Wie viel Rechte braucht der Mensch? – Was bedeutet die rechtliche Diskriminierung von Ausländern und Ausländerinnen für die Schweiz?

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Wie viel Rechte braucht der Mensch?

Was bedeutet die rechtliche Diskriminierung von Ausländern und Ausländerinnen für die Schweiz?

Mitgliederversammlung der kant. Anlaufstelle Aargau betr. Zwangsmassnahmen am 25. Sept. 1996 in Aarau

 

Sehr verehrte, liebe Anwesende

Nachdem im September 1994 die Stimmbevölkerung dem Beitritt der Schweiz zur Internationalen Konvention zur Beseitigung jeder Art von Rassendiskriminierung zugestimmt hatte, wenn auch mit knapper Mehrheit, hoffte ich – und nicht ich allein -, dass die auf den 4. Dezember des gleichen Jahres angesetzte Abstimmung über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht  verworfen würde, vermutlich wiederum mit knapper Mehrheit, aber doch verworfen. Ich vertraute einer minimalen Logik des Anstandes, auch einer – bei unserer Bevölkerung häufig feststellbaren – Skepsis gegenüber übertriebener Propaganda und Aufhetzung, und ich baute auf die Stärke der Argumentation, die ich bei der Rassendiskriminierungsfrage in den Mittelpunkt meiner Öffentlichkeitsarbeit gestellt hatte: dass es bei dieser Abstimmung um die ganze Gesellschaft gehe, um die Qualität des Zusammenlebens überhaupt. Dass, wenn zugelassen werde, dass einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen auf Grund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion diffamiert oder diskriminiert werden dürfen, kein einziger Mensch vor Beeinträchtigungen seiner Person  mehr sicher sei.

Doch bei der Vorlage über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht gaben die während Monaten grell gemalten Feinbilder und die dadurch geschürten Ängste um die nationale Sicherheit den Ausschlag. Es ging, wie es durch die befürwortenden Kreise dargestellt wurde, um die Bedrohung der Gesellschaft durch die Einfuhr, die Zirkulation und den Verkauf illegaler Drogen, deren zersetzende Wirkung auf die Jugend dieses Landes ausschliesslich mit den sogenannt “illegalen Ausländern” in Verbindung gebracht wurde. Diese wurden gewissermassen in den Rang subversiver Agenten stilisiert, gegen die es sich mit Sondermassnahmen zu verteidigen galt. Die schärfste Hetze galt den Kosovoalbanern.

In welchem Mass die Propaganda wirkte, vor allem in Regionen und ganzen Kantonen mit geringer oder keinerlei Kenntnis der Drogenmarkt- und Drogenabhängigkeitszusammenhänge, bewiesen die Abstimmungsresultate – auch im umgekehrten Sinn, hatte doch der Zürcher Kreis 5, der die Hauptlast der Platzspitz- und Lettenmisere zu tragen hatte, die Vorlage abgelehnt. Dass jedoch namhafte und z.T. angesehene Politikerinnen und Politiker sich dafür hergaben, sich der Aufhetzungskampagne der Boulvardpresse anzugleichen und gegen die “illegalen Asylanten”, die als “Drogendealer” die Gesundheit unserer Jugend und die Sicherheit der ganzen Bevölkerung bedrohten, wie behauptet wurde, Zwangsmassnahmen zu fordern, Internierung und Ausweisung, erscheint mir heute noch unverständlich. Doch es war so. Zum Teil war es wahltaktisches Kalkül, das nicht nur den politischen Anstand, sondern auch das bessere Wissen unter den Tisch wischte, zum Teil war es cliché- und propagandagenährte Irrationalität, die bewirkte, dass das doppelgesichtige Gespenst der Illegalität –  Fremde und  Drogen – alle Rationalität, alle Logik und alle Ethik in die Flucht trieb. Die Summierung von “Illegalen” und “Illegalem” wirkte vor allem auf die konservative, gesetzes- und autoritätsgläubige, legalitätsgläubige Bevölkerung ländlicher Gebiete als in hohem Mass bedrohlich.

