Ist das, was schön ist, auch gut? – Das Schöne und das Gute im Spätwerk von Immanuel Kant
Ist das, was schön ist, auch gut?
Das Schöne und das Gute im Spätwerk von Immanuel Kant
Salongespräche Institut für Weiterbildung, Uni Bern, Herbst 2011
„Zum Menschen bekenne ich mich
mit allen Worten,
die mich erschaffen“…[1]
Vor dem Blick öffnet sich eine Allee aus hohen, alten Bäumen. Sind es Platanen im März? Die Stämme neigen sich einander zu, die Äste verschränken sich von beiden Seiten untereinander und bilden mit dem zarten Laub ein lichtdurchflutetes Dach. In der perspektivischen Orientierung des Schauens findet sich in scheinbarer Ferne und Nähe ein kleiner Rundbau mit einer offenen Säulenhalle, ein Bau ohne Türe und ohne Fenster. Ist es ein Tempel, ein Lustschlösschen, eine heilige Quelle, eine Grabstätte? Befinden wir uns in einem verlassenen Garten, in einem menschenleeren, fürstlichen Park oder auf einem Friedhof? Das Bild bewirkt ein Innehalten des Schauens, es berührt das Gemüt und löst eine innere Stimmung aus. Vielleicht ein Erschauern, ein Gebanntsein? – oder ein Gefühl des Wohlgefallens, der Lust? Wie wird die Empfindung geweckt, die sich kund tut? Wie beeinflusst sie unser Verhalten? Beruht sie auf älteren Erfahrungen und Erinnerungen, auf Kenntnis eines solchen Gartens? Oder tangiert das Bild die Vorstellungskraft, sind es Phantasien, Wünsche oder Träume, die durch den Blick auf die Allee und das geheimnisvolle Gebäude geweckt werden? Oder ist es einfach ein Empfinden der Harmonie von Natur und Baukunst, frei von jeglichem Interesse, frei von Bedürfnissen und frei von Zweck? Ist das Bild schön?[2]
Damit stossen wir auf die grundsätzliche Frage, die Immanuel Kant beschäftigte, als er sich mit 63 Jahren anschickte, die Kritik der Urteilskraft zu schreiben. Es ist die Frage, was die Wahrnehmung eines Gegenstandes bewirkt, der als schön empfunden wird. „Nun will man aber, wenn die Frage ist, ob etwas schön sei, nicht wissen, ob uns, oder irgend jemand, an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen sei, oder auch nur gelegen sein könne, sondern wie wir sie in der blossen Betrachtung (Anschauung oder Reflexion) beurteilen. Wenn mich jemand fragt, ob ich den Palast, den ich vor mir sehe, schön finde, so mag ich zwar sagen: ich liebe dergleichen Dinge nicht, die bloss für das Angaffen gemacht sind, oder, wie jener irokesische Sachem[3], ihm gefalle in Paris nichts besser als die Garküchen. Ich kann überdem auf die Eitelkeit der Grossen auf gut Rousseauisch[4] schmälen, welche den Schweiss des Volks auf so entbehrliche Dinge verwenden. Ich kann mich endlich gar leicht überzeugen, dass, wenn ich mich auf einem unbewohnten Eiland ohne Hoffnung, jemals wieder zu Menschen zu kommen, befände, und ich durch meinen blossen Wunsch ein solches Prachtgebäude hinzaubern könnte, ich mir auch nicht einmal diese Mühe darum geben würde, wenn ich schon eine Hütte hätte, die mir bequem genug wäre. Man kann mir alles dieses einräumen und gutheissen; nur davon ist jetzt nicht die Rede. Man will nur wissen, ob die blosse Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sei.“[5] Das heisst, mit anderen Worten, ob ich den Gegenstand, der ausserhalb von mir ist und den ich über meine Sinne in mich aufnehme – wahrnehme -, nicht als etwas Fremdes oder Belastendes empfinde, sondern als etwas, das in einer inneren Übereinstimmung mit mir ist, das ich als schön empfinde. Ein wenig vorher präzisierte Kant, dass hier die Vorstellung gänzlich auf das Lebensgefühl des Subjekts „unter dem Namen der Lust oder Unlust“ bezogen sei und dass dies für Andere „nichts zur Erkenntnis beitrage“, sondern einem „empirischen (mithin ästhetischen) Urteil“ entspreche. „Ein regelmässiges, zweckmässiges Gebäude mit seinem Erkenntnisvermögen (es sei in deutlicher oder verworrener Vorstellungskraft) zu befassen, ist ganz etwas anderes, als sich dieser Vorstellung mit der Empfindung des Wohlgefallens bewusst zu sein“.[6] Gemäss Kant beruht das ästhetische Urteil auf dem Bewusstsein, dass das unbewusste Empfinden, das durch die Wahrnehmung tangiert wurde, eine Übereinstimmung des äussern Gegenstandes mit dem inneren Bild bedeutet und Gefühle weckt, die sich spürbar kund tun.
Kant war schon in den Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von 1785 wie in der Kritik der praktischen Vernunft von 1788 vielfach auf die Komplexität von Begehrungsvermögen und Lust eingegangen, damals hinsichtlich der Fragen der Sittlichkeit und des Guten, der Pflichten, des Willens und der Freiheit, Fragen, die er ausschliesslich durch die Argumente der Vernunft zu beantworten suchte, mit dem kategorischen und dem praktischen Imperativ – wir werden darauf eingehen – , mit den Imperativen der Klugheit und der Glückseligkeit. Nun wird er bei der Berücksichtigung der sinnlichen Wahrnehmungen und der durch diese ausgelösten gemütsmässigen Reaktionen in seinem Bedürfnis nach systematischer Klarheit ungezählte Erläuterungen und Begründungen brauchen, bis er zu einer Synthese seiner zunehmenden Verfeinerung der Menschenkenntnis kommt, ohne sich damit zufrieden zu geben. Physiologie, Anthropologie und Psychologie werden in die Untersuchungen einbezogen, doch Gegenstand sind nicht mehr allein Verstand und Vernunft bezüglich der erkenntnismässigen und ethischen Umsetzungsmöglichkeiten beim Urteilen und Handeln, sondern es ist der gesamte Mensch in seiner vielfältigen, komplexen Individualität, die sich im Urteilsvermögen durch die von den Sinneswahrnehmungen verursachten Gefühlen offenbart. Die Schwierigkeiten und Aufgaben, die sich durch diese emotional bedingten Reaktionen im Zusammenleben der Menschen ergeben, insbesondere in den „Misshelligkeiten zwischen Moral und Politik“[7], die sich in Machtkämpfen und Kriegen zuspitzen, bewogen Kant beinah gleichzeitig, die Schrift Zum ewigen Frieden zu schreiben. Doch wir befinden uns erst beim Einstieg.
Da es sich um die Bedeutung der menschlichen Gefühle beim Sehen oder Hören, beim Berühren, Riechen oder Kosten handelt und um die Freiheit bei der ästhetischen Beurteilung dessen, was wahrgenommen wird, schien mir bei der Vorbereitung dieses Einstiegs, dass es einer Illustration resp. eines Beispiels bedurfte, damit das Gespräch sich in Hinblick auf einen Gegenstand sammeln kann, der von jeder/jedem Einzelnen auf persönliche Weise aufgenommen wird. Das subjektive Urteil ist leichter kommunizierbar, wenn allen am Gespräch Beteiligten der gleiche Gegenstand bekannt ist resp. wenn dieser zur „Dimension des Intersubjektiven“ gehört, wie sich Maurice Merleau-Ponty ausdrückte, dessen Überlegungen zum Primat der Wahrnehmung[8] für mich von grosser Bedeutung waren, insbesondere seine Gedanken über das Paradox der Immanenz und Transzendenz in der Wahrnehmung, das sich mit dem ästhetischen Urteil bestätigt und zugleich auflöst. Beim gemeinsamen Betrachten eines Bildes lässt sich umsetzen, was Merleau-Ponty sinnvoll erschien, nämlich „in Gedanken die perspektivische Erfahrung zu reproduzieren“, um festzustellen, „dass die eigentümliche Evidenz des Wahrgenommenen, die Erscheinung von etwas, diese Anwesenheit und diese Abwesenheit auf untrennbare Weise fordert.“[9]
Die Fotografie des Parc de Canon[10] von Lynn Geesaman, die ich eines Tages vor mir hatte, erachtete ich als dafür geeignet. Möglicherweise wurde der kleine Tempel etwa zur gleichen Zeit gebaut, als Kant die ersten Paragraphen der Analytik der ästhetischen Urteilskraft schrieb, um 1788 herum, als die Wogen von Sturm und Drang in der deutschen Literatur am Verebben und gleichzeitig jene viel breiteren der sozialen und politischen Unruhen in Frankreich, die 1789 zum Ausbruch der Revolution führten, so sehr am Anwachsen waren, dass sie auch den zurückgezogenen, aufmerksamen Philosophen in Königsberg tangierten. Damals war von der Berliner Akademie der Wissenschaften ein Thema für den Gelehrten-Wettbewerb ausgeschrieben worden, das ihm so unzeitgemäss erschien, dass er nach zwei-drei Entwürfen davon absah, einen Beitrag auszuarbeiten und einzureichen. Die Frage, die gestellt wurde, ob die Metaphysik seit Leibniz[11] und Wolff[12] Fortschritte gemacht habe, konnte er nur mit der Dringlichkeit des kritischen Denkens beantworten. Ausserhalb der empirischen Überprüfbarkeit erachtete er jede Erklärung theoretischer Erkenntnis als hinfällig. Gleichzeitig wollte er die Bedeutung seiner grossen Vaterfiguren nicht in Frage stellen (in Christian Wolffs Todesjahr war er gerade 30 Jahre alt gewesen), hatte sich doch dank deren Werk die Aufklärung im Bereich der deutschen Philosophie mit dem Einbezug der Naturwissenschaften, einer begriffskritischen Erkenntnislehre sowie einer Erweiterung der Religions- und Rechtswissenschaften gegen grosse Widerstände durchgesetzt – bei Leibniz insbesondere durch die Verbindung von Philosophie mit Mathematik und Physik in seiner Theorie der prästabilisierten Harmonie, die er mit der Kräfteordnung der seit Urzeiten im Weltganzen bestehenden, in und für sich abgeschlossenen, mit Bewusstsein versehenen Monaden begründete, bei Wolff vor allem durch die Klärung der erkenntnistheoretischen Begriffe (zum Beispiel jenem der Aufmerksamkeit) sowie durch die eingehende Beachtung und Untersuchung der konfuzianischen Religionsphilosophie und Ethik; bei beiden durch einen wissenschaftlichen Briefaustausch, bei welchem das Bemühen um rationale Klarheit im Vordergrund stand.
Leibnizens – manchmal auch Wolffs – Erkenntnisse hatte Kant in seinen Schriften immer wieder kritisch oder unterstützend beigezogen (wie u.a. auch jene von John Locke, Isaak Newton, David Hume und Moses Mendelssohn, von Jean-Jacques Rousseau und Voltaire), doch damals war für ihn weniger der Rückblick als vielmehr die Beachtung der zeitgemässen politischen, gesellschaftskritischen und naturwissenschaftlichen Untersuchungen sowie der Blick in die Zukunft vorrangig. Er vertiefte sich in die Neuerscheinungen aus den Bereichen der Geologie, die ihn seit seiner Jugend begeistert hatte, der Physik und Chemie, der Physiologie, Biologie und Zoologie, wobei er sich in seinem Erkenntnishunger auch mit den von religiöser Seite angegriffenen oder verurteilten evolutionstheoretischen Fragen befasste und sich dazu erst zurückhaltend, schliesslich mit zunehmender Offenheit äusserte[13]. Die Tatsache der Analogie so vieler Tiergattungen überzeugte ihn in der Annahme, dass sie „bei aller Verschiedenheit einer wirklichen Verwandtschaft in der Erzeugung von einer gemeinschaftlichen Urmutter“ entstammen, „durch die stufenartige Annäherung einer Tiergattung zur andern, von derjenigen an, in welcher das Prinzip der Zwecke am meisten bewährt zu sein scheint, nämlich dem Menschen, bis zum Polyp, von diesem sogar bis zu den Moosen und Flechten, und endlich zur niedrigsten uns merklichen Stufe der Natur, zur rohen Materie“. In einer Fussnote hielt er fest, dass „man eine Hypothese von solcher Art ein gewagtes Abenteuer der Vernunft nennen könne, dass es wenige, selbst von den scharfsinnigsten Naturforschern, sein mögen, denen es nicht bisweilen durch den Kopf gegangen wäre“.[14] Mit dem Erkenntnissystem der Naturwissenschaften, in welchem jede Errungenschaft aus der Abfolge kritischen Hinterfragens der vorangegangenen Forschungsergebnisse wächst und sich damit der zentralen Frage der Zweckmässigkeit – der Teleologie – aussetzt, öffnete sich für ihn eine weitere Verbindung zur Ästhetik.
