Der Blick eignet sich das Objekt an, indem er es macht

Der Blick eignet sich das Objekt an, indem er es macht

 

Es geht um das Sehen. Sehen ist zuerst Unterscheiden und Wahrnehmen des Anderen, des vom  mangelhaften und unvollständigen Eigenen Getrennten, im Sehen aber auch Einverleiben und unbewusstes Speichern des Wahrgenommen des Anderen, nicht des Ganzen allerdings, sondern „en détails“, in Teilen. So unterscheidet das Kind aus dem embryonalen symbiotischen Dunkel heraus, das nach der Geburt sich erst allmählich lichtet, plötzlich das Gesicht der Mutter, ihren Mund mit der „Aura“ – dem Bedeutungszusammenhang –  des Lächelns, und die Brust der Mutter, die milchspendende Warze mit der „Aura“ des Wohlbehagens, d.h. der Möglichkeit, resp.der imaginären Wiederherstellung der verlorenen Symbiose, unterscheidet mithin sowohl die Mutter wie Teile der Mutter wie sich selber als Teil eines fortan nie mehr zu erreichenden Ganzen. Was mit diesem ganz frühen, irgendwie vom Unbewussten her gelenkten, erkennenden und wiederum im Unbewussten gespeicherten Sehen einsetzt, ist die Herrschaft der Affekte und Triebe, die Herrschaft der Liebe, im Positiven wie im Negativen, in welcher schon sehr früh, nicht gleichzeitig, sondern in einer zeitlich gestaffelten Abfolge, die wahrgenommenen Teile der Mutter als das Reale (Wohlbehagen durch Zuwendung und Nahrung, aber auch Schmerz über das Fehlen der Symbiose, das Entsagen des Ganzseins, eigentlich das Unmögliche, für welches es nur Akzeptanz oder Verweigerung gibt), als das Imaginäre (das Mögliche, das, was das sich konstituierende und aktiv sich regende, Anerkennung und Liebe begehrende Ich des Kindes sich vorstellt, um sich selber zu stärken) wie auch das Symbolische (die Brust, der Mund, die Stimme, auch der Geruch, die warme Haut, stellvertretend für viel mehr, für die Mutter überhaupt, oder für Anerkennung, Wohlbehagen und Befriedigung, oder für Ablehnung, Alleingelassensein und Hunger) sich zusammenfinden, existenzbestimmend von den frühen Anfängen an und durch alle Peripetien der Entwicklung und des Lebens hindurch.  Während das Symbolische in den Teilobjekten des Begehrens immer mehr, vor allem nach der Entwöhnung und etwas später nach der frühen, entscheidenden Entdeckung des eigenen Geschlechts als das der Mutter gleiche oder das von ihr verschiedene, das Entzogene und Verwehrte, ja das Verbotene (die Symbiose – als Inzest) zur Quelle des Begehrens werden lässt, kreist das Imaginäre um den möglichen narzissstischen Gewinn für das bedürftige, begehrende (anfänglich so schwache, häufig nie wirklich erstarkende) Ich, das im Realen zumeist höchstens das Imaginäre und daraus sich selbst als mangelhaft, als Teil bestätigt – und beschädigt – findet.

Und all dies ist seit dem frühesten Sehen ein Beziehungsgeschehen aus der Erfahrung des Mangels des Ganzen, aus der Selbsterfahrung als abgetrennter, unerfüllter, leidender Teil, ist Liebe als Streben nach Veränderung des Mangels, Libido (im biologischen Rekurs), Eros (nach dem platonischen Begriff). Wir wissen es seit knapp einem Jahrhundert, seit den ersten Erkenntnissen  Freuds, der, wie Julia Kristeva zu Recht feststellt, den Platonismus und die Biologie zu einer neuen Theorie zusammenführte, eben zu einer neuen Theorie sowohl der Liebe wie des Sehens, aufregend und sich ständig in der analytischen Arbeit bestätigend und zugleich verändernd, in der alle drei Register (das Symbolische, das Imaginäre und das Reale) sich wiederholen. Immer geht es um die Liebe, um den „daimon Eros“, wie Platon im „Symposion“ Sokrates erklären lässt, der sein Wissen von Diotima erhalten und übernommen hat, gemäss deren Wissen (resp. Weisheit) Eros das Kind – der Sohn, männlich, wie Freud betont – der Penia (der mythologischen Gestaltwerdung des Mangels) und des Poros, des göttlichen Wegefinders (der mythologischen Gestaltwerdung des erfinderischen Intellekts), ist, entstanden im Nachspiel zum Geburtsfest der Aphrodite (der mytholigschen Gestaltwerdung der Schönheit), zu welchem Poros geladen war, Penia jedoch nicht. Als sie sah, dass Poros, berauscht vom Nektar und müde, sich im Garten des Zeus zum Ruhen legte, legte sie sich neben ihn und empfing den Eros.

