Stellungnahme der Redaktion zu Handen der Unabängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen – Beschwerde (Einzelbeschwerden/Zeitraumbeschwerde) von Hans R. Bachofner vom 30. 12. 1995 betreffend zwei Sendungen der “Sternstunden Philosophie”
Stellungnahme der Redaktion zu Handen der Unabängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen
Beschwerde (Einzelbeschwerden/Zeitraumbeschwerde) von Hans R. Bachofner vom 30. 12. 1995 betreffend zwei Sendungen der “Sternstunden Philosophie“
1. Ordnung im Namen Gottes. Christliche Staatslehren und deren Auswirkungen (17. 9. 1995)
2. Ordnung muss sein! Wurzeln und Ableger des Rechtsradikalismus (24. 9. 1995)
Dr. Erwin Koller, Redaktionsleiter Religion und Kultur, SF DRS, hat bereits am 28. 11. 95 zur Beschwerde Stellung genommen. Diese Stellungnahme deckt auch die wesentlichen Argumente der Beschwerde vom 30. 12. 95 ab. Einige Ergänzungen fügt die redaktio nell mitverantwortliche Dr. Maja Wicki im folgenden bei, mit voller Unterstützung des Redaktionsleiters.
Ergänzungen zu unserer Stellungnahme vom 28. 11. 1995
1. Zum Vorwurf der Verfassungsbrüchigkeit der in die Debatten einbezogenen Parlamentarierinnen und Parlamentarier
Die erneute Beschwerde vom 30. 12. 1995 des Beschwerdeführers Hans R. Bachofner enthält keine inhaltlichen oder formellen Beschwerdegründe, die nicht durch die Stellungnahme der Ombudsstelle DRS vom 4. Dezember 1995 entkräftet und widerlegt worden wären. Die erneute Behauptung, es habe sich bei den beanstandeten Sendungen nicht um die von uns angestrebte “qrundlegende politische Orientierunq” über die philosophischen Konzepte und weltanschaulichen Hintergründe der in der Schweiz massgeblichen politischen Parteien und Bewegungen gehandelt, sondern um einen “reinen Etikettenschwindel”, können wir nur durch erneuten Verweis auf unser Konzeptpapier vom 19. September 1995, auf den Wortlaut der Sendungen (gemäss VHS Kassetten), das Urteil des Publikumrats vom 6. November 1995 sowie auf die Stellungsnahme des Ombudsmanns, Herrn A. Hänsenberger, vom 4. Dezember 1995 verweisen.
Die erneute Bezichtigung der bei den Sendungen beteiligten Parlamentariern und Parlamentarierinnen als “Verfassunqsbrecher” grenzt an Ehrverletzung, und die trotz genügender Widerlegung erneute Fokussierung der Sendungen auf die Frage der Ausländerpolitik kommt einer pathologischen Apperzeptionsverweigerung nahe. (Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das bei extremen und/oder fundamentalistischen Personen immer wieder anzutreffen ist, indem diese komplexe Zusammenhänge monokausal erklären. Die Wahrnehmung und erkenntnismässige Verarbeitung der pluralen Elemente und Faktoren bei der Entwicklung bestimmter gesellschaftlicher und politischer Erscheinungen wird konsequent verweigert.).
Bei Hans R. Bachofners Beschwerde geht es um die Erscheinung des Rechtsextremismus, für dessen Zustandekommen er auf einseitige und ausschliessliche Weise die ‘verlassungsbrüchige Ausländerpolitik” der CVP, FDP und SPS verantwortlich macht, wobei er sich beim Vorwurf des “Verfassunqsbruchs” auf Art. 69ter BV und auf den parlamentarischen Amtseid beruft.
Obwohl die Ausländerpolitik nicht Thema unserer Sendungen war (siehe unten II. und 111.), drängen sich einige zusätzliche Richtigstellungen und Erläuterungen auf.
1 1 . Der Amtseid kann in einer säkularisierten, pluralistischen Gesellschaft nicht als Bekenntnis zum Christentum ausgelegt werden, sondern als formale Zustimmung zu einem ritualisierten Amtsantritt. Die Legitimation der Mitglieder des National und Stände rats erfolgt nicht durch den Wortlaut der Eidesformel, sondern durch die Tatsache ihrer Wahl durch den Souverän. Bachofners Behauptung, lediglich die Mitglieder der SD, der FP (ehemals Autopartei) und eventuell der SVP seien infolge ihrer Parteinahme für eine restriktive Ausländerpolitik verfassungsmässig legitimierte Parlamentarier, ist schlicht absurd.
