Süchte als Dimension des Überlebens in der globalisierten, postmodernen und postindustriellen Welt – Über die Bedeutung der kreativen Vernunft in der Leidensabwehr

Süchte als Dimension des Überlebens in der globalisierten, postmodernen und postindustriellen Welt

Über die Bedeutung der kreativen Vernunft in der Leidensabwehr

Schweizer Psychotherapeuten-/innen Verband SPV – Tagung vom 8. November 2000

 

 

„Nur das Begehren kann unser Erkenntnisvermögen führen. Und um etwas zu begehren, müssen Lust und Freude da sein. Unsere Verstandeskräfte wachsen und bringen ihre Früchte nur in der Freude“. Gleichzeitig: „Ein gleichbleibendes Leiden wird nach einer gewissen Zeit unerträglich, weil die Energie, die es ertragen lässt, erschöpft ist. Es stimmt also nicht, dass vergangenes Leiden nicht mehr zählt.“

Es kommt nicht von ungefähr, dass ich mit kurzen Textstellen aus Simone Weils Aufsätzen beginne. Die französische Philosophin schrieb sie neben zahlreichen anderen philosophischen Abhandlungen, neben Briefen und Gedichten in den letzten Lebensjahren (1941/42), vor allem in den kurzen Monaten ihres Aufenthalts in Marseille, wohin sie unter heftigem Widerstand nach der Besetzung Frankreichs durch Hitler aus Paris fliehen musste, in diesen Zwischenort der Flucht, den sie ebenso widerstrebend mit ihren Eltern wieder verlassen musste, um über Casablanca nach New York zu gelangen, von dort allein noch im gleichen Jahr, im November 1942, wieder zurück in die Nähe Frankreichs, nach London, in den Kreis der französischen Exilregierung, zu welcher ehemalige Studienkollegen gehörten, darunter Maurice Schumann, mit welchem sie von New York aus Verbindung aufgenommen hatte, in deren Auftrag sie ein Buch über die politische und gesellschaftliche Neuordnung Frankreichs nach dem Krieg schrieb[1], ohne dadurch einen Ort zu finden, der ihrem „Begehren“ entsprach, keine „Freude“, sodass sie weiterflüchtete, in den Hunger, in den Tod. Unter den Folgen der zunehmenden Verweigerung von Nahrung, erkrankte sie an Tuberkulose, wies aber jede medizinische Behandlung zurück. Im August 1943, mit 34 Jahren, starb sie in einer Klinik in Ashford/Kent, wohin sie gegen ihren Willen gebracht worden war. Gemäss dem offiziellen Totenschein war die Todesursache „Herzversagen durch Herzmuskelschwäche, hervorgerufen durch mangelhafte Ernährung und Lungentuberkulose. Die Verstorbene hat sich selber getötet und zerstört, indem sie sich in einer Phase von Geistesgestörtheit weigerte zu essen“.

Die Voraussetzung des Erkennens, welche Simone Weil in einer kurzen Abhandlung[2] festhielt, wie die Notiz ihrer Erschöpfung, die ich aus einem ihrer „Cahiers“ zitiere, sind durch den Widerspruch zwischen Erkenntnisvermögen und bedrohlicher Existenzerschöpfung aufwühlend. Simone Weil war eine Süchtige, erkenntnis-, wahrheits- und gerechtigkeitssüchtig. Und ihre Droge waren das Denken und die Askese, in einer masslosen Flucht vor dem eigenen Ich und dem lebendigen Leben. Sie konnte von dieser Flucht nicht absehen, ja, das Denken und Sich-Versenken in die Fragen und Geheimnisse des Nicht-Erkennbaren waren die einzige Nahrung, die sie noch zuliess. Und da sie die eigentliche Nahrung, die ihren Hunger hätte stillen können, nicht fand, starb sie, in Folge ihrer psychotischen Transzendenzsucht, die zu einer radikalen Ablehnung des Essens und des Lebens überhaupt führte, zu einer radikalen Verneinung der Libido. Hinter ihrer Sucht stand ein Leiden, das zu verstehen die Philosophie nicht genügt[3], das sich jedoch mit Hilfe der psychoanalytischen und gesellschaftsanalytischen Arbeit entschlüsselt.