Kant wurde sich bewusst, dass der Mensch in seinen Empfindungen von Lust und Unlust und deren vielfältigen Variationen, damit im Bewerten und Beurteilen dessen, was er dank seiner Sinnesorgane aufnimmt wie dessen, was er dank seiner Fähigkeiten herstellt und tut, eine Art physikalisches Vermögen umsetzt – das „Vermögen des Gemüts“ -, das als ein „Prinzip a priori“ einer besonderen Beachtung bedurfte. Er war schon in der Kritik der reinen Vernunft von 1781 auf die transzendentale Ästhetik eingegangen und hatte sie als „Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit“ bezeichnet, die „abgesondert von aller Empfindung“ als „reine Anschauung“ [15] gelten konnte. Was hatte er darunter verstanden? „In der transzendentalen Ästhetik also werden wir zuerst die Sinnlichkeit isolieren, dadurch dass wir alles absondern, was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als empirische Anschauung übrig bleibe. Zweitens werden wir von dieser noch alles, was zur Empfindung gehört, abtrennen, damit nichts als reine Anschauung und die blosse Form der Erscheinungen übrig bleibe, welches das einzige ist, das die Sinnlichkeit a priori liefern kann.“[16] Bei diesem Abstraktionsvorgehen der transzendentalen Ästhetik waren für Kant als „reine Formen sinnlicher Anschauung“ noch Raum und Zeit geblieben, „diese zwei Elemente, (…) weil alle anderen zur Sinnlichkeit gehörigen Begriffe, selbst der der Bewegung, welcher beide Stücke vereinigt, etwas Empirisches voraussetzen. Denn diese setzt die Wahrnehmung von etwas Beweglichem voraus. Im Raum, an sich selbst betrachtet, ist aber nichts Bewegliches. (…) Eben so kann die transzendentale Ästhetik nicht den Begriff der Veränderung unter ihre Data a priori zählen: denn die Zeit verändert sich nicht, sondern etwas, das in der Zeit ist.“[17]
Wir können aus zeitlichen Gründen weder auf die Untersuchungen von Raum und Zeit eingehen noch auch auf jene der transzendentalen Urteilskraft. Wichtig als Klärung der „zur Sinnlichkeit gehörigen Begriffe“, die die Zusammenhänge betreffen, mit denen wir uns befassen, erscheint mir jedoch Kants Aussage in diesem früheren Werk, dass „die Logik keine Vorschriften für die Urteilskraft enthalten kann. (…) So zeigt sich, dass zwar der Verstand einer Belehrung und Ausrüstung durch Regeln fähig, die Urteilskraft aber ein besonders Talent ist, welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will.“[18] Somit erachtete er die Urteilskraft – insbesondere die reflektierende Urteilskraft – als ein intuitives Erkenntnisvermögen, das die Anwendung und Umsetzung von Regeln ermöglicht, die dank dem Verstand erkannt werden.
Als Kant 1790 die Bedeutung der Urteilskraft in empirischer und naturwissenschaftlich-teleologischer Weise erweiterte, gelangte er zur ästhetischen Urteilskraft als einem weiten, geheimnisvollen Bereich, das auf dem sinnlichen und gefühlsmässigen Erkennen beruht, das auf systematische Weise zu untersuchen ihm viel schwieriger erschien, „ist doch von empirischen Gesetzen eine so unendliche Mannigfaltigkeit und eine so grosse Heterogenität der Formen der Natur, die zur besonderen Erfahrung gehören würden, möglich, dass der Begriff von einem System nach diesen (empirischen) Gesetzen dem Verstand ganz fremd sein muss, und weder die Möglichkeit noch weniger aber die Notwendigkeit eines solchen Ganzen begriffen werden kann“[19], wie er in der ersten Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft festhielt, und wenige Seiten später: „Nun hat das Erkenntnisvermögen nach Begriffen seine Prinzipien a priori im reinen Verstand (seinem Begriff von der Natur), das Begehrungsvermögen in der reinen Vernunft (ihrem Begriff von der Freiheit) und da bleibt noch unter den Gemütseigenschaften überhaupt ein mittleres Vermögen oder Empfänglichkeit, nämlich das Gefühl der Lust und Unlust, so wie unter den oberen Erkenntnisvermögen ein mittleres, die Urteilskraft“ [20]. Während sich Verstand und Vernunft auf Objekte ausrichten, für welche sie generell zugängliche Begriffe benutzen, bezieht sich die Urteilskraft ausschliesslich auf die durch die Sinneswahrnehmungen des Subjekts geweckten Empfindungen und bringt weder Erkenntnisse noch Begriffe hervor, die der allgemeinen Erkenntnisförderung dienen würden, sondern, je nachdem „wie (…) das Subjekt affiziert wird“[21], ein „ästhetisches Reflexions-Urteil“ resp. eine vom Unbewussten geweckte und sich im Bewusstsein manifestierende Meinung des Ästhetischen, die ausschliesslich von subjektiver Bedeutung ist.
Es kann somit „nicht eine Ästhetik des Gefühls als Wissenschaft geben wie die Ästhetik des Erkenntnisvermögens“, folgerte Kant. „Es bleibt immer eine unvermeidliche Zweideutigkeit in dem Ausdruck einer ästhetischen Vorstellungsart, wenn man darunter bald diejenige versteht, welche das Gefühl der Lust und Unlust erregt, bald diejenige, welche bloss das Erkenntnisvermögen angeht, sofern darin eine sinnliche Anschauung angetroffen wird, die uns die Gegenstände nur als Erscheinungen erkennen lässt.“[22] Doch diese „Zweideutigkeit“ versetzte ihn nicht in Zweifel, im Gegenteil. Sie begründet sich durch die Vielschichtigkeit der Wahrnehmungen wie der Empfindungen und dient dem Zweck der Klärung, selbst wenn diese nur „dürftig“ gelingen kann. „Eine Erklärung dieses Gefühls im Allgemeinen betrachtet, ohne auf den Unterschied zu sehen, ob es die Sinnesempfindung oder die Reflexion oder die Willensbestimmung begleite, muss transzendental (resp. übersinnlich, nicht empirisch maw) sein. Sie kann so lauten: Lust ist ein Zustand des Gemüts, in welchem eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt, als Grund, entweder diesen bloss selbst zu erhalten (denn der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemütskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst), oder ihr Objekt hervorzubringen. Ist das erstere, so ist das Urteil über die gegebene Vorstellung ein ästhetisches Reflexionsurteil. Ist es aber das letztere, so ist es ein ästhetisch-pathologisches oder ästhetisch-praktisches Urteil. Man sieht hier leicht, dass Lust und Unlust, weil sie keine Erkenntnisarten sind, für sich selbst gar nicht können erklärt werden, und gefühlt, nicht eingesehen werden wollen; dass man sie daher nur durch den Einfluss, den eine Vorstellung vermittelst dieses Gefühls auf die Tätigkeit der Gemütskräfte hat, dürftig erklären kann.“[23]
Ob mit „Lust“ oder „Unlust“ somit Empfindungen benannt werden, die durch Wahrnehmungen der Sinne geweckt werden, je nachdem, ob damit wohltuende oder ob belastende Begegnungen, Geschehnisse und Erfahrungen einhergehen, die das Nachdenken anregen (das ästhetische Reflexionsurteil), oder ob es um etwas der Vernunft Widersprechendes gehe, das sich mittels der Empfindungen, eventuell der Gefühle äussert (das ästhetisch-pathologische Urteil), etwa um „leere und phantastische Begehrungen, welche häufig durch Romane, bisweilen auch durch ähnliche mystische Vorstellungen übermenschlicher Vollkommenheit und fanatischer Seligkeit genährt werden, (…) solche leere Begierden und Sehnsüchte, die das Herz ausdehnen und welk machen“, wie Kant in einer ausführlichen Fussnote zur zitierten Aussage ergänzte, oder ob es sich schliesslich um ein Kunstwerk handle, das nicht die Natur bietet und nicht durch Zufall entstanden ist, sondern das vom Menschen selber in seinem Vermögen und Können hergestellt wird (das ästhetisch-praktische Urteil), immer drängt sich für Kant die Frage nach dem Zweck der Empfindungen auf, die durch die Vermittlung der Sinne geweckt werden und mittels der Urteilskraft das menschliche Entscheiden, Verhalten und Handeln beeinflussen. So oder so gehören nach seinem Ermessen die Überlegungen und eventuellen Erkenntnisse in den Bereich der Ästhetik.
Es mag nützlich sein, ein wenig genauer auf den Begriff der Ästhetik einzugehen, bevor wir uns näher mit unserer zentralen Frage befassen, ob das, was wir als schön empfinden und das, was wir als gut erachten, übereinstimmen. Mit dieser Fragestellung werden sich die drei Bereiche des ästhetischen Urteils zur Untersuchung und Diskussion anbieten.
Die Bedeutung des griechischen Substantivs „aisthesis“ deckt sich mit „sinnlicher Wahrnehmung, Erfahrung, Empfindung“, unabhängig davon, wie die Art und Weise der Wahrnehmung und wie die Empfindung sei. Die Ästhetik als Wissenschaft – „aisthetiké epistéme“ – befasst sich somit mit allen Variationen der durch die Sinne geweckten Emotionen und beschränkt sich nicht auf das Empfinden oder Beurteilen des Schönen, wie oft angenommen wird. Es mag erstaunen, dass die Wechselwirkung zwischen den Aufnahmemöglichkeiten der vielfältigen menschlichen Sinnesorgane, den durch diese geweckten Empfindungen und deren Einfluss auf das menschliche Beziehungsgeflecht, auf das Verhalten und Handeln während Jahrhunderten eher am Rand der Philosophiegeschichte Beachtung fand. Diesbezüglich war insbesondere Alexander Gottlieb Baumgarten[24] Kant voraus gegangen, ein Schüler Christian Wolffs, der in Jena mit seiner Dissertation[25] einen Durchbruch in der Beachtung der Erkenntnismöglichkeit durch die Sinne und der Urteilskraft durch den Geschmack bewirkt hatte. Baumgarten war nur zehn Jahr älter wie Kant gewesen, war früh an Tuberkulose erkrankt – an „Schwindsucht“, wie damals die Krankheit hiess – und war mit 48 Jahren gestorben. Kant ehrte ihn als bedeutenden Denker und verwies mehrmals auf sein Werk, ganz besonders auf die 1750 und 1758 erschienenen zwei Bände der nicht abgeschlossenen Aesthetica.
Beachtenswert erscheint mir, wie sich in der Ästhetik das Erbe der süditalisch-etruskischen und griechischen Philosophiegeschichte seit deren Anfängen erhalten hat. Nur ein kleiner Überblick wird aus zeitlichen Gründen möglich sein. Da ist die pythagoreische Harmonie- und Zahlenlehre aus der Mitte des 6. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts, die aus dem Mythos der apollinischen Sphäre höchster Reinheit, Klarheit und Einfachheit herauswuchs und die sich mit der körperlich-lebendigen, naturverbundenen orphischen Lehre verband, die mit dem Demeter- und später mit dem Dionysos-Kult einher ging. So erklärt sich die etwa gleichzeitig einsetzende wissenschaftliche und künstlerische Entwicklung, die Beobachtung der Naturerscheinungen und der Naturkräfte, woraus sowohl die ersten bedeutenden Erkenntnisse im Bereich der Medizin, der Mathematik und Geometrie, der Astronomie und der Physik entstanden als auch deren Umsetzung im Bau der Tempel und in der Gestaltung von Gefässen, Malereien und Skulpturen, sodann aus der Erkenntnis der tragenden und vibrierenden Kraft der Winde, des kosmischen Atems, jene des menschlichen Atems – der „Seele aus dem All von den Winden getrieben und eingeatmet“[26] -, eingeatmet und ausgeatmet im Rhythmus und in den Klangvariationen des Gesangs und der Flöte, der Hände im Saitenspiel der Kithara und der spielerisch-denkerischen Umsetzungen der Sprache im Gedicht. Naturreligiosität und das Bedürfnis nach Erkenntnis vermischten sich im Ausdruck individueller Erfahrung und Empfindung ebenso wie Wissen und Kunst, Denken und Spiel. Das Paradoxe von Körper und Seele – Natur und Geist – im Menschsein widerspiegelte sich im Ästhetischen, „es zeigt in bedingter Weise, dass die Harmonie wirklich vorhanden ist und dass das Ungerade, das Geradlinige, das Gleiche in die Reihe des Schönen gehört“[27]. Voraussetzung war, dass in jeder Hinsicht ein Gleichgewicht der Kräfte und der Grössen, ein ausgewogenes Mass gewahrt wurde. „Ordnung und Proportionen sind schön und nutzbringend, Unordnung aber und das Fehlen der Proportion sind hässlich und unnütz“[28], wie die pythagoreische Weisheit zusammengefasst wurde. Was in der Natur beobachtet werden konnte, galt für die Gestaltung des privaten wie des öffentlichen Lebens, für die körperliche und geistige Gesundheit, für das Verhalten der Menschen mit anderen Menschen, für das Umgehen mit Waren, Gewinn und Macht wie mit Erkenntnis. Es galt auch für die Kunst.
