Antirassismus – ein Programm in der Krise? – Schlusswort zum Seminar des Forums gegen Rassismus am 27. 2. 1995

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Antirassismus – ein Programm in der Krise?

Schlusswort zum Seminar des Forums  gegen Rassismus  am 27. 2. 1995

 

Zum Abschluss  des heutigen Seminars liegt mir in erster Linie daran, Ihnen für Ihre Mitarbeit zu danken, sowohl  den Referentinnen wie den Teilnehmenden.  Es ist nicht selbstverständlich, nach einer arbeitsreichen Woche  den freien Samstag  der politischen  Bewusstseinsarbeit zu widmen.  Umso wichtiger erscheint  es mir, Ihnen in diesen letzten  zehn Minuten noch  ein paar Fragen und Überlegungen mitzugeben,  die mich seit dem Plebiszit vom vergangenen 25. September beschäftigen und die mir zum Teil schon all die Monate  vorher,  sowohl im Lauf meiner Auseinandersetzung mit der schweizerischen Öffentlichkeit wie innerhalb  des Forums, Kopfzerbrechen bereiteten.  Warum  zeigte  das Abstimmungsresultat vom 25. September eine so zögerliche,  eine so schwache und unüberzeugende Zustimmung  zu einer verfassungsmässigen Verankerung der Absage  an Rassismus  und Antisemitismus? Muss  aus dem Resultat  geschlossen werden,  dass die Hälfte  der Schweizer Bevölkerung  rassistisch  ist? Was aber heisst aber im heutigen  Zusammenhang “rassistisch”? Und ist das Nein zur UNO- Konvention der Hälfte  der Bevölkerung von den gleichen Motiven  getragen wie die rassistischen Diskriminierungen,  die nun dank des knappen  positiven  Abstimmungsausgangs auch in der Schweiz  strafrechtlich geahndet werden  können?  Oder, diesselbe Frage,  anders gestellt: Wogegen wollten  wir uns abgrenzen,  als wir uns 1991  als Forum  gegen Rassismus konstituierten? Wogegen grenzen wir uns heute  ab? Und warum ist es selbst für etliche Mitglieder  des Forums  nicht ein dringenderes Anliegen,  für ein engagiertes,  öffentlich und politisch  spürbares  antirassistisches Programm einzutreten,  warum leisten sie nicht wenigstens ihren finanziellen Beitrag  pünktlich  und grosszügig, warum lassen sie zu, dass das Forum buchstäblich zu verserbeln droht,  statt dass ihnen an einer starken und aktiven Vemetzung der antirassistischen Kräfte gelegen ist? Ist der Antirassismus als Programm in der Krise?

Als ich im Vorfeld der Abstimmung im Land herumreiste und an vielen öffentlichen Diskussionen teilnahm, bestätigte sich mir, was über  die Medienbereichterstattung eigentlich bekannt  ist:  dass die Ablehnung  von verbaler und handgreiflicher Gewalt gegen Fremde und gegen Angehörige von Minderheiten tatsächlich nicht von der Mehrheit  geteilt wird.  Woraus aber nährt  sich diese Gewalt? Nährt  sie sich aus den gleichen weltanschaulichen und politischen Quellen, aus welchen  die nationalsozialistischen und faschistischen Verbrechen getan wurden, aus jener  generalisierten Menschenverachtung, die sich damals durch pseudowissenschaftlich behauptete biologische Superiorität einen Anschein  der Rechtfertigung gab? Geht es heute um den gleichen Rassismus?

