Zukunft im Klima der Angst

Zukunft im Klima der Angst

Summary[1]

 

“Klima der Angst” ist der Titel des in diesem Jahr in deutscher Sprache erschienenen jüngsten Buchs[2] des 1934 geborenen nigerianischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Wole Soyinka. Der afrikanische Denker untersucht darin Ursachen und Folgen der lähmenden Angst, die auf vielfältige Weise den aktuellen Zustand unserer Welt prägt. Gemäss seiner Erkenntnis beruhen sie auf  Machtmissbrauch sowie auf  kaum tragbaren Erfahrungen der Abhängigkeit und Betörbarkeit, der Macht- und Hilflosigkeit, ja der Entscheidungs- und Lebensohnmacht ganzer Nationen.

Die öffentliche Diskussion über den Zusammenhang kollektiver Ängste, die mit Wole Soyinka gegen Ende des Sommersemesters 2005  in der Aula der Universität Zürich stattfand, gilt es zu vertiefen und zu erweitern, insbesondere hinsichtlich individueller Ängste. Das ABBOTT Management Forum bietet dazu mit der Auseinandersetzung über Elemente, welche die Zukunft beeinflussen, einen Rahmen an, der mir geeignet erscheint, um drei Aspekte zu klären:

  1. Was bedeutet Angst? Was bedeutet Angst vor der Zukunft? Wie unterscheiden sich Angst und Furcht, Angst und Hysterie, Gehemmtheit, Bedenken und Bedachtsamkeit? Dabei gilt es, Sigmund Freuds Definition von Angst als Reaktion auf Gefahr[3], welche eine Fortsetzung der Aristotelischen Auseinandersetzung mit Angst ist, näher zu untersuchen und sie mit den persönlichen Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Verbindung zu bringen.
  2. Wie sind persönliche Angst und kollektive Angst bezüglich der Ursachen wie der Auswirkungen zu unterscheiden? Wie und warum verändert sich Angst als warnende Kraft in hemmende Angstbesetztheit? In diesem Zusammenhang sind einerseits individuelle, andererseits vergleichende historische und aktuelle Entwicklungen von grosser Bedeutung.
  3. Wie ist mit der Angst – den Ängsten – umzugehen? Was wird durch Verdrängung oder Leugnung bewirkt? In welchem Zusammenhang stehen Depression, Aggression und Suchtverhalten dazu? Welche Prozesse können zu einer Klärung des individuellen, des familiären oder des kollektiven Verharrens in Ängsten führen, welche gleichzeitig zu einer Befreiung aus der Angstbesetztheit?

Zusammenfassend: Mein Hauptanliegen betrifft die Sorgfalt im Ergründen der persönlichen und der kollektiven Ängste vor der Zukunft. Das Ziel ist, Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, die trotz Unkenntnis der persönlichen  Lebensentwicklung stärkend wirken, auch trotz Unkenntnis der in der globalen Weiterentwicklung von technologischen Beschleunigungen und von gefährdenden, destruktiven Entscheiden, letztlich von zunehmender Masslosigkeit geprägten, pluralen Gesellschaft, in welcher der einzelne Mensch ein winziger Teil ist. Die beunruhigende Tatsache, dass Entscheide von allgemeinem Interesse nur noch gemäss einer kurzfristigen Zweck-Mittel-Rationalität, resp. gemäss einer prekären Evaluation von Vorteil und Verlust getroffen werden, lässt die gesellschaftliche und politische Entwicklung von Nationen und Kontinenten jener von Firmen ähnlich werden, in welcher Unsicherheit, Misstrauen und Ängste überhand nehmen.

Es gilt zu ergründen, wie in einer zunehmend technokratisch und virtuell bestimmten Welt heute eine Kultur des partizipativen, solidarischen Zusammenlebens erarbeitet und umgesetzt werden kann, so dass für die Zukunft jedes einzelnen Menschen weniger Angst beherrschend wirkt, sondern grössere Zustimmungsmöglichkeit zum Wert des Lebens umsetzbar wird.

Dr. Maja Wicki-Vogt[4]

 

                       [1] 6th ABBOTT Management Forum 3.-4. November 2005, Interlaken

 

[2] Wole Soyinka. Klima der Angst. (Übersetzung aus dem Englischen: Gerd Meuer). Ammann Verlag, Zürich 2005. (Originalausgabe: The Climate of Fear. The Reith Lectures 2004. Profile Books Lim., London 2004)

[3] Sigmund Freud. Hemmung, Sympton und Angst (1925/1926). Studienausgabe Bd. VI,  S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1971. – Sigmund Freud. Das Unheimliche. Studienausgabe / Psychologische Schriften. a.a.O. – Mario Jacoby. Scham-Angst und Selbstwertgefühl. Walter-Verlag 1991. – Paul Virilio. Rasender Stillstand. Hanser-Verlag, München 1989. – Paul Virilio. Der negative Horizont. Hanser-Verlag, München 1989. – Maja Wicki. “Selbst als Liebende werden wir überflüssig”. Gespräch mit Paul Virilio. Tages-Anzeiger Wochenend-Ausgabe 9./10. 12. 1995 – Maja Wicki. Warum sprechen Manager ständig von Ethik? Die Weltwoche Nr. 51/52, 21. 12. 2000 – Maja Wicki. Das Schweizerische. Wiegenbett? Panzer? AZ am Wochenende 11. 08. 2002

[4] (geb. 1940) Doktorat in Philosophie, allgemeinem Staatsrecht und Menschenrechte, Soziologie/Politologie; Studienfortsetzung in Psychologie, Psychoanalyse und Traumatherapie. Eigene Praxis in Zürich. Lehrbeauftragte an Universitäten in der Schweiz und im Ausland. Mitglied des Psychoanalytischen Seminars Zürich; langjähriges Vorstandsmitglied der Zürcher Fachstelle für Psychotraumatologie. Zahlreiche Publikationen. – Adresse: Bellerivestrasse 221, 8008 Zürich, Tel./Fax  +41 (0)44 383 01 44, e-mail: majawicki@bluewin

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