Eine grosse Anzahl von Denkern aus jener Zeit hinterliessen Spuren, die nicht von ihnen selber, sondern von anderen schriftlich festgehalten worden waren. Was von Sokrates wie von einigen der Sophisten, unter ihnen Gorgias und Protagoras, erhalten blieb, wissen wir über Platon, der in den von ihm geschriebenen Gesprächen zahlreiche Zeitgenossen dokumentierte. Für viele waren Fragen der Ästhetik von Bedeutung, wenngleich von unterschiedlicher Bedeutung. Sokrates unterschied zwischen der handwerklichen Kunst – zum Beispiel jener des Schmiedes oder des Schusters, die sich durch Werke auszeichnen, die es in der Natur nicht gibt, und jener der Maler und Bildhauer, deren Kunst durch einfühlsame Nachbildung der Natur – gr. „mimesis“ – geschaffen wird und „schön“ ist, wenn sie über das Formale hinaus das Geistige oder Göttliche zum Ausdruck bringen kann. Platon selber konzentrierte sich mit der Ideenlehre auf den Erkenntniswert des Geistigen, damit auf das Schöne, das nicht von der individuellen Erfahrung des Menschen und von dessen subjektivem Urteil bestimmt wird, sondern diesem zeitlos übergeordnet ist, von metaphysischer Bedeutung ist und daher nicht Sinnesfreude, sondern reine Ergriffenheit bewirkt. Aristoteles, Platons Schüler, vertiefte sich dagegen in die Vielfalt und Widersprüchlichkeit dessen, was die Natur dem wahrnehmenden und schöpferischen Menschsein bietet. „Was natürlich abläuft, erregt Verwunderung, solange man den Grund nicht kennt, auch was der Natur entgegen ist, sobald es durch die Kunst der Menschheit zum Nutzen sich abspielt. Vielleicht nämlich arbeitet die Natur unserem Vorteil entgegen, weil sie immer den gleichen Verlauf nimmt und einfach ist, während unser Nutzen vielfältig wechselt“[29], findet sich bei Aristoteles am Anfang seiner Einführung in die Untersuchung der Bewegungsfragen, auf welche jene über die unteilbaren Linien, über Töne und über Farben folgt. Es sind eingehende Beobachtungen über Licht und Finsternis sowie über die vielfältigen Variationen der Farben der Erde, der Gesteine, des Wassers, der Wolken, der Hölzer, Pflanzen, Blätter und Blüten, der Früchte, der Haut und der Haare der Menschen und Tiere, der Gefieder der Vögel und der Schuppen der Fische, des Einflusses von Feuchtigkeit oder von Alter – lauter Erkenntnisse, die auf den sorgfältigen Wahrnehmungen durch das Auge beruhten und Möglichkeiten deren Umsetzung, unter anderem der Pigmentgewinnung und –mischung, für die Malerei anboten. Ungezählte Generationen von Künstlern und Künstlerinnen haben sich darin vertieft, unter diesen auch die grössten wie Leonardo da Vinci und Michelangelo, oder aus einem anderen Bereich Johann Wolfgang Goethe, auf dessen Farbenlehre und Überlegungen zur Ästhetik wir eingehen werden ebenso wie u.a. auf die Fortsetzung bei Malerinnen und Zeichnerinnen, Musikern und anderen schöpferischen Menschen der jüngsten Zeit.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Ästhetik einen weiten Bereich ausfüllt, der immer das Innenleben des Menschen betrifft, ob es sich um emotionale Auswirkung beim Aufnehmen von Naturerfahrungen handle oder bei jenem von Kunstwerken – in passiver oder aktiver Weise -, von Zeichnungen, Malereien oder Skulpturen, von Architektur, von Sprache, von Musik und Tanz, Speisen und Düften, von vielfältigsten Begegnungen, von alltäglichen wie von ausserordentlichen Geschehnissen, letztlich von allem sinnlich gestalterischen Wirken und Tun. Eine lange Liste von gegensätzlichen „Bestimmungswörtern, die Prädikate des ästhetischen Urteils sein können“, mag die Mannigfaltigkeit von Wahrnehmung und Empfindung verdeutlichen, wie in einer jüngst erschienen Abhandlung zur Ästhetik von Elmar Waibl zusammengefasst wird, nämlich „schön und hässlich, gefällig und abstossend, anmutig und plump, erhebend und deprimierend, witzig und geistlos, farbig und blass, gehaltvoll und banal, aufregend und lähmend, spannend und langweilig, grotesk, obszön, schockierend, ekelerregend usw.“[30] „Ästhetik ist eine existentielle Notwendigkeit“ hielt Cornelia Hesse-Honegger in einer ihrer Schriften fest[31] und fasste damit zusammen, was sie seit Beginn ihres Erwachsenenlebens zugleich künstlerisch und wissenschaftlich beflügelte. Dabei steht „Notwendigkeit“ als Ausdruck ihres moralischen Urteils keineswegs im Widerspruch zur Freiheit ihres künstlerischen Entscheidens, über das zeichnerische und malerische Bild die aufwühlende und faszinierende „Zweideutigkeit“ [32] ihrer Wahrnehmungen festzuhalten.
Immer prägt Ästhetik – und in inhaltlicher Verbindung mit den formalen Aspekten der Ästhetik Naturwissenschaften, Philosophie und Kunst, für manche auch Religion – das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zur Welt, damit zu allem, was er/sie als Subjekt psychisch (resp. nervlich oder neurologisch) durch die Empfindungen sowie intellektuell durch das Denken und körperlich durch die Verbindung von Kopf, Herz und Hand mit seinem / ihrem schöpferischen, künstlerischen Potential verarbeitet und gestaltet, in steter aktiver und passiver Wechselwirkung oder, anders formuliert, in stetem dialogischem Prozess, voller Widersprüchlichkeiten – oft mit Mühe auszuhalten -, heute nicht anders denn vor Jahrtausenden. So mag, zum Beispiel, widersprüchlich erscheinen, dass Karl Kerényi in seiner Untersuchung des pythagoreisch-orphischen Aufblühens Verse von D. H. Lawrence[33] zitierte – „unter dem, worüber wir denken, dass wir sind, sind wir anderes, sind wir sozusagen alles“[34] –, doch die Früchte aus den gegensätzlichen Kräften Apollos und Demeters, deren Entwicklung Kerényi untersuchte, die vielfältigen Kräfte im Menschen, die „tiefsten Schichten der Natur“ und gleichzeitig das „göttlich Lebendige als etwas Zartes und Feines“, wirken weiter. Gemäss Yehudi Menuhin ist es das, „was einen Menschen zu einem einmaligen Individuum macht“, es sind „die Narben und Male, der Stempel einer besonderen persönlichen Erfahrung und die Intensität der Reaktion, die diese Erfahrung im Empfinden, Denken und Handeln hervorruft. Das Leben ist unser Bildhauer, und wir werden – ob zum Guten oder Schlimmen – von ihm in eine bestimmte Form geschlagen und gemeisselt. Andernfalls bleiben wir nur Klötze, Barren, Säule, ohne Kannelierung, ohne Basis und Kapitell“[35]. Der Mensch ist das Kunstwerk seiner selbst.
Bevor wir näher auf die Frage eingehen, was für Sie als Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unserem Gespräch wie für andere Denker und Denkerinnen das Schöne in der Auseinandersetzung mit dem Guten resp. mit der Freiheit des Entscheidens und Handelns bedeutet, auch was in dieser Auseinandersetzung für das einzelne Individuum und was für ein Kollektiv die Bedeutung von „Kunst“ ist, braucht es noch eine Annäherung an Kants persönliche Auseinandersetzung mit „dem Guten“. Was er in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten wie in der Kritik der praktischen Vernunft und in der Metaphysik der Sitten nach den Kriterien der Vernunft dargestellt hatte, nämlich im Sinn rationaler Begründung die auf der verstandesmässigen Erkenntnis beruhenden, vernunftgemässen Begründungen der Freiheit im Beachten des Guten gemäss dem menschlichen Streben nach „Glückseligkeit“, dem ging er in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft unter Berücksichtigung auch der empirischen Untersuchungsmethode und der emotionalen Beweggründe in der Verarbeitung der vielfältigen sinnlichen Wahrnehmung von neuem nach. Gelangte er zu anderen Erkenntnissen?
Gleich beim Einstieg in den Abschnitt zur Analytik des Schönen hielt Kant fest: „Gut ist das, was vermittelst der Vernunft, durch den blossen Begriff, gefällt. Wir nennen einiges w o z u g u t[36] (das Nützliche), was nur als Mittel gefällt; ein anderes aber a n si c h g u t, was für sich selbst gefällt. In beiden ist immer der Begriff eines Zwecks, mithin das Verhältnis der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am D a s e i n eines Objekts oder einer Handlung, d.i. irgend ein Interesse, enthalten.“[37] Vorausgehend war Kant auf das I n t e r e s s e eingegangen, das er mit „Wohlgefallen“ verband und hatte als Beispiel jenen Palast erwähnt, der je nach dem sozialen oder politischen Urteil des Betrachters/der Betrachterin (zum Beispiel „auf gut Rousseauisch schmälen“) oder je nach den persönlichen Lebensbedingungen („wenn ich mich auf einem unbewohnten Eiland befände und schon eine Hütte hätte, die mir bequem genug wäre“) unterschiedlich wahrgenommen wird. Er wollte damit verdeutlichen, dass es nicht von der objektiven Bedeutung resp. vom formalen ästhetischen Wert eines Objekts, sondern vom persönlichen ästhetischen Empfinden, mit anderen Worten, vom G e s c h m a c k des einzelnen Menschen abhänge, ob etwas als schön beurteilt werde und ein Gefühl des Wohlgefallens wecke.
Wohlgefallen stimmte für Kant mit dem G e f ü h l des Angenehmen überein. In diesem Zusammenhang erachtete Kant „Gefühl“ als den genaueren und weniger missverständlichen Ausdruck denn „Empfindung“, da vom Begrifflichen her mit „Empfindung“ auch einfach die Wahrnehmung als solche resp. „eine zum Erkenntnisvermögen gehörige Rezeptivität“[38] gemeint sein könnte. Er verstand unter „Wohlgefallen“ somit ein Gefühl, das ein Interesse am Objekt weckt, das wahrgenommen wird, das „eine Begierde rege macht“ und somit „eine Beziehung seiner Existenz auf meinen Zustand, sofern er durch ein solches Objekt affiziert wird, voraussetzt.“[39] Auf Grund dieser Beziehung folgerte Kant, dass das Interesse sich auf das Dasein des Objekts ausrichtet, dass aber, „um etwas gut zu finden, ich jederzeit wissen muss, was der Gegenstand für ein Ding sein solle, d.h. einen Begriff von demselben haben (muss).“[40] Er kam offenbar von den strengen rationalen Bedingungen, die auch in der Kritik der praktischen Vernunft für ihn galten, nur schwer weiter, resp. er wollte diese nicht in Frage stellen, sondern erweitern. Noch immer konnte für ihn etwas, das als angenehm oder als schön wahrgenommen wird, lediglich dann auch als gut gelten, „wenn es durch den Begriff eines Zwecks unter Prinzipien der Vernunft gebracht wird, als Gegenstand des Willens.“ Doch da er nun auch das Gefühl als wichtigen Impuls für die Begründung des Entscheidens und Handelns berücksichtigen wollte, fügte er bei: „Dass dieses aber alsdann eine ganz andere Beziehung auf das Wohlgefallen sei, wenn ich das, was vergnügt, zugleich g u t nenne, ist daraus zu ersehen, dass beim Guten immer eine Frage ist, ob es bloss mittelbar gut oder unmittelbar gut (ob nützlich oder an sich gut) sei; da hingegen beim Angenehmen hierüber gar nicht die Frage sein kann, indem das Wort jederzeit etwas bedeutet, was unmittelbar gefällt. (Eben so ist es auch mit dem, was ich schön nenne, bewandt).“[41]
Kant befand sich im Disput mit sich selber. Er führte mehrere Beispiele an, um zu verdeutlichen, was er meinte. Er erwähnte, dass „das Wohlgefallen an Blumen, freien Zeichnungen, ohne Absicht in einander verschlungenen Zügen unter dem Namen des Blattwerks“ von keinen bestimmten Begriffen abhänge, dass hier kein Zwiespalt auftrete. Dagegen würden Speisen mit starken Gewürzen zwar unmittelbar den Sinnen behagen, mittelbar aber „durch die Vernunft“ – resp. durch das Einwirken des Fragens nach den Folgen – missfallen, so dass solche Speisen nicht zugleich angenehm und gut sein können. Schliesslich ging er in langen Erwägungen der für ihn zentralen Frage nach, ob „in Absicht der Glückseligkeit“ für einen Menschen „die grösste Summe der Annehmlichkeiten“, sowohl was die Menge wie was die Dauer betreffe, als „ein wahres, ja sogar das höchste Gut zu nennen sei“. Doch dagegen sträube sich die Vernunft, obwohl Annehmlichkeit ein Genuss sei. „Nur durch das, was er tut, ohne Rücksicht auf Genuss, in voller Freiheit und unabhängig von dem, was ihm die Natur auch leidend verschaffen könnte, gibt er seinem Dasein als der Existenz einer Person einen absoluten[42] Wert; und die Glückseligkeit ist, mit der ganzen Fülle ihrer Annehmlichkeit, bei weitem nicht ein unbedingtes Gut“[43], es müssten Bedingungen erfüllt werden. Doch welche Bedingungen? Die Frage stellt sich, was für Kant als Massstab für das Gute galt.