Schon  1945 hatte  der Anthropologe und Ethnologe Claude Levi-Strauss im Auftrag  der UNESCO ein Gutachten erstellt,  das unter  dem Titel “Rasse und Geschichte”  veröffentlicht wurde und in dem er die unhaltbare Absurdität der Rassentheorien nachwies,  insbesondere die Absurdität der von den Nationalsozialisten behaupteten Deduktion von individuellen und kollektiven  Eigenschaften aus der Rassezugehörigkeit oder von bestimmten Zivilisationsentwicklungen aus der Vermischung oder Nichtvermischung von Rassen. Anscheinend  bedurfte  die Weltöffentlichkeit dieses Gutachtens,  um die rassistische Barbarei auch in ihren theoretischen Quellen zu verurteilen.  Zwar  durften diese Theorien anschliessend nicht mehr an den Universitäten und an den Schulen gelernt und offen vertreten werden, aber in anderer Form und unter  anderen politischen  Vorzeichen gingen die Diskriminierungen und Ausgrenzungen von Minderheiten weiter.  Menschen jeden  Alters wurden  weiterhin wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Lebensstils  oder ihrer Religion geplagt,  verfolgt oder sogar getötet.

1971 verlangte die UNESCO von Claude Levy-Strauss nochmals  ein Gutachten,  das wiederum veröffentlicht wurde  (deutsch in:  “Der Blick aus der Ferne”,  Frankfurt  a.M.  1993).  Der Wissenschafter musste feststellen,  dass scheinbar  alle Aufklärungsbemühungen nichts gefruchtet hatten.  Ende  der sechziger und Anfang  der siebziger Jahre richtete  sich die Wut  der etablierten  Gesellschaft  gegen die eigene Jugend, gegen die langhaarigen “Blumenkinder”, gegen die “linken” Rebellen und Rebellinnen.  Levy-Strauss fragte sich, ob die Verfemungen und Ausgrenzungen,  die Prügeleien durch die Polizei und die Fichierungen in den Staatssicherheitsdiensten mit den gleichen Motiven zu tun hatten,  die dem Rassismus zugrundelagen.  Ging es nicht auch um die aggressive,  feindselige Abwehr  von etwas, was eigentlich gar nicht  so sehr “anders” war,  aber doch als unerträglich “anders” und daher als bedrohlich,  als störend, als zu bekämpfen, wenn nicht gar als zu eliminieren deklariert  wurde? (Auch die Juden,  die in den dreissiger und vierziger  Jahren in Frankfurt oder in Berlin, in Wien oder anderswo  lebten, waren je nicht so seht· “anders”,  sondern wurden  als unerträglich “anders”  deklariert).

Liegen, im Anschluss  an Levy-Strauss,  die gleichen Motive auch der sogenannten “Ausländerfeindlichkeit” zugrunde,  die sich bei uns seit dem Ende  der fünfziger  Jahre gegen immer neue  Gruppen  von Menschen richtet?  Geht es wirklich um “Ausländer”feindlichkeit? Warum blieben zum Beispiel Amerikaner und Amerikanerinnen davon unbehelligt? – ebenso die Abertausenden japanischer Touristen und Touristinnen, die sich u.a.  in der Schweiz  aufhalten? Neulich wurde in der Presse  ein Überfall deutscher Jugendlicher auf einen jüngeren  schwarzen Amerikaner bekannt.  Vor Gericht  sagten die Jugendlichen  aus, dass sie ihn nicht zusammengeschlagen hätten,  wenn  sie gewusst  hätten,  dass er Amerikaner sei, sie hätten  eben gemeint,  er sei ein afrikanischer  Asylbewerber.  Liegt hier eventuell  ein Ansatz  für eine Erklärung? Richten  sich Abwehr und Wut gegen  die Hilfsbedürfitgkeit,  gegen die Armut, gegen Schwachheit und Not? Aber falls dies so ist, warum?

Was erscheint  als gefährdet und bedroht,  sei es durch das, was als unerträglich “anders” deklariert wird, sei es durch fremde Armut und Hilfsbedürfigkeit? Was ist es, das sich in verbaler  oder gar in brachialer  Gewalt Ausdruck schafft, wenn Asylsuchende, jüdische Kinder, Jugendliche  oder alte Männer,  Zigeuner, Homosexuelle oder andere Menschen,  die durch ihr Aussehen  oder durch ihren Lebensstil  auffallen, angegriffen, geschlagen  oder gar getötet werden?  Was macht  diese gefühllose,  böse Wut,  diese pauschalierende Brutalität aus?