Die Frage, die Sie eventuell beschäftigt, ist, ob es etwas Gemeinsames gibt zwischen Simone Weil und Süchtigen, die Sie kennen. Ich meine, dass es neben ungezählten Differenzen etwas Gemeinsames gibt. Bei allen Suchtkranken ist das Primärleiden ein „Hungerleiden“ (cf. Raymond Battegay), das infolge unerfüllter Sehnsucht immer quälender wird. Sehnsuchtshunger wonach? Es mag Sehnsucht nach stützender und in keiner Weise missbrauchender Liebe sein, nach Sicherheit des Ich-Werts, dadurch nach Zustimmung zur eigenen herkunftsbedingten und geschlechtlichen Existenz (Simone Weil konnte weder ihr Jüdischsein noch ihre Weiblichkeit akzeptieren), nach Aufhebung der Einsamkeit und Verlorenheit, letztlich Sehnsucht nach spürbarem Wert und nach sinnvoller Gestaltung des eigenen lebendigen Lebens. Wenn das Leiden, das aus dem ungestillten Hunger erwächst, durch die prekäre Ichstärke nicht ertragen werden kann, schafft sich die Psyche Fluchtwege. Dass die Anfänge des Leidens und der Leidensabwehr häufig in die früheste Kindheit zurückgehen, ist unbestritten. Deren psychokausale Erklärung findet sich u.a. in generationenübergreifenden Geschlechtergeschichten, in welchen Mangelerfahrungen und Unglück nicht geheilt werden konnten, sondern von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurden. Zu den Ursachen gehören auch zeitbedingte gesellschaftspolitische Zusammenhänge, bei Simone Weil der menschenverachtende Nationalsozialismus, in unserer Zeit u.a. die Auswirkungen der globalisierten, postmodernen und postindustriellen Welt, auch wiederum nationale ethnizistische Zuspitzungen.

Die Tatsache, dass in der Schweiz die Anzahl süchtiger Menschen im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch ist – u.a. über eine Million Alkohol- und Nikotinabhängiger, an die 30’000 Drogenabhängiger und eine unbekannte Anzahl weiterer Suchtkranker -, dass zugleich überall in der Welt die Flucht in Süchte immer mehr zunimmt, lässt die Frage nach den gesellschaftlichen Erkrankungsursachen als dringlich erscheinen.

Ich werde in einem ersten Teil versuchen, unsere postmoderne, postindustrielle Zeit auf ihre charakteristischen Merkmale hin zu untersuchen; in einem zweiten Teil werde ich auf die Frage eingehen, ob die zeitunabhängigen Grundbedürfnisse junger – und älterer – Menschen unter den aktuellen Zeitbedingungen erfüllt oder nicht erfüllt werden können und ob diese Frage mit dem Entstehen von Suchtkrankheiten zu tun hat, und in einem dritten Teil versuchen, therapeutische Perspektiven aufzuzeigen.

 

Die postmoderne Gesellschaft

“Von drei Seiten droht das Leiden”, schrieb Sigmund Freud (in “Das Unbehagen in der Kultur”), “vom eigenen Körper her, der zu Verfall und Auflösung bestimmt, sogar Schmerz und Angst als Warnsignale nicht entbehren kann, von der Aussenwelt, die mit übermächtigen, unerbittlichen, zerstörenden Kräften gegen uns wüten kann, und endlich aus den Beziehungen zu anderen Menschen. Das Leiden, das aus dieser Quelle stammt, empfinden wir vielleicht schmerzlicher als jedes andere; wir sind geneigt, es als eine gewissermassen überflüssige Zutat anzusehen, obwohl es nicht weniger schicksalsmässig unabwendbar sein dürfte als das Leiden anderer Herkunft.” Neben Krankheiten und Sterblichkeit, neben der Unbill der Natur, verursachen “die Beziehungen zu anderen Menschen” das grösste Ausmass an Leiden. Mit den “Beziehungen” meint Freud jedoch nicht allein die privaten Herkunftsgeschichten und die späteren Verhältnisse, aus denen – neben erfreulichen Erfahrungen – auch zahlreiche Verletzungen, Enttäuschungen und Ängste resultieren, sondern er meint ebenso sehr die Strukturen „der Aussenwelt“, d.h. des Zusammenlebens, der Auswirkungen von Macht, von Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnissen der Gesellschaft. Auf diese Verhältnisse möchte ich im folgenden eingehen.

Unsere Zeit wird als Epoche der Postmoderne bezeichnet. Vom Begriff her hat sie an der Moderne teil, lässt diese jedoch hinter sich zurück. Sie ist deren Überschreitung. Die grösste Leistung der Moderne war die im 18. Jahrhundert sich zunehmend durchsetzende “Aufklärung“, welche seit dem 16. Jahrhundert nach und nach einen grossen Teil der vorher festen, unanzweifelbaren Rechtfertigungsinstanzen für das Urteilen und Handeln verabschiedete, z.B. die Religionen mit ihren strikten Glaubens- und Handlungsmaximen, die ständische Ordnung mit den fest definierten Kategorien von Befehlenden und Gehorchenden, die Akademien mit ihren rigiden Massstäben für Kunst und Wissenschaft. Alles Handeln, auch im Zusammenhang mit der sich schnell entwickelnden kapitalistisch-industriellen Wirtschaft als dominante Macht, stützte sich seit Immanuel Kant zunehmend auf die „autonome Vernunft“ ab, an der jeder einzelne Mensch teilhat, um selber das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Indem die Vernunft zur Richterin über das richtige Urteilen und Handeln erklärt wurde, wurde ihr zusätzlich die Aufgabe der Selbstkritik überbunden. Damit kam es theoretisch zur Koppelung von Vernunft und Freiheit. Dass Freiheit ein Grundbedürfnis ist und sich nicht durch eine Definition strukturierter Denkprozesse des Intellekts, sondern durch eine komplizierte Verbindung zwischen Psyche und Intellekt äussert, durch die Verbindung des Denkens mit den im Unbewussten gestapelten und teilweise im Bewusstsein präsenten Empfindungen, auch mit den damit verbundenen Handlungsfähigkeiten, wurde erst im 19. und zunehmend im 20. Jahrhundert mit der einsetzenden Existenzphilosophie, vor allem aber mit der sich weiter entfaltenden psychoanalytischen Erkenntnislehre vertraut.