Schon im ersten Abschnitt der Grundlagen zur Metaphysik der Sitten von 1785 /86 hatte er festgehalten, was aus der begrifflichen Unklarheit herausführt. „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch ausser derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein g u t e r W i l l e. Verstand, Witz, Urteilskraft und wie die T a l e n t e des Geistes sonst heissen mögen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatz, als Eigenschaften des T e m p e r a m e n t s, sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie können auch äusserst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Brauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum C h a r a k t e r heisst, nicht gut ist.“ Und er führte weiter aus, dass es „mit den G l ü c k s g a b e n eben so bewandt ist. Macht, Reichtum, Ehre, selbst Gesundheit und das ganze Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustand, unter dem Namen der G l ü c k s e l i g k e i t, machen Mut und hierdurch öfters auch Übermut, wo nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluss derselben aufs Gemüt, und hiemit auch das ganze Prinzip zu handeln berichtige und allgemein-zweckmässig mache (…)“.[44]
Immer wieder scheint mir bei der Lektüre der nicht endenden Begriffsklärungen und Erläuterungen der einzelnen Erkenntnisschritte Kant selber zu begegnen, resp. der Denker als Mensch in seinen Bemühungen, der strengen Beweispflicht seines „guten Willens“ zu genügen, gleichzeitig in seiner Sorge, dieser nicht genügen zu können. Er war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hatte früh seinen Vater verloren und seine pietistisch fromme, sehr belesene Mutter zutiefst verehrt, hatte sein Studium dank Stipendien absolviert und während Jahrzehnten als Privatlehrer, durch private Vorlesungen in Königberg und Publikationen mit einem Minimum an finanziellen Mitteln zurecht kommen müssen. Von jungen Jahren an unterstützte er gewissenhaft seine darbende Schwester. Lehrangebote ausserhalb von Königsberg hatte er abgelehnt, obwohl sie ihm bessere Lebensbedingungen geboten hätten; eine grosse Korrespondenz füllte täglich Stunden aus. Tagesbeginn war sein ganzes Leben lang um fünf Uhr früh, und bis ins hohe Alter pflegte er am Nachmittag einen Spaziergang. Als er noch jünger war, gestand er sich ab und zu auch Theateraufführungen oder Kneipenbesuche zu; von Liebesbeziehungen fehlt jede Spur. Selbst in seiner letzten Lebensphase, als ihm europaweit Ansehen und Beachtung entgegen gebracht wurden und er über mehr Mittel verfügte, in einem grösseren, eigenen Haus wohnte, sich einen Diener und täglich Gäste für das Gespräch am Mittagstisch ermöglichen konnte, lebte er weiter in grosser Bescheidenheit und Selbstdisziplin. 1801 musste er sich schwächehalber von der Universität zurückziehen. Wie aus den – aufdringlich und indiskret wirkenden – Aufzeichnungen seiner „Schüler“ deutlich wird[45], gingen die letzten drei Jahre seines Lebens langsam und qualvoll vorüber, mit Schlaflosigkeit, Verwirrungen und grossen Ängsten.
Genau betrachtet bestand Kants Streben nach dem Guten in der fast pausenlos grüblerischen Auseinandersetzung mit sich selber, in erster Linie auf der Ebene des Verstandes über das Denken, im steten kritischen Hinterfragen und Klären seiner Erkenntnisse, diese mit den Erkenntnissen anderer Denker vergleichend oder bewertend, ohne Zweifel an der Notwendigkeit, seine eigenen zu erweitern – letztlich im Sinn der Pflichterfüllung, da er über die Fähigkeit zu denken verfügte. Für ihn selber galt Denken als Handeln im Mass des freien Entscheids und dessen Umsetzung, d.h. im Mass des freien Wollens, das die von der Vernunft geleiteten Absichten übersteigt, so dass es zur „Maxime“ resp. zum „subjektiven Prinzip“ wird, wie er erläuternd in einer Fussnote festhielt und gleich anschliessend ergänzte, dass als „objektives Prinzip“ das „praktische Gesetz“ gelten müsse[46], das als „Imperativ“ zu verstehen sei – vom hypothetischen zum kategorischen und zum praktischen Imperativ[47] – und daher das Wollen mit dem „Sollen“ verbinde, d.h. mit dem steten Erfüllen der Pflichten nicht als Zwang, sondern auf Grund der Umsetzung von Freiheit zum Zweck des Erlangens von Glückseligkeit.
So knapp zusammengefasst mag Kants Konzept des Guten am deutlichsten klar werden. Um den „guten Willen“ zu überprüfen und umzusetzen, sind alle Triebfedern des Verstandes, der Vernunft und der Sinne zu vereinen. In diesem Sinn vermittelt der kategorische Imperativ die Dringlichkeit, die Wirkungen eines Handlungsentscheides zu bedenken: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“, eine Formulierung, deren Ernsthaftigkeit und Gültigkeit er noch verstärkte: „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.“[48] Was Kant anschliessend an Beispielen aufführte, sind menschliche Alltagsgeschehnisse. Sie machen deutlich, dass für jeden Einzelnen und jede Einzelne als Subjekt des Entscheidens und Tuns letztlich nur das als „gut“ gelten kann, was von den Folgen her ertragbar wäre, wenn alle Menschen nach der gleichen Maxime handeln würden. In Hinblick auf das, was „das Gute“ ist, gibt es keine Kategorien von Rang und Stand, entsprechend dem alten Ratschlag, der als Sprichwort Generationen überdauerte: „Tu keinem anderen an, was du nicht willst, dass dir angetan wird!“ Im Zusammenleben der Menschen besteht eine naturgegebene Abhängigkeit im stets wechselnden Verhältnis von Subjekt und Objekt. Alle sind in der jeweiligen Besonderheit des gleichen Menschseins auf das Wohlwollen der anderen angewiesen. Aus dieser Tatsache folgte für Kant mit der gleichen Dringlichkeit der praktische Imperativ: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchst.“[49]
Für Kant war mit „Zweck“ das Gute als Zielsetzung des Wollens gemeint. Diese darf nicht nach willkürlichen Kriterien gesetzt werden, nicht ohne Beachtung der Folgen des Handelns auf andere Menschen, deren Menschsein – trotz aller Differenz – dasselbe ist. Es geht im praktischen Imperativ um die Grundregel der Reziprozität, des wechselseitigen Respekts ohne Unterschied von Herkunft, Geschlecht oder sozialer Stellung, der unbedingten Forderung gleicher Achtung vor jedem Leben, der Verwerflichkeit jeglichen Missbrauchs von Menschen. Unmissverständlich hielt Kant fest: „Der Mensch aber ist keine Sache, mithin nicht etwas, das bloss als Mittel gebraucht werden kann, sondern muss bei allen seinen Handlungen stets als Zweck an sich selbst betrachtet werden. Also kann ich über den Menschen in meiner Person nicht disponieren ihn zu verstümmeln, zu verderben oder zu töten.“[50] Die Beispiele beschränken sich auf schwere körperliche Gewalt; die alltäglichen Erniedrigungen, die vielfältigen Demütigungen und seelischen Verletzungen, die durch Benutzung anderer Menschen zur subjektiven Machtbestätigung oder Lusterfüllung geschehen, werden nicht genannt, doch ohne Zweifel sind auch diese gemeint, da die beiden Imperative sich in ihrer unmissverständlichen Klarheit ergänzen.
Kant wusste um die sinnlichen „Triebfedern“ der Neigungen und Gelüste, doch zwischen Wünschen und Wollen gab es für ihn eine klare Unterscheidung, die er in der Kritik der praktischen Vernunft in mehreren Anläufen ausführlich erläuterte. Dass die Vernunft als Triebfeder der Freiheit für den guten Willen nicht anzuzweifeln ist, dass sie auch das „Begehrungsvermögen“ zu lenken vermag, so dass sich das Gefühl der Lust auf das Gute ausrichtet, das bedeutete für ihn vermutlich einen Denkansatz und Erkenntnisinhalt von so unbedingtem Wert, dass er an dessen theoretischer und praktischer Übereinstimmung in keiner Weise zweifeln wollte. In seinen späteren Ausführungen in der Kritik der Urteilskraft findet sich zugleich Bestätigung und Erweiterung seiner Überzeugung. „Denn das Gute ist das Objekt des Willens (d. i. eines durch Vernunft bestimmten Begehrungsvermögens). Etwas aber wollen und an dem Dasein desselben ein Wohlgefallen haben, d.i. daran ein Interesse nehmen, ist identisch.“[51]
War Kant einer jener, von denen Rudolf Kassner[52] schrieb, „als dächten sie, weil sie nicht liebten“?[53] Eher erscheint mir, dass er ein zutiefst Gläubiger war, vielleicht Sokrates ähnlich, für den Philosophie Bestätigung eines Glaubens durch das Denken war, zusätzlich dem pietistischen Erbe seiner von ihm geliebten Mutter verpflichtet, das im Hintergrund seiner rationalen Genialität nicht verblassen konnte. Der Glaube an die – letztlich göttliche – Allmacht der Vernunft, deren Anteil er im Menschsein nach zahllosen kritischen Überlegungen und Erwägungen bejahte, mochte ihn während seiner Jugend- und Erwachsenenjahre in seinem Streben gestärkt haben, doch als er zunehmend kraftlos wurde, zeigte sich vermutlich das gleiche Erbe als qualvoller Stachel des Ungenügens in der erforderten Pflichterfüllung. Indem ich die drei Zeilen von Rose Ausländer als Leitspruch gewählt habe, lässt sich die Nähe zwischen ihrem und Kants Bekenntnis zum Menschsein verdeutlichen, jedoch zugleich die grosse Differenz. Auch bei Kant ist die Macht der Worte – Macht als „Vermögen, welches grossen Hindernissen überlegen ist“[54] – von zentraler Beachtung, doch während Rose Ausländer „allen Worten“ zustimmt, die dem Menschen das schöpferische Wirken ermöglichen, ist es bei ihm der lutheranisch unerbittliche, göttliche „logos“, der kein Ungenügen gewährt.
