Fremde, uns nah. Flüchtlinge – Sprache für die Sprachlosen

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Fremde, uns nah.  Flüchtlinge – Sprache für die Sprachlosen

 

In der Schlange stehen und warten. Warten, dass etwas geschieht, dass der Teller gefüllt wird. Warten, dass der Tag vorbeigeht, Warten, dass der nächste Tag vorbeigeht, hundertmal der nächste Tag, bald tausendmal. Warten, dass ein Brief eintrifft, ein Visum. Dass ein Wunder geschieht. Weiterwarten. Warten, dass die Hitze aufhört, dass der Regen aufhört, dass die Kälte aufhört, dass die Hitze, dass der Regen, dass die Kälte aufhört. Warten, dass der Krieg vorbeigeht, der ständig weitergeht, in der Heimat, im Kopf. Langezeit. Langeweile. Warten ohne Frist und Ende. Sinnloses Warten. Warten, dass das Warten vorübergeht. Warten wie Verdammnis,  „Dangube” in der Sprache der Flüchtlinge.

Da ist die Reihe, die Menschen schlechtgelaunt.  / Lärm. Töpfe. Frühmorgens das erste Zeichen / deiner Nicht-Existenz. Wie ein Parasit / wartest du, nimmst entgegen /  was irgendwer gekocht hat / und dir reicht. / Du stehst in der Reihe, die Bündel bewegen sich. /  Zu zweit, zu fünft und so weiter. / Gedemütigt gehst du weg, / zurück in den engen Raum, /  den du mit dreissig anderen teilst, die sind wie du. / Reihen von Pritschen, übereinander, nebeneinander, militärgleich  /  grau die harten Lacken und kein bisschen Schönheit”. (Raza Mehmedovic)

Neue Fliehende treffen ein, Hunderte und mehr erschöpft und kraftlos. Frauen, verstummt, blicklose Augen, zitternde Hände, die Füsse geschwollen, zerfetzt und schmutzig das Kleid, wimmernde Kinder. Ältere Kinder mit kleineren auf dem Rücken. Junge Männer, ungleich und gleich, zwei mit dem Grossvater über den Schultern. Vielleicht nicht der Grossvater, ein fremder Alter, der allein nicht mehr weiter mochte. Männer, eingefallene Wangen, klein im Wuchs oder gross,  von weit her, Schuhe mit Schnüren zusammengebunden, Risse in der Hose, die Sprache unverständlich, singend, rauh. Frauen, Kinder, Männer, sie wurden verjagt und gejagt und gequält. Die Not und Angst der Tage und Nächte unterwegs. Die Neuankömmlinge brauchen die Pritschen, die Suppe, das Dach über dem Kopf. Kein Raum mehr zum Warten auf den Brief aus Schweden. Ein Junge berichet.

„Ein bewaffneter Soldat drang ins Haus und meldete Böses. / Fort aus dem Dorf, war sein Befehl, in düsterem Ton . /  Blond leuchtete sein Haar, das Gewehr hing schwer an der Schulter. / Maschinengewehre kläfften und krachten. / Frauen in Tränen, schluckzende alte Männer,  / ein grauenvoller Lärm, /das Gebrüll der Ochsen, das Gebell der Hunde und alles andere. / Das furchtbare Echo der Granaten war zu hören, / und jedesmal gefror unser Herz. /  Kinder jeden Alters, verloren in Schrecken, die Kleinen schrien, /  während Frauen Bündel packten und weinten. / Busse fuhren heran, die Menschen scharten sich zusammen, / drin war es stickig und eng, dass niemand sich rührte”. (Jozo Drazetic, 14 Jahre alt)

Zwischenstation für die einen – Endstation für die Schwächsten

Das Lager im Nachbarland der feindlich gewordenen Heimat voller Soldaten und Angst und der Stadt mit zerbombten Häusern und Strassen voller Trümmer und Blut, das Lager gilt es zu verlassen, das Flüchtlingslager, das eine erste Aufnahme bot als Wartepause. Zu eng wurde es, übervoll mit neuen Vertriebenen. Schon wird das lange Warten Vergangenheit zwischen Erschöpfung, Trostlosigkeit und Traum. Albträume oft, manchmal Hoffnung. Das Warten hatte Begegnungen ermöglicht, manchmal ein Wiedersehen. Austausch, Erinnerung, alles schwer.