Die sich über die Moderne hinaus weiterentwickelnde Postmoderne bedeutete somit einen kultur- und gesellschaftspolitischen Quantensprung. Geschichte wurde fortan nicht mehr als schicksalshafte Fügung, sondern als gemacht und machbar erkannt, als menschlich gelenkte und zu verantwortende Generationenentwicklung. Die freiheitlichen Revolutionen und damit die verfassungsrechtlichen, demokratischen Schritte der politischen und sozialen Geschichte seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zu den Aufständen um 1968 herum (die zugleich von der studentischen Jugend, den Arbeitern, den Frauen, den Schwarzen in Amerika, den pazifistischen Bewegungen gegen den Krieg in Algerien, in Vietnam und gegen atomare Aufrüstung getragen waren etc.) – all dies waren kollektive Manifestationen des Bedürfnisses nach Freiheit, resp. des Freiheits- und Gerechtigkeitshunger ungezählter einzelner Menschen. Dem Streben nach einer Verbesserung der Gesellschaft in Hinblick auf mehr Menschlichkeit, mehr Freiheit und mehr Gerechtigkeit resp. Gleichheit wirkten jedoch immer wieder staatliche und partikuläre, ideologische, politische und innergesellschaftliche, auch wirtschaftliche Interessen entgegen, Kräfte, die Massen mobilisierten und die sich auch in antifreiheitlichen Bewegungen und Herrschaftskonstellationen zuspitzten. Diese antihumanitären Entwicklungen fanden in den absolutistischen Kapitalismusaufblähungen und den sich zuspitzenden totalitären Herrschaftsstrukturen ihre entsetzlichste Steigerung, auch in den damit verbundenen nationalen und weltweiten Kriegen. Wichtig ist festzuhalten, dass der Terror der Entwertung und Vernichtung von Menschen und der damit verbundenen kulturellen Destruktion sich immer auf ideologische, resp. ethnizistische, zum Teil sogar auf wissenschaftliche Theorien abstützte.

Die Postmoderne, die mit dem Beginn des 20.Jahrhunderts einsetzte, wurde somit zu einer Zeit der nicht mehr stillbaren Trauer, auch der kaum mehr ablegbaren Rachewut auf die Angstbesetztheit des Zusammenlebens. Als Flucht aus der im Unbekannten sich einnistenden Fragilität deute ich die in den jüngsten zwei Jahrzehnten zunehmend suchthaftere Fixierung der von der äusseren Zeit abhängigen Menschen auf die technologischen Kommuniations-möglichkeiten, auf die virtuelle Sprache, auf Internet und andere Optionen der Computertechnik. So wurde unsere Epoche zur Epoche der grundsätzlichen „Beliebigkeit“. Neben dem Wirklichen gilt massgeblich das Virtuelle, neben dem Sagbaren das Unsagbare, neben den konstruktiven Gestaltungsmöglichkeiten die Dekonstruktion, die Auflösung und Zerstörung. Zwar entwickeln sich auch kritische, positive Gegenströmungen, darunter ein Misstrauen gegenüber allumfassenden Rezepten und Heilslehren[4], so eine gesellschaftspolitische Skepsis gegenüber der Macht, die zum Beispiel anti-rassistische, humanitäre Bewegungen entstehen und anwachsen lässt, oder die in Fragen der Persönlichkeitsentwicklung zur Abwehr gesellschaftlich definierter Identitätsnormen führt, z.B. zu einer breiteren Akzeptanz und dadurch zu einer spürbaren Legitimität des kulturellen, sprachlichen oder religiösen Anders- und Fremdseins, möglicherweise sogar der Infirmität, der Homosexualität etc. als Teil der „Normalität“ des individuellen Menschseins. So kam es z.B. trotz starker rechtspolitischer Gegenkräfte in der Schweiz im Jahre 1994 zur Annahme der UNO-Konvention gegen Rassismus und zu einem damit verbundenen Strafgesetzartikel. Trotzdem werden Asylsuchende, häufig schwer traumatisierte Überlebende von Verfolgung, Folter und Krieg, durch hier gesetzlich geltende totale Rechtlosigkeit und materielle Abhängigkeit zu Objekten politischer und amtlicher Macht, häufig gar des Machtmissbrauchs, Roma werden nach wie vor entwürdigt, die Sozialhilfe an psychisch kranke Süchtige wird vermindert oder gar aufgehoben u.a.m.

 

Die postindustrielle Gesellschaft.