Kant war sich bewusst, dass zwischen Meinen, Wissen und Glauben[55] in der transzendentalen Bedeutung von Vernunft und in deren Umsetzung eine grosse Differenz besteht. „Meinen ist zu wenig, aber Wissen zu viel“ hielt er fest und ging auf die Abstufungen ein, die ihm in der Bedeutung von Glauben wichtig erschienen. In „objektiver Hinsicht“ erachtete er Glauben als „Ausdruck der Bescheidenheit“, in „subjektiver Hinsicht zugleich als Festigkeit des Zutrauens.“ Bezüglich „der Weltursache und einer anderen Welt“, mit welcher sich das Streben nach Glückseligkeit verbinde, unterschied er mit Sorgfalt zwischen Glauben und Hypothese, bei welcher nicht der Begriff, sondern nur das Dasein „erdichtet“ werden dürfe. Der „doktrinale Glaube“ hat seines Erachtens „etwas Wankendes in sich“, während es sich mit dem „moralischen Glauben“ anders verhalte. In diesem sei „der Zweck unumgänglich festgestellt“ und es sei „nur eine einzige Bedingung nach aller meiner Einsicht möglich, unter welcher dieser Zweck mit allen gesamten Zwecken zusammenhängt (..), nämlich dass ein Gott und eine künftige Welt sei. (…) Da aber die sittliche Vorschrift zugleich meine Maxime ist (wie denn die Vernunft gebietet, dass sie sein soll), so werde ich unausweichlich (an) ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben glauben, und ich bin sicher, dass diesen Glauben nichts wankend machen könne, weil dadurch meine sittlichen Grundsätze selbst umgestürzt werden würden, denen ich nicht entsagen kann, ohne meinen eigenen Augen verabscheuungswürdig zu sein.“[56]
Sich selber gegenüber war Kant pflichtbeflissen kritisch, zugleich war er gegenüber dem „Dasein Gottes“ gläubig, doch hinsichtlich der praktischen Umsetzung seiner Erkenntnisse ausserhalb des eigenen guten Willens, soweit diese das für ihn zentrale Streben nach dem Guten – „die sittliche Vorschrift als Maxime“ – betrafen, war er mehr als skeptisch. Beruhte diese Skepsis u.a. auf der Tatsache, dass die auf Freiheit und Brüderlichkeit erklärte Maxime der Französischen Revolution von der Zielsetzung des Guten, die sie vom Theoretischen her angestrebt hatte, in barbarische Gewalt abgedriftet war? „Das einzige Bedenkliche, das sich hierbei findet, dass sich dieser Vernunftglaube auf die Voraussetzung moralischer Gesinnungen gründet“[57], war allzu offensichtlich geworden. Falls diese Gesinnungen fehlten, würde alles „zur Aufgabe der Spekulation“. Doch Kant resignierte deswegen nicht völlig; er vertrat die Überzeugung, dass letztlich in diesen Fragen kein Mensch frei von Interesse sei. Auf jeden Fall bliebe die Fu r c h t vor dem göttlichen Dasein und vor der Zukunft – eine Überzeugung, die viele weitere Denkerinnen und Denker, u. a. Schopenhauer und Kierkegaard, fortsetzen werden.
Wir kommen zum Abschluss dieser Einleitung. Trotz der Erweiterung der Argumentation hinsichtlich der ästhetischen Urteilskraft durch die Beachtung auch der Sinneswahrnehmungen und der Gefühle hatte sich Kant vom Kanon der reinen Vernunft nicht gelöst, sondern blieb dem Ideal des höchsten Guts als einem Bestimmungsgrund des letzten Zwecks der reinen Vernunft letztlich treu. Er hatte sich um den „praktischen Gebrauch“[58] dieses Kanons auch im Bereich der Sinneswahrnehmungen bemüht. „Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“ Ohne Zweifel hatte er sich in der Kritik der reinen Vernunft und in der Kritik der praktischen Vernunft, in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in der Metaphysik der Sitten und schliesslich in der Kritik der Urteilskraft um eine ständige Verbesserung im Beantworten der beiden ersten Fragen in Hinblick auf das Können und auf das Sollen des Menschen bemüht und hatte auch die Frage nach dem Dürfen – „Was darf ich hoffen?“ – mit den Kriterien der reinen Vernunft in der Ausrichtung allen menschlichen Strebens auf Glückseligkeit seines Erachtens genügend beantwortet, da „diese intelligible Welt unter einem weisen Urheber und Regierer“ stehe. Doch konnte die Begründung, wie er sie formulierte, genügen? „Einen solchen, samt dem Leben in einer solchen Welt, die wir als eine künftige ansehen müssen, sieht sich die Vernunft genötigt anzunehmen, oder die moralischen Gesetze als reine Hirngespinste anzunehmen, weil der notwendige Erfolg derselben, den dieselbe Vernunft mit ihnen verknüpft, ohne jene Voraussetzung wegfallen müsste.“[59] In der letzten Frage des Hoffens bemühte sich Kant, die Kriterien der Logik, der Vernunft und des Glaubens zu vereinen. Obwohl er sich selber seiner eigenen Bedeutung als Denker bewusst war, erschien es ihm sinnvoll, sich dabei auf Leibniz abzustützen, für den „die Welt, sofern man darin nur auf die vernünftigen Wesen und ihren Zusammenhang nach moralischen Gesetzen und der Regierung des höchsten Guts Acht hat, das R e i c h der G n a d e n ist“, das sich vom Reich der Natur unterscheidet. So kam er zum Schluss, „sich also im Reiche der Gnaden zu sehen, wo alle Glückseligkeit auf uns wartet, ausser so fern wir unseren Anteil an derselben durch die Unwürdigkeit, glücklich zu sein, nicht selbst einschränken, ist eine praktisch notwendige Idee der Vernunft“.[60]
Zwar „schneidet die U n e r f o r s c h l i c h k e i t d e r I d e e d e r F r e i h e i t aller positiven Darstellung gänzlich den Weg ab; das moralische Gesetz aber ist an sich selbst in uns hineinreichend und ursprünglich bestimmend, so dass es nicht einmal erlaubt, uns nach einem Bestimmungsgrunde ausser demselben umzusehen.“[61] Für Kant war das Gute und letztlich die Glückseligkeit als Zielsetzung des guten Willens, folglich des moralischen Handlungsentscheides nichts Utopisches, da der Glaube an die Vernunft und an die von der Vernunft gelenkte Freiheit vor dem Zweifel an der praktischen Umsetzung überwog, so wie für ihn das Schöne als Erfahrungsmöglichkeit von sinnlicher Wahrnehmung und ästhetischem Urteil durch die gleichen Kriterien der dem Menschen zustehenden Befähigung nicht in Frage gestellt wurde. Den Vorbehalt, dass „die Unerforschlichkeit der Idee der Freiheit aller positiven Darstellung gänzlich den Weg abschneidet“, korrigierte er mit dem zuversichtlichen Bekenntnis, dass „aber das moralische Gesetz an sich selbst in uns hinreichend und ursprünglich bestimmend ist, so dass es nicht einmal erlaubt, uns nach einem Bestimmungsgrunde ausser demselben umzusehen“[62].
Inwieweit „das moralische Gesetz“ und die Kraft der Gefühle zwischen dem Streben nach dem Guten und dem Bedürfnis nach dem Schönen den Menschen bestimmen, wird Gegenstand des Gedankenaustauschs und der nachfolgenden Abende sein. Am dritten und vierten Abend werden insbesondere die Auswirkungen von Kants Kritik der Urteilskraft auf das Kunstverständnis und Werk von Friedrich Schiller und Johann Wolfgang Goethe untersucht werden.
Begleittexte zum 1. und zum 2. Abend:
- Immanuel Kant. Kritik der Urteilskraft. Werkausgabe in zwölf Bänden. Bd. 10. S. 115 – 127
- Maurice Merleau-Ponty. Das Primat der Wahrnehmung. S. 28 – 39
[1] Rose Ausländer (geb. 1901 – gest. 1988). Zeilen aus einem ihrer Gedichte, ich weiss nicht mehr, aus welchem.
[2] Es handelt sich um ein Foto von Lynn Geesaman (geb. 1938 in Cleveland): Le Parc de Canon, Frankreich 1995.
[3] Als „Sachem“ wird der Friedenshäuptling einer indianischen Volksgruppe bezeichnet, dem alle anderen Häuptlinge, auch der Kriegshäuptling, untergeordnet sind. Bei den Irokesen, einer indianischen Völkergruppe aus mehreren verwandten Stämmen, die im heutigen nordamerikanisch-kanadischen Gebiet lebten, wurde der Sachem durch die Frauen gewählt.
[4] Jean-Jacques Rousseau war 1778 mit 66 Jahren gestorben, doch für Immanuel Kant (geb. 1724 – gest. 1804) blieb er der überragende Denker, der ihm seit 1762, als er sich in die Lektüre von Emile vertieft hatte, einen neuen Blick auf das Menschsein resp. „eine Demokratisierung des Denkens“ ermöglicht hatte, wie Arseneij Gulyga in seiner Kant-Biografie nachweist (Insel Verlag. Frankfurt am Main 1981. S. 58-59).
[5] Immanuel Kant (geb. 22. April 1724 – gest. 12. Februar 1804). Kritik der Urteilskraft. Werkausgabe Bd. X. Insel Verlag, Wiesbaden 1957 / 1977. B 5,6 / A 5. 6. S. 116
[6] Kant. KdU. Werkausgabe Bd. X. Wiesbaden 1957 / 1977. B 3, 4 / A 3, 4. S. 115-116
[7] Kant. Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1. Werkausgabe Bd. 11. Insel Verlag, Frankfurt 1964. B 60. 70 / A 66. S. 228 ff
[8] Maurice Merleau-Ponty (geb. 1908 – gest. 1961). Das Primat der Wahrnehmung. 2003 Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. – Die französische Originalfassung: Le primat de la perception et ses conséquences philosophiques. 1996 Editions Verdier Lagrasse / Paris. – Paul Mouy (geb. 1888 – gest. 1946), dessen Tod zu Beginn der Sitzung, um deren Inhalt es im Buch geht, mit Bedauern erwähnt wird, hatte am Lycée Henri-IV in Paris als Philosophieprofessor gewirkt und sich vor allem mit der Bedeutung der Naturwissenschaften für die Philosophie befasst.
[9] Maurice Merleau-Ponty. 2003 Frankfurt am Main. S. 34
[10] Das Schloss von Canon mit seinem prachtvollen Park – vor allem bekannt in Zusammenhang des ausschweifigen Königs Charles X., der nach sechs Jahren Herrschaft mit der Juli-Revolution von 1830 gestürzt wurde -, befindet sich in der Basse-Normandie resp. im Pays d’Auge (Département Calvados), im Hinterland der Küste mit Caen, Deauville, Honfleurs etc., in der grossen, landwirtschaftlich fruchtbaren Ebene im Flussgebiet des Touques mit einer Anzahl von Schlössern, Dörfern und kleineren Städten, u.a. Lisieux.
[11] Gottfried Wilhelm Leibniz (geb. 1646 – gest. 1716)
[12] Christian Wolff (geb. 1679 – gest. 1754)
[13] Gemäss den Aufzeichnungen seines Schülers P. Menzer von 1785 sah Kant ein, dass die „‘kunstlose‘, rein mechanische Erklärung nicht zulange, um das Lebendige sicher zu erfassen, mindestens aber zu ‚beurteilen‘“. (Karl Vorländer. Immanuel Kant. Felix Meiner-Verlag, Hamburg 1924 / 1977. S. 351-352)
[14] Immanuel Kant. Bd. X. Wiesbaden 1957 / 1977. Kritik der teleologischen Urteilskraft (II. Teil der Kritik der Urteilskraft). B 369 / A 364, 365. S. 374-375).
[15] Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft / Bd. 1. Werkausgabe Bd.3. Wiesbaden 1956 Insel Verlag. S. 70
[16] Kant. Bd. 3. Wiesbaden 1956. S. 70-71
[17] Kant. Bd. 3. Wiesbaden 1956. S. 86
[18] Kant. Bd. 3. Wiesbaden 1956. S. 184
[19] Immanuel Kant. Bd. X. Wiesbaden 1957 / 1977. Einleitung. S. 16
[20] Kant. Bd. X. Einleitung. S. 20
[21] Kant. Bd. X. Einleitung. S. 34-35
[22] Kant. Bd. X. Einleitung. S. 35
[23] Kant. Bd. X. Einleitung. S. 44-45
[24] Alexander Gottlieb Baumgarten (geb. 1714 – gest. 1762)
[25] Meditationae philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus (erschienen 1735)
[26] Karl Kerényi. Pythagoras und Orpheus. Rhein-Verlag Zürich (ohne Jahresangabe). S. 33
[27] Hermann Diels. Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch. Lehre anonymer Pythagoreer. Hrsg. von Walther Kranz. Bd. I. Weidmann Verlag 1903/1951. S. 459
[28] eine Aufzeichnung pythagoreischer Weisheit von Johannes Stobaios, zitiert von Elmar Waibl. 2009 Wien. S. 37. – Stobaio lebte im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, stammte vermutlich aus dem makedonischen Stoboi und wurde durch das Sammeln vorsokratischer Erkenntnisse bekannt. Im 16. Jahrhundert erschienen von ihm erhaltene Aufzeichnungen auf Lateinisch in Antwerpen und in Venedig, andere auf Deutsch in Basel.
[29] Aristoteles. Kleine Schriften zur Physik und Metaphysik. Herausgegeben, übertragen und in ihrer Entstehung erläutert von Dr. Paul Gohlke. 1957 Verlag Ferdinand Schöningh Paderborn. S. 21
[30] Elmar Waibl. Ästhetik und Kunst von Pythagoras bis Freud. 2009 Facultas-Verlag / UTB Stuttgart. S. 14
[31] Cornelia Hesse-Honegger (geb. 1944). Art on Silk. 2008 Verlag Scheidegger & Spiess Zürich. S. 14
[32] Cornelia Hesse-Honegger. Heteroptera – das Schöne und das Andere einer mutierenden Welt .
