Michel Foucault – Sprache und Sinn – Wintersemester 1993 / 94 – Sprache und Identität

Michel Foucault – Sprache und Sinn

Wintersemester 1993 / 94 – Sprache und Identität

 

  1. Dezember 1993 (9. Vorlesung)

 

 

Auf ein bedeutendes Werk in der so vielgestaltigen Diskurstheorie möchte ich noch hinweisen: auf das Werk Michel Foucaults. Als der 1926 in Poitiers geborene Foucault im Juli 1984 in Paris starb, wurde deutlich, welche Rolle er nicht nur als Lehrer am Collège de France, sondern als Denker in der französischen Geisteswelt überhaupt gespielt hatte, als Denker, der die Pflicht zur unbittlichen Kritik alles schon Gedachten ebenso ernst nahm wie die Pflicht zur Selbstkritik. Immer galt es für ihn, wie Pierre Bourdieu in einem Nachruf festhielt, “das Ungedachte, das Undenkbare, das Tabu zu denken, also das, was das Denken begrenzt und das Ausserhalb untersagt” – eine interessante Differenz zu Wittgenstein, der im “Tractatus” bekanntlich festhält, dass das Undenkbaren sich nicht denken und daher nicht sagen lässt.

Foucault, der Historiker und Philosoph, wollte für sich die Bezeichnung “Philosoph” nicht in Anspruch nehmen. Analog zu Wittgenstein bezeichnet er die Philosophie als Tätigkeit, und von sich selbst sagte er, er übe eine Tätigkeit aus, er versuche zu diagnostizieren, die Gegenwart zu diagnostizieren, zu diagnostizieren, was es bedeute, das zu sagen, was wir sagen, weil das, was wir sagen, geprägt und bestimmt ist durch alles schon Gesagte. An anderer Stelle sagte er von der Philosophie aus, sie sei eine Art, über unser Verhältnis zur Wahrheit nachzudenken. So wie es für Wittgenstein feststand, dass so, wie sich alles verhält, es sich in der Sprache zeigt, dass sich daher über die Logik nicht sprechen lässt, dass sie sich in der Sprache zeigt, so war für Foucualt der Diskurs die Manifestation der Ereignisse und der dahinter wirkenden Ideen, Abweichungen, Irrtümer, Falschrechnungen. Er verdankte viel der genealogischen Methode Nietzsches, er bezeichnete sich selbst als Genealoge oder als Archäologe des Wissens. Die besondere Frage, die er sich stellt, war, wie in den Diskursen das Subjekt sich als Gegenstand einer Wissenschaft konstituieren kann, da ja der Diskurs selbst das Subjekt ist. Er liebte es, ohne Preisgabe seines Ichs, seines Namens sich verlauten zu lassen, als “philosophe masqué”. Der erste Satz seiner Inauguralrede von 1970 “Die Ordnung des Dikurses” lautet: “In den Diskurs, den ich heute zu halten habe (…), hätte ich mich gerne verstohlen eingeschlichen. Anstatt das Wort zu ergreifen, wäre ich lieber von ihm umgarnt worden, um jedes Anfangens enthoben zu sein. Ich hätte gewünscht, wöhrend meines Sprechens eine Stimme ohne Namen zu vernehmen, die mir immer schon voraus war: ich wäre dann zufrieden gewesen, an ihre Worte anzuschliessen, sie forzusetzen, mich in ihren Fugen unbemerkt einzunisten, gleichsam, als hätte sie mir ein Zeichen gegeben, indem sie für einen Augenblick aussetzte. Dann gäbe es kein Anfangen”… (S.9).

Foucault signalisiert mit dieser kunstvollen Thematisierung seiner eigenen Methode eine besondere Art der Wahrhaftigkeit. Das Ich erscheint in verschiedenen Masken (dazu vor allem den Nietzsche-Essay von 1971 zu lesen), es tut sich kund, es erscheint in und über die Sprache. Übrigens soll, gemäss einer Erinnerung Edward Moores, auch Wittgenstein einmal gesagt haben, das Ich sei kein Teil des Denkens, man solle daher – so wie man sagt ‘es blitzt’ – eher sagen ‘es denkt’. Foucault ist offensichtlich Wittgensteins Subjektbegriff, wie er im “Tractatus” entwickelt ist, nahe (etwa “Tractatus” 5.632), in einer schonungslosen Kritik des ontologisierten cartesianischen Subjektbegriffs, die schon Nietzsche in “Jenseits von Gut und Böse” vollzogen hatte. Da heisst es, unter anderem, dass “der grösste Teil des bewussten Denkens unter die Instinkttätigkeiten zu rechnen sei”, dass das, was “dazu reize, auf alle Philosophen halb misstrauisch, halb spöttsich zu blicken”, nicht mit ihrem Irrtümern zu tun habe, sondern damit, dass “es bei ihnen nicht redlich genug zugehe, während sie allesamt einen grossen und tugendhaften Lärm machen, sobald das Problem der Wahrhaftigkeit auch nur von ferne angerührt werde”, dass alles Behaupten unmittelbarer Gewissheit eine contradictio in adjecto sei (lesen §§ 16 und 17, S. 21 / 22 in “Jenseits von Gut und Böse”).

Foucault geht es jedoch nicht darum, dass das Subjekt ganz verschwinde. Er selbst hatte sich als urteilendes, handelndes, politisch verantwortliches Subjekt nie gescheut, Stellung zu beziehen, etwa gegen die Todesstrafe, als 1972 Präsident Pompidou sich weigerte, eine Begnadigung von zwei zum Tod Verurteilten auszusprechen, oder gegen die Auslieferung eines Angehörigenm der Roten Armee Fraktion an Deutschland, oder gegen den moralisierenden Machtmissbrauch der Aerzteschaft Frauen gegenüber, die eine Schwangerschaft abbrechen wollten, oder gegen den sowjetischen Gulag. Im zweiten und dritten Band seiner Geschichte der Sexualität, die mit einem Abstand von vier Jahren zum ersten 1984 erschienen, wandelt Foucault dann auch unversehens seine Theorie des Subjekts in diesem, von ihm selbst vorgezeigten Sinn, und gelangt zu einer Anerkennung der Konstitution des moralischen und aesthetischen Subjekts.

Im Diskurs der Wissenschaft aber weigert er sich, dem Wahrheitsanspruch bestimmter Theorien ein Recht einzuräumen. Habermas soll von Foucault gesagt haben, er trachte danach, dem humanistischen Diskurs Fallen zu stellen. Ich würde sagen dass er auf konsequente Weise Ideologiekritik betreibt, dass er einer der konsequentesten Skeptiker ist und im Verhältnis von Wissen und Macht unentwegt vor den Täuschungen und Selbsttäuschungen der Macht warnt.

 

Lesen: Die Ordnung des Diskurses, S.10 unten, S.11

 

 

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