Die Disskussion um den “Stellvertreter” in der Schweiz

Loader Wird geladen …
EAD-Logo Es dauert zu lange?

Neu laden Dokument neu laden
| Öffnen In neuem Tab öffnen

Download [162.00 B]

 

Die Disskussion um den “Stellvertreter” in der Schweiz

Artikel über Rolf Hochhuths Bühnenstück “Der Stellvertreter”, erschienen in der NZZ am 19. Oktober 1963

und darauf:

Loader Wird geladen …
EAD-Logo Es dauert zu lange?

Neu laden Dokument neu laden
| Öffnen In neuem Tab öffnen

Download [162.00 B]

Loader Wird geladen …
EAD-Logo Es dauert zu lange?

Neu laden Dokument neu laden
| Öffnen In neuem Tab öffnen

Download [162.00 B]

 

Diskussion um den “Stellvertreter”

Artikel, publiziert in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift Ex Libris 1963

Die unter diesem   Titel im  Oktoberhefabgedruckte Stellungnahme eines  Katholiken zum  Fall  Hochhuth hat uns eine Anzahl von Zuschriften gebracht   viele, in  denen  mit Nachdruck  die  Partei  Hochhuths  ergriffen  wird,  und  einige,   in  denen  Zustimmung  und Dank zum  Ausdruck  kamen.

Man kann in guten Treuen verschiedener Meinung darüber sein, ob es denn unsere Sache sei, uns in Streitfragen von der Art des «Stellvertreters» einzuschalten. Wir  sind aber  der  Überzeugung,  dass  die grundsätzliche politische und konfessionelle  Neutralität unseres Clubs  uns  in keiner  Weisdazu  verpflichtet,  gegenüber brennenden Fragen der Zeit Scheuklappen anzulegen – obwohl dies,  vom  Standpunkt des  Geschäfftes aus gesehen,   wesentlich  bequemer wäre.

Wir wollen mit der Ex LibrisZeitschrift unseren  Mitgliedern  mehr als nur eine Reklame- und WerbeDrucksache ins Haus schicken.  Wir scheuen uns keineswegs, heisse Eisen anzufassen.  Wir haben in rücksichtsloser Offenheit das Problem «Musik als Geschäft» behandelt, haben die wirtschaftlichsoziologische Erscheinung des Schallplattenclubs ausgerechnet  anlässlich des zehnjährigen Jubiläums unseres Schallplattenclubs geschildert, liessen das «Heisse Eisen» der Buchgemeinschaften aus der Sicht des Verlegers  und Buchhändlers diskutieren,  und griffen in den kontradiktorischen Artikeln über die Mischehe ein  brennendes  konfessionelleThema  auf  Bei  der Wahl der Artikel für die Zeitschrift ist übrigens  nicht massgebend, ob wir ein Buch  oder eine Platte über das betreffende  Thema  herausbringen oder  nicht.

Was  uns bewog,  den Fall Hochlzuth  in der Zeitschrift Ex  Libris  aufzugreifen, war das Gefühl für Gerechtigkeit. Es gibt Katholiken, diHochhuth  bejahend gegenüber  stehen, es gibt Protestanten und    NichtChristen,  die  ihm  das  Recht   absprechen  die  Gestaldes Papstes und die Institutionen der katholischen  Kirche in  dieser   Weise  darzustellen.  Ist  es  nicht   das  gute Recht einer ZeitungsRedaktion, auch dieser Meinung zu sein und zu ihr zu stehen? Aus dieser  Oberzeugung heraus  haben  wir zuerst  den  Katholiken  Franz Demmelden sehr  umstrittenen Teilnehmer der schweizerischen Fernsehdiskussion  über  den  « Stellvertreter», um  einen  Beitrag gebeten.  Wir haben  dabei  in Kauf genommendass  sein temperamentvoller, von leidenschaftlichem  Feuegetragener Artikel  zum Widerspruch  herausfordern  könnte.

Diesem  Widerspruch  mit der  Veröffentlichung  einer einzelnen GegenstimmRechnung zu  tragescheint uns  angesichts  der  Bedeutung  und   Vielschichtigkeit des Themas  unmöglich.