2002 Steidl Verlag Göttingen.
[33] D. H. (David Herbert) Lawrence (geb. 1885 – gest. 1930)
[34] Karl Kerényi. Rhein-Verlag Zürich (ohne Jahresangabe). S. 38
[35] Yehudi Menuhin. Kunst und Wissenschaft als verwandte Begriffe. 1979/1960 Frankfurt am Main Bibliothek Suhrkamp. S. 42-43
[36] Was breit gesetzt zitiert wird, findet sich so im Original.
[37] Kant. KdU. Bd. 10. Wiesbaden 1957 / Frankfurt am Main 1977. S. 119-120
[38] Kant. KdU. Bd. 10. S. 118
[39] Kant. KdU. Bd. 10. S. 119
[40] Kant. KdU. Bd. 10. S. 120
[41] Kant. KdU. Bd. 10. S. 120
[42] Schrägschrift im Original
[43] Kant. KdU. Bd. 10. Wiesbaden 1967 / Frankfurt am Main 1977. S. 121
[44] Kant. Kritik der praktischen Vernunft. Werkausgabe Bd. 7. 1958 Wiesbaden Insel Verlag/ 1977 Frankfurt a. M. Suhrkamp-Verlag. S. 18
[45] Thomas de Quincey. Die letzten Tage des Immanuel Kant. Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Cornelia Langendorf. Mit Beiträgen von Fleur Jaeggy, Giorgio Manganelli und Alfred Caraco sowie einem Anhang. 1984 München Verlag Matthes und Seitz. – Das Original The Last Days of Immanuel Kant war erstmals 1854 von De Quincey im 3. Bd. seiner Works veröffentlicht worden, 1862 in einer Neuauflage. Die Übersetzung ins Deutsche beruht auf einer 1927 in Blackwood’s Magazine erschienenen Veröffentlichung als Teil einer Serie De Quincey’s unter dem Titel Gallery of the German Prose Classics, by the English Opium-eater.
[46] Kant. KpV. Bd. 7. S. 27
[47] Alle Ausführungen zum vielschichtigen Katalog der Pflichten findet sich im Zweiten Abschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von 1785: Von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. Werkausgabe Bd. 7. 1958 Wiesbaden / 1977 Frankfurt am Main. S. 33-101.
[48] Kant. KpV. Bd. 7. S. 51
[49] Kant. KpV. Bd. 7. S. 61
[50] Kant. KpV. Bd. 7. S. 61
[51] Kant. KdU. Bd. 10. S. 122
[52] Rudolf Kassner (geb. 1873 – gest. 1959)
[53] Zitiert von Albert Caraco, in: Thomas de Quincey. 1984 München. S. 1001
[54] Kant, KdU. Bd. 10. S. 184
[55] So der Titel des Dritten Abschnitts im Kanon der reinen Vernunft. KrV. Bd.II. Bd. 4. S. 687
[56] Kant. KrV. Bd.II. Bd. 4. S. 692-693
[57] Kant. KrV. Bd.II. Bd. 4. S. 694 – cf. auch Hermann Cohen. Kommentar zu Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft. 1907 Leipzig Verlag der Dürr’schen Buchhandlung. S. 214
[58] Kant. KrV. Bd. II. Bd. 4. S. 676
[59] Kant. KrV Bd.II. Bd. 4. S. 681
[60] Kant. KrV. Bd.II. Bd. 4. S. 682
[61] Kant. KdU. Bd. 10. S. 202
[62] Kant. KdU. Bd. 10. S. 202
[63] Friedrich Schiller (geb. 10. 11. 1759 – gest. 09. 05. 1805). Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1793-1794). 2. Brief. In: Philosophische und vermischte Schriften. 1946 Basel Verlag Birkhäuser. S. 79
[64] Christian Gottfried Körner (geb. 1756 – gest. 1831), ein Jurist, Schriftsteller und Freimaurer von grosser politischer und künstlerischer Offenheit, war der erste Herausgeber von Schillers Gesamtwerk (1812 bis 1816 in der Cotta’schen Verlagsanstalt). Er war auch Herausgeber der Liedertexte seines Sohnes Theodor Körner, der 1813 in den Befreiungskriegen gegen die Napoleonische Besetzung starb.
[65] nach Goethes Beurteilung in übertriebener Bescheidenheit, die den frühen Tod mitverursachte, cf. dazu Johann Peter Eckermann. Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens 1823 – 1832. 1945 Basel Verlag Birkhäuser. Bd.I. S. 202-203: (…) „Dass nun diese physische Freiheit Schillern in seiner Jugend so viel zu schaffen machte, lag zwar teils in der Natur seines Geistes, grösseren Teils aber schrieb es sich von dem Drucke her, den er in der Militärschule hatte leiden müssen“. (Dies betrifft die Hohe Karlsschule in Stuttgart, wo am 14. Dezember 1779 ein Stiftungsfest stattfand, an welchem Goethe, damals als Geheimer Legationsrat, mit Herzog Karl-August von Sachsen Weimar auf der Durchreise nach der Schweiz teilnahm und wo Schiller, der als Medizinstudent als Preisträger geehrt wurde und der damals an den Räubern arbeitete, den von ihm verehrten Weimarer Dichter das erste Mal sah). Goethe hielt im Gespräch mit Eckermann noch fest: „Dann aber in seinem reiferen Alter, wo er (Schiller) der physischen Freiheit genug hatte, ging er zur ideellen über, und ich möchte fast sagen, dass diese Idee ihn getötet hat; denn er machte dadurch Anforderungen an seine physische Natur, die für seine Kräfte zu gewaltsam waren. Der Grossherzog bestimmte Schillern bei seiner Herkunft einen Gehalt von jährlich tausend Talern und erbot sich, ihm das Doppelte zu geben, im Fall er durch Krankheit verhindert sein sollte zu arbeiten. Schiller lehnte dieses letzte Anerbieten ab und machte nie davon Gebrauch. ‚Ich habe das Talent‘, sagte er, ‚und muss mir selber helfen können.‘ Nun aber, bei seiner vergrösserten Familie, in den letzten Jahren, musste er der Existenz wegen jährlich zwei Stücke schreiben, und um dieses zu vollbringen, trieb er sich, auch in solchen Tagen und Wochen zu arbeiten, in denen er nicht wohl war; sein Talent sollte ihm zu jeder Stunde gehorchen und zu Gebote stehen.“
[66] Schiller. 1946 Basel. S. 76
[67] Schiller. 1946 Basel. S. 80
[68] Schiller. 1946 Basel. S. 79. Die Schrägschrift von „Nutzen“ findet sich in Schillers Originaltext.
[69] Schiller. 1946 Basel. S. 78
[70] Schiller. 1946 Basel. S. 78
[71] Vorländer. Hamburg 1977. S. 403. – Karl Vorländer zitiert aus zwei verschiedenen Briefen Schillers an Körner (vom 3. März 1791 und vom 15. Oktober 1792).
[72] Vorländer. Hamburg 1977, S. 403
[73] Vorländer. Hamburg 1977. S. 404
[74] Schiller. 1946 Basel. S. 200
[75] Schiller. 1946 Basel. S. 200
[76] Schiller. 1946 Basel. S. 201
[77] Schiller. 1946 Basel. S. 82 (die Schrägschrift im Original)
[78] Infolge der Ängste, die er in dieser Militärakademie durchstand, war er bis ins 16. Altersjahr Bettnässer und wurde ständig blossgestellt und bestraft.
[79] Schiller. 1946 Basel. S. 83-84
[80] Schiller, 1946 Basel. S. 84-85
[81] Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814), von Schiller im Vierten Brief (S. 85) in einer Fussnote, in welcher er auf die kurz vorher erschienenen Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten verwies, als sein „Freund“ bezeichnet.
[82] Schiller. 1946 Basel. S. 88
[83] Schiller. 1946 Basel. S. 90-91
[84] Schiller. 1946 Basel. S. 104
[85] Schiller. 1946 Basel. S. 104 . Die Schrägschrift des lateinischen Zitats findet sich im Original. Der Aufruf ist Teil eines längeren Satzes aus einer der Epistulae / Briefe (I, 2. Abschnitt, 40. Zeile) von Horaz resp. Quintus Horatius Flaccus (65 v. Chr. – 8 v. Chr.)*: „Dimidium facti, qui coepit, habet: sapere aude, incipe!“ – Wer begonnen hat, hat schon die Hälfte des Ergebnisses: Wage zu wissen, fang an!“ – *Gerhard Fink (Hrg). Horatius Flaccus Quintus. Satiren – Sermones. Briefe – Epistulae. Überstzt aus dem Lateinischen ins Deutsche durch Gerd Hermann. 2000 Düsseldorf/Zürich Verlag Artemis & Winkler.
[86] Schiller. 1946 Basel. S. 105
[87] Schiller. 1946 Basel. S. 77. – Kants Ausführungen zur Kunst finden sich in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft im Kapitel zur Deduktion der reinen ästhetischen Urteile, insbesondere ab §42 Vom intellektuellen Interesse am Schönen, wo er sowohl auf die Bedeutung der Dichtung, der Musik (nicht zu vergessen, dass einer seiner bedeutenden persönlichen Freunde der Komponist Johann Friedrich Reichardt war) sowie der Farben eingeht. §43 Von der Kunst überhaupt mit dem Unterscheiden zwischen Handwerk – „Lohnkunst“ – und „Kunst als Spiel“. §44 Von der schönen Kunst als „einer Vorstellungsart, die für sich selbst zweckmässig ist, und, obgleich ohne Zweck, dennoch die Kultur der Gemütskräfte zur geselligen Mitteilung befördert“. §45 Schöne Kunst ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint sowie §46 Schöne Kunst ist Kunst des Genies mit der Erklärung von „Genie als Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt“ wie auch die nachfolgenden Paragraphen, in denen er sich weiter mit dem Genie befasst. – Karl Vorländer geht in Immanuel Kant. Der Mann und das Werk (1977 Hamburg) im 5. Kapitel (S. 370 ff) ausführlich und aufs sorgfältigste auf Kant und die Kunst ein.
[88] Schiller. 1946 Basel, S. 117
[89] Schiller. 1946 Basel. S. 119
[90] Schiller. 1946 Basel. S. 121
[91] Schiller. 1946 Basel. S. 120-121
[92] Schiller. 1946 Basel. S. 121
[93] Schiller, 1046 Basel. S. 121-122
[94] Schiller. 1946 Basel. S. 122
[95] Schiller. 1946 Basel. S. 123
[96] Schiller. 1946 Basel. S. 126
[97] Schiller, 1946 Basel. S. 137
[98] Schiller. 1946 Basel. S. 139
[99] Schiller. 1946 Basel. S. 141
[100] Schiller. 1946 Basel. S. 144 / S. 143
[101] Schiller. 1946 Basel. S. 142
[102] Schiller. 1946 Basel. S. 154
[103] Schiller. 1946 Basel. S. 158
[104] Schiller. 1946 Basel. S. 159
[105] Schiller. 1946 Basel. S. 163
[106] Schiller. 1946 Basel. S. 167
[107] Schiller. 1946 Basel. S. 167
[108] Schiller. 1946 Basel. S. 169
[109] Schiller. 1946 Basel. S. 171-172
[110] Schiller. 1946 Basel. S. 176. – Alle nachfolgenden kurzen Zitate sind aus dem Vierundzwanzigsten Brief.
[111] Friedrich Schiller. 1946 Basel Verlag Birkhäuser. Über Anmut und Würde (1793 im zweiten Heft – Mai/Juni – der Neuen Thalia erschienen). S. 64-65
[112] Schiller. 1946 Basel. S. 185
[113] Schiller. 1946 Basel. S. 190
[114] Schiller. 1946 Basel. S. 190
[115] Schiller. 1946 Basel. S. 191
[116] Schiller. 1946 Basel. S. 192
[117] Schiller. 1946 Basel. S. 193
[118] Schiller. 1946 Basel. S. 207
[119] Schiller. 1946 Basel. S. 3-75; auch Vorwort des Herausgebers Ernst Jenny, S. VIII ff
[120] Günther Kebeck / Henning Schroll. Experimentelle Ästhetik. 2011 Wien Facultas Verlagsbuchhandlung. S. 73
[121] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). Die Farbenlehre Goethes. In einer Textauswahl für Künstler. 2004 Witten Westerweide Verlag. S. 89-90
[122] Schiller. 1946 Basel. Vorwort von Ernst Jenny. S. X
[123] Auch Goethe erlebte trotz seiner behüteten Kindheit und Jugend 1768, als Neunzehnjähriger, einen Blutsturz, der vermutlich ebenfalls durch Tuberkulose bewirkt worden war
[124] Tatsächlich starb Schiller 1805 mit 46 Jahren, während Goethe bis 1832 lebte und das hohe Alter von 83 Jahren erreichen konnte.