Ich frage mich, ob es nicht die eigene ausweglose Frustration derjenigen ist, die ausgrenzen und angreifen, die Frustration über  das eigene glücklose,  freudlose  und sinnentfremdete Leben, ein Leben,  das durch vielfache Ängste  wie zubetoniert ist, durch Besitzverlustängste, Zukunftsängste, Berührungsängste, durch Ängste,  die durch Erfahrungsverluste entstehen  und durch andere mehr? Liegt nicht in der – scheinbaren  – Ausweglosigkeit dieser Frustration der tiefste Grund für ein Verhalten und Handeln,  das als Rassismus  in Erscheinung tritt?

Falls diese Annahme  zutrifft, liesse sich dadurch nicht die zögerliche,  unwillige Reaktion eines grossen Teils der Schweizer Bevölkerung der Antirassismus-Vorlage gegenüber erklären? Und kennzeichnet nicht hilflose Frustration  die meisten Abstimmungsresultate  der letzten Jahre, die offenere, partizipativere Modelle der politischen und gesellschaftlichen Realität verhinderten, Frustration  darüber,  dass es eigentlich nichts zu verteidigen gibt ausser die eigene freudlose Eingeschlossenheit? – respektive das, was als “das typisch Schweizerische” bezeichnet wird und das sich letztlich vor allem negativ definiert, nämlich durch ängstliche Abwehr all dessen, was als “anders” und daher als bedrohlich deklariert wird? Wer aber lässt es zu,  dass diese angstbesetzte Verteidigung  “des Schweizerischen” (in Deutschland “des Deutschen”, in Österreich  “des Österreichischen”, in Frankreich “des Französischen” etc.) als Reduktion auf zu verteidigende Bestände  der Lebensfrustration durchschaut  und benannt wird? Dies hiesse ja eingestehen, dass Rassismus gar nichts mit dem ( oder den) Andern,  den Fremden zu tun hat, sondern dass dessen Quelle in den eigenen Frsutrationen zu suchen ist.

Hat die Krise des Antirassismus nicht mit dieser schwierigen Selbstbefragung zu tun, letztlich mit der Frage nach dem eigenen Lebenssinn,  dem eigenen Lebensglück  oder nach den Gründen des Mangels?  Und hängen  Respekt vor der Differenz  jedes  Menschen und zugleich vor  dem je gleichen Recht  auf Lebensglück, mit anderen Worten,  hängen  die Bedingungen für ein antirassistisches Verhalten und Handeln  nicht vom Resultat  dieser Selbstbefragung ab?

Antirassismus als Programm kann nur dann das gesellschaftliche und politische  Leben verändern, wenn diejenigen,  die sich dazu bekennen,  mehr verteidigen als ihre eigenen Ängste und ihre eigene Frustration. Antirassismus ist ein Programm der Generosität.  Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit,  bei sich selbst die gleiche Grundbedürftigkeit zu erkennen,  die jede Existenz prägt.  Das heisst  zugleich  eingestehen,  dass niemand,  auch nicht die eigene Person, von der Tatsache  ausgenommen ist, dass sie für die Erfüllung  aller lebenswichtigen Bedürfuisse auf andere Menschen angewiesen und von deren Respekt  abhängig ist, dass sie mithin gleichermassen verpflichtet ist, die Grundbedürfuisse der anderen Menschen zu respektieren und zu erfüllen.  Diese Einsicht  in die Reziprozität von Grundbedürfuissen und Grundverpflichtungen könnte  viel dazu beitragen,  der individuellen  – und kollektiven  – Frustration entgegenzuwirken, dieser “zunehmendenVerlassenheit,  die die modernen Menschen so leicht in die totalitären Bewegungen jagt” (Hannah Arendt),   um dadurch  einem Modell  der zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Generosität Raum zu lassen, in welchem  eine gewaltfreie  politische  Praxis  entstehen könnte.

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