Um jedoch  unseren  Lesern  einen  objektiven  Begriff von dem  Ausmass und den  Schwierigkeiteder  Diskussion über den Fall Hochhuth zu vermitteln, bringen wir auszugsweise den in der «Neuen Zürcher Zeitung» Nr. 4238/1963 erschienenen Pressespiegel  <Die Diskussion um  den  .Stellvertreter’  in der  Schweiz >. und anschliesseneinige prominente  deutsche   Stimmen, die wir dem  von Fritz J. Raddatz bei Rowohlt herausgegebenen Taschenbuch  « Summa  iniuria oder Durfte der Papst  schweigen ?»  entnehmen.

Wir bitten unsere Leser  um  Verständnis, dass  wir mit diesen Veröffentlichungen   die   Diskussion   um   den «Stellvertreter»  im  Rahmen  unserer   Zeitschrift als abgeschlossen betrachten  und uns  anderen  Aufgaben zuwenden.

Im Spiegel der schweizerischen Kritik

Die  Stadttheater von Basel und Bern haben  das Aufführungs­recht von  Hochbuths Bühnenstück erworben, um  den «Stell­vertreter”  ,  gleich zu Beginn dieser Theatersaison auf die Bühne zu  bringen.  Das  Zürcher Schauspielhaus  dagegen,  wohl  die repräsentivste Schweizer  Bühne,   wies  das  Stück   mit  der Begründung zurück,  dass «die verfälschte Optik der Anklage gegen den Papst wie  auch  die offenkundige  dramaturgische Schwäche des  Stückes»   eine   Aufführung  nicht   erlaube. Diese Stellungsnahmen der grossen  Schweizer Bühnen  stehen für die ganze  Widersprüchlichkeit der schweizerischen  Reak­tion auf Hochhuths Werk,  die in  vehementen  Auseinander­setzungen in  der  katholischen  wie  in  der  protestantischen Presse, in führenden  Zeitungen  wie in kleinen  Lokalblättern zum Ausdruck  kam.

An erster Stelle  müssen   die  zahlreichen  Proteste  erwähnt werden, die vor allem, wenn auch nicht ausschliesslich, in der katholischen Presse erschienen.  Der  Schweizerische Katholi­sche Volksverein,  die wichtigste schweizerische  Organisation, die mit der Wahrung und  Förderung der katholischen  Interessen in der Öffentlichkeit betraut ist,  bezeichnete das  Stück als eine “Beleidigung   und   Herausforderung  der Schweizer Katholiken” und  bedauerte, dass  das  Basler  Theater durch die Aufführung  dieses  «übelsten  Tendenzstückes  seiner  bis­herigen kulturellen  Sendung  untreu» werde  (12.  September) Im gleichen Sinn  protestierten zahlreiche  katholische Zeitun­gen. Das “Vaterland” insbesondere,  baute  ein  wahres  Bollwerk von Protest,  Kritik  und  Richtigstellung  auf.  Alle  diese Proteste bedeuten  nicht,  dass  das  Thema  des «Stell­vertreters” für die  Schweizer  Katholiken tabu  wäre; sie sind sich bewusst, dass der Gegensatz zwischen «Amt» und «Cha­risma” immer wieder  von  neuem  ausgetragen  werden  muss (“Basler Volksblatt”); sie  wehren  sich  lediglich  gegen  eine ungerechte, verzerrte  und  tendenziöse  Darstellung.

­Der bedeutendste Protest von protestantischer Seite fand  sich in einer vielschichtigen  Studie  «Hochhuth und  kein  Ende» von Dr. H. Tschopp­Brunner (Basel,  Selbstverlag),  der  das Stück als “Diffamierung im Exzess»  bezeichnete.

Die Diskussion kristallisierte   sich   hauptsächlich  um   den künstlerischen Wert des Stücks,  um  seinen historisch-­politi­schen Aspekt und die  aktuelle  Bedeutung des Stückes für die Schweiz.