[125] Johann Peter Eckermann. 1945 Basel. Bd. I. S. 68
[126] Eckermann. 1945 Basel. Bd. I. S. 201
[127] Eckermann. 1945 Basel. Bd. I. S. 135. – Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe erschien in der 4. Auflage 1881 in Stuttgart in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung.
[128] Es handelt sich um einen Kreis, in welchem – nach aristotelischem Vorbild – die vier Grundfarben als Ausdruck der vier Elemente und der vier unterschiedlichen Temperamente in einander übergehen: Blau – Wasser – Phlegmatiker; Grün – Erde – Melancholiker; Gelb – Luft – Sanguiniker; Rot – Feuer – Choleriker.
[129] Die in Distichen verfasste Metamorphose der Pflanzen entstand erst 1798.
[130] u.a. mit Angelika Kaufmann (geb. 1741 – gest. 1807), Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (geb. 1751 – gest. 1829), Johann Heinrich Lips (geb. 1758 – gest. 1817) u.a.m., auch Johann Heinrich Meyer (geb. 1760 – gest. 1832) aus Stäfa am Zürichsee, der Goethe nach Weimar nachreiste und für ihn zu einem wichtigen künstlerischen Berater wurde.
[131] Johann Wolfgang von Goethe, zitiert nach Rüdiger Safranski. Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft. 2009 München Carl Hanser Verlag. S. 107 -108.
[132] Charlotte von Stein (geb. 1742 – gest. 1827), die von grossem Wissen und Charme und zugleich unbetörbar war, die sich wohl mit einem regen Gedankenaustauch einverstanden erklärte, sich jedoch als verheiratete Frau und Mutter mehrerer Kinder Goethes Liebeserklärungen und seinem Drängen nicht fügte, war als „Hofdame“ resp. als Begleiterin von Herzogin Anna Amalie, der Mutter von Herzog Karl August, an den Hof von Weimar gekommen und wurde auch eine nahe Vertraute der jungen zurückhaltenden und eher scheuen Herzogin Luise von Sachsen-Weimar, die in dieser Ehe sehr unglücklich war, mehrere Töchter gebar und im frühen Kindesalter verlor, bis 1792 noch ein Sohn zur Welt kam, der die Kinderkrankheiten überlebte. Ob Charlotte von Stein sie 1806 ermutigt hatte, als Fürstin allein Napoleon entgegenzutreten, nachdem nach Jena auch Weimar erobert und besetzt war und Herzog Karl August sich aus der Stadt entfernt hatte, ist ungewiss; doch sie tat es und konnte erreichen, dass die Verwüstungen und Plündereien in ihrer Stadt aufhörten.
[133] Christiane Vulpius (geb. 1765 – gest. 1816). Ihr Sohn August, der völlig im Schatten seines Vaters gross wurde, starb 1830 in Folge einer Pockeninfektion in Rom und wurde dort von den deutschen Künstlern auf dem reformierten Friedhof beigesetzt.
[134] Eckermann. 1946 Basel. Bd. I. S. 104-105
[135] Yvonne Schwarzer (Hrsg). Die Farbenlehre Goethes. 2004 Witten. S. 8
[136] Yvonne Schwarzer (Hrsg.) Die Farbenlehre Goethes. 2004 Witten. S. 95
[137] Christian Wilhelm Büttner (geb. 1716 – gest. 1801)
[138] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). Die Farbenlehre Goethes. 2004 Witten. S. 12
[139] Eckermann. 1946 Basel. Bd. I. S. 306
[140] Isaac Newton (geb. 4. Januar 1642 – gest. 20. März 1726)
[141] Eckermann. 1946 Basel. Bd. I. S. 148 – 149 „So hat z. B. Calderon, so gross er ist und so sehr ich ihn bewundere, auf mich gar keinen Einfluss gehabt, weder im Guten noch im Schlimmen. Schillern aber wäre er gefährlich gewesen, er wäre von ihm irre geworden, und es ist daher ein Glück, dass Calderon erst nachseinem Tod in Deutschland in allgemeine Aufnahme gekommen. (…) Molière ist so gross, dass man immer von neuem erstaunt, wenn man ihn wiederliest. (…) Ich lese vom Molière alle Jahre einige Stücke, so wie ich auch von Zeit zu Zeit die Kupfer nach den grossen italienischen Meistern betrachte. Denn wir kleinen Menschen sind nicht fähig, die Grösse solcher Dinge in uns zu bewahren, und wir müssen daher von Zeit zu Zeit immer dahin zurückkehren, um solche Eindrücke in uns anzufrischen. (…) Hierbei aber ist es keineswegs gleichgültig, in welcher Epoche unseres Lebens der Einfluss einer fremden bedeutenden Persönlichkeit stattfindet. – Dass Lessing, Winckelmann und Kant älter waren als ich und die beiden ersteren auf meine Jugend, der letztere auf mein Alter wirkte, war für mich von grosser Bedeutung. – Ferner: dass Schiller so viel jünger war und im frischesten Streben begriffen, da ich an der Welt müde zu werden begann; ingleichen dass die Gebrüder Humboldt und Schlegel unter meinen Augen aufzutreten anfingen, war von der grössten Wichtigkeit. Es sind daher unnennbare Vorteile entstanden.“
[142] Eckermann. 1946 Basel. Bd. I. S. 149
[143] kursiv geschrieben im Originaltext
[144] Eckermann. 1946 Basel. Bd. I. S. 281
[145] Eckermann. 1946 Basel. Bd. II. 705-706
[146] Im Anschluss auf zwei Vorträge ging Sigmund Freud 1917 in einer kleinen Studie auf eine Kindheitserinnerung Goethes ein, die dieser mit sechzig Jahren in Dichtung und Wahrheit notiert hatte. Es handelt sich um ein Vorkommnis, das Goethe mit ca. vier Jahren erlebt hatte, vermutlich bald nach der Geburt seines Bruders Hermann Jakob, der dann mit sechs Jahren starb. Er hatte damals Stück für Stück neu gekaufter Tonwaren aus dem Fenster des Kinderspielraums geworfen, angefeuert von drei älteren Nachbarjungen, deren Anerkennung ihm viel wert war. Freud war in seiner Deutung überzeugt, dass die Tonwaren vom Erstgeborenen stellvertretend für den Neuankömmling aus dem Fenster geworfen worden waren, dessen Präsenz ihm mehr als lästig erschienen war. – Goethes Eifersucht auf den Erfolg Newtons als Naturwissenschaftler wurde von Freud nicht beachtet, auch nicht in der von seiner Tochter Anna 1930 im Goethe-Haus in Frankfurt a. M. vorgetragenen Rede anlässlich des ihm zugesprochenen Goethepreises. Es findet sich jedoch betreffend der „höchsten Stufe der Sittlichkeit“ in Freuds Aufsatz zu Dostojewski von 1927/28 eine genaue Erklärung: … „dass nur der die höchste Stufe der Sittlichkeit erreicht, der durch die tiefste Sündhaftigkeit gegangen ist“, wobei er ergänzte: „Sittlich ist jener, der schon auf die innerlich verspürte Versuchung reagiert, ohne ihr nachzugeben. Wer abwechselnd sündigt und dann in seiner Reue hohe sittliche Forderungen aufstellt, der setzt sich dem Vorwurf aus, dass er sich’s zu bequem gemacht hat.“ (Sigmund Freud. Studienausgabe Bd. 10. 1969 Frankfurt a. M. S. Fischer-Verlag. S. 257 / S. 271.
[147] Yvonne Schwarzer (Hrsg.) Die Farbenlehre Goethes. 2004 Witten. S. 16
[148] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). Die Farbenlehre Goethes. 2004 Witten. S. 18
[149] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. S. 18
[150] Yvonne Schwarzer (Hrsg.) 2004 Witten. Die Farbenlehre Goethes. S. 22-23
[151] Eckermann. 1946 Basel. Bd. I. S. 201
[152] Die Gedichtzeilen finden sich in den Enneaden des Neuplatonikers Plotin (geb. 205 – gest. 270), der nach dem Studium in Alexandria sich in Rom für die Weiterverbreitung von Platons Ideenlehre einsetzte.
[153] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. Die Farbenlehre Goethes. S. 26.
[154] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. Die Farbenlehre Goethes. S. 26-27
[155] Höchst empfehlenswert ist Jacques Lusseyran. Das wiedergefundene Licht. Die Lebensgeschichte eines Blinden im französischen Widerstand. 1989 München dtv
[156] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. S. 43
[157] Max Hecker (Hrsg.). J. W. Goethe. Maximen und Reflexionen. 1907 Weimar. Nr. 1300 / 1301
[158] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. S. 44
[159] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. Sechste Abtheilung. Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe. S. 43
[160] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. S. 45-48
[161] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. S. 21
[162] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. S. 48-50
[163] Yvonne Schwarzer (Hrsg.). 2004 Witten. S. 52
[164] Yvonne Schwarzer (Hrsg.) 2004 Witten. S. 21-22
[165] Yvonne Schwarzer (Hrsg.) Die Farbenlehre Goethes. 2004 Witten. Verhältnis zur Tonlehre. S.40
[166] Eckermann. 1946 Basel. Bd. I. S. 62
[167] Peter Härtling. Das ausgestellte Kind. Mit Familie Mozart unterwegs. 2007 Köln Verlag Kiepenheuer & Witsch.
[168] Johann Nepomuk Hummel (geb. 1778 – gest. 1837)
[169] Carl Friedrich Zelter (geb. 1758 – gest. 1832)
[170] Eckermann. 1946 Basel. Bd. II. S. 446
[171] Joseph Mallord William Turner (geb. 1775 – gest. 1851). In einer Schrift, die 1843 entstand, ging er ausführlich auf Goethes Farbenlehre ein: Licht und Farbe (Goethes Theorie) – Der Morgen nach der Sintflut – Moses schreibt das Buch der Genesis.
[172] Wassily Kandinsky (geb. 1866 – gest. 1944). Über das Geistige in der Kunst (erste Publikation 1912; ich verfüge über ein Exemplar von 1952, gedruckt in Bern bei Benteli)
[173] Heinrich Heine (geb. 1797 oder 1799 in Düsseldorf – gest. 1856 in Paris). Gedanken und Einfälle. In: Heines Werke in fünfzehn Teilen. Fünfter Teil. Herausgegeben von Erwin Kalischer und Raimund Pissin. Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart o.J. Deutsches Verlagshaus Bong & Co. S. 283
[174] Heinrich Heine. Deutschland. Ein Wintermärchen. Caput II. In: Gedichte. Ausgewählt und eingeleitet von Herbert Marcuse. 1977 Zürich Diogenes Verlag (gleiche Auswahl erstmals 1962 München Droemer Knaur Verlag). S. 208
[175] Heinrich Heine. Dich fesselt mein Gedankenbaum. 1987 Frauenfeld Verlag im Waldgut. S. 78
[176] Heinrich Heine. 1987 Frauenfeld. S. 79-80
[177] Heinrich Heine. Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Hrsg. Von Klaus Briegleb. Frankfurt am Main und Leipzig, Insel Verlag. S. 591-592
[178] Heines Werke in fünfzehn Teilen. Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart o.J. Deutsches Verlagshaus Bong & Co. Erster Teil. Nachwort zum Romanzero. S. 266
[179] Heinrich Heine. 1987 Frauenfeld. S. 79
[180] Damals entstanden die ersten drei Kapitel der Erzählung Der Rabbi von Bacherach, die mittendrin abbricht und unvollendet blieb. (Ich habe eine schöne Ausgabe von 1937 Berlin Schocken Verlag)
[181] Eine entsprechende Notiz findet sich u.a. in Gedanken und Einfälle, S. 280: „Goethes Abneigung, sich dem Enthusiasmus hinzugeben, ist ebenso widerwärtig wie kindisch. Solche Rückhaltung ist mehr oder minder Selbstmord; sie gleicht der Flamme, die nicht brennen will, aus Furcht, sich zu konsumieren. Die grossmütige Flamme, die Seele Schillers loderte mit Aufopferung – jede Flamme opfert sich selbst; je schöner sie brennt, desto mehr nähert sie sich der Vernichtung, dem Erlöschen. Ich beneide nicht die stillen Nachtlichtchen, die so bescheiden ihr Dasein fristen.“
[182] Heines Werke in fünfzehn Teilen. Gedanken und Einfälle. Fünfter Teil. Herausgegeben von Erwin Kalischer und Raimund Pissin. S. 206
[183] der jedoch nach schwerem psychischem Leiden im selben Jahr starb (geb. 1810 – gest. 1856).
