Was haben das Theater und 150 Jahre Schweizerischer Bundesstaat miteinander zu tun?

Was haben das Theater und 150 Jahre Schweizerischer Bundesstaat miteinander zu tun?

 

Als 1848 die – heute noch gültige – Schweizerische Bundesverfassung zustandekam, deren Revision 1998 abgeschlossen sein soll, war in ganz Europa, auch in der Schweiz,  ein verworrenes Auf und Ab politischer Erregungen, blutiger Aufstände und Kriege vorausgegangen: in Paris die Februarrevolution, die Abdankung des Bürgerkönigs, dann einige Monate später die Juni-Revolution und die Ausrufung der Zweiten Republik; in Italien blutige Unruhen in den Städten, die in die sog. “Guerra Santa” einmündeten, die zur Flucht Garbaldis in die Schweiz führten und die dem Kirchenstaat, aber auch Sardinien, Neapel und der Tscana Verfassungen bescherten; in Deutschland und in Österreich, vor allem in Wien und in Berlin, aber auch in Baden und in Sachsen, war es – im Anschluss an die Französische Februarrevolution – nach vorausgegangenen Unruhen zur Märzrevolution gekommen, bei der es sowohl um die nationale Einigung wie um die Forderung nach liberalen Freiheiten, insbesondere nach Presse- und Vereinsfreiheit, ging; in der Schweiz schliesslich spitzten sich die unterschiedlichen demokratischen und ständischen Bewegungen in den liberalen und konservativen Kantone im Sonderbundskrieg zu, der in der Schlacht bei Gisikon unter General Dufour zum Glück schnell entschieden wurde, worauf die Schweiz beschloss, sich eine einigende Verfassung nach amerikanischem Vorbild zu geben, die Verfassung des Schweizerischen Bundesstaates, die sowohl die föderalistische Struktur des Landes, die demokratische Gewaltentrennung, die Handlungsfähigkeit der Regierung sowie die wichtigsten politischen Rechte der Staatsbürger – noch nicht der Bürgerinnen – im Sinn eines Friedensprojekts garantierte. Damit wurde der öffentliche Raum als Raum der Freiheit geschaffen, in dem die Kultur im demokratichen Sinn, das heisst als Partizipationsmöglichkeit für die gesamte Bevölkerung und nicht bloss für bestimmte Stände und Schichten, sich entfalten konnte. Die Gründung von Stadttheatern überall in der Schweiz war eine Folge dieses neuen demokratischen Kulturverständnisses.

Welches ist die kulturpolitische Bedeutung des Theaters? Seit der griechischen Antike hatte die das Theater die Funktion, einerseits Herrschaftskritik zu üben, andererseits dem Publikum auf unterhaltende, das heisst auf ergreifende oder auf witzige Weise Klugheit beizubringen, resp.über die Darstellung von gesellschaftlichen und privaten Konflikten, von persönlichen Defekten oder von fehlerhaften Entscheiden die Folgen mangelnder Klugheit vorzuspielen. Gotthold Ephraim Lessing, der Dichter, Philosoph und Theaterkritiker  des 18. Jahrhunderts, hielt fest, dass “die Schaubühne der Griechen (…) ihr Augenmerk auf den Unterricht der Bürger, in Ansehung der politischen Angelegenheiten der Regierung, gerichtet” habe, dass die Tragödie, Aristoteles zufolge, Mitleid und Schrecken erregen solle, um eine Änderung im Lebenswandels zu bewirken, dass die Komödie dagegen durch Lachen bessern solle, wobei ihr “wahrer allgemeiner Nutzen im Lachen selbst” liege. Ist also Lessing zufolge das Theater eine” moralische Anstalt”? Ja,  insofern darunter ein Ort der Freiheit zu verstehen ist, auf doppelte Weise: einerseits ein Ort, der, wie eine symbolische “agora”, der freien öffentlichen Auseinandersetzung dient, andererseits ein Ort, der Wahlmöglichkeiten des Handelns in konfliktuösen Situationen darstellt. Dass das Theater als “Ort der Freiheit” gerade von den Regierenden gefürchtet war, vielleicht noch immer ist,  beweisen die Verrisse von regierungnahen Kritikern, die Zensureingriffe und Aufführungsverbote in Zeiten der Meinungskontrolle oder gar der totalitären Gleichschaltung. Verkürzt liesse sich sagen, dass der Zustand des Theaters ein Spiegel für den Zustand der Demokratie ist  – auch heute. Dabei verstehe ich unter Demokratie jenen “vernünftigen Realismus”, wie György Konrad (in einem Essay von 1991 “Identität und Hysterie”) Demokratie  definiert, “eine mit wechselseitigen Garantien ausgestattete Rechtsordnung, die auf dem Wissen der Neigung der Menschen zum Missbrauch basiert, ein Verhandlungsstil, dem Gleichberechtigung zugrundeliegt, Respekt vor vernünftigen Argumenten und Ungeduld gegenüber dem Humbug, die Bevorzugung des Scharfblicks gegenüber sentimentaler Rhetorik, ahnend, dass sich hinter dieser etwas zusammenbraut, was – in sehr zurückhaltender Wortwahl – ein grosser Schelmenstreich wäre”.

Sind denn das Theater und die Demokratie bedroht? – mögen Sie fragen, nachdem Sie der Einladung des Schauspielhauses Folge geleistet haben. Die Anwort lautet Ja und Nein. Ja, insofern das zunehmende Diktat einer globalisierten Marktwirtschaft die heutige Komplexität der sozialen und politischen, der kulturellen und ökonomischen Probleme nicht im Sinn der Demokratie, sondern im Sinn einer wachsenden Einseitigkeit, Intoleranz und Härte zu lösen sucht und “Marktgier den Geschmack verdirbt”, wie Charlie Chaplin in der Schlussrede des “Grossen Diktators” sagt.. Nein, da ja das Interesse, das Sie  für die Bedürfnisse des Theaters und für die Anliegen der Demokratie beweisen, “Ungeduld gegenüber dem Humbug” vermuten lässt und zugleich ein Eintreten für die Freiheit zu gewährleisten scheint, das Hoffnung macht, die nächste Zukunft nicht als eitle Illusion, sondern als ein konstruktives Projekt zu planen – mit Ihrer Unterstützung.

Danke

Write a Reply or Comment