Sind Computer die besseren Menschen? – Streitgespräch zwischen Klaus Haefner und Joseph Weizenbaum
Sind Computer die besseren Menschen? – Streitgespräch zwischen Klaus Haefner und Joseph Weizenbaum*)
Computers überfluten unsere Lebenswelt, nicht anders als Autos oder Fernsehgeräte. Ob jedoch der Fortschritt der Informationstechnik ein zivilisatorischer Fortschritt gemeinhin bedeute oder eventuell gar eine kulturelle Bedrohung, darüber sind sich nicht nur “Laien”, sondern selbst Computerwissenschaftler uneinig. Ebenso, ob es zulässig sei, menschliches Können an dem des Computers zu messen.
“Das ist meiner Ueberzeugung nach die Kernfrage der gesamten Computerentwicklung, ganz besonders der sogenannten künstlichen Intelligenz, über die viel Unsinniges geschrieben wird: Menschliche Erfahrung ist nicht übertragbar”. Joseph Weizenbaum ereifert sich: “Menschen können lernen, das heisst Neues schöpfen. Nicht aber Computer. Die können lediglich Strukturen und Daten nach vorgegebenen Mustern erweitern oder verdichten. Man spricht dann von “lernen”, aber es handelt sich in Wahrheit nur um die Vermehrung von Daten”.
“Ich bitte Sie, Herr Weizenbaum”, entgegnet Klaus Haefner ebenso heftig, “die Gesetze und Regeln der Arithmetik, das waren menschliche Denkerfahrungen, die komplett dem Computer übergeben worden sind. Inzwischen sind beispielweise riesige Bereiche der Bau- und Ingenieurskunst computerisiert worden. Musik wird inzwischen unter Zuhilfenahme von Computern komponiert und aufgeführt”.
“Wir stehen am Beginn einer weltwirtschaftlichen Grossintegration”
Die Positionen der zwei Gesprächskontrahenten sind genau definiert, und der Publizist Michael Haller, der die zwei uneinigen Spezialisten zum Gespräch angeregt hat und dabei als Moderator wirkt, lässt deren wissenschaftliche, ethische und wirtschaftspolitische Differenzen durch immer neue Fragestellungen deutliche Konturen gewinnen: Der 1926 in Berlin geborene Joseph Weizenbaum, der während des Kriegs als Mathematikstudent in der amerikanischen Luftwaffe diente und nach Kriegsende einen der ersten Computer mitentwickelte (ein mehrere Tonnen schweres Ungetüm), der seit 1963 als Professor für Informatik am berühmten MIT, am Massachusetts Institute of Technology, wirkt, mahnt angesichts einer ungehemmten Computerisierung zu massvollem Einsatz und zur Besinnung auf die Werte jahrhundertealter Kultur, die von Menschen auf Grund ihrer schöpferischen Fähigkeiten nicht dank des Computers geschaffen wurden. Der zehn Jahre jüngere Klaus Haefner dagegen, ebenfalls in Berlin geboren, diplomierter Physiker und promovierter Naturwissenschaftler, Professor für Genetik in Freiburg i. Br. und Professor für angewandte Informatik in Bremen, beurteilt die Fortschritte in der Computerisierung unumwunden als Segen, nicht nur für militärische Nutzungszwecke, wofür die ersten Computers in den USA noch während des Zweiten Weltkriegs entwickelt wurden, sondern in breitestem Ausmass auch für zivile Bedürfnisse.
“Wir stehen heute am Beginn einer weltwirtschaftlichen Grossintegration auf der Grundlage weltumspannender Informations- und Telekommunikationstechniken”, stellt Haefner begeistert fest. Nach Mechanisierung und Automatisierung entwickle sich nun dank der neuen Strukturen der Informationstechnik eine Weltinfrastruktur. “Der ASCII-Code wird zum globalen Esperanto des Computerzeitalters”, fasst er zusammen. Doch Weizenbaum fragt seinen jüngeren Kollegen skeptisch “von wem und wie überhaupt entschieden worden sei, dass wir das wollen”. Und da ist auch Haefner um eine Antwort verlegen.
“Man soll den Menschen nicht in Hinblick auf die Maschine definieren”
Joseph Weizenbaum begegnet der euphorischen Fortschrittszustimmung seines deutschen Kollegen überhaupt mit Skepsis. “Was haben wir denn eigentlich verstanden, wenn wir mit einem anderen System ein paar Codes austauschen?” fragt er. Seit 33 Jahren lege er Nacht für Nacht seinen Kopf auf das gleiche Kissen wie seine Frau und könne trotzdem ihre Gedanken nicht lesen. Erfahrung und Denken seien zutiefst unübertragbar und daher auch nicht kodifizierbar.
Weizenbaum ist der Auffassung, dass es ein grosser Fehler sei, das Menschsein nach dem zu definieren, was der Mensch könne, das heisst nach dem, was er rechnerisch und kombinatorisch zustandebringe. Daraus “gehe ein Bild des Computers hervor, der insgeheim als Masstab des Menschseins diene”, und unversehens sei man soweit, dass Computer als die “besseren Menschen” gälten.
Klaus Haefners Zukunftsvision beschränkt sich nicht auf die weltweite Lösung aller Kommunikationsprobleme, sondern dehnt sich auf die “Verknüpfung und Integration der vollautomatisierten Fabriken im Netz der globalen Infrastruktur”, mithin auf eine “vollautomatische Welt, in der die Grundbedürfnisse der Menschen vollautomatisch befriedigt werden können”. Aber auch damit kann sich Joseph Weizenbaum nicht einverstanden erklären. Die Vorstellung einer “perfekten Techno-Oekonomie” erscheint ihm absurd. “Die Grundbedürfnisse der Menschheit” gibt er zu bedenken “können nur in einer gerechten Welt befriedigt werden. Dafür gibt es kein technologisches Konzept”. Auch erinnert er daran, dass die menschlichen Bedürfnisse manipuliert werden können, dass deren Weckung und Stillung geschickt als Instrument der Macht und des Machtmissbrauchs benutzt werden können.
Nun gesteht auch Klaus Haefner, dass er sich über den zu gross gewordenen kommerziellen Druck sorge, der die Menschen in eine sinnentleerte Konsumhaltung treibe. Früher hätten Bildung oder Religion ein Gegengewicht geschaffen. Im Vakuum, das heute bestände, würden selbst Computer als “Sinnersatz” benutzt, gerade durch junge Menschen. Trotz aller bedauerlichen Begleiterscheinungen gäbe es jedoch kein Zurück, sagt der Bremer Professor. “Die Umkehr ist Illusion. Ich plädiere daher für eine human-computerisierte Gesellschaft”. Er räumt allerdings ein, dass eine “emanzipierte und reflektierte Nutzung der Systeme erst möglich sein werde, wenn wieder ein auf Sinnstiftung gerichtetes Gegengewicht zur Konsumwelt gefunden sei”. Joseph Weizenbaum dagegen will die Schaffung dieses “Gegengewichts” nicht auf eine unbestimmte Zukunft verlegen, wenn die Schäden irreparabel sein werden. “Irgendwann und irgendwo werden wir mit seelischer Reparatur, mit Wiederaufbau und Heilen anfangen müssen”, schliesst er. “Wann denn? Jetzt! Wo denn? Zu Hause. Und am besten mit denen, die uns am nächsten sind – mit uns selbst.
*) Weizenbaum contra Haefner. Sind Computer die besseren Menschen? Hrsg. von Michael Haller, pendo-Verlag, Zürich 1990