1 2. Die noch gültige BV ist, wie hinlänglich bekannt, seit Jahrzehnten veraltet. Die Totalrevision wurde nun durch den vom Bundesrat vorgelegten Revisionsentwurf in die Wege geleitet und soll 1998 abgeschlossen sein, nachdem die Revisionsarbeiten in den siebzi ger Jahren scheiterten. Der von 1930 stammende Ausländerartikel 69ter, auf den sich Hans R. Bachofner ständig beruft, kam infolge der damaligen gesamteuropäischen und schweizerischen Wirtschaftskrise und der sich verhärtenden nationalistischen Tenden zen der Zwischenkriegszeit zustande. Er fällt im vorliegenden Verfassungsentwurf weg und wird er durch Art. 100 ersetzt. Dieser lautet: “Die Gesetzgebung über Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern sowie über die Gewährung von Asyl ist Bundessache.
Die Entscheidung über Aufenthalt und Niederlassung treffen die Kantone, soweit es das Bundesrecht vorsieht.
Der Bund kann Ausländerinnen und Ausländer aus der Schweiz ausweisen, wenn sie die Sicherheit des Landes qefährden.”
1 3. Die Tatsache der relativ hohen Ausländerquote in der Schweiz hat, wie dies die offiziellen Statistiken nachweisen, nicht mit einer besonders hohen Einwanderungsquote zu tun, sondern vor allem mit der harzigen, kleinlichrestriktiven Einbürgerungspolitik der Schweiz, die, im Gegensatz zu den meisten übrigen europäischen und nichteuropäischen Ländern, Menschen auch nach jahrzentelangem Aufenthalt, während dem sie alle sozialen Pflichten erfüllen (Steuern, AHVBeiträge etc.), von den politischen Rechten ausschliesst, häufig selbst deren Kinder und Kindeskinder, die in der Schweiz geboren sind.
- I Zum Vorwurf der Verschweigung der “wahren” Gründe für das Entstehen des Rechtsextremismus in den beanstandeten Debatten
Die durch den Beschwerdeführer gepflegte Begriffsunklarheit trägt viel zur Pauschalanklage gegen unsere zwei Sendungen sowie gegen die ebenfalls angefochtenen “Arena”- und “Rundschau”-sendunqen bei. Die Hinfälligkeit der Beschwerde mag sich durch eine Begriffsklärung von selbst zeigen.
- II. 1. Ausländerpolitik: Betrifft die gesetzlichen Bestimmungen und Massnahmen, welche die Rechte und Pflichten der nichtschweizerischen Bevölkerung regulieren (Niederlassung, Arbeitsbewilligung, Einbürgerung etc.).
- II. Einwanderungspolitik: Betrifft die gesetzlichen Bestimmungen und Massnahmen, welche die Einreise, Zulassung, Niederlassung, Rechte und Pflichten von Ausländern und Ausländerinnen regulieren, die vor allem aus Beschäftigungs und Arbeitsgründen in die Schweiz einreisen möchten.
- II. Asyl und Flüchtlingspolitik: Betrifft die gesetzlichen Bestimmungen und Massnahmen, welche die Zulassung, den Aufenthalt, die Rechte und Pflichten von Ausländern und Ausländerinnen regeln, die aus politischen Gründen, aus Gründen der Verfolgung, Vertreibung und lebensbedrohender Gewalt, wegen Krieg, Bürgerkrieg und ökologi schen Katastrophen Schutz und befristete oder unbefristete Lebensmöglichkeiten in unserem Land suchen.
- II. Rechtsextremismus: Betrifft politische Theorien, Programme, Gruppierungen und Handlungen, denen antifreiheitliche, antipluralistische, widerspruchsängstliche und ord nungszentrierte Konzepte oder Weltbilder zugrunde liegen. Sie sind geprägt durch starke Führungs- und Unterwerfungsstrukturen, bei denen die Urteils- und Handlungsverantwortung an die “Führer” delegiert werden, deren Meinungen, Entscheidungen und Weisungen “Wahrheit” und “Richtigkeit” zugebilligt werden. Mit den demokratischen Regeln, die auf pluralistischen, auch widersprüchlichen freien Meinungs- und Entscheidungsprozessen beruhen, haben sie Mühe. Klare Feindbilder, eindeutige Schuldzuweisungen, Sündenbocktheorien, Selbstdarstellungen als Opfer der alleinrichtigen Gesinnung sind charakteristisch.
- I 5. Reaktionäre Politik: Vertretung von konservativen, rückwärtsgewandten, die Vergangenheit verherrlichenden, veränderungsängstlichen und hierarchiefixierten Lebens- und Gesellschaftsmodellen, die zumeist ständische und geschlechtsspezifische Vorrechte gegen die Forderungen nach sozialem Ausgleich, nach Gerechtigkeit in den Bildungs-, Aufstiegs- und Lohnstrukturen und nach gleicher politischer Partizipation verteidigen.