In der Beurteilung von Hochhuths  Sprache  standen  sich die Meinungen diametral gegenüber.  Das  Stück  sei  sprachlich und in der inneren Logik des Dialoges sowie in  der Kraft  des Ausdruckes ausgezeichnet gearbeitet,  erklärte in ihrem  Juli­heft die Zeitschrift für Evangelische Kultur  und  Politik “Reformatio”; sie beanstandete aber die übertriebene Länge, die Verwendung von Reortage und   Kolportage  und   die langen Regieanweisungen. in der Literaturbeilage  der  Ber­ner Zeitung “Bund” (14. Juni) sprach   Max  Schnetzer   von Szenen voll ä2intellektueller Zucht” auf die solche von «volks­bühnenhafter Sattheit an Farbe und Kraft»  folgen  würden; er führte als Kronzeugen Car  Zuckmayer  an. der von Hoch­huth schrieb: “Da ist endlich ein deutscher Autor  der drama­tischen  Dialog  schreiben  kann,   Menschen  hinstellen  mit ein paar  Sätzen,  ein  paar  starken  Linien  ­ der  ein  Stück  auf­ bauen kann», ein  Urteil,   das seltsam  anmutet, gleicht  doch die Szene im Falkenkeller auf frappierende Weise dem Beginn von  Zuckmayers  eigenem   Werk  «Des  Teufels  General» … Gody   Suter  dagegen  bezeichnete  in  der  «Weltwoche»  (31. Mai) den Stellvertreter als «ein schlechtes, übles und ver­werfliches Stück». Dass es ein schlechtes Stück sei, könne jedermann mit  Leichtigkeit herausfinden; er brauche nur ein paar  der  «papierenen, hausbackenen und banalen Dialoge» zu lesen. Die «Tat»  (27. September) jedoch erklärte, die Frage, ob  Hochhuth ein gutes Stück geschrieben  habe,  sei durchaus sekundär. Der  «Stellvertreter» sei gar nicht als Literatur zu werten; dort wo Hochhuth ins Dichterische vorstossen wolle, sei er unzulänglich. Das  Stück sei als «Dokumentarliteratur» aufzufassen; aus diesem  Grund sollte der  Stil der Reportage strikter  eingehalten  werden.

Noch  intensiver  als um  den  sprachlichen  Aspekt wurde  die Diskussion um  den  dramatischen Wert des Stückes geführt, stösst  doch  diese  Frage   zum  Wesen  und  zur Aufgabe  der Kunst überhaupt vor.  Wohl pries  Prof.  Golo Mann in  den «Basler   Nachrichten»  (l 7. September)  den  «Stellvertreter» als ein «Werk von Ernst  und  Herz  und Kunst»; die meisten Schweizer Kritiker jedoch  waren der Ansicht, dass Hochhuth in  dramatischer  Hinsicht versagt  habe.  Das  «Basler Volks­ blatt»  erklärte, dass  «solche  Art dramatischer  Diskussion nie  zu  einer  echten  Auseinandersetzung»  führe. H. Linder stellte  in  der «National­Zeitung»  (25. September)  sogar  in Abrede,  dass  Hochhuths Werk  ein  Drama genannt  werden könne,   da   es dem  Autor  nicht   gelänge,  «den   Zuschauer innerlich  Anteil  nehmen   zu  lassen  am  tragischen  Konflikt zwischen   Menschlichkeit  und  Vernunft,  Christlichkeit  und institutionellem  Interesse», und  da er durch die  Art,  wie er den  historischen  Papst und  seinen  erfundenen Gegenspieler Riccardo zeichne,  die Antwort bereits zum voraus gebe, statt sie durch den Zuschauer finden  zu lassen, könne  kein  Drama entstehen, sondern lediglich die «Verbildlichung einer These».