„Nie vergesse ich die Tage und Nächte in Banja Luka / im Krieg. / Jeder Tag eine neue Wunde in  / meinem Herzen. /  Und doch: wie schön bleibt Banja Luka in der Erinnerung, / am Ufer des Vrbas, / gepriesen in vielen Gedichten / und berühmt ob seiner Pracht / und den grünen Gärten und alten bosnischen Häusern. /  Unversehens aber wurden die Perlen gestohlen. /  Die Stadt war nicht länger mehr mein. / Ich musste fort / und stand doch erst am Anfang des Lebens, / fort aus den Strassen mit den Kastanienbäumen, die sie säumen, / fort von den Freundinnen, Freunden, fort, / aus meiner Familie fort. /  Wie eine Blume aus der Erde /  wurde ich ausgerissen aus meiner Kindheit”. (Zinka Pjanic, 14 Jahre alt)

Weiter gehen, mit Anderen weiter. Einige aus dem gleichen Land, aus gleichen und aus anderen Städten und Dörfern, ein Teil aus anderen Ländern oder Kontinenten im Osten, Süden und Norden, die zu Ruinen- und Schlachtfeldern wurden, zu Hunger- und Todesländern, alle verjagt und in Not, auf der Suche nach Ländern im Westen, wo Friede und Wohlstand herrschen, wo sich Überlebende aus früheren Kriegen einwurzeln konnten und in Sicherheit leben, mit Kindern und Grosskindern und deren Blick in die Zukunft. Ob irgendwo ein Bus bereit steht für die vielen Erschöpften auf der Flucht und sie dorthin fährt? Oder ein Zug, vielleicht Züge und Busse? Was lässt sich wissen? Die Länder reihen sich aneinander. Wo, in welchem Land  kann hinter der Grenze das Leben neu beginnen? Einzelne Erwachsene tauschen aus, Namen von Ländern, von Flüssen, von Orten, wo eventuell ein Durchkommen möglich wäre, eventuell ein Bleiben. Einer sagt: Hiess nicht für die Grosseltern, als sie Kinder waren und unter den Gewehrkolben von Soldaten ihre Heimat verlassen mussten, der unbekannnte Ort, wohin sie in Zügen deportiert wurden, hiess er nicht „Pitchipoï“ (Jean-Claude Moscovici, Voyage à Pitchipoï.  1995 Paris)?  Es waren nicht Flüchtlingslager, sondern Lager des Todes, die sie aus kaum erklärlichen Gründen überlebten, einige wenige als Zeuginnen und Zeugen. Sind ihre Stimmen hörbarer als die Stimmen von heute? Wir greifen sie auf, der Herbst geht über in nächtliche Kälte.

„Glasklare Tage. / Die Astern  halten das Haupt hoch / und färben die vorletzte Stunde. / Eindringlich reden die entblätterten Bäume / über den Übergang / von Zustand zu Zustand. / Sie tragen den Glanz der Tage in ihrem Geweih. / Er weht wie ein Banner. / Ich frage und frage. / Die  Stimmen Verblichener / flattern wie Falter aus Nylon / von Farbe zu Farbe / und lispeln blindes Erblassen. / Ich höre den Seufzer / gesammelt im glasklaren Wind – / die antwort der fröstelnden Halme / der amethystenen Astern / und der anderen duldenden Dinge / im Erdohr der Angst.“ (Rose Ausländer. Die Sichel mäht die Zeit zu Heu. 1985 Frankfurt am Main)

Was tun gegen das „schallende Schweigen“?