- II. Rassismus: Theorien, Meinungen, Programme und Handlungen, die mit der Beeinträchtigung, Minderachtung, Verunglimpfung, Verfolgung und Ausgrenzung von Menschen wegen bestimmter individueller oder Gruppeneigenschaften einhergeht, sei dies deren Hautfarbe, Aussehen, nationale Herkunft oder Religion. Der Begriff der biologischen “Rasse” wurde im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert zum politischen Instrument, das auf pseudowissenschaftliche Weise mit Hilfe der Soziologie, der Medizin, der Ethnologie und Völkerkunde, der Psychologie (der sog. Charakterkunde), der Rechtsprechung etc. zur pauschalen Minderwertigkeitserklärung, Verfolgung, Ausgrenzung und Vernichtung von Millionen von Menschen gebraucht wurde.
Trotz der Kenntnis der nationalsozialistischen Verbrechen ist der Rassismus nach wie vor ein Instrument der gesellschaftlichen Diskriminierung, auch in unserem Land, ob er sich gegen Behinderte, gegen sozial auffällige Menschen (Clochards, bis vor kurzem Homosexuelle etc.), gegen einheimische Minderheiten (Juden, Jenische, Fahrende) oder gegen Ausländer richte, die Sündenbockfunktionen übernehmen müssen (in jüngster Zeit zuerst die Tamilen, dann die Kosovoalbaner, die “Jugoslawcn” überhaupt, die Türken).
- II. 7. Antisemitismus: Der ausschliesslich gegen Juden gerichtete Rassismus
- II. Fremdenfeindlichkeit: Zumeist von wirtschaftlichen Ängsten genährte, politisch instrumentalisierte Haltung des Misstrauens, der Abwehr, ja sogar der Gewaltlegitimation gegenüber Ausländern und Ausländerinnen, häufig ausschliesslich auf Grund von Feindbild und Sündenbockbezichtigungen. Interessanterweise sind Bevölkerungsschichten, die Kontakte mit Ausländern und Ausländerinnen pflegen, die Kenntnisse über deren Herkunftsbedingungen und aktuelle Lebensbedingungen haben, weniger für Fremdenfeindlichkeit anfällig, wie die Stadt/LandStimmenverteilung bei einschlägigen eidgenössischen Abstimmungen zeigt (Überfremdungsinitiative, erleichtere Einbürgerung, Antirassismusgesetz, Zwagsmassnahmen im Ausländerrecht etc.).
III. Folgerungen aus II. für die Hinfälligkeit der Beschwerde
Auf Grund der unter II. gemachten Begriffsklärungen zeigt sich, dass es bei den beanstandeten Sendungen “Stermstunden Philosophie” vom 17. und vom 24. September nicht um die von Hans R. Bachofner zum Beschwerdegrund gemachte Ausländerpolitik ging, sondern um die Ausleuchtung und Erklärung reaktionärer, rassistischer (im spezifischen Sinn auch antisemitischer) und fremdenfeindlicher Tendenzen bei gewissen christlichkonservativen Entwicklungen vor Allem in der jüngsten Vergangenheit sowie um die Analyse rechtsextremer Programme, Bewegungen und Strategien. Seine Beschwerde wird allein schon hinfällig durch die Tatsache der materiellen Nichtübereinstimmung von Sendethema und Beschwerdethema.
- IV. Zum Pauschalvorwurf der Desinformation durch die Medien, im speziellen durch die Sendungen von SF DRS
Was die Ausgewogenheit und Sorgfalt bei der Durchführung aller fünf “Sternstunden” zu den philosophischen Hintergründen der massgeblichen schweizerischen Parteien und politischen Bewegungen betrifft, die zum Zweck einer breiten, fundierten, nicht durch aktuelle Emotionen geleitete Information der Wähler und Wählerinnen mit Absicht im Vorfeld der Nationalrats und Ständeratswahlen vom 22. Oktober 1995 angesetzt wurden, ist auf unter 1. aufgeführten Dokumente zu verweisen. Die von Hans R. Bachofner wiederholt formulierten Pauschalvorwürfe der tendenziösen Information durch die Me dien, insbesondere durch SF DRS, ist Ausdruck der unter 1. und II. festgestellten Verengung des Standpunkts, der Selbstdarstellung des Beschwerdeführers als Opfer und der damit verbundenen, scheinbar eindeutigen Feindbildkonstruktion.
Zürich, 6. Februar 1996 / Dr. Maja Wicki, Redaktorin „Sternstunden”
Beilagen:
Stellungnahme Dr. E. Koller vom 28. 11. 1995
Konzept der Sendereihe vom 19. 9. 1995
Stellungnahmen des Publikumsrats vom 19. 10. und vom 6. 11. 1995
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