Was und wie ist daher Eros? Er ist, wie Sokrates ausführt (in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher), zuerst „arm und bei weitem nicht fein und schön, wie die meisten glauben, vielmehr rauh, unansehnlich, unbeschuht, ohne Behausung (…), der Natur seiner Mutter gemäss immer der Dürftigkeit Genosse. Und nach seinem Vater wiederum stellt er dem Guten und Schönen nach, ist tapfer, keck und rüstig, ein gewaltiger Jäger, allezeit irgend Ränke schmiedend, nach Einsicht strebend (…)“ (Symposion, 203 c,d). Sehen und Liebe sind daher aufs engste und unabtrennbar miteinander verbunden, Libido in der Körperlichkeit, Eros in den Strebungen, Eros, der (auch im Weiblichen) aus der Verbindung von Penia und Poros, immer dem Mangel verhaftet und aus dem Mangel heraus tätig, über das Sehen besitzergreifend, sich einverleibend, was den Mangel beheben könnte und dies nur vorübergehend, in kurzen Momenten, erreicht, ränkereich das Verwehrte oder gar das Verbotene, ja das Leiden zum Guten erklärend oder daran scheiternd, dabei die Realität, täuschungsreich und trickreich, nicht selten bitter verzweifelnd, im Mantel des Imaginären zum Ganzen machend, mehr oder weniger erfolgreich, aus dem im Unbewussten zutiefst gespeicherten Wissen um die Täuschung, immer zum imaginären Ganzen, in welchem bei jedem Objekt des Sehens, vor allem bei jedem Objekt des Begehrens – man könnte sagen, bei jedem „Design“ – jeder Teil,  jedes Detail, über den Blick symbolische Repräsentanz eines beherrschenden libidinösen Teilobjekts wird  (Mund, Brust, Phallus etc.) sowie dessen Deutung einerseits im vorstellenden Denken  (Öffnung, Höhlung, Wölbung, Füllung, Pfeil, Linie, Trennung, Verschmähung, Verschluss, Abbruch etc.) und andererseits im positiven oder negativen libidinösen Empfinden (Wohlbehagen, Lust, Genugtuung, Ruhe, Stärkung, Frustration, Zorn, Hass, Verlust, Leere, Hunger, Zerstörungwut u.a.m.).

So ist im Sehen alles Teil – Detail -,  und als sich vorweg herstellendes Ganzes zeigen sich die Verbindungen, Beziehungen, Verhältnisse, Übertragungen und Gegenübertragungen der Liebe oder deren verhängnisvollen Negationen sowie deren malignen Zuspitzungen und Überhöhungen oder deren Ersatz- und Zerrbilder.

Was „Episode“ (Zwischenstück, eingeschobenes Stück, von: hodos – Weg, epi – darauf, dazu, eis _ in…hinein) ist im sich verändernden Leben, Auftrag an das selbstgestalende und beziehungsgestaltende Ich ist im Tod definitiv. Der Blick dominiert, terrorisiert, ist lidlos, schlaflos,unversöhnlich, zerstörerisch, weil er das Subjektsein völlig demontiert. Die „Besetzung“ ist total, kein Abwenden mehr, kein Blick nach innen (Introspektion). Bedeutung des inter-esse. Des Blick des Kritikers, allbeherrschend, kein Ausweichen, Abwenden durch die SchauspielerInnen.

 

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