Die  historische  Problematik:  Dichtung  …

Die   meisten   Schweizer   Kritiker   nahmen    auf  Hochhuths Erklärung  bezug, er habe  sich  um  historische Treue   bemüht und  sich  «die  freie  Entfaltung  der  Phantasie  nur  so  weit erlaubt,  als es nötig war, um das vorliegende historische Roh­ material  überhaupt zu einem  Bühnenstück gestalten  zu kön­ nen»,   Nur   wenige  Stellungnahmen,  so  u. a. jene  von  Golo Mann und  Max Schnetzer billigten Hocbhuth die von ihm  in Anspruch  genommene  Gründlichkeit  und   Gewissenhaftig­ keit zu. Die meisten aber stellten die Frage,  wo in dieser « Ver­ zeichnung  des  Charakterbildes Pius’  XII.  die  geschichtliche Wahrheit,  wo  der dokumentarische  Wert  des  Schauspieles» bleibe (Tschopp­Brunner). Der  Schriftsteller habe  wohl einen Anspruch auf dichterische  Freiheit,  diese  Freiheit  sei  aber nicht absolut und  habe ihre  Schranken  in  Sitte  und  Moral. Da  der Autor die sittliche Pflicht,  Ruf  und  Ehre  einer histo­ rischen  Person   zu  respektieren,  nicht  erfüllt   habe,  sei  kein Ideendrama, sondern  ein Tendenzstück entstanden.. Zu Beginn seiner  gründlichen  und  kritischen   Besprechung  des  «Stell­vertreters » in  der  «Neuen  Zürcher Zeitung» (Nr.  1895  vom 10.  Mai)  stellte  Dr.  Hanno  Helbling  fest,  dass Gestalten  der Vergangenheit oft von Wechseln des Urteils betroffen würden, welche «neue Einsicht, aber auch  neue Befangenheit» dartun könnten.   Hochhuth  habe  weder   den   Nationalsozialismus noch  das Papsttum begriffen und einsehen  wollen,  dass es die Aufgabe des Papstes  gewesen  sei, die  Kirche und  die Gläubigen zu schützen und  ihnen eine letzte Prüfung zu ersparen. Wäre es Hochhuth wirklich  um  die Darlegung einer ernst­haften geschichtlichen These  zu tun  gewesen,  so hätten dazu wenige  Seiten  genügt  ­ zur  Widerlegung auch.  Der  Autor habe  es aber  vorgezogen,  geschichtliche Persönlichkeiten mit einer  eigenen   « Mischung  von Pikanterie   und   tödlichem Ernst» darzustellen und  neben  typisierten Gestalten auf die Bühne  zu bringen. Das Resultat sei ein  «dramatisch-­episch­-pamphletisches Gebräu».

Es sei überhaupt nicht  möglich,  Geschichte in  ihrer komple­xen  Konsequenz auf der  Bühne   darzustellen,  erklärte  der «Tages­Anzeiger»  (28. September).  Geschichte  könne   wohl als Anreiz zu einem Konflikt dienen, müsse aber in der Trans­ ponierung des  Autors  eine  neue  Dimension  gewinnen. Die «dokumentarische Wahrheit», die Hochhuth anstrebe, könne jedoch nur in  «genauestem  Realismus» bildhaft  gemacht werden  und  nicht  in  Dichtung.

...  und  Wahrheit

Die  katholische Presse  war  intensiv  bemüht,  Dichtung  und Wahrheit in Hochhuths Werk  zu trennen. Die  glaubwürdig­sten Zeugnisse  im Hinblick auf das wahre  Wesen  Pius’ XII. kommen ohne  Zweifel  aus dem  Mund seiner  Zeitgenossen und Mitarbeiter. Dr. Tschopp­-Brunner zitierte z.B. eine Erklärung des Grossrabbiners von Rom,  Elio  Toaff,  der von der   grossen   mitfühlenden Güte und Hochherzigkeit  des Papstes  spricht,  «damals  als es schien,  es gebe  nunmehr  für uns keinen Ausweg mehr»; das «Vaterland» (1.  Juli) gab u. a. die  Worte von  Kardinal  Montini  wieder,  der  sagte:  «Die Geschichte  wird beweisen, wie wachsam,  wie unermüdlich, selbstlos  und  mutig  er war,  im  tatsächlichen  Bild  des  Ge­schehens  und der Situation in jenen  Jahren.» Dies  bekunde­ten   auch   Bischof  Dibelius,    der   ehemalige  deutsche Botschafter  von  Kessel  u. a. m.

