INAISE – Koordinationsstelle alternativer Bank- und Finanzinstitute
INAISE – Koordinationsstelle alternativer Bank- und Finanzinstitute
Artikel publiziert am 30. September 1992 in “Moneta – Die Zeitung für Geld & Geist”:
1989 gründeten sieben europäische alternative Banken und Finanzinstitute INAISE (International Association of Investors in the Social Economy), um im Rahmen eines gemeinsamen Sekretariats den Informationsaustausch und die Interessen an der Unterstützung und am fortgesetzten Aufbau einer sozialen und ökologischen Wirtschaft zu fördern. 1991 trat auch die ABS der INAISE bei. Heute zählt die INAISE 33 Banken und Finanzinstitute aus 15 Ländern in vier Kontinenten als Mitglieder.
1989 feierte die deutsche Ökobank in Frankfurt ihren ersten Geburtstag. Bei dieser Gelegenheit entschieden die zur Feier anwesenden – schon älteren – alternativen Bank- und Finanzinstitute zusammen mit dem Geburtstagskind , sich in einer Dachvereinigung enger zusammenzuschliessen. Schon wenige Monate später, am 15. November 1989, wurde INAISE am Sitz der seit 1982 bestehenden katalanischen Gewerkschaftsbank INBERCOP (heute ECOS) in Barcelona gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten – neben der deutschen Ökobank und INBERCOP selbst – die in Northampton zu Beginn der siebziger Jahre geschaffene Bank für genossenschaftliches Produktionseigentum “icof” (lndustrial Common Ownership Finance Ltd.), das seit 1983 bestehende, ebenfalls auf Genossenschaftsbasis arbeitende IDES (Institut de Developement de l ‘Economie Sociale) mit Sitz in Neuilly sur Seine, sodann die beiden belgischen Institute Netwerk Vlaanderen und Soficatra-Fimica und die 1980 gegründete holländische anthroposophische Triodosbank. Seither weitete sich der usprünglich begrenzte Kooperationsrahmen der INAISE aus. Von April 1990 an traten laufend kleinere und grössere alternative Bank- und Finanzinstitute aus weiteren europäischen und aussereuropäischen Ländern der Dachorganisation bei. Inzwischen zählt sie 33 Mitglieder, und das Interesse an einer Zusammenarbeit im Rahmen der INAISE steigt weiter. Ende 1990 hatte eine Delegation der Dachorganisation sich auch nach Prag begeben, um mit Vertretern osteuropäischer Länder über Möglichkeiten der Finanzierungshilfe in Hinblick auf soziale und ökologische Zwecke zu verhandeln. Ebenso fanden schon 1990 Gespräche mit der EG statt, in Hinblick auf eine eventuelle finanzielle Unterstützung der INAISE (respektive bestimmter Aktivitäten der Dachorganisation) durch die EG. 1991 trafen sich die Mitglieder der inzwischen international erstarkten Vereinigung in Rom bei der Compagnia Finanziaria Industriale und bei der ABS in Olten.
Das Geschäftshaus an der Rue Montoyer 63 in Brüssel, wo INAISE ihren Sitz hat, steht an kühler Eleganz den Nachbarhäusern in nichts nach. Doch obwohl die Vereinigung inzwischen überall in der Welt Mitglieder zählt, verfügt sie hier gerade über einen Schreibtisch, in Untermiete beim belgischen alternativen Finanzinstitut Soficatra-Fimica, INAISE ist ein 75 %- Stellenbetrieb. Seit Anfang 1992 ist der Soziologe und Wirtschaftsfachmann Hugo Wanner im Rahmen einer 50%-Stelle als Sekretär der Vereinigung zuständig für die vielfältigen Informations- und Koordinationsaufgaben, unterstützt (mit einer 2.5%-Teilzeitanstellung) durch die Soficatra-Sekretärin Muriel Nieleus. Frans de Clerck, der in der Aufbauphase neben dem damaligen Sekretär Malcolm Lynch, einem englischen Gewerkschafts- und Wirtschaftsanwalt, die INAISE geleitet hatte, entscheidet im gleichen Raum vom benachbarten Schreibtisch aus die Geschäfte der Soficatra-Fimica, die, 1983 auf Ersuchen der belgischen Gewerkschaften gegründet, vor allem genossenschaftliche Unternehmen, Arbeiter- und Angestellten-Take-Overs sowie private Kleinunternehmen finanziert.