[184] Julius Campe (1792-1867)
[185] Heinrich Heine. 1987 Frauenfeld. S. 101
[186] Heinrich Heine. 1987 Frauenfeld. S. 110-112
[187] Edmund Kean (1783-1833) hatte in London wie in Paris (das erste Mal 1818, ein weiteres Mal 1828) die meisten grossen Rollen aus William Shakespeare’s Dramen gespielt – Hamlet, Jago (aus Othello), Macbeth, Richard III, schliesslich 1833 Othello selber, an dessen Darstellung er auf der Bühne zusammenbrach -, ebenso die schwierige Rolle des Shylock aus dem Kaufmann von Venedig. – Alexandre Dumas père (geb. 1802 – gest. 1870) hatte ein Theaterstück Kean, ou désordre et Génie geschrieben, das in Paris mit grossem Erfolg aufgeführt worden war und das 1953 von Jean-Paul Sartre neu bearbeitet wurde.
[188] Ludwig Börne (geb. 1786 – gest. 1837), ursprünglich als Juda Löb Berna im Ghetto von Frankfurt am Main aufgewachsen, wie Heine Mitglied der Freimaurer-Loge Zur aufgehenden Morgenröte und mit 22 Jahren zum Protestantismus übergetreten, auch er nach Reisen durch Europa und zahlreichen Publikationen ab 1830 in Paris, ebenfalls Vertreter der Bewegung Junges Deutschland, die 1835 von Frankfurter Bundestag verboten wurde.
[189] Im Deutsch-Französischen Jahrbuch, das 1844 in einer einzigen Ausgabe erschien, hatte Heine neben Karl Marx, Moses Hess, Friedrich Engels, Georg Herwegh u.a.m. publiziert. Auch hatte Engels das „Weberlied“, das Heine in Zusammenhang des Aufstandes der schlesischen Weber 1844 geschrieben und das von König Friedrich Wilhelm IV von Preussen verboten und ab 1846 bei öffentlicher Rezitation gar mit Gefängnisstrafe bedroht wurde, ins Englische übersetzt und in der Zeitschrift The New Moral Word publiziert, ein Gedicht von bedrohlicher Klarheit für die Machthabenden: „Im düstern Auge keine Träne, – sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähen: – ‚Deutschland, wir weben dein Leichentuch, – wir weben hinein den dreifachen Fluch – wir weben und, wir weben!- (…) – Ein Fluch dem König, dem König der Reichen, – den unser Elend nicht konnte erweichen, – der den letzten Groschen von uns erpresst – und uns wie Hunde erschiessen lässt – wir weben und weben! (…)“
[190] Michail Alexandrowitch Bakunin (geb. 1814 – gest. 1876) war in der Folge während acht Jahren im Gefängnis und während zwei weiteren Jahren in sibirischer Verbannung.
[191] Heinrich Heine. Caput XXVI. In: Gedichte. 1977 Zürich. S. 222
[192] Heines Werke in fünfzehn Teilen. Fünfter Teil. Gedanken und Einfälle. Herausgegeben von Raimund Pissin und Veit Valentin. Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart o.J. – Deutsches Verlagshaus Bong & Co. S. 202-203
[193] Heinrich Heine. Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. 1993 Frankfurt am Main – Leipzig. Aus dem Motto zu ‚Hebräische Melodien‘. S. 504
[194] „Wie steifleinen, wie hausbacken, wie selbstsüchtig, wie eng, wie englisch! Ein Land, welches längst der Ozean verschluckt hätte, wenn er nicht befürchtete, dass es ihm Übelkeiten im Magen verursachen möchte … Ein Volk, ein graues, gähnendes Ungeheuer“, schrieb er in der Einleitung zu Shakespeares Mädchen und Frauen. in welchem jedoch William Shakespeare‘s Werk entstanden waren, „das weltliche Evangelium“, wie Heine schrieb, „im nordischen Bethlehem, welches Stratfort upon Avon geheissen (…),gleichsam eine geistige Sonne“, die die kirchlichen und politischen Umwälzungen, über welche er seine Dramen verfasste, „gleichsam eine geistige Sonne über jenem Land, welches der wirklichen Sonne fast während zwölf Monaten im Jahr entbehrt, für jene Insel der Verdammnis (…), jenes steinkohlenqualmige, maschinenschnurrende, kirchengängerische und schlecht besoffene England.“
[195] Vom oberschlesischen Komponisten Günter Bialas (geb. 1907 – gest. 1995) wurde unter dem Titel Aus der Matratzengruft 1983 ein Liederspiel nach und mit Heinrich Heine geschaffen, das 1990-1991 erweitert wurde, mit den schönsten Gedichten aus den Sammlungen Romanzero sowie aus Deutschland. Ein Wintermärchen.
[196] Heinrich Heine. 1987 Frauenfeld. S. 131
[197] Heinrich Heine. 1987 Frauenfeld. S. 130
[198] Heinrich Heine. Shakespeares Mädchen und Frauen. Mit Illustrationen der Ausgabe von 1838. Hrsg. Von Volkmar Hansen. Insel Taschenbuch-Verlag 221
[199] Heines Werke in fünfzehn Teilen. Zwölfter Teil. Lutezia (Spätere Notiz 1854). Herausgegeben von Raimund Pissin und Veit Valentin. Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart o.J. – Deutsches Verlagshaus Bong & Co. S. 51
[200] Adolphine Emilie Elise Krinitz (geb. 1825-gest. 1896), als Johanna Christiana Müller geboren wurde und nach dem Tod ihrer Mutter vom deutschen Ehepaar Krinitz adoptiert, war als junge Erwachsene nach Paris gekommen und versuchte, dort als Schriftstellerin (unter dem Pseudonym Camille Selden), als Pianistin und Komponistin zu leben.
[201] Johann Vesque von Püttlingen (geb. 1803 – gest. 1883) hatte unter dem Titel Heimkehr 1851 an die 88 Gedichte von Heine als Lieder vertont, „Meisterstücke von Humor, Phantasie und Grazie“, wie diese gerühmt wurden.
[202] Es gibt aus dieser Zeit ein kleines Gedicht Zum Hausfrieden, das diese Meinung bestätigt: „Viele Weiber, viele Flöhe, – viele flöhe, vieles Jucken.- Tun sie heimlich dir ein Wehe, – darfst du dennoch dich nicht mucken. – Denn sie rächen, schelmisch lächelnd, – sich zur Nachtzeit. – Willst du drücken – sie ans Herze, lieberöchelnd, – ach, da drehn sie dir den Rücken.“ – Heinrich Heine. 1977 Zürich. S.346
[203] Heinrich Heine. Zürich 1977. S. 350
[204] Heinrich Heine. Zürich 1977. S. 364 / 365 / 366
[205] Heinrich Heine. 1977 Frankfurt am Main – Leipzig. S. 191
[206] Heinrich Heine. Zürich 1977. Auszüge aus dem Gedicht Vermächtnis. S. 320
[207] Heinrich Heine. Zürich 1977. Auszüge aus dem Gedicht Sie erlischt. S. 319
[208] Heinrich Heine. Zürich 1977. Gedächtnisfeier. S. 347
[209] Heinrich Heine. Zürich 1977. Auszüge aus dem Gedicht Enfant perdu. S. 321
[210] Henri Bergson (geb. 1859 – gest. 1941). Die Wahrnehmung der Veränderung. Vorträge an der Universität Oxford am 26, und 27. Mai 1911. In: Denken und schöpferisches Werden. 1993 Hamburg (1983 Frankfurt am Main) Europäische Verlagsanstalt. S. 149
[211] Henri Bergson. Die Wahrnehmung der Veränderung. 1993 Hamburg. S. 154-155
[212] Henri Bergson. Zeit und Freiheit. Berechtigte Übersetzung (Ohne Angabe des Übersetzers). 1911 Jena, Verlag Eugen Diederichs. S. 7. (Original: Essai sur les données immédiates de la conscience. Doktoratsarbeit an der Sorbonne vom Februar 1888)
[213] Henri Bergson. 1911 Jena. S. 8-9.
[214] Henri Bergson. 1911 Jena. S.8
[215] Sigmund Freud (1856 – 1939) konnte nach der Rückkehr aus Paris nach Wien seine Habilitationsarbeit in Neuropathologie vorlegen und erhielt eine Privatprofessur zugesprochen. Ein Jahr später heiratete er Martha Bernays aus Hamburg – eine Cousine Bertha Pappenheims -, mit der er seit vier Jahren verlobt war. – Zu Bertha Pappenheim cf. Maja Wicki-Vogt. Kreative Vernunft. Mut und Tragik von Denkerinnen der Moderne. 2010 Zürich edition 8. S. 70 – 89.
[216] Henri Bergson. 1911 Jena. S. 15
[217] François de la Rochefoucauld (1613 – 1680), der zum französischen Hochadel gehörte und mit seinen Maximen in den damaligen Salons zum Denken anregte, lebte gleichzeitig, jedoch unter sehr verschiedenen Bedingungen wie René Descartes (1596 – 1650) und wie Blaise Pascal (1623 – 1662).
[218] Henri Bergson. Zeit und Freiheit
[219] Michel Bergson (1820 – 1898)
[220] Frédéric Chopin (1810 – 1849)
[221] ab 1889, nach der Heirat mit Samuel Liddell McGregor Mathers, nannte sie sich Moïna Bergson Mathers. Ab dem 15. Altersjahr war sie Schülerin an der Slade School for Art in London gewesen und wurde eine viel beachtete Künstlerin. Mit ihrem Mann trat sie dem Rosicrucian Alchemy of the Hermetic Order of the Golden Dawn bei, den dieser leitete; nach dessen Tod übernahm sie in dessen Fortsetzung eine leitende Verantwortung im Order Alpha and Omega. Die spirituellen – oder spiritistischen – Kräfte, die Moïna eigen waren, soll schon ihre und Henri Bergsons Mutter gekennzeichnet haben, die eigentlich aus einer orthodoxen jüdischen Familie stammte, jedoch mit ihrem Mann und ihren sechs Kindern im Stil der Assimilation lebte, ohne dass sie und ihre Angehörigen sich aus den zunehmend judenfeindlichen politischen Bedingungen hätten lösen können.
[222] Bei der Heirat war als Page Marcel Proust[222] anwesend gewesen, mütterlicherseits ein weit entfernter Cousin von Louise Neuburger; mit dem Heranwachsen verstärkte sich die Freundschaft zwischen Proust und Bergson.
[223] Das skandalöse Fehlurteil wurde erst 1899 in einem zweiten Prozess nochmals aufgerollt und korrigiert, zum grössten Teil dank Emile Zola’s Artikel J’accuse, der einen grossen Teil der republikanisch gesinnten Bevölkerung gegen den rassistisch und antisemitisch beeinflussten, nationalistischen Flügel zu beeinflussen vermochte.
[224] Jeanne Bergson (1993 – 1961). Nach dem Tod ihres Vaters – 1941 – übernahm sie die Verwaltung seines Nachlasses. – 1963 fand In memoriam von Jeanne Bergson in einer der bedeutendsten Galerien in Paris – bei Bernheim-Jeune im Faubourg St. Honoré – eine Ausstellung statt, die der Bedeutung ihres Werks gerecht zu werden suchte.
[225] Unter dem Titel Die schöpferische Entwicklung erschien das Buch 1912 bei Diederichs in Jena, dank der Übersetzung von Gertrud Kantorowicz (1876 – 1945). Sie hatte bei Georg Simmel studiert, wurde seine heimliche Geliebte, die 1907 eine gemeinsame Tochter zur Welt brachte und diese Beziehung ihrer nahen Freundin Margarete Susman erst nach Simmels Tod erzählen konnte. Mit Margarete Susmans Schwester Paula Hammerschlag versuchte sie am 7. Mai 1942 in der Nähe von Bregenz in die Schweiz zu fliehen. Es gelang nicht, die Gestapo war avisiert worden. Paula Hammerschlag nahm sich das Leben und Gertrud Kantorowicz wurde nach Theresienstadt deportiert, wo sie 1945 an einer Hirnhautentzündung starb.
[226] Henri Bergson. Die beiden Quellen der Moral und der Religion. 1980 Olten Walter-Verlag. S. 26 (Reprint von 1933 Jena Diederich Verlag, Übersetzung aus dem Französischen von Eugen Lerch. – Original: Les deux sources de la morale et de la religion. 1832 Paris Presses Universitaires de France).
[227] Henri Bergson. 1980 Olten Walter-Verlag. S. 3-4 (Presses Universitaires de France).
[228] cf. Zeit und Freiheit. 1911 Jena. S. 173-174
[229] Henri Bergson. 1980 Olten. S. 27
[230] Henri Bergson. 1980 Olten Walter-Verlag. S. 55-56
[231] Henri Bergson. 1980 Olten Walter-Verlag. S. 317
[232] Henri Bergson. 1980 Olten Walter-Verlag. S. 317