Das Geld und die Frauen

Das Geld und die Frauen

 

„Liebe Freundin, ich versichere dir, dass Geiz den Frauen nicht natürlicher ist als den Männern, eher sogar weniger. Dies weiss Gott, und du selbst siehst es mit eigenen Augen: auf der Erde werden weit mehr Übeltaten begangen, die auf den übergrossen Geiz verschiedener Männer als auf den von Frauen zurückzuführen sind. (…) Gewöhnlich werden die Frauen mit Geld derartig knapp gehalten, dass sie das wenige, über das sie verfügen, zusammenhalten, denn sie wissen nur allzu gut, wie schwierig es für sie ist, wieder an Geld zu kommen. Manch einer bezeichnet Frauen deshalb als knauserig, weil einige von ihnen mit verrückten, verschwenderischen und gefrässigen Ehemännern geschlagen sind und diese Frauen nicht umhin können, ihren Männern Vorhaltungen zu machen und sie zu grösserer Sparsamkeit anzuhalten, denn solche Frauen wissen nur allzu gut, dass die gesamte Hausgemeinschaft Hunger leidet und sie und ihre unglücklichen Kinder für diese unsinnige Verschwendung büssen  müssen. Aber so etwas kann ja wohl kaum als Geiz oder als Knauserigkeit bezeichnet werden, sondern zeugt vielmehr von grosser Lebensklugheit. (…) Dass die Frauen in Wirklichkeit keineswegs so sehr von jenem Laster des Geizes heimgesucht werden, zeigt sich bei der Verteilung von Almosen: dies tun Frauen von Herzen gern.“

Das Gespräch über den Umgang der Frauen mit Geld, aus welchem ich einen Ausschnitt  zitiere, findet sich im „Buch von der Stadt der Frauen“, das erstmals 1405 erschien. Autorin des erstaunlichen Werks ist Christine de Pizan. Sie kam 1365 in Venedig zur Welt und wuchs am Hof des französischen Königs Karl V. auf, wo Christines Vater als  Astrologe wirkte. Der Vater förderte ihr Lern- und Wissensbedürfnis nach Möglichkeit, konnte aber nicht verhindern, dass sie standegemäss mit fünfzehn Jahren verheiratet wurde, im Jahre 1380, in guter Ehe, wie sie selber festhielt,  mit dem um zehn Jahre älteren Etienn du Castel, der am Hof als königlicher Sekretär angestellt war. Noch im Jahr der Eheschliessung starb der gute König Karl V., und das Land wurde von Nachfolgekämpfen erschüttert. Sieben Jahre später verschied Christines Vater und wiederum drei Jahre später ihr Ehemann, so dass sie sich gezwungen sah, den Lebensunterhalt für sich und ihre drei Kinder selber zu verdienen. Sie begann zu schreiben, und war vermutlich die erste Frau, die als erfolgreiche Schriftstellerin galt und die vom Schreiben leben konnte. Neben Lyrik, Geschichtsbüchern, Lehrgedichten, Streitschriften und politischen Traktaten verfasste sie, vermutlich wiederum als erste Frau, Bücher für Frauen und über Frauen.

Aus der Notwendigkeit, selber den Lebensunterhalt zu bestreiten, erwuchs den Frauen, lange vor der politischen Emanzipation, eine Möglichkeit der eigenen privaten Emanzipation, resp. des selbst bestimmten Lebens. Wirtschaftliche Unabhängigkeit war eine massgebliche Voraussetzung, um, gerade bei früher Witwenschaft, eine unliebsame (Wieder)Verheiratung und dadurch eine eventuell demütigende persönliche Abhängigkeit zu verhindern. Es gibt seit dem Spätmittelalter eine ganze Reihe von Beispielen, die beweisen, dass gerade in existentiellen Notsituationen Frauen sich ihrer Fähigkeiten bewusst wurden und diese erfolgreich umzusetzen vermochten, lange vor jeder feministischen Theorie. So tat es Elisabeth Baulacre aus Genf, die nach dem Tod ihres Ehemannes eine Werkstatt für die Herstellung von Gold- und Siberfäden, die in der Seidenweberei gebraucht wurden, aufbaute und so erfolgreich führte, dass das Unternehmen bei ihrem Tod im Jahre 1693 eines der ertragreichsten in der wirtschaftlich aufblühenden Rhonestadt war. Und so tat es Glückel von Hameln, die auf ihre Weise versuchte, Tradition und selbst bestimmtes Leben zu vereinbaren. Es bestehen gute Kenntnisse über ihr Leben, da sie selber im Jahre 1691, mit 46 Jahren, begann, ihre Erinnerungen aufzuschreiben, nachdem zwei Jahre zuvor ihr Ehemann Chaijm (der) von Hameln (kam) gestorben war.

Glückel von Hameln war 1645 im jüdischen Ghetto von Hamburg zur Welt gekommen, als Tochter des Diamantenhändlers Löb Pinkerle. Die Judenfeindlichkeit zeigte sich im 17. Jahrhundert in Hamburg wie in den meisten europäischen Städten durch massive Schikanen, und die wenigen jüdischen Familien, die geduldet wurden, waren vor allem Händler, die mit ihren internationalen Beziehungen der Stadt Vorteile brachten, zumal sie für das prekäre Wohnrecht ein hohes „Schutzgeld“ zahlten. Dreissig Jahre lang war Glückel verheiratet gewesen und hatte nicht nur zwölf Kinder geboren, sondern auch geholfen, einen florierenden Handel aufzubauen. Auf dem Sterbebett hatte Chaijm von Hameln dem Rabbi klargemacht, dass Glückel nach seinem Tod keines männlichen Vormunds bedurfte: “Meine Frau, die weiss von allem. Lasst sie tun, wie sie vordem zu tun gepflegt”, soll er gesagt haben. So wurde Glückel zur selbständigen Händlerin und Geldleiherin, wohl eine der ersten Frauen überhaupt, von denen wir wissen, dass sie und wie sie ohne männliche Hilfe ihr Geschäft führten. Glückel war noch erfolgreicher als ihr verstorbener Ehemann, sie fuhr sogar ins Ausland auf Messen, sie hatte eine Strumpffabrik und ein eigenes Gewölbe zur Lagerung der Waren. Gleichzeitig  sorgte sie dafür, dass alle ihre Kinder, auch die Töchter, lesen, schreiben und rechnen lernten wie sie selbst. Nachts hielt sie fest, was sie, zum Teil noch zu Lebzeiten ihres Mannes,  erlebt und entschieden hatte, aber auch was sie sich überlegte und was sie ihren Kindern an Wissen weiterzugeben wünschte. Damit entstand nicht nur das spannende Zeugnis eines unerschrockenen Frauenlebens, sondern zugleich eine wichtige Dokumentationsquelle für das damalige jüdische Leben in den norddeutschen Städten. Glückel starb mit fast achtzig Jahren bei ihrer Tochter Esther. Sie war in Frieden alt geworden, bis auf eine Enttäuschung. Nach elf Jahren erfolgreicher Witwenschaft hatte sie wieder