Die übrigen 50% seiner Arbeitszeit setzt Hugo Wanner beim 1982 gegründeten Netwerk Vlaanderen VZW ein, das sich auf die Unterstützung basisdemokratisch organisierter kleiner Unternehmen spezialisiert und das vor allem einen Beitrag zur Veränderung der allgemeinen Einstellung zum Geld leisten möchte, indem es die Geldgeber anregt, ihr Geld zu niederen Zinssätzen persönlich und direkt in ganz bestimmte Projekte zu investieren. Die räumliche und personale Vernetzung zwischen INAISE und Hugo Wanner mit den zwei alternativen belgischen Finanzinstituten widerspiegelt das Engagement und die Sachkenntnis des Sekretärs, der schon als unbezahlter Freiwilliger jahrelang für Netwerk Vlaanderen gearbeitet hatte. Nachdem seine Arbeit sich nun zu einem geregelten Anstellungsverhältnis gewandelt hat, bezieht er einen Lohn, der, wie er sagt, “etwa dem Einkommen entspricht, über das Leute verfügen, die von alternativen Kreditinstituten Geld brauchen”. Sein Aufgabenheft ist so umfangreich, dass dessen Erfüllung innerhalb einer 50%-Stelle einer Quadratur des Kreises gleichkommt. Dazu gehört – neben der unerlässlichen Informationsaufarbeitung aus allen angeschlossenen Bank- und Finanzinstituten – die Abfassung und Publikation des INAISE- Bulletins, das allen Mitgliedorganisationen zugestellt wird, sodann die Koordination und eventuelle Organisation oder Leitung von Seminarien und Fortbildungstagungen (zum Beispiel, während dieses Sommerhalbjahrs, im Mai zu Fragen des sozialen Bankenwesens in Paris, im Juni – ebenfalls in Paris – zu Finanzierungsaspekten von Frauenprojekten, im gleichen Monat in Birmingham eine Einführung zum Europäischen Sozialfond, im September in Hamburg ein alternatives Geldseminar).
Hugo Wanner denkt viel über die bewusstseinsverändernde Aufgabe der alternativen Finanzinstitute und Banken nach, die in der INAISE zusammengeschlossen sind. Auch wenn sie in der gesamten Wirtschaft lediglich eine marginale Rolle spielen – ob sie sich nach ökologischen, anthroposophischen oder nach sozialen Zwecken ausrichten >, ist der INAISE- Sekretär überzeugt, dass sie die “Philosophie des Geldes” zu beeinflussen.vermögen. Um die gesamte Wirtschaft zu verändern, bedürfte es allerdings viel mehr, gesteht er ein, insbesondere neuer Kriterien für die Produktion und für die Verteilung der Energieträger wie der Konsumgüter. Allerdings spiele das Geld eine so zentrale Rolle, dass ein veränderter Umgang damit wichtige Akzente in der Wirtschaft auf massgeblichbe Weise verschieben könne. Vordringlich sei vor allem die Reduktion und Verhinderung von Verschuldung, die in den gegenwärtigen Gesellschaften ebenso zerstörerische, fatale Folgen bewirke wie etwa die Erwärmung der Erdatmosphäre oder die Zunahme des sauren Regens. Hugo Wanner hält fest: “Geld ist kein Objekt mit Selbstwert, sondern ein symbolischer Gegenwert für Naturgüter und Arbeit. Geld soll daher – wie Natur und Arbeit – eine gemeinschaftsstiftende Funktion haben.” Diese Überzeugung ist allen Organisationen im Rahmen der INAISE gemeinsam. Für Hugo Wanner bedeutet sie ein notwendiges Element, um effektive Voraussetzungen zu schaffen, auf denen eine gerechte und fortschrittliche Ökonomie sich entwickeln könnte. Als Beispiel, wie eine alternative Bank dieser Aufgabe gerecht wird, nennt Hugo Wanner die in Dänemark (Faarvang) seit den dreissiger Jahren tätige Bank J.A.K. (skandinavische Abkürzung für Natur – Arbeit – Kapital), die auch in Schweden und Norwegen Filialen hat. Bis 1933 (als ein Verbot erfolgte) hatte sie sogar eigenes Geld in Umlauf gesetzt, das nicht gehortet werden konnte, dessen Wert jedoch einem gerechten Güteraustausch entsprechen sollte. Noch immer bietet sie zinsfreie Sparkonten wie auch zinsfreie Kredite an. Das bedeutet, dass das Geld denjenigen, die es anlegen, zwar nichts einbringt, dass diese aber auch Darlehen erhalten, ohne dafür Zinsen zu bezahlen. Allein in Dänemark zählt die J.A.K. 20 lokale Niederlassungen mit gesamthaft etwa 6000 Kundinnen und Kunden und einer Bilanz von 40 Millionen Ecu (von denen gut die Hälfte zinsfrei arbeitet).
