Für Lissy Funk zur Eröffnung ihrer Ausstellung in der Galerie Media in Zofingen am 24.November 1984
Für Lissy Funk zur Eröffnung ihrer Ausstellung in der Galerie Media in Zofingen am 24.November 1984
Liebe Lissy und Dölf,
liebe Herr und Frau Castiglioni,
liebe Eltern, liebe Freunde, sehr verehrte Damen und Herren!
Etwas von der Freude, die ich empfinde, diese Ausstellung eröffnen zu dürfen, möchte ich Ihnen in den nächsten Minuten vermitteln, Sie dabei jedoch nicht ungebührlich lange von der weiteren Betrachtung der Werke abhalten, derentwegen Sie ja gekommen sind und denen Ihre ganze Aufmerksamkeit gelten soll.
Diese Werke sprechen selbst eine unmissverständliche Sprache, die weder der Uebersetzung noch der Erläuterung bedarf. Dies alles stört nur. Lissy Furnks Teppiche wollen “nur” betrachtet sein. In diesem “nur” aber liegt vom Werk her eine Bereitschaft zum Dialog, der man sich schwer entziehen kann, weil die seidenen Fäden, die leuchtend leicht oder schwer sich zu einem Bild verdichten, das eigene staunende Herz schon als Element ihrer Ordnung angenommen haben. So erging es mir selbst vor ein paar Jahren, als ich das erste mal vor einem von Lissys Teppichen stand, und so ergeht es mir immer wieder. Damals aber, das war im September 1980, da besuchte ich eine Gruppenausstellung von Zürcher Künstlerinnen im Foyer des Zürcher Kunsthauses, die mir gesamthaft als belanglos in Erinnerung geblieben ist bis auf ein Werk: Lissy Funks Teppich, der “In memoriam” hiess. Davor musste ich stille stehen und stille werden, den Atem anhalten, Abstand nehmen, um wieder von neuem schauen zu können. Da war keine Flüchtigkeit des Schauens möglich, kein Entweichen, das war eine echte Begegnung, eine Berührung. Ich spürte, dass hier ein ungewöhnliches Wissen und Können Ausdruck gefunden hatten:
das Wissen um Zusammenhänge, um die Wechselwirkung zwischen dem tragenden Ganzen und dem einzelnen, scheinbar unwichtigen, kleinen Element in jenem Netzwerk, das einmal als gottgeschaffene Natur, einmal als menschgeschaffene Geschichte erscheint, und dessen verbindende Kraft so oder so die Liebe ist; und ein Können, welches die Tücken und Hürden der Ausdruckstechnik längst hinter sich gelassen hatte: ja, das war Kunst! Das ist Kunst!
Nun, die Ueberzeugungskraft von Lissy Funks Werken kommt nicht von ungefähr. Sie ist ein Ergebnis, ein für sie immer wieder neu zu schaffendes. Vielleicht liegt in der Unabgeschlossenheit des Anspruchs, den die Künstlerin an sich selbst stellt, schon ein Teil der Qualität ihres Werks. Doch wir wollen nicht deuten, nur schildern. Als Lissy Funk mit 18 Jahren zu sticken anfing, da hatte sie schon manches bestanden: Abschied, Trennung, Ungewissheit, Entwurzelung, Neuanfang. Berlin hatte sie hinter sich lassen müssen und mit der Stadt die für das Kind noch selbstverständliche häusliche Geborgenheit, in der Kunst zum Ambiente gehörte, als Kunstwissenschaft von des Vaters Seite her, als Sensibilität für die schöne Gestaltung des Raums von der Mutter Seite her; die Ausbildung bei Mary Wigman musste sie abbrechen und arbeiten, körperlich arbeiten, um sich selbst den weitern künstlerischen Weg zu ermöglichen. Jeder Schritt, den sie machte, war eine Herausforderung an ihren Mut, jeder war eine Leistung ihrer Versöhnungskraft und ihrer Lebensbejahung. Jeder war ein Gewinn. Aus den privaten Erfahrungen lernte sie, dass auf der Waage der Gefühle das Verbindende mehr Gewicht hat als das Trennende; die Uebersiedlung in die Schweiz brachte ihr das Erlebnis des Mendrisiotto, die Musikalität und Wärme südlicher Landschaft; in der Tanzausbildung erfasste sie die Bedeutung von Mass und Rhytmus, die Bedeutung von Disziplin. So wurden alle Erfahrungen, auch die negativen Erfahrungen, Bausteine in einem immer reicheren Lebensgefüge.
In diesem Lebensgefüge gibt es feste Pfeiler. Ueber ihren Glauben zu sprechen, getraue ich mich kaum; er gibt ihr die Sicherheit zeit- und raumübergreifender Sinnhaftigkeit; er ist für sie eine Quelle der Kraft. Von ihrem Mann aber möchte ich sprechen und von ihrer Familie. Adolf Funk ist ein ihr ebenbürtiger Künstler, ein bedeutender Maler und ein “goldrichtiger” Mensch, der Lissy an Güte und Wärme in nichts nachsteht. Seine untrügliche Beobachtungsgabe und sein unbestechliches Urteil sind sprichwörtlich. Sie haben nicht zuletzt mit der Feinheit und Unverfälschtheit seiner Nähe zur Natur zu tun, zur Natur von Nidau, aus der er gewachsen ist und die er sich im Herzen erhalten hat.
Lissy und Adolf Funk haben einander nicht nur seit bald fünfzig Jahren begleitet, sondern sich gegenseitig auch einen Freiraum für die je eigene Entfaltung gelassen, der den andern nie ausschliesst, sondern in der Liebe, nie aber in der Unterwerfung einschliesst. Zu ihrem Gemeinsamen, weniger als Aufgabe denn als Freude (und Freude lässt sich ja geradezu als Bejahung der Wirklichkeit definieren), zur gemeinsamen Freude gehören zuerst und unablösbar die Kinder, Rosina und Christian, und mit ihnen – dank ihnen – seit Jahren nun schon die Grosskinder. Auch dieser “Einschluss” verwirklicht sich zugleich als Nähe und.als Freiheit, im offenen Raum des Respekts vor dem Weg eines jeden, ohne Possessivität und ohne Willkür. Diesem privaten Zusammenhang Geltung zu verleihen, ist nötig. Er hat in starkem Mass mit Lissy Funks Kunst zu tun. Er trägt sie mit, und andererseits verstärkt er die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage.
Für diese Aussage offen zu sein, sich damit auseinanderzusetzen, dazu lade ich Sie erneut herzlich ein. Denn auch Sie als Betrachter haben Ihre mitschöpferische Aufgabe in der Konstitution des Kunst-werks.
Ein letztes Wort sei ein Wort des Danks: Zuerst und vor allem an Lissy Funk, “the grand old lady of needlework”, wie sie in Amerika heisst, von uns geliebt und bewundert; dann an die freundlichen Veranstalter der Ausstellung; sodann, das möchte ich auf besondere Weise betonen, an all die fleissigen, geschickten, geduldigen Hände, welche Lissy Funk in der Ausführung ihres Werks assistieren; und zum Schluss, nun wirklich zum Schluss, an Sie für Ihr Kommen und für Ihre Aufmerksamkeit!