Wenn Du Amerika noch besser kennenlernen willst – zum Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Mary McCarthy

Wenn Du Amerika noch besser kennenlernen willst – zum Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Mary McCarthy

Wenn Du Amerika noch besser kennenlernen willst, lies gelegentlich, wenn Du es dort kriegst, von Mary McCarthy ,The Company she Keeps’ (sehr frech und komisch über die dreißiger Jahre hier), und jetzt ,Memories of a Catholic Childhood’. Mary ist eine sehr gute Freundin von mir und wirklich eine sehr begabte Schriftstellerin. Irischer Abstammung mit einer jüdischen Großmutter, mit der sie groß angibt. Sie ist enorm intelligent und sehr amerikanisch.” So schreibt Hannah Arendt im Mai 1957 an den alten Freund Kurt Blumenfeld und kündigt damit die bedeutendste neue Freundschaft ihres späteren Lebens an: eine Freundschaft, in der sich die intellektuellen und emotionalen Interessen zweier intelligenter und engagierter Frauen in großer Intimität verknüpfen. Die Verlagswerbung auf dem Umschlag “Zwei ,femmes de lettres’, die leidenschaftlich denken und leidenschaftlich leben” ist ein gutes Beispiel dafür, daß eine insgesamt peinlich plakative Formulierung in jedem Wort wahr sein kann.

Die beiden Frauen, die sich nach flüchtiger Bekanntschaft zunächst 1945 wegen einer pour épater les antifascistes gemachten Partybemerkung von Mary McCarthy (über den “armen Hitler”, den man bedauern müsse, weil er von seinen Opfern – den Franzosen, deren Land er besetzt hatte – auch noch “geliebt werden wollte”) abrupt zerstritten, söhnten sich einige Jahre später aus; nach Mary McCarthys Erzählung ging Hannah Arendt bei einer Zufallsbegegnung in der New Yorker U-Bahn auf sie zu und machte die, wie sich zeigen sollte, nicht unrichtige und doch verblüffende Bemerkung: “We think so much alike.” Die Beziehung zwischen der amerikanischen Autorin und der deutsch-jüdischen Philosophin und Politologin, die nur durch sechs Lebensjahre getrennt waren, wurde zur vertrauensvollen, schließlich innigen Freundschaft.

In Hannah Arendts Briefen an Karl Jaspers ist seit Anfang der fünfziger Jahre immer häufiger von “meiner amerikanischen Freundin” die Rede. Diese hat dann als Nachlaßverwalterin Hannah Arendts “Vom Leben des Geistes” herausgegeben. Nun liegt der in diesem Jahr in den Vereinigten Staaten veröffentlichte Briefwechsel zwischen Mary McCarthy und Hannah Arendt auch auf deutsch vor; die Edition umfaßt weitgehend vollständig alles Erhaltene, mit geringfügigen, im Vorwort erläuterten Auslassungen. Nach der schon vor längerer Zeit veröffentlichten Korrespondenz Hannah Arendts mit Jaspers (1985 bei Piper) und ihrem kürzlich bei Rotbuch erschienenen Briefwechsel mit Kurt Blumenfeld, dem zionistischen Politiker, besitzen wir nun den dritten Korrespondenzen-Band der Autorin. Im zweiten Band der Scholem-Briefausgabe, der jetzt bei Beck erschienen ist (siehe Seite L36) und in dem einige mit Hannah Arendt getauschte Briefe wetterleuchten (das Wort vom Briefwechsel erinnert hier zunehmend an “Schußwechsel” bei Duellen), wird die separate Veröffentlichung der erhaltenen Briefe von Gershom Scholem und Hannah Arendt angekündigt. So entsteht vor uns nach und nach zumindest in den großen Verknüpfungen das Brief-Netz einer exemplarischen intellektuellen Existenz.

Doch ist “Im Vertrauen” nicht nur in diesem Kontext zu sehen: daß die hierzulande in ihrem Rang als Romanschriftstellerin und Kritikerin eigentlich noch nicht erkannte Mary McCarthy sozusagen noch einmal vorgestellt wird, ist sehr zu begrüßen. Wie in den bedeutenderen Fällen “Lolita” oder “Lady Chatterley” hat auch bei dieser Autorin der skandalöse Oberflächenreiz einiger explizit sexueller Episoden eines einzigen Romans (“The Group”, 1963, deutsch: “Die Clique”, 1964) eine angemessene Würdigung zunächst behindert.