Für Hugo Wanner bedeutet die INAISE eine grosse Chance, die fortschrittlichen Ideen und Vorschläge grosser ökonomischer Erneuerer und Denkerinnen – wie etwa die 1989 publizierten Ansätze von Margret Kennedy zu einer sozial und ökologisch verantwortbaren Kreditverleihung an Vertreter und Vertreterinnen der Länder aus dem Armutsgürtel der Welt – weiter zu verbreiten und anzuwenden.
Kasten
Die Triodosbank in Zeist (Holland) – eine Erfolgsgeschichte
Die kleine Stadt Zeist in der Gegend von Utrecht versteckt sich in Gärten. Sie ist beliebt bei Rentnerinnen und Rentnern. Für Familien mit Kindern ist Wohnen und Leben im grünen Zeist in vielen Fällen jedoch unerschwinglich, so auch für Thomas W.A. Steiner, zuständig für Spargelder und Öffentlichkeitsarbeit bei der Triodosbank in Zeist. Die Familie Steiner mit ihren drei Kindern lebt im preisgünstigeren (aber bedeutend verkehrsreicheren und lärmigeren) Amsterdam, und Thomas W.A.Steiner wendet für jeden Arbeitsweg per Bahn eineinhalb Stunden auf, per Auto (falls gemeinsame Fahrten mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bank organisierbar sind) vierzig Minuten. Thomas W.A.Steiner hat ein abgeschlossenes Ökonomiestudium hinter sich, er nimmt den langen Weg und ein- vergleichsweise – niedrigeres Einkommen auf sich, weil ihn die Idee und die Tätigkeit der Triodosbank überzeugen.
Die Triodosbank wurde 1980 als Aktiengesellschaft gegründet. Hinter der Gründung stand eine Gruppe junger Leute – darunter die heutigen Leiter der Bank Peter Biom und Paul Mackay – , die alle von den 68er-Reformideen geprägt waren. Ihr zentrales Anliegen war, ein bewusstes Umgehen mit Geld nicht nur zu propagieren, sondern selbst zu realisieren. Seit 1952 hatten sie bei der Nederlandse Midderstands Bank Geld angelegt. Sie beanspruchten nur einen kleinen Teil der Zinsen und liessen den übrigen Teil einer Stiftung zukommen, die soziale, ökologische und künstlerische Projekte mit Darlehen und Geschenken unterstützte. Eine Studiengruppe aus dem Kreis der Initiantinnen und Initianten kam zum Schluss, dass sie zur Verwirklichung ihrer Vorstellungen und Ziele eine eigene Bank – eben die Triodosbank – brauchten.
Mit dem Namen “Triodos” verbindet sich ein weitgefächertes geistiges und politisches Programm, das von Anfang an bis heute die Tätigkeit der Bank bestimmt. Es schliesst drei zentrale Elemente ein, die zugleich konkrete Postulate bedeuten:
– das Element der Freiheit: Menschen sollen ihre Talente und Anlagen möglichst unbeschränkt entwickeln dürfen;
– das Element der rechtlichen Gleichberechtigung: jede Person soll, als Mitglied der Gesellschaft, dort, wo sie arbeitet, ein entsprechendes Mitspracherecht besitzen;
– das Element der ökologisch-sozialen Verantwortung: eine nachhaltig gerechte Volkswirtschaft kann sich nur entwickeln, wenn die einzelnen Menschen sowohl für einander wie für die Erde Verantwortung übernehmen.
