichtung aus dem Wissen um die Unablösbarkeit der eigenen Existenz und ihrer Geschichte von der Zeitgeschichte, von der Geschichte des Volkes und des Landes. Das ist die Bedeutung von “Engagement”‚ wie Abu – Chaled es versteht und wie Arnos Oz es umsetzt: als Mensch unserer Zeit, als Jude, als Israeli und als Schriftsteller.

Um deutlich zu machen, was das heisst, wollen wir uns ein wenig näher mit “Blackbox” auseinandersetzen, mit diesem jüngsten Roman. “Wie nach einem Flugzeugabsturz haben wir uns hingesetzt und per Korrespondenz die Black Box ausgewertet”,  schreibt Alec Gideon an seine frühere Frau Ilana (mit der ihn ein Sohn verbindet, Boas), die er verstossen hat und die nun mit Michaei Sommo verheiratet ist. “Per Korrespondenz” wird die Geschichte einer Lebensreise ergründet und aufgearbeitet, in Briefen, welche grosse Distanzen zwischen Chicago, London und Jerusalem oder innerhalb Israels überbrücken und diese Distanzen so aufheben. Dabei ist nichts ohne Belang, nicht die Herkunft der Reisenden, nicht die Umstände des gemeinsamen Aufbruchs, nicht die Mitreisenden, weder Stationen auf der Reise noch Unterbrüche noch Störungen, nichts ist belanglos, weil es darum geht, dem Zusammenbruch der der gemeinsamen Reise auf die Spur zu kommen, die im Zusammenbruch jedoch gar kein Ende nahm, wie es schien, sondern die so eine Umkehr und eine Neuorientierung erfordert. Damit müssen Alec und Ilana fertigwerden, und nicht nur sie: auch Boas, der Sohn, der sich von den entzweiten Eltern und von den Zerstörungen, – die sie sich selbst und ihm zufügten, absetzt, der aber zunehmend über alle diese Zerstörungen hinauswächst und eine eigene Stärke entwickelt, mit welcher er den todkranken autoritären Gelehrten, der sein Vater ist, und die glückshungrige und sinnhungrige Frau, die seine Mutter, bei sich vereint und versöhnt; Boas, der sich auch von den Beeinflussungsversuchen des frommen Michael Sommo absetzt, Ilanas zweitem Ehemann, welcher immer stärker zum Repräsentanten einer antizionistischen reaktionären Orthodoxie wird, die sich auf Bibelsprüche abstützt, um bedenkenlos Expansionspolitik zu betreiben, die sich dem Dialog entzieht – dem politischen Dialog mit den Arabern, dem Lebensdialog und dem Dialog, wie er in den Briefen Ausdruck findet als einem Prozess zunehmender Nähe.

Es ist kein Zufall, denke ich, dass Arnos Oz die Briefform wählt für seinen jüngsten Roman. Auch in seinen früheren Werken sind die stärksten Passagen die des direkten Gesprächs, sowohl in den Aufsätzen aus “Im Land Israel” wie etwa im Roman “Der perfekte Frieden”: Denn was bedeutet das Gespräch? Dass ein Mensch einen anderen in seiner Ebenbürtigkeit wahrnimmt, dass dieser andere innehält und zuhört, dass sprechend und zuhörend zwei Menschen aufeinander eingehen und einander damit bestätigen, dass jeder –  als Subjekt – unübersehbar und unaustauschbar ist, notwendig und daher nicht auslöschbar. Dass damit über die Sprache – über das Ansprechen, Fragen und Antworten – Gemeinschaft entsteht, die der Zerstörung entgegenwirkt.

Das hat zutiefst mit dem zu tun, was für Arnos Oz Humanität bedeutet und was den Kern des Judentums ausmacht. Im Gespräch kann Angst überwunden werden – und was sind Briefe anderes als Gespräche, die über die Flüchtigkeit der gesprochenen Worte hinaus der Aufmerksamkeit Dauer verleihen-, im Gespräch kann Verstehen wachsen, da kann Gewalt verstummen, da wird die Isolation aufgehoben, in der Angst und Gewalt ihren Ursprung haben. In einem älteren Aufsatz, der den Titel trägt “Ueber Schatten, Licht und Liebe” schreibt Arnos Oz: “Das Böse lauert in Hass, Rache und Angst, in Erniedrigung und Stolz, in Verschlossenheit und im Wunsch, sich abzusondern und den Kontakt mit dem Rest der Menschheit abzubrechen. Hingegen verbirgt sich das Gute in Vergebung und Rücksichtnahme, in Verständnis und Ausgleich, im Bedürfnis, sich dem anderen zu öffnen, und auch in dem alten jüdischen Wunsch, den anderen den Weg zu zeigen”.

Es tut nichts zur Sache, dass Amos Oz diese Worte einem christlichen Mönch in den Mund legt, der aus der Stille des Lasariten-Klosters in Jerusalem die Menschen und den Staat Israel in ihrer zunehmenden Verhärtung beobachtet. Dabei gibt dieser nicht auf, Menschen und Land zu lieben. Ich denke, dass dies die Grundhaltung von Amos Oz widerspiegelt, das was ihn bewegt, “sich dem Leiden und den Nöten der Gesellschaft zuzuwenden”, wie Abu-Chaled sagt, sich eben nicht abzusondern und “reine Literatur” zu machen. Dass dies auch sein aktives Engagement in der Israel so belastenden und zersetzenden “Palästinenserfrage” bestimmt, die für Juden zuerst und immer eine jüdische Frage sein muss.

In Arnos Oz’ sind es stille Revolutionäre – Joni im “Perfekten Frieden”, Boas in “Black Box” -, die seine Stimme sind, unangepasste, aneckende, unintellektuelle, eigenwillige und zugleich sanfte Vertreter einer Generation, die Rechthaberei und Fanatismus ablehnen, die den Zionismus als Selbstverständlichkeit einer nationalen Zusammengehörigkeit erleben, die leere Phrasen durchschauen, die jede Verachtung anderer Menschen – der Araber etwa – als Verlust der Selbstachtung empfinden, die einfach in Frieden mit sich selbst und mit der wunderbaren, so bedrohten, so schnell zerstörten Welt leben wollen. Sie sind die Vertreter des geheimen revolutionären Prinzips, das die Angst löscht und das Böse stille legt. Sie bringen das zustande, was über den unerlösten Augenblick hinausweist und was Arnos Oz’ brennendstes Anliegen ist – auch und gerade in “Black Box”: Versöhnung aus “Verstand”, das heisst aus gelebter Liebe.

 

 

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