Zu den normativen Verunsicherungen gesellen sich in der heutigen Zeit materielle Überlebensängste infolge der technologischen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen. Unter „Postmoderne“ wird heute insbesondere die postindustrielle Gesellschaft verstanden, in welcher der globalisierte Kapitalismus zu einer massiven Veränderung der Produktionsbedingungen, -standorte und -arbeitsmöglichkeiten führt. Schon heute zeigt sich, dass nur noch ein elitärer Bruchteil der Bevölkerung am wirtschaftlichen Fortschritt teilhat, nur derjenige Teil, der durch spezifische Kompetenz und Effizienz Schritt halten kann. Der andere Teil fühlt sich infolge der Rationalisierungen, Fusionierungen und rapiden Innovationen zunehmend an den Rand gedrängt und für überflüssig erklärt: durch Entlassung, durch Erwerbslosigkeit, durch materielle Not, durch Sinnverlust der Existenz.

Das Grundbedürfnis nach freier Gestaltung des Lebens lässt sich unter Bedingungen der psychischen und physischen Subsistenznot kaum oder nicht umsetzen. Da gibt es beinah keine Optionen des Handelns, da gibt es nur den Druck von Notwendigkeiten, vor allem jener des Überlebens. Gemessen an dieser Tatsache erscheinen die postmodernen, neoliberalen „Freiheits“behauptungen wie ein Hohn. Dies zeigt sich als grosse Gefahr. Politische und religiöse Ideologien, welche Sinngebung und Sicherheit versprechen, und sei es durch die Konstruktion von Feindbildern, werden wiederum in breitem Ausmass gesucht und angenommen. Die Zustimmung von Massen Arbeitsloser in den dreissiger Jahren zu den nationalsozialistischen Zielen muss in Erinnerung bleiben. Vergleichbare Propagandaresultate gezielter Aufhetzung sind auch heute denkbar. Der noch kaum zu Ende gegangene Krieg im ehemaligen Jugoslawien mit den entsetzlichen “ethnischen Säuberungen” ist ein Beweis dafür – eine Warnung. Auf jeden Fall ist festzustellen, dass die postindustrielle Gesellschaft Experimente mit Menschen – etwa im Bereich der Technologie, der Medizin, Psychiatrie und Biologie, der Industrie oder der Wirtschaft – unter dem Titel des notwendigen Fortschritts für zulässig erklärt, und dass die Aufteilung unserer Gesellschaft in Effiziente und „Unbrauchbare“, in „marktkonforme“ und in „nicht-konforme“ oder „überzählige“ Menschen auf exponentielle Weise zunimmt. Zur zweiten Gruppe gehören auch viele junge Menschen aller Bevölkerungsschichten.

Überzählig zu sein ist schrecklich, eine traumatisierende Nichterfüllung des Bedürfnisses nach personalem Wert, nach einer guten Aufgabe und einem Platz des eigenen, subjektiven Ichs in der Gesellschaft. Die Grundbedürfnisse sind diejenigen Bedürfnisse, die allen Menschen in ihrer entscheidenden Gleichheit – dem Menschsein – trotz aller subjektiven Differenz eigen sind, in Hinblick auf das körperliche, das psychische und das soziale Leben, und deren Erfüllung alle Menschen von einander abhängig macht – auch die stärksten und reichsten. Die Tatsache dieser wechselseitigen, gegenseitigen Abhängigkeit müsste genügen, um gerechte Verhältnisse des Zusammenlebens zu schaffen. Die 1948, nach dem Zweiten Weltkrieg zustande gekommen Erklärung der menschlichen Grundrechte, stützt sich letztlich auf die Tatsache der gegenseitigen Anerkennung und Stillung der gleichen Grundbedürfnisse ab.

Beim einzelnen Menschen führt die gesellschaftlich bedingte Nichterfüllung der materiellen wie der immateriellen Grundbedürfnisse zu psychischen „Hungerkrankheiten“, die jenen nahekommen oder verstärken, die infolge persönlicher, familienbedingter Leidenserfahrungen in der Kindheit entstehen. Wenn das Leiden aus den familiär- wie gesellschaftlich- und zeitbedingten Ursachen unerträglich wird, bieten sich als fluchtartige Erfüllungsmöglichkeit der nicht-erfüllten Grundbedürfnisse u.a. jene „Ersatzbefriedigungen“ an, auf welche schon Freud aufmerksam macht(in „Das Unbehagen in der Kultur“), „mächtige Ablenkungen, die uns unser Elend geringschätzen lassen, Ersatzbefriedigungen, die es verringern, Rauschstoffe, die uns für dasselbe unempfindlich machen. Irgend etwas dieser Art”, fügt er bei, “ist unerlässlich”. Diese “unerlässlichen Ersatzbefriedigungen” können, wie Freud schreibt, zu „zwingenden und quälenden, beinah eigengesetzlichen Gewohnheiten“ auswachsen. Drogensucht ist eine davon, Alkohol-, Nikotin- oder Medikamentensucht andere, auch Anorexie, Bulimie, Workaholismus, Spielsucht, Konsum-, Kauf- und Sammelsucht, auch jene des ungezügelten, masslosen Machthungers u.a.m..