Heute zählt die Triodosbank 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (darunter 12 Frauen, auch an leitenden Stellen), die alle, gemäss den Forderungen der holländischen Zentralbank und der Bankenaufsicht, über eine Bankausbildung verfügen. Die anfänglich basisdemokratische Organisation wurde bald zugunsten einer hierarchischen Organisation mit verschiedenen gleichgestellten Abteilungen verändert. Die Geschäftsentscheide werden von der Direktion getroffen, jedoch an wöchentlichen Vollversammlungen allen vorgelegt. Die Bank weist ein jährliches Wachstum von rund 40% auf. Das ursprüngliche Eigenvermögen (per 1981) von 1. 603. 000 Gulden erreichte 1991 7. 267. 000 Gulden; die Spargelder wuchsen von 9.583.000 Gulden im Jahr 1981 auf 108.314.000 Gulden per 1991 an. Das Kreditvolumen stieg im gleichen Zeitraum von 2.386.000 auf 75.861.000. Im gleichen Verhältnis vergrösserte sich die Gesamtbilanz, von 12.595.000 im Jahre 1981 auf 124.961.000 zehn Jahre später. Im Augenblick finanziert die Triodosbank 1012 Projekte, von denen 36 im Bereich Unterricht und Bildung liegen, 57 Handwerksbetrieben und Kleinindustrien zugutekommen (zum Beispiel Druckereien oder Autorecycling-Unternehmen), 70 mit dem Gesundheitswesen zu tun haben, 87 mit der Finanzierung von Bioland und mit Biolandwirtschaft; 89 mit Kunst und Kultur, 369 mit Handel und Dienstleistung (ausschliesslich kleine Unternehmen, zum Teil 3. Welt-Läden), 304 weitere in die verschiedensten Gebiete fallen, von der Unterstützung einzelner Musikerinnen und Musiker beim Kauf neuer Instrumente bis zur alternativen Energieproduktion.
Gerade in diesem Bereich findet sich ein ungewöhnliches Beispiel für den Innovationsmut der Triodosbank:
Als 1986 nach der Katastrophe vonTschernobyl besorgte Kundinnen und Kunden sich bei der Bank nach der Möglichkeit alternativer Energie erkundigten, gab diese Untersuchungen zur Nutzung der Windenergie in Auftrag. Das Resultat ist der 1991 eröffnete 10,5 Megawatt “Windpark” von Lelystad auf dem Deich des Ijsselmeers, wo mit Hilfe von 35 hintereinandergestellten mächtigen Windturbinen der jährliche Energiebedarf von 5000 Haushalten erfüllt wird. Die Verteilung erfolgt über das öffentliche Verteilnetz. Die Triodosbank übernahm das Financial Engineering, schloss sich aber für die Realisierung des ganzen Projekts, das rund 30 Mio.Gulden gekostet hat, mit den Elektrizitätsgesellschaften der Provinzen Gelderland und Flevoland und mit dem Ingenieurbüro Energy Connection aus Delft zusammen, das auch die täglichen Überwachungsarbeiten der Anlage vornimmt. Zusätzlich zum “Windpark” von Lelystad ist die Triodosbank an Windpärken in der Provinz Zeeland beteiligt. Die Entwicklung zur hochtechnisierten Nutzbarmachung des Windes, der über Windmühlen schon im Altertum an verschiedenen Orten zur Landbewässerung verwendet wurde, in Holland seit dem 15. Jahrhundert zur Entwässerung und später zum Getreidemalen und Holzsägen, soll weitergehen. Geplant ist, dass ums Jahr 2010 herum ein Drittel des in ganz Holland benötigten Stroms durch Windturbinen erzeugt werden soll.
Trotz Wachstum und unternehmerischem Optimismus ist bei der Triodosbank kein Grund zum Übermut. Anfang Juni emittierte sie Zertifikate, um das Eigenvermögen zu steigern. Nach neuesten EG-Beschlüssen müssen bei einer Bankgründung 5 Mio. Ecu oder rund 12,3 Mio. holländische Gulden deklariert werden können. Die nun schon über 10 Jahre bestehende Triodosbank will diesen Bestimmungen im nachhinein nachkommen, um sich nicht Vorwürfen auszusetzen, Ausnahmeregeln für sich in Anspruch zu nehmen. Vorsichts- und Absicherungsmassnahmen lassen es trotzdem zu, dass in Zeist zurzeit Anfragen aus Belgien und England nach Triodos-Tochterbanken ernsthaft geprüft werden.
lies auch: “Viel Geld in den Sand gesetzt – Weitere 20 Millionen Franken für Sandkastenübung in der Westsahara” – Artikel publiziert am 17 Januar 1992 in CASH
und “Cherchez la femme – Frauenförderung nicht nur mit schönen Worten”, publiziert in CASH am 7. Februar 1992:
sowie: “Mozart-Finale mit Dissonanzen – Rückblick auf ein Jahr des Feierns und Vermarktens” , Artikel publiziert am 24. Januar 1992 in CASH
und: “Frauen entwickeln Spielregeln für erfolgreiche Unternehmen – 6. Management-Symposium für Frauen – Partnerschaft und Osteuropa als Schwerpunkte“, Artikel publiziert im Tages-anzeiger vom 8. Oktober 1990
und: “Das Büro – tagtägliche Zelle oder Imperium”, Artikel im Tages-Anzeiger vom 11. Oktober 1990