Zwei der wichtigsten Aspekte der Annahme der Zwangsmassnahmen – die Zusammenhänge um die sog. “Illegalität” und die ethischen und moralischen Folgen von Unrechtsgesetzen – möchte ich näher untersuchen. Der Untersuchung liegen die zwei Fragen zugrunde, die Sie in der Ankündigung meines Vortrags finden: Wie viel Rechte braucht der Mensch? Und Was bedeutet die Diskrimierung von Ausländerinnenn und Ausländern für die Schweiz?

Wie viel Rechte braucht der Mensch? Die Antwort ist einfach: Er/sie braucht alle Rechte, die zur Erfüllung seiner/ihrer  Grundbedürfnisse erfordert sind. Die Grundbedürfnisse sind Existentialien, d.h. sie sind unabdingbar mit der Existenz jedes einzelnen Menschen in der Pluralität der Menschen, d.h. im gesellschaftlich und politische organisierten Zusammenleben verbunden. Sie betreffen daher alle Bereiche der Existenz, den körperlichen, den geistigen wie den sozialen resp. den politischen. Die körperlichen Grundbedürfnisse haben mit der Erhaltung des Lebens zu tun, mit der Integrität des Körpers, nicht nur mit gesunder und genügender Nahrung, sondern auch mit Sicherheit, mit Schutz gegen Beeinträchtigung der Gesundheit (z.B. durch lange Inhaftierung) sowie genügender und wirksamer medizinischer Betreuung bei Krankheit. Die geistigen Grundbedrüfnisse betreffen den Erkenntnis- und Wissenhunger, d.h. die intellektuellen Bedürfnisse, aber auch die emotionalen Bedürfnisse, jene nach Zuwendung und nach gelebten Beziehungen, deren Nichterfüllung den Menschen psychisch krank werden lässt. Die sozialen resp. die politischen  Grundbedürfnisse haben mit dem Zusammenleben selbst zu tun und mit dem Wunsch nach Mitgestaltung und Mitbestimmung des Zusammenlebens, mit dem Wunsch nach Respekt vor dem gleichen Menschsein bei aller persönlichen Differenz, kurz mit dem Bedürfnis nach Freiheit und nach Gerechtigkeit. Es bedarf der Anerkennung der gleichen Grundbedürfnisse aller Menschen, damit sie – durch die Anerkennung – zu Rechten werden. Die Rechte, die der Erfüllung der Grundbedürfnisse ensprechen, werden als Menschenrechte oder als Grundrechte bezeichnet.

Nun aber sind Grundrechte  wirkungslos, wenn nicht nationale resp. bürgerliche Rechte deren Umsetzung garantieren. Darin besteht die Tragik der Menschenrechtsdeklarationen, dass nationales Recht, welches unterschiedliche Rechte für Einheimische und für Fremde festsetzt, sie innerhalb des nationalstaatlichen Geltungsbereichs für wirkungslos erklären kann. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen war am 10. Dezember 1948 erfolgt, damit das Verbrechen der Rechtloserklärung von Menschen, das zu deren millionenfacher Tötung in den Vernichtungslagern der Nazis geführt hatte, aber auch im stalinistischen Gulag, bei den Atombombenangriffen der Amerikaner, überhaupt auf allen Haupt- und Nebenschauplätzen des Zweiten Weltkriegs – damit dieses Verbrechen sich nicht wiederholen sollte. Hannah Arendt bezeichnete es als “Verbrechen gegen die Menschheit” (nicht gegen die “Menschlichkeit”), weil es die Leugnung der gleichen Menschheit, des gleichen Menschseins in jedem Menschen zugrunde hatte. Wie wir wissen, konnte diese “Erklärung” keinen der vielen hundert Kriege und totalitären Regimes, keine rassistische Verfolgung, keine ethnische “Säuberung” und keine Tortur seither verhindern. Immerhin wurden Internationale Konventionen erarbeitet, so  etwa die Antifolter-Konvention oder die Antirassismus-Konvention, die, indem sie von den einzelnen Staten unterschrieben und ratifiziert werden, Teil des nationalen Rechts werden. Diese Internationalen Konventionen haben den Zweck, allmählich ein staatenübergreifendes Rechtsverständnis und eine transnationale, globale Rechtsumsetzung zu bewirken, wodurch der Respekt vor den wichtigsten Grundbedürfnissen und Grundrechten aller Menschen, unabhängig von Herkunft, Hauptfarbe, Religion und Pass, mehr als blosse Rhetorik werden sollte.