 

Die umfassende Entfremdung

Wie kommt es aber zu den erschreckenden, weit verbreiteten Mangel- und Suchterscheinungen in einem Land wie der Schweiz, das trotz Rezession im Produktionsbereich noch immer zu den reichsten der Welt gehört? Genügen zur Erklärung die Postmoderne, die technologischen Entwicklungen oder die Globalisierung? Wie sind im Zusammenhang dieser Zeit „Süchte“ zu verstehen? Süchte sind untaugliche Versuche, die unerfüllbaren Sehnsüchte zu stillen. Obwohl jede Sucht Fluchtcharakter hat, soll sie dazu dienen, das eigene Ich zu stärken, nicht nur, weil die meisten Süchte selbstaggressiv, eventuell gar selbstzerstörerisch sind, sondern weil unsere ganze Gesellschaft in all ihren Bereichen masslos geworden ist und Entfremdung vorweg generiert, obwohl auf unersättliche Weise nach Aufhebung der Entfremdung, resp. nach Befreiung und Linderung von Entfremdung gesucht wird.

Der Begriff “Entfremdung” ist übrigens nicht neu, sondern stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert, ursprünglich von Hegel, der in seinen “Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte” festhielt, dass die menschliche Geschichte zugleich die Geschichte der Entfremdung des Menschen sei. Der Mensch sei „nie, was er sein sollte“, und „er sollte sein, was er sein könnte“. Mit dieser knappen Formel fasst Hegel seine Kritik an der – dem „Wesen“ resp. den individuell menschlichen Werten des Menschseins – nie gerecht werdenden Existenz zusammen. Für den jungen, damals 26jährigen Karl Marx, 1844 als Flüchtling in Paris, wurde der Entfremdungsbegriff zum Instrument seiner Gesellschaftskritik, der es ihm erlaubte, die Folgen einer durch ausschliessliches Profitstreben und zunehmende Arbeitsteilung geprägte Entwicklung herauszuarbeiten. Das scheint mir wichtig zu sein. “Entfremdung“ bei Marx (in seinen sog. “Pariser Manuskripten” sowie in den “Ökonomisch-philosophischen Schriften”) heisst somit Abkoppelung des Menschen vom Produkt seiner Arbeit, damit Entzweiung des Menschen mit sich selbst, Zerstörung seiner Individualität, Versklavung, ja Verdinglichung des Menschen. Marx zielte mit seiner Kritik nicht einfach auf höhere Löhne ab oder auf gleiche Löhne für alle, wie er immer wieder falsch interpretiert wurde, sondern auf die respektvolle Wiederherstellung sinnhafter Existenz.

