Freundschaft – Anjuska

Freundschaft

Wann begegneten Anjuska und ich uns das erste Mal? Vermutlich war es Anfang der 80er Jahre  an einer politischen Versammlung oder an einer Demonstration, die Begegnungen müssen sich fortgesetzt haben.  Anjuska erschien mir immer von mädchenhafter Ausstrahlung und Überzeugungskraft, überaus empfindsam, dünnhäutig und gewissenhaft, mit ernsthaftem, offenem Blick, nachdenklich und warmherzig, nach Kriegsende geboren als Hoffnungsträgerin, so wie in meiner Familie die Zweitjüngste von sieben Geschwistern, von denen ich die Älteste bin.

So kam ich mir Anjuska stets wie eine jüngere Schwester vor, sorgsam im Ausdruck, beharrlich und entscheidungsstark, gleichzeitig mutig und bescheiden. Schon früh war sie Mitglied der PdAS, während ich eine parteilose, kritische Linke war, die aber vorbehaltlos den politischen Widerstand gegen jede Form sozialer Ungerechtigkeit und menschlicher Ausgrenzung teilte. Später waren wir beide Mitglieder der FraP. Wir setzten uns für die Umsetzung der verfassungsrechtlich erkämpften politischen Gleichberechtigung der Frauen ein, auch für die Umsetzung des Frauenstreiktages, da sich die wirtschaftliche Ungleichbewertung durch niedrigere Löhne und durch Ausbeutung von Migrantinnen fortsetzte. Selbstverständlich unterstützte ich Anjuska’s Bewerbung um einen Sitz im Eidgenössischen Parlament, schliesslich ihre Wahl in den Kantonsrat und als Bezirksrätin.

Doch schon lange vorher und nachher begegneten wir uns, ob auf dem Helvetiaplatz in Zürich oder vor dem Bundehaus in Bern, bei irgendwelchen Veranstaltungen und Kundgebungen im Widerstand gegen jede Form von Unrecht und Gewalt, wir setzten uns gemeinsam gegen die unmenschlichen Kriege der finanzstarken Mächtigen gegen machtlose Minderheiten ein, gegen amerikanische Folterpraktiken und Todesurteile, gegen ideologisch-religiös begründete, nationalistische und rassistische  Machtansprüche und deren brutale Umsetzung, gegen die Vertreibung wehrloser Menschen aus ihren Dörfern und Häusern, gegen jede Form von menschlicher Entrechtung, Ausbeutung und Erniedrigung,  überhaupt  gegen jede Art der Legitimation und Umsetzung von Menschenrechtsverletzungen, ob im Ausland oder hier in der Schweiz. Entgegen der verfassungsrechtlich zustande gekommenen Anerkennung der Menschenrechtserklärung als ethische Norm hatte sich gegen diese seit Ende des Kalten Kriegs in den kantonalen und eidgenössischen Räten eine von Rechtsaussen anwachsende fremdenfeindliche, nationalistische Macht verstärkt, die durch  finanzgesteuerte Manipulation  der Medien und mittels breit gestreuter Plakate mit Bildern des Misstrauens und rassistisch begründeter Entwertung Volksabstimmungen beeinflusste  und zunehmend verengende Gesetzgebungen zu menschlich diskriminierenden Zwecken im Asyl- und Ausländerrecht wie im Sozialrecht zustande brachte.

Anjuska und ich teilten stets die Dringlichkeit, uns für die Beachtung der Menschenrechte der Entrechteten und Sprachlosen und für eine Verbesserung deren Existenzbedingungen einzusetzen. Wir diskutierten diese Dringlichkeit nie, sie lag auf der Hand. Wir tauschten höchstens ab und zu die für uns persönlich anstehenden, dringlichen Aufgaben aus, die auch praktische Anliegen wie schulische Sorgen fremdsprachiger, vielfach benachteiligter  Kinder oder Aufenthalts- und Wohnbedingungen deren Mütter oder Väter beinhalteten. Anjuska übernahm auf vorbildliche Weise mehrmals auch komplizierte organisatorische und praktische Verantwortungen grösseren Ausmasses, für deren Umsetzung ich sie bewunderte, so als Mitbegründerin und als erste Geschäftsführerin des Vereins Kampagne Olivenöl aus Palästina, ferner als Präsidentin der Vereinigung Schweiz-Vietnam. In beiden Belangen gehörten schwierige Reisen und  sorgfältige Abklärungen vor Ort dazu,  auch Gespräche und Verträge mit Vertretern und Vertreterinnen der für das kostbare, feine Öl zuständigen Bauernkooperative in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten wie mit den Verantwortlichen in den vietnamesischen Handwerksdörfern, deren kunstvollen, schönen Produkten sie in der Schweiz Beachtung und Verkauf ermöglichte und dies weiter tut, immer zu Gunsten der Opfer des Vietnamkriegs und deren Nachkommen wie der seit Jahrzehnten fortgesetzten palästinensischen Enteignung und politischen Entrechtung. Anjuskas Berichterstattung zu lesen, ob in den News der Kampagne Olivenöl oder im Hoa Binh der Vereinigung Schweiz-Vietnam ist stets von hohem Informationswert.

Ist es erstaunlich, dass Anjuska und mich Freundschaft verbindet?

Freundschaft ist ein Verhältnis zwischen Menschen, das nicht vergleichbar ist mit jenem der Kollegialität oder Verwandtschaft. Ohne Zweifel ist Freundschaft auch möglich zwischen Geschwistern und weiteren Verwandten, selbst zwischen verheirateten oder nicht verheirateten Paaren, auch zwischen beruflich irgendwie vernetzten Menschen, doch sie ist nie selbstverständlich.

Freundschaft setzt weder gleiche Herkunft noch gleiches Alter noch gleiche berufliche Tätigkeit voraus, sie beruht auf freier Wahl, auf Wohlwollen, Vertrauen und Verlässlichkeit. Freundschaft ist frei von Bedingungen und frei von hierarchischen Strukturen, von  irgendwelchem Begehren oder von Misstrauen, von Neid und von Eifersucht. Sie beruht in jeder Hinsicht auf  ebenbürtigem Subjektwert, auf geistiger Nähe, doch ebenso auf grosser Achtung und Respekt. Sie ist ein wechselseitiges Geschenk.

Geistige Nähe geht in der Regel einher mit gleichen Grundwerten und Massstäben im sozialen und politischen Entscheiden und Handeln. Diese ergeben sich aus einer Übereinstimmung im Mitgefühl und in der Verantwortung für Andere, für Fremde wie für einander als Nächste und für sich selbst. Aus dieser emotionalen wie moralischen Wechselseitigkeit und Übereinstimmung wächst ein Einklang, der bei jeder Begegnung ein Glücksempfinden weckt und verstärkt, zugleich die Sorge um das Wohlbefinden des befreundeten Menschen wach hält.

Freundschaft ist ein Verhältnis von höchstem Wert.

So verhält es sich, wenn Anjuska und ich uns begegnen, ohne dass es ausgesprochen werden muss. Daher schreibe ich diese Zeilen im Sinn einer seltenen Bekundung unserer Freundschaft, auf Einladung von Jochi, aus Dankbarkeit und aus dem tiefen Wunsch, Anjuska‘s 70. Geburtstag möge sie als festlicher Zwischenhalt freuen und stärken so wie jeder darauf folgende neue Tag, ohne Angst vor der Tatsache der schwindenden Zeit.

 

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