Das nun vorliegende Buch, das Briefe aus einem Vierteljahrhundert enthält (1949 bis 1975, von der Kommunistenjagd im Kalten Krieg bis zu Vietnam und Watergate, um den unablässig diskutierten politischen Hintergrund der Briefe grob zu benennen), ist ein vielfältiges Vergnügen für den Leser. Die Intimität eines solchen Briefwechsels führt zu spöttischen Abbreviaturen (“der kleine Podhoretz, sooo müde wie der sprichwörtliche jüdische Kellner”) und produziert oft sehr witzige Klatschboshaftigkeiten, deren Unbefangenheit dem rückhaltlos herzlichen Tonfall (“Darling Hannah!” “Dearest Mary!”) entspricht. Den basso ostinato dieser fast emblematischen Begegnung zwischen Amerika und Europa lockt das Private, all die notwendigerweise in solchen Briefen wuchernden Mitteilungen über Liebe und Ehe, Bildungsreisen, Publikationsprojekte, Streitereien auf Partys, Intimfeindschaften und anstrengende Verwandte (gerne hätte man mehr über den Bruder Kevin McCarthy erfahren, einen jener resignierten Hollywoodschauspieler, bei denen man immer das Gefühl hat, daß ihnen die entscheidende Filmchance versagt blieb).

Aber die eigentliche Melodie spielt die Politik – mit Obertönen philosophischer Reflexion. Man liest überraschende, aber oft plausible politische Thesen (die Kommunistenjagd der Nachkriegszeit in den Vereinigten Staaten erkläre sich auch aus der Traumatisierung gekränkter Intellektueller, deren Urerlebnis die eigene Benachteiligung während des kurzen “stalinistischen” Einflusses auf die Kulturindustrie in den dreißiger Jahren sei – McCarthy am 14. März 1952). Oft lesen wir einen Gedankenaustausch, der zwar nicht die Stringenz einer im eigentlichen Sinne philosophischen Erörterung hat, aber die Punkte, wo es philosophisch interessant würde, mit großem spekulativem Appetit umkreist. Charakteristisch wirken Erörterungen wie jene aus dem Jahre 1954 über die in den Gesprächen der Leute zunehmend zu registrierende “stupide Nachdenklichkeit”, die sich in mechanischen Zweifelsritualen – in Fragen wie von Kindern, die gar nicht erwarteten, die Antworten zu verstehen – äußere (“Warum denn nicht? Warum soll ich meine Großmutter nicht umbringen?”): ein Thema, bei dem sich die scharfe satirische Beobachtungsgabe der Romanschriftstellerin und die geistesgeschichtlich ausholende Reflexion der Philosophin treffen.

Die vielleicht wichtigste und bitterste Erfahrung von Hannah Arendt in diesen Jahrzehnten, die enragierte öffentliche Kontroverse, die ihr Essay-Bericht über den Eichmann-Prozeß 1961 für den “New Yorker” auslöste – hierzu lese man Scholem -, nimmt breiten Raum ein. Daß, abgesehen von den Diskussionen über Mary McCarthys eigene Texte, die Literatur (im Gegensatz zur philosophischen Terminologie und ihrer Übersetzung vom Deutschen ins Englische) kein wirklich zentrales Thema ist, scheint bedauerlich – man wird allerdings hie und da durch wunderbare Vignetten entschädigt, etwa Mary McCarthys Skizze von Nabokovs “Fahles Feuer”, mit der sie die Freundin zu dem widerwilligen Versprechen bringt, es mit diesem Autor doch noch einmal zu versuchen.