Doch ich will nicht bei Marx verweilen, sondern nach den Entfremdungserscheinungen fragen, die wir heute feststellen. Es geht um die Entfremdung des Menschen von sich selber, vom eigenen Bild, von den eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten infolge gesellschaftlich normierter Erfolgs- und Glücks- und Schönheitsbilder, aber auch infolge einer überall tatsächlich oder latent spürbaren Gewalt. Es geht daher um Entfremdung von der eigenen Emotionalität, von der eigenen Körperlichkeit und von der eigenen Sexualität, von den eigenen Schwächen und Fähigkeiten. Es geht um Entfremdung von der eigenen Geschichte, von den eigenen Lebensetappen mit ihren Hoffnungen und ihrem Versagen, auch mit dem Bestehen von Schwierigkeiten und Prüfungen durch eine von Angeboten überbordenden “Kultur” der Zerstreuung und des Vergessens. Ebenso geht es um Entfremdung vom eigenen Zeitrhythmus durch das externe Zeitdiktat einer vorweg gesteigerten Beschleunigung aller Tätigkeiten und Leistungen, mit ständiger Gehetzheit und Gestresstheit der Menschen als Folge, auch um Entfremdung vom Wissen um Raumverhältnisse resp. um Distanz und um Nähe durch die extreme Beschleunigung der Transporte, vor allem aber der Kommunikation, die heute mit Lichtgeschwindigkeit erfolgt, sodass Ereignisse und Erkenntnisse veralten und “wertlos” werden, bevor sie erzählt oder sonst irgendwie vermittelt werden können. Es geht daher um Entfremdung vom Wert des gelebten Lebens, d.h. der eigenen existentiellen und kognitiven Erfahrung. Es geht im gleichen Sinn um Entfremdung vom Wissen um die Unterscheidung von Grundbedürfnissen und Sekundär- oder Tertiärbedürfnissen, da das eminente Bedürfnis nach Geld alle anderen Bedürfnisse überdeckt, ein Entfremdungsgrund, den schon Marx aufgedeckt hat und der heute mit der Käuflichkeit aller Güter in einer von Werbung und Angeboten beherrschten Welt durch die Unterschiedslosigkeit, mit welcher die Notwendigkeit all dieser Güter angepriesen wird, exponentiell angewachsen ist. Insbesondere geht es um ein Empfinden der Entfremdung im Zusammenhang des Bedürfnisses nach Sicherheit und Unverletztheit der eigenen personalen Integrität und jener der Menschen, die man liebt und für die man sich verantwortlich fühlt, vor allem jener der Kinder, durch das Gefühl einer aktuellen oder einer untergründigen ständigen vitalen Bedrohung. Ebenso geht es um Entfremdung von der Sprache, vom Sinn und von der Bedeutung der Worte durch deren Denaturierung durch Werbung und Propaganda. Letztlich geht es um Entfremdung von sinnschaffenden Beziehungen, da Beziehungen immer weniger als gemeinsames verpflichtendes Projekt, sondern als Teil der konjunkturbedingten, austauschbaren Güterwelt verstanden werden und da sie in zahllosen Fällen von Gewalt infiziert sind. Und ebenso geht es um Entfremdung von der Natur durch die überhandnehmende Künstlichkeit der Welt, in welcher perfektionierte Machbarkeit – “virtuel reality” – die eigentliche Natur verdrängt, die ohnehin durch rücksichtslose Ausbeutung und Verschmutzung allmählich völlig verarmt und erstickt; und ebenso zählt die Entfremdung vom Produkt der Arbeit – der zentrale Kritikansatz von Marx – durch die Folgen der extremen Arbeitsteiligkeit und Rationalisierung, damit die Entfremdung von der Arbeit selbst, da diese allein nach Profitmaximierungskriterien erfolgenden Standortkriterien angeboten oder entzogen wird, nach Kriterien der zu steigernden share-holder-values und nicht nach den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen, mit dem Resultat, dass Menschen von einem Tag auf den anderen für überflüssig erklärt werden. Dadurch geht es um eine spürbare Entfremdung von der Gesellschaft, da diese sich nicht mehr nach solidarischen, sondern ausschliesslich nach ökonomischen Kriterien, nach Rentabilitätskriterien definiert, so dass die Gesellschaft selbst zum “Unternehmen” wird, in welchem die Rede von zu vielen Menschen, von Übervölkerung, von Überalterung, von Überfremdung, von Massenarbeitslosigkeit, von Überlastung”des Sozialstaates zwar scheinbar bedenkenlos in aller Mund ist, potentiell aber jeden einzelnen Menschen existentiell bedroht, da jeder und jede einmal Kind ist, eventuell alt, krank oder invalid werden kann, und in jedem Ausland Ausländer oder Ausländerin ist, da heute aber Kranke und Invalide, alte Menschen, Kinder und nicht-zahlungskräftige Ausländer und Ausländerinnen, insbesondere Flüchtlinge “zu teuer” sind resp. nicht rentieren und daher, gemäss der Logik der neo-liberalen Ökonomie, wegrationalisiert werden müssten  – kurz, Entfremdung in allen Bereichen der individuellen Existenz und der Gesellschaft, damit, tatsächlich, überhandnehmende Sinnentleerung, das Gefühl des Ungenügens in allen Bereichen, der fragmentierten, für wertlos, für austauschbar und für überflüssig erklärten Existenz, der umfassenden Fremddefinition durch häufig benennbare, häufig aber durch nicht mehr benennbare Mächte, das Gefühl des Ausgeliefertseins, der Isolation, der Bedrohung.

Nicht alle Menschen sind sich des Ausmasses an Entfremdung gleich bewusst. Viele verdrängen und/oder kompensieren die eigene Instrumentalisierung erfolgreich. “Instrumentalisierung” bedeutet, dass Menschen zu einem ihnen selbst fremden Zweck gebraucht, behandelt, ev. missbraucht werden, sowohl Menschen, über welche in Untergebenen- und Abhängigkeitsverhältnissen verfügt wird (so in besonderem Mass Kinder, auch in wohlhabenden Verhältnissen, deren Existenz häufig in erster Linie der Prestigesteigerung der Eltern dient), aber auch Menschen, die scheinbar Macht besitzen, die aber auf Grund ihrer Fähigkeiten innerhalb eines Systems zu einem ihnen fremden Zweck eingesetzt, resp. instrumentalisiert werden. Kant, der grosse Aufklärer, hat in seiner “Kritik der praktischen Vernunft” das Instrumentalisierungsverbot als “praktischen Imperativ” erklärt und diesem die Bedeutung einer wichtigen ethischen Maxime verliehen. Heute jedoch ist deren Nichtbeachtung und Verletzung die Regel. Allein die Befolgung des Instrumentalisierungsverbots würde bedeuten, dass die Würde des Menschen – der individuelle Ichwert – intakt bliebe. Damit aber die äusseren Bedingungen erfüllt würden, bedürfte es einer anderen, einer solidarischen, nicht nach Profitmaximierungskriterien gelenkten Gesellschaft, in welcher der gleiche Wert jedes Menschen auf Grund des gleichen Menschseins in der unendlichen Differenz des individuellen Menschseins respektiert würde.

Sachen dürfen instrumentalisiert werden. Indem Menschen instrumentalisiert werden, werden sie den Sachen gleichgemacht, werden verdinglicht, für austauschbar und, je nachdem, für wertlos erklärt. Entfremdung und Instrumentalisierung haben die gleichen Folgen, resp. die Instrumentalisierung der Menschen ist die schwerwiegendste Entfremdungsursache. Nach Marx wäre Aufhebung der Entfremdung Glück. Doch Glück, lehrt Sigmund Freud, ist zwar das Hauptstreben aller Menschen, “ist jedoch im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen”.