Der  Protest Pius’  XII.  blieb  in  den  Grenzen  des  politisch Gebotenen.  Ob ein  heftigeres Einschreiten dem  Morden  ein Ende   gemacht  hätte?  Beinahe   die  gesamte   Schweizer Presse  ist  vom  Gegenteil überzeugt. Der  Studentenseelsorger Felix  Trösch schrieb  in  den  « Basler  Nachrichten»  (17. Sep­tember),  Hochhuths  These,   der   Papst   hätte  das   Regime innenpolitisch  unter Druck setzen  können,  stelle  eine « ziem­lich naive Unterschätzung und Verharmlosung des  läh­menden  Terrorsystems»  dar,  und  das Flugblatt  der  Röm.­ Kath.  Gemeinde Basels führte  zahlreiche Beispiele dafür an,  dass ein  kirchlicher Protest  zu  noch  grausameren Re­pressalien geführt hatte;  zum Kirchenkampf  als Antwort auf die über 60 Proteste, die  der Vatikan  gegen den  Juden­boykott erhoben hatte; zur Massenverschleppung der Juden, nachdem  der Erzbischof von Utrecht im Januar 1942 unmiss­verständlich gegen die  «Endlösung» protestiert  hatte;   zu einer   Verschärfung  und  Vermehrung  der Deportationen, nachdem  die Bischöfe  Hollands gemeinsam  von  Seyss­-Inquart  die  Einstellung  der  antisemitischen   Massnahmen gefordert hatten.

Zahlreiche Schweizer  Zeitungen waren  sich der vielen chari­tativen und  prosemitischen Massnahmen der Kirche bewusst, stellten  sich jedoch   die Frage,  warum  der Papst  es trotzdem nicht auf einen  offenen  Konflikt mit Hitler ankommen liess. Kardinal  Montini schrieb dazu in  seinem  schon erwähnten Brief  an   «The   Tablet»,  der  auszugsweise   fast  in  unserer gesamten   Presse   veröffentlicht  wurde,   dass   die   damalige Haltung Pius XII. für «denjenigen nicht  schwer  verständlich sei, der nicht den Fehler Hochhuths begehe und  die Möglich­keiten einer wirksamen und  verantwortungsvollen Aktion in jener schrecklichen Zeit des Krieges und  der nazistischen Gewaltherrschaft mit dem Maßstab beurteile, was man unter normalen Umständen hätte tun  können».

Pius XII.  war  nicht,  wie  Hochhuth  ihm  dies  vorwirft,  aus kalter Berechnung zum  Entschluss  gekommen,  «gegen  Un­recht, Gewalttat und  Grausamkeit nur in allgemeiner Form, von wem immer  und  wo immer sie geschahen,  Einspruch zu erheben», gleich seinem Vorgänger im Ersten Weltkrieg, Benedikt  XV.  (Solothurner  Zeitung»,  20. September,  nach Pater Leiber).  Er hatte  um diesen Entschluss schwer gerungen. Auch Hochhuths Vorwurf gegen Pius XII., er hätte das Kon­kordat  mit Hitler kündigen  sollen, wurde  in  der  Schweizer Presse  zurückgewiesen.  Walter Stähelin hielt  in seinem  Arti­kel fest, dass eine solche Kündigung in jeder Hinsicht nutzlos gewesen wäre, da Hitler  das Konkordat ohnehin mit Füssen trat, dass sie im Gegenteil « dem Doktor Goebbels eine Freude gemacht  hätte»,  der  darin  einen  Vorwand  gefunden  hätte, die Hetze  gegen die Kirche  noch  zu steigern.

Es bleibt die Frage  nach der Aufgabe der Kirche in der Welt, gernäss  ihrer göttlichen  Sendung. Ein ethisch  gebotener Protest gegen ein Verbrechen darf überhaupt nicht  von  der voraussehbaren  Wirkung  abhängig  gemacht  werden.   Hier gilt nicht  der Effekt,  sondern nur das «Deus le vult » («Refor­matio »).  Diese  Frage  ist  von so komplexer Natur,  dass nur wenige  Autoren  sie  im  Zusammenhang mit  dem  «Stellvertreter» zu beantworten suchten. Der protestantische Theologe Prof. Karl Barth verneinte  zwar  die Frage,  ob das Werk antikatholisch  sei,  nahm  jedoch Anstoss daran,  dass der Autor Protestant sei:  «Kann ein  Protestant  die  katholische Kirche dieser  Sache  wegen überhaupt angreifen?  Der  Papst, die  Kirche ­ das  ist  schliesslich  eine  politische  Institution, fast ein Politikum.» Anderseits erinnerte Stähelin daran, dass ein Papst heute in keiner Weise die politischen  Möglichkeiten besitze,  die  «einem  Stellvertreter  Christi  im  Mittelalter  zu Gebote standen», und dass die «geistige  Macht der römischen Kirche  dort nie und nimmer  etwas  ausrichten  kann,  wo sich die Dämonie des  Ungeistes  austobt”.