„Manche haben sich gerettet. / Aus der Nacht / krochen Hände / ziegelrot vom Blut / der Ermordeten. / Es war ein schallendes Schauspiel / ein Bild aus Brand / Feuermusik. / Dann schwieg der Tod. / Er schwieg. / Es war ein schallendes Schweigen. / Zwischen den Zweigen / lächelten Sterne. / Die Geretteten warten im Hafen / gescheiterte Schiffe liegen. / Sie gleichen Wiegen / ohne Mutter und Kind.“ (Rose Ausländer. Schallendes Schweigen. In: 1985 Frankfurt am Main)

Flüchtlinge in Erstaufnahmelagern, die errichtet wurden in Nachbarländern der kriegs- und hungerversehrten Länder, werden von dort lebenden Einheimischen, die selber in Not und Angst leben, als Parasiten gesehen. In diesen Flüchtlingslagern oder -zentren versickern diejenigen, die nicht weiterwandern können. Sie werden versorgt, doch mehr als überleben wird nicht zugestanden: kaum Schul- und Bildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, keine Arbeitsmöglichkeit, keine Teilnahme am öffentlichen Leben. Es sind Orte für weggestellte Menschen, in denen das wirkliche Leben und die Zeit erstarren, ein Leben ohne Zukunft. Dazu kommt, dass die für diese Lager oder Zentren vom UNHCR finanzierten Hilfsprogramme nur für beschränkte Zeit eingesetzt werden, da die verfügbaren Mittel für neue Flüchtlinge aus anderen Kriegsgebieten gebraucht werden. Die Welt besteht Hierarchien des Elends, aus denen flieht, wer fliehen kann.

Doch überleben ohne Zukunft ist kein wirkliches Leben. Gegenwart lässt sich nur von der Zukunft her durchstehen. Wenn Menschen das Unglück haben, aus ihrer Heimat fliehen zu müssen, verlieren sie ihr Recht auf Selbstbestimmung. Sie werden entmündigt und administriert, als hätten sie eine Schuld begangen. Sie werden bestraft für die Tatsache, dass ihnen Unrecht geschah. Ihre Klage ist die Klage Hiobs, und wie diese verhallt sie ungehört.

„Wieder ein Tag, der für mich als Flüchtling vergeht. / wieder fremde Gesichter von fremden Menschen. / Ich will hier nicht sein. / Seit Monaten dieser gleiche Gedanke. / Was früher war, bleibt alles erinnert. / Warum der Krieg? / Warum die Tränen, das Leid? / Warum nicht Lachen und Glück? / Zu lange schon gehe ich auf fremder Erde, / zu lange schon wärmt mich die fremde Sonne. /  All dies will ich nicht. / Was ich will, ist / durch die Strassen meiner Stadt gehen, / die Kirchenglocken hören und den Gebetruf am Abend. / Ich will einfach wieder nach Hause zurückkehren”. (Maja Jagnjac, 14 Jahre alt)

Das Zuhause ist verwüstet, eine Rückkehr verhängnisvoll. Ein anderes Zuhause ist möglich. Doch wo? In Ländern, die ihre Grenzen öffnen und Heimatlosen ein sicheres Leben und Zukunft zugestehen. Dies laut zu fordern und zu tun ist dringlich und unaufschiebbar. Panzer, Flugzeuge und Bomben, giftige Chemikalien, die abgeworfen wurden, Minen und Granaten, die das Zuhause der Heimatlosen verwüstet haben, alles wurde in den Ländern des Westens und Nordens hergestellt, in welchen die Fliehenden um Aufnahme bitten. Dasselbe Recht steht ihnen zu, von Leiden und Not zu genesen und menschenwürdig zu leben wie den Bewohnern und Bewohnerinnen dieser Länder, diesen zugleich das Recht, ihre Schuld zu tilgen. Unterschiedliche Menschenrechte gibt es nicht.

Asyl ist ein Menschenrecht. Dagegen aufzuhetzen ist schändlich. Flüchtlingen die Aufnahme verweigern, sie absondern und in Elend und Angst zurückweisen ist eine Selbsterniedrigung derjenigen, die es fordern und tun. Das Gegenteil ist politische Pflicht und mehr. „Dreh den Ring“ schrieb Rose Ausländer, „wir schwingen schon zwischen Himmel und Erde“:  Asyl gewähren ermöglicht das Glück sinnvollen Lebens im Zusammenleben, damit den leichteren Blick in die Zukunft.

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