 

Eine Kultur der Solidarität

Was bleibt zu tun? Bleibt nur die Resignation? Bevor ich zum Schluss komme, verweise ich nochmals auf Freud. Er hat bekanntlich zwischen dem Lebenstrieb und dem Todestrieb unterschieden, zwischen jenen inneren Kräften, die das eigene Leben und das Zusammenleben mit anderen Menschen kraftvoll unterstützen, und jenen, die es gefährden. Die destruktiven Kräfte bauen sich zum Teil auf komplizierte, innerpsychische Weise durch früh empfundene Empfindungen des Unwerts und des Ungenügens auf, dadurch der – häufig kaum benennbaren – persönlichen “Schuld”. Bleiben wichtige Grundbedürfnisse ungestillt und kommt zusätzlich ein Gefühl des persönlichen Ungenügens, ja der Schuld hinzu, so wachsen die selbstzerstörerischen und gemeinschaftszerstörerischen Tendenzen auf bedrohliche Weise an. Freud bezeichnet es daher als die „Schicksalsfrage der Menschenart, (…), ob und in welchem Masse es ihrer Kulturentwicklung gelingen werde, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden.

Ich denke, dass dies tatsächlich entscheidend ist, auch wenn wir kaum mehr von „Schicksalsfrage“ sprechen. Ob und in welchem Mass es den einzelnen Menschen gelingt, das Leiden an der Entfremdung und ihren Hunger nach einem erfüllten Leben nicht durch verhängisvolle Süchte gegen sich zu wenden, sondern das damit verbundene Bedürfnis nach Glück auf kreative Weise in sich zu entfalten, eventuell auch in den Dienst des besseren Zusammenlebens mit den anderen Menschen zu setzen, in den Dienst einer Kultur der Solidarität, d.h. einer Anerkennung der gegenseitigen Abhängigkeit, die wiederum sie selber tragen wird – ,dies hängt von vielem ab. Es hängt, zum Beispiel, von einer aufbauenden, stärkenden Therapie ab, es hängt von beziehungsmässigen, auch von beruflichen Ermutigungen ab, es hängt auch von gesellschaftlichen Zusammenhängen ab, vom Willen vieler Einzelner, für einander nicht blind und taub, nicht indifferent zu sein, sondern auf einander zu achten, einander gegenseitig Sorge zu tragen, zusammenzurücken und zugleich einander Raum zu lassen, damit niemand an den Rand gedrängt wird.

Zugleich hängt es von politischen Entscheiden und Strukturen ab. Der Macht- und Markttendenz, welche ungezählte Menschen zu „Überzähligen“ stempelt, können nur die Menschen selber entgegenwirken. Dies setzt voraus, dass auch soziale Pflichten angenommen und erfüllt werden, im Rahmen der je persönlichen Möglichkeiten. Ein allein auf Rechte gegründete Anspruchsverhalten führt in die Passivität und letztlich in die Isolation.

Die Frage stellt sich, ob der Preis des Fortschritts tatsächlich Leiden sein muss. Die Antwort, scheint mir, ergibt sich aus dem im Suchtverhalten angestrebten Zweck. Dieser kann nur durch die Veränderung der Bedingungen des Zusammenlebens erreicht werden. Therapien genügen für die Erfüllung der materiellen, der pychischen und der sozialen Grundbedürfnisse nicht. Es bedarf einer anderen Kultur: einer Kultur der Solidarität. Dazu gehört ein Schul- und Bildungswesen, das mit Sorgfalt der Diversität der Herkunftsgeschichte und –bedingungen wie der Begabungs- und Ausdrucksdifferenz der Kinder, auch der Jugendlichen gerecht wird, das nicht auf Grund normierter Leistungskriterien verhängnisvolle Wettbewerbsmodelle – analog zur Wirtschaft – mit der Zweiteilung von Starken und Schwachen, von Gefälligen und Schwierigen, von Reichen und Armen etc. vorwegnimmt, das nicht Differenz mit Ausschluss bestraft, sondern das dem vielfältigen Hunger nach Realitätserfahrung und nach Gruppenzugehörigkeit gerecht wird. Die Tendenz, welche die Diskriminierung der Kinder aus ärmerer oder ausländischer Herkunft anzeigt, darf sich nicht fortsetzen. Befähigung und Stärkung der Kinder und Jugendlichen als Persönlichkeiten, als Menschen mit eigener Würde und mit eigenen Rechten, sind ein wichtiger Beitrag zur Verminderung von Frustrationen und Gewalt im Erwachsenenalter.