Die aktuelle  Bedeutung

Sowohl  von   protestantischer   wie  von   katholischer   Seite wurde der  ernsthaften  Befürchtung Ausdruck gegeben   dass durch  die  Aufführung  von  Hochhuths  «Stellvertreter» der konfessionelle  Friede,  dessen sich die Schweiz seit  bald hun­dert Jahren  erfreut,  gefährdet  werde.  Darauf wiesen  neben der   Erklärung   des   Schweizerischen   Katholischen   Volks­vereins auch  Dr.  Tschopp­-Brunner und  Prof. Barth hin,  der bemerkte, man  rede  immer von einer Bewältigung der Vergangenheit ­ doch  so werde sie nicht bewältigt, und Res­sentiments  gegen  die  katholische  Kirche seien nach wie vor da, wenn  auch  nicht  mehr  so stark  wie vor hundert Jahren; sie liessen  sich aber  nur zu gerne  wecken.

Die Aufführung des Stücks gab auch Anlass zur Selbst­besinnung. Katholische wie protestantische Pressestimmen wiesen  darauf hin,  dass die  Schweiz  vor ihrer  eigenen  Türe zu   wischen  habe,   bevor  sie Steine  auf die  Kirche werfen könne, und  nicht  nur die Schweiz  als Ganzes,  sondern jeder einzelne  –  wir hätten alle zu viel geschwiegen.  Es seien hier­ eu  nur die  bitteren   Worte des  katholischen  Studentenseelsorgers  Felix  Trösch  angeführt,  der erklärt,  es könne wohl nie festgestellt  werden,   «wie  viele  Juden nach Auschwitz kamen,  weil die Bürokratie der  schweizerischen Flüchtlings­politik  von  damals  gegen  sie spielte».  Edith  Stein  sei jeden­falls  unter  ihnen  gewesen.  «Doch  uns  will  scheinen,   dass gerade  ihr  Sterben  in  Auschwitz  als  Jüdin und  katholische Nonne einen viel wesentlicheren Beitrag zur Lösung der Juden­frage  bedeutet als das pamphletäre Schauspiel  des  zornigen jungen Zensors Hochhuth. »

Es soll zum  Schluss noch  festgehalten sein, dass nirgends die Wahl  des  Themas   angegriffen   wird.  Aber  weil  Hochhuth «ein persönliches Versagen  angreift  und  nicht  eine moralische Schuld  diskutiert, wird er ungerecht, wenn er nicht  den Weg, auf dem jener  Papst zu seinem  einsamen  Entschluss  gekom­men  ist, aufzeigt.  Im  Vorzeigen   dieses  unendlich  schweren und einsamen  Ringens  lag der wirkliche Stoff zu einem  Stück über den zwölften Pius und sein Verhalten in der Judenfrage» (W. Wollenberger in der «Zürcher Woche» vom 27. Septem­ ber).  «Hätte   Hochhuth   aus  erlebtem   und   auch   gelebtem Glauben  heraus geschrieben»,   sagt  Dr.  Tschopp-­Brunner, und   meint  darunter  wohl  den  Geist   verstehender   Liebe, «könnte er  uns  vielleicht  wecken,  aufrütteln und  ergreifen; aber  erreicht hat er bis heute nur, dass sich die Christen ver­feinden,  grämen  und  ärgern. Das  primär sicher  angestrebte Ziel,  aus  den vielen Fakten ein der Kunst  und  der Wahrheit dienendes   Ganzes  zu  gestalten,   ist  dem  Dichter ….  misslungen.»

Write a Reply or Comment