Die geheime Gefühlszäsur, die mit dem Tod von Hannah Arendts geliebtem Ehemann Heinrich Blücher 1970 durch den Band geht, zeigt die überragende Bedeutung dieser Beziehung für Hannah Arendt. Man möchte dem Piper-Verlag zur Veröffentlichung der Briefe zwischen diesen beiden raten; es käme wohl ein fast ideales Bild eines argumentierenden, freien und zärtlichen Paares heraus. Auch Hannah Arendts großartig rätselhafte Beziehung zu Heidegger, die in einem vor kurzem ebenfalls bei Piper erschienenen Bändchen (“Hannah Arendt – Martin Heidegger. Eine Geschichte”) von Elsbieta Ettinger im allerersten Umriß skizziert worden ist, spukt ganz von ferne durch das Buch. Ob man hoffen darf, daß dieser Briefwechsel einmal veröffentlicht wird? Es hat vorsichtige Andeutungen gegeben, die in eine solche Richtung weisen. Das wäre eine Neuerscheinung, an der sich die ehrwürdige Werbephrase verwirklichte: “mit Spannung erwartet”.

Bei aller Dankbarkeit für das schöne und interessante Buch läßt sich eine gewisse Enttäuschung über die Arbeit der amerikanischen Herausgeberin nicht unterdrücken. In der Edition von Carol Brightman steckt sicher einige Mühe, doch sind viele Anspielungen bedauerlicherweise nur sehr flüchtig glossiert (während erklärt wird, was “Tartuffe” bedeutet), und manches bleibt unbegriffen. Als Beispiel wählen wir die Anmerkung zu Adorno auf Seite 310: “1933 verspottete ihn die Frankfurter Studentenzeitung, weil er versucht hatte, die örtlichen Nazi-Intellektuellen in einer Rezension zu beschwichtigen.” Diese abenteuerliche Verballhornung müßte recte etwa lauten: die Frankfurter Studentenzeitung “Diskus” forderte Adorno 1963 wegen einer im Juni 1934 erschienenen, einige sehr bedenklich “taktische” Sätze enthaltenden Rezension in “Die Musik” mit einem offenen Brief zu einer Stellungnahme auf. – Genaueres über diesen von Hannah Arendt des öfteren gegen Adorno erhobenen Vorwurf kann man in dem unvergleichlich gründlicheren Anmerkungsapparat zur Ausgabe des Briefwechsels von Arendt und Jaspers nachlesen.

Nicht nur Europäisches, auch viele Details, die die amerikanische Szene betreffen, bleiben bei Carol Brightman sehr im Ungefähren, und daß sie gleich in der Einleitung etwa die schlichte, im Englischen wie im Deutschen klinisch banale Bezeichnung für die chronische Lügenhaftigkeit, “pseudologia phantastica”, als “typisch” Arendtsche paradoxe Spracherfindung bewundert, die auf die lateinischen (!) Wurzeln “unserer abgeschnittenen modernen Sprache” zurückgreife, weckt nicht gerade Vertrauen in diese Herausgeberin. Der deutsche Verlag hat, was von der Publikationsökonomie her begreiflich ist, auf Eingriffe in den amerikanischen Kommentar verzichtet. Die gut lesbare Übersetzung, bei der sich Ursula Ludz und Hans Moll in die beiden Stimmen geteilt haben, ist insgesamt präzis; der Charme des gelegentlich leicht schiefen Englisch von Hannah Arendt ist natürlich nicht zu vermitteln.

Der Titel der Übersetzung ist schön und richtig: trotzdem trifft jener der Originalausgabe (“Between Friends”) die Sache noch anders und genauer. In ihrer Lessingpreisrede 1959 hat Hannah Arendt nach einem kleinen Exkurs über die Freundschaft gesagt, sie habe über diese Beziehung exemplifizierend geredet, “weil sie mir aus mancherlei Gründen eine ausgezeichnete Bedeutung für die Frage der Menschlichkeit zu haben scheint”. Was hinter dieser umständlich leisen Umschreibung steht, belegt ihr eigenes Leben, dessen große Freundschaften sich uns nun nach und nach durch die Publikation ihrer Briefwechsel erschließen. Daß zum Wesen solcher Freundschaft das Ineinander von vertrauender Intimität und räsonierender Öffentlichkeit gehört, daß Freundschaft der Raum einer vertrauensvollen Schärfe des Urteils ist, beweist die Korrespondenz mit der amerikanischen Freundin.

Hannah Arendt/Mary McCarthy: “Im Vertrauen”. Briefwechsel 1949 bis 1975. Herausgegeben und mit einer Einführung von Carol Brightman. Aus dem Amerikanischen von Ursula Ludz und Hans Moll. Piper Verlag, München 1995. 583 S., geb., 49,80 Mark

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