Federn lassen im goldenen Käfig – Blick über den Schlagbaum an der Frauen-Sommer Uni
Federn lassen im goldenen Käfig – Blick über den Schlagbaum an der Frauen-Sommer Uni
Artikel erschienen im CASH vom 26. Juni 1992
Schon zum dritten Mal.findet dieses Jahr eine Sommer-Universiuu für Frauen statt, vom 1. bis 8. August, in Damvant im Jura. Das Programm bezweckt, den Blick über die Beschränktheit der schweizerischen und europäischen Frauenbewegung hinaus auf die Realität der Frauen in anderen Ländern und Kulturen zu öffnen.
So etwas gelingt nur Frauen: mit geringsten Mitteln und ohne institutionellen oder organisatorischen Apparat einen Sommer-Universitätsbetrieb auf die Beine zu stellen, der hohen Anforderungen zu genügen vermag. Die Frauen der “Villa Kassandra” in Damvant – eines Frauenbildungs- und Erholungszentrums unmittelbar an der französischen Grenze gelegen, mitten in einer der reizvollsten Juralandschaften -, beweisen es schon zum dritten Mal: 1988 wurden Auseinandersetzungen über Gentechnologie, Feministische Theologie, feministische Politik, Ritual und Magie angeboten; 1990 führte das Rahmenthema “Feminismus und/oder Weiblichkeit” zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Teilnehmerinnen über Möglichkeiten und Zwänge der Identität.
Referentinnen aus (fast) der ganzen Welt
Dieses Jahr nun haben die beiden Leiterinnen der “Villa Kassandra” Shelley Berlowitz und Lena Rerat (unter Mitarbeit der Historikerin Elisabeth Joris) ein Programm vorbereitet, das in drei thematischen Blöcken einerseits die Beschränktheiten der westlichen Frauenbewegung unter die Lupe nimmt, andererseits Strategien der europäischen und weltweiten Vernetzung von politisch aktiven Frauen aufzeigen wird. Ziel der Veranstaltung soll ein geschärftes Bewusstsein über die Tatsache sein, dass die Frauen im “goldenen Käfig” der westlichen Industrienationen, trotz Härten und Diskrimierungen, im Vergleich mit den Frauen in anderen Teilen der Welt Privilegien geniessen und dass sie “Federn lassen müssen”, damit Gerechtigkeit und Solidarität nicht nur leere Worte bleiben.
Für die Vorträge konnten rund 20 bedeutende internationale und schweizerische Referentinnen gewonnen werden, darunter die an der Technischen Universität Berlin lehrende deutsche Psychologin Christina Thürmer-Rohr, die iranische Politikwissenschafterin Haleh Afshar von der Universität York in England, die Soziologin und ehemalige Ministerin Burkina Fasos Josephine Ouedraogo, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Emigrations- und Flüchtlingspolitik im deutschen Bundestag arbeitende koreanische Politologin Chong-Sook Kang, die türkische Sozialpädagogin Suna Cusar-Kurucan. Aus der Schweiz, um nur einzelne zu nennen: die Ökonomin Mascha Madörin, die Sozialstatistikerin Akiko Ries und die Soziologin Marina Widmer (alle Mitglieder des Frauenrats für Aussenpolitik), sodann die Mitarbeiterin der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit Stella Jegher sowie in- und ausländische Mitarbeiterinnen verschiedener Informations- und Beratungszentren für Asylsuchende, für Frauen aus der Dritten Welt und für andere Ausländerinnen. Über die eurozentrische Sichtweise hinaus Analysen und Diskussionen über die “Apartheid im Kopf”, wie Christina Thürmer- Rohr die Beschränktheit der weissen westlichen Frauenbewegung zusammenfasst, weiter über die Anforderungen an ernstgemeinte Solidarität der Frauenbewegungen angesichts des Zusammenbruchs der osteuropäischen Regimes, der Vereinigung der beiden Deutschlands sowie der Einigungs- und Abschottungsbestrebungen in Europa, sodann Aufklärung über die Lage muslimischer Frauen unter den verschiedenen Regimes nehmen die ersten drei Tage in Anspruch. Darauf folgen während der mittleren drei Tage Darstellungen über die eurozentrische Sichtweise der Frauen in Literatur, Sozialwissenschaften und Medien, über Differenzen und Chancen bei der Zusammenarbeit von Frauen aus verschiedenen Kulturen sowie über die Erfahrungen von Frauen, die in der BRD in internationalen, antirassistischen Solidaritätsbewegungen arbeiten. Der dritte Arbeitsblock vom 7. bis 9. August soll neue Perspektiven und Strategien von Frauenbewegungen aufzeigen, zum Beispiel bezüglich der Strukturanpassungsprogramme in Afrika oder bezüglich der wachsenden ökonomischen Zwänge mit den Folgen von Billigstlöhnen für Frauenarbeit, von Entlassungen und weiteren sozialpolitischen Diskriminierungen von Frauen in weiten Bereichen der Welt.
Vorträge und Diskussionen finden in einem grossen Rundzelt. statt. Die Teilnehmerinnen übernachten in eigenen Zelten auf dem weitläufigen Areal. der “Villa Kassandra” oder in einfachen Unterkünften im Dorf. Den Abschluss der Sommer-Uni bildet ein grosses Konzert am 9. August mit Joelle Leandre, Maggie Nicols, Annemarie Roelofs, Irene Schweizer und Co Streiff.