Maja Wicki-Vogt – Vater ist Gott – Sohnes Last
Im Lesesaal Seite 5
Maja Wicki-Vogt
Vater ist Gott – Sohnes Last
von Hans Baumgartner
Maja Wicki-Vogt wohnt in einem atmosphärisch entspannenden, wohltuenden, pastellfarbenen Büchernest an Zürichs Stadtgrenze, mit einem wunderbaren Blick über den Zürichsee und zu den Glarner Bergen. Ihr Blick ist ruhig, ihre Stimme klar, jeder Satz wohlformuliert,
jede Aussage analytisch, genau, aber nicht messerscharf, nicht verletzend, sondern wohltemperiert.
Maja Wicki ist Philosophin, Psychoanalytikerin, ja auch Frauenrechtlerin, aber vor
allem ist sie Humanistin und folgerichtig der Vernunft zugetan. Maja Wicki hat sich in ihrem ersten Buch «Kreative Vernunft» mit zwölf Denkerinnen aus zwei Jahrhunderten befasst, die sich, oft tragisch endend, der Unvernunft entgegen stellten und für eigentlich selbstverständliche Rechte beider Geschlechter einsetzten. Den «Pferdefuß» dieser grandiosen Galerie bildete allerdings das Porträt von
Ulrike Meinhof. Rätsel eines Lebens Wer sich an die Zeitschrift «konkret» erinnert, weiß, weshalb damals bei uns Pubertierenden das linksengagierte Heft großen Anklang fand (man zeigte Frau, wie Gott sie schuf ), aber darin fanden sich auch die phänomenal klarsichtigen, wirklich scharf formulierten Beiträge des späteren RAF-Mitglieds, deren spätere Aktivität zum Hassbegriff «Baader-Meinhof-Bande» beitrug. Weiß der Teufel, wieso sie diesen Weg ging, der mit dem Tod im Strafvollzug endete …
Maja Wicki weiß es auch nicht, aber ihre Analyse der politischen Statements von Ulrike Meinhof hat Brisanz, und ich muss vermuten, das Meinhof-Porträt ist der Grund für das Schweigen im deutschen Blätterwald über dieses großartige Buch. Die RAF war ein schrecklicher Irrtum, hätte nicht geschehen dürfen, setzte der Dialektik ein Ende und versperrte letztlich der Vernunft den Weg – bis heute. Ein Weg zur Nachdenklichkeit Nur ist damit diese Rezension noch nicht am Ende. Maja Wicki hat nachgedoppelt. Behutsam, belesen und eben analytisch, hat sie sich mit der Freiheit und Unfreiheit im persönlichen Werden auseinandergesetzt. Und es hat eine gewisse Logik, dass sie hier primär mit den Männern und ihrer Menschwerdung befasst wurde. «Erbschaften ohne Testament» bringt uns wiederum Personen der Geistesgeschichte näher, von Descartes über Spinoza, Kant und Schiller, zu Freud und Kafka, Wittgenstein und Walter Benjamin, und das sehr analytisch, sehr persönlich, meist mit Bezug auf die porträtierte Person und ganz zurückhaltend manchmal mit Bezug auf die Autorin. Maja Wicki-Vogt analysiert, und das ist offensichtlich ihre Stärke, vorurteilslos die psychologischen Tiefen, die unser Handeln nach außen oder auch die Unfähigkeit zur Interaktion bestimmen. Woher wir kommen, das hat sehr viel damit zu tun, wohin wir gehen bzw. gehen können. Und dabei spielen die Väter eine zentrale Rolle, wie uns die Begegnung mit Freud, Kafka und anderen zeigt.
Der Umgang mit Freiheit und Verantwortung setzt bei der eigenen Ablösung an. Und
keine Frage, wie die Antwort lautet, wenn wir diese Frage mit Bezug auf ein paar aktuelle
Exponenten der Weltgeschichte in den Raum stellen würden, die uns mit nationalistischem, religiösem und ideologischem Unrat bombardieren. Das Buch von Maja Wicki bietet einen Ausstieg aus der Maßlosigkeit des Unbedachten in die Nachdenklichkeit. Ich zitiere damit und ergänze, die Freiheit beginnt bei der eigenen Erkenntnis, und die kommt am Vater nicht vorbei. Es ist schön, auch in dieser unvernünftigen Zeit eine grosse Denkerin unter uns zu wissen.
Die Vernunft ist auf dem Rückzug, ihr Bedeutungsverlust ist nicht zu leugnen. Und ihre Feinde sind übermächtig. Die politische Staatspropaganda, im Westen schien sie überwunden und wurde schon fast belächelt, feiert unglaubliche Erfolge. Blogger in großer Zahl schreiben flächendeckend Sympathieadressen. Fanatiker proklamieren heilige Kriege und ebenso heilige Nationen. Diktatoren und Militärs werden als Garanten der Stabilität wieder salonfähig, Menschenrechte stehen hintenan.
Und die Stimme der Vernunft, sie scheint kraftlos, gelähmt durch Partikularinteressen, ängstlich. Es fehlt der große Widerspruch von oben und unten. Doch ab und zu wird eine kleine Flamme der Erkenntnis druckreif, die vielen, vorab Männern, helfen könnte, ihre eigenen Probleme zu verstehen, und dann in einem zweiten Schritt das eigene Handeln dem Gebot der Vernunft zu unterstellen.
Maja Wicki-Vogt
Kreative Vernunft
Mut und Tragik
von Denkerinnen der Moderne
gebunden, Fr. 34.00, Euro 21.80
Edition 8, Zürich
Maja Wicki-Vogt
Erbschaften ohne Testament
Beiträge zu einer dialogischen Kultur
gebunden, Fr. 34.00, Euro: 25.00
Edition 8, Zürich