Aus den breiten therapeutischen Erfahrungen ist auch klar, dass eine Rückbesinnung auf den Wert der menschlichen Beziehungen dringlich ist. Es ist verhängnisvoll, dass Beziehungen heute Warencharakter haben, dass Menschen nach einigem Verbrauch ersetzt werden wie Strümpfe. Beziehungen eingehen, pflegen und erhalten, bedarf jedoch der Zeit, resp. einer grösseren Langsamkeit im Alltagstempo. Wie diese grössere Langsamkeit erreicht werden kann, ist eine der kreativen Vernunft gestellte Aufgabe. (Dazu zahlreiche Ideen, z.B. dass die Vollarbeitszeit auf die Hälfte der heutigen Arbeitszeit reduziert wird, eine längst fällige Reduktion, da der Achtstundentag als soziale Errungenschaft doch aus den dreissiger Jahren datiert. Die Halbierung der Vollarbeitszeit hätte nicht nur den Vorteil, die den Menschen und den Beziehungen zwischen den Menschen dringend benötigte Musse zu schaffen, sondern auch die Probleme der Arbeits- und Erwerbslosigkeit, damit der Marginalisierung, der Entwertung und Entmündigung durch Fürsorgeabhängigkeit von Hundertausenden von Menschen zu lösen. Bei der Verteilung und Reinvestition des gesellschaftlichen Mehrwerts müssten in massgeblicher Weise die jungen Menschen und die Frauen mitbestimmen können. Das heisst, dass die politische Mitbestimmung demokratisch, jedoch auf andere Weise als nach dem herkömmlichen Parteienverhältnis geschehen müsste, dass demokratische Entscheidungsmacht, deren Veränderung und Korrektur nicht nach Massgabe der geldstärksten Propagandafabrikation und der partikulären Machtinteressen zustandekommen dürfte, sondern gemäss dem Zusammenschluss der vielen, deren Vorstellung von Lebensqualität die gleiche Lebensqualität für die Schwächsten in der Gesellschaft miteinschliesst, .d.h. der Kinder, der alten Menschen, der Fremden, der Flüchtlinge, der Invaliden und Kranken oder ganz einfach jener, die nicht fähig sind, sich für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse zu wehren).

Vielleicht könnte so jene Kultur der Solidarität oder, mit den Worten Freuds, jene “Technik der Lebenskunst” einzeln und gemeinsam für gut befunden werden, auf die Freud in seinem – mehrmals zitierten – Essay hinweist, nachdem er alle Methoden der Leidverminderung als ungenügend nachgewiesen hat? Da Glück tatsächlich „im Plan der ‚Schöpfung nicht enthalten“ ist, besteht die menschliche Aufgabe in der Leidverminderung und Leidheilung, in vielfacher Hinsicht, auch ausserhalb der psychotherapeutischen Praxis. Keine Utopie, meine ich, kein trügerisches Wunschpaket, sondern ein Projekt, welches das Suchtverhalten abbauen hülfe. Eine Linderung der Entfremdung liesse sich anstreben, so dass diese ertragbar würde, nicht auf kompensatorische Weise, sondern im Ertragenkönnen des geschichtlich bedingten, individuellen lebendigen Lebens, auch der Unvollkommenheit des Zusammenlebens, im Wissen um die heilende Wirkung von psychischer Sorgfalt und kreativer Vernunft.

 

[1] L’enracinement. Prélude à une déclaration des devoirs envers l’être humain. Hrg. von Albert Camus. Verlag Gallimard, Paris 1949.

[2] „Réflexions sur le bon usage des études scolaires en vue de l’amour de Dieu“. Erstmals veröffentlicht durch J.M.Perrin in „Attente de Dieu“, Editions de la Colombe, Paris 1950. (Betrachtungen über den rechten Gebrauch des Schulunterrichts und des Studiums in Hinblick auf die Gottesliebe, in: „Das Unglück und die Gottesliebe“. Übersetzung ins Deutsche durch Friedhelm Kemp. Kösel Verlag, München 1953).

3 cf. Maja Wicki. „Simone Weil. Eine Logik des Absurden“. Paul Haupt Verlag, Bern/Münschen 1983. – Von den notwendigen und nicht-notwendigen Widersprüchen einer freiheitlichen Gesellschaft. In: Wege des Widerspruchs. Willi Goetschel/John G. Cartwright/Maja Wicki (Hg.), Paul Haupt-Verlag, Bern/München 1984. – Ethik der Kommunikation und des politischen Handelns. In: Geschichte der euen Ethik. Annemarie Pieper (Hg.). Francke Verlag, Tübingen/Basel 1992. – Beiträge zu einer Philosophie der Dialogik im Werk von Rosa Luxemburg, Simone Weil und Hannah Arendt. In: Perspektiven der Dialogik. Zürcher Kolloquium zum 80. Geburtstag von H.L.Goldschmidt. Willi Goetschel (Hg.), Passagen Verlag, Wien 1994. –Handlungen, die wie Hebel hin zu mehr Wirklichkeit sind. Wie funktioniert das? – In: Simone Weil. Ein Leben gibt zu denken. Wolfgang W. Müller/Imelda Abbt. Eos-Verlag, St.Ottilien, 1999 u.a.m.

[4] s. z.B. Michel Foucault. Von der Subversion des Wissens. Hrg und aus dem Französischen und Italienischen übersetzt von Walter Seitter, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M. 1987.

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