Nun aber ist das Gesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, das von der Mehrheit der schweizerischen Stimmbevölkerung angenommen wurde, eine Willenskundgebung des Gegenteils. Sowohl die Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf polizeilich definierte “Rayons” wie die Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung, Inhaftierung bis zu einem Jahr – in der Hauptsache durch blosse Polizeibefugnis – auf Grund des blossen Verdachts von Kriminalität (resp. Drogenhandel) und des Mangels an Ausweispapieren – alle diese Massnahmen würden Schweizerinnen und Schweizern gegenüber als Verletzung fundamentaler Rechte betrachtet. Dass sie Ausländern und Ausländerinnen, ja schon Jugendlichen, zugemutet werden, macht das Unrecht aus. (Die darin manifestierte Ungleichheit in der Zubilligung resp. Nicht-Zubilligung des fundamentalen Rechts auf den Schutz der Person, allein auf Grund der Herkunft, ist meiner Ansicht nach als massive Verletzung der Antirassismus-Konvention zu beanstanden).

Gesetze haben zwar eine normative Funktion, doch sie entsprechen deswegen nicht notwendigerweise einer verallgemeinerungsfähigen Ethik. Gesetze können auch unethisch sein, d.h. sie können auf der Ebene der Moral Unrecht und Unrechthandeln legitimieren. Eine der wirklich verhängnisvollen Folgen dieses Gesetzes scheint mir zu sein, dass es das Unrechthandeln von Funktionären – Polizisten, Einzelrichtern, Gefängnispersonal, Ausschaffungsbeamten etc. – legitimiert resp.moralisch entlastet. Der Vergleich mit der von Hannah Arendt thematisierten “Banalität des Bösen” greift gewiss zu weit, und trotzdem: irgendwann nimmt das Unheil den Anfang, dass Menschen sich für ihr Tun und Lassen nicht auf ihr Gewissen, sondern auf ein Gesetz berufen, dass sie “Legalität”geltend machen, um mit “Härte durchzugreifen”, selbst wenn sie dies vielleicht für unangemessen, vielleicht gar für falsch halten. (Der im Vorfeld der Abstimmung immer wieder thematisierte Zweck der Zwangsmassnahmen, den Drogenmarkt zu sprengen und die Drogenmisere zu sanieren, wurde übrigens nicht erreicht. Die vordergründigen Verbesserungen in den zwei Bereichen wurden, wie Sie wissen, vor allem durch drogenpolitische Massnahmen erreicht, etwa durch ärztlich kontrollierte Heroinabgabe, durch vermehrte Methadonabgabe, durch Therapie- und Resozialisierungsprogramme für die Süchtigen etc.).

Das Gesetz aber mit seiner ausländerfeindlichen Effizienz bleibt bestehen. Es stumpft nicht nur das Gewissen der ausführenden Beamten ab, sondern es vermindert auch – allein durch die Tatsache seines Bestehens – die Empfindlichkeit der Bevölkerung für weitere, ähnlich gerichtete Propaganda. Dies scheint mir die zweite verhängnisvolle Folge zu sein. Der Beweis hierfür ist, dass die Initiative der SVP “gegen die illegale Einwanderung” zustandekam, dass der Bundesrat sie nicht annulliert hat, dass er diese Verfassungsänderung am kommenden 1. Dezember der Bevölkerung zur Abstimmung vorlegt, eine für das Flüchtlings- und Aslyrecht massive Änderung, über die in einem Plebiszit befunden werden soll, bevor noch das Parlament die schon lange in Gang befindliche Asylgesetzrevision verabschiedet hat. Dass dieser Skandal möglich ist und offiziell gebilligt wird, erkläre ich mir nicht zuletzt als eine Frucht und Fortsetzung der Feindbildpropaganda im Vorfeld der Zwangsmassnahmen sowie der Gewissensabstumpfung infolge deren Annahme. “Illegalität” resp. “Papierlosigkeit” wird in der SVP-Vorlage zum einzigen und genügenden Kriterium für die Ablehnung jeden Rechtsanspruchs von Asylsuchenden, sogar des Anspruchs auf Anhörung. Dabei operiert der Initiativtext mit einem – wie mir scheint politisch unzulässigen – Täuschungstrick, indem sie die sog. “echten” Flüchtlinge von der Klausel ausnimmt. Gerade aber “echte” Flüchtlinge, nämlich solche, die auf Grund massiver politischer Repression ihr Land verlassen und die in der Schweiz um Aufnahme nachsuchen möchten (etwa Kurdinnen und Kurden aus der Türkei, Kosovoalbanerinnen und -albaner, auch Tamilen und Tamilinnen aus Sri Lanka oder Flüchtlinge aus gewissen afrikanischen Ländern), sind nicht in der Lage, sich legale Papiere zu beschaffen. Somit fallen gerade sie unter die Illegalitätsklausel. (Im übrigen ist daran zu erinnern, dass alle Flüchtlinge, die der – nun endlich rehabilitierte – St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger in die Schweiz einliess, “Illegale” waren). Neben der Illegalitätsklausel und der Anhörungsverweigerung enthält die Vorlage einen weiteren skandalösen Absatz: die Verweigerung jeglicher Arbeitsmöglichkeit für sog. “Illegale”, resp. die Konfiskation und Zwangsverwaltung des Lohns, falls sie irgendwie trotzdem arbeiten sollten. Gerade diese Bestimmungen scheinen mir eine klare Verletzung der Antirassismus-Konvention zu sein.

Sollte die SVP-Initiative angenommen werden, würde das Asylverfahren vollends zum Wegweisungs- und Ausschaffungsverfahren denaturiert. Der Trend zeigt sich leider auch bei anderen europäischen Staaten – letztlich ein Trend zum Apartheidstaat. Es ist daher unerlässlich, dass alle Einfluss- und Überzeugungsmöglichkeiten eingesetzt werden, damit die Vorlage eventuell noch zurückgezogen wird oder, falls sie doch zur Abstimmung kommen sollte, verworfen wird. Eine Unrechtsgesetzgebung, die mit den Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht seinen Anfang nahm, darf nicht auf Verfassungsebene verfestigt werden. Um dies zu verhindern, müssen sich über alle Parteien hinweg Koalitionen bilden. Als  genügender gemeinsamer Grund für die Ablehnung könnte eine Grundregel des politischen Anstands genügen: Das gehört sich nicht.

Damit komme ich zum Schluss, liebe Anwesende. Meine Überlegungen  mögen Ihnen nichts Neues eröffnet haben, aber sie mögen Sie in Ihrem Einsatz für Menschen stärken, die auf Grund des geltenden Gesetzes als “illegal”, damit als diskriminierbar und als minderberechtigt gelten, die aber für Sie in erster Linie nicht Fremde, sondern Menschen sind. In der ethischen Kategorie der “gleichen Menschheit in jedem Menschen”, resp. des gleichen Menschseins machen Begriffe wie “Illegalität” oder “Legalität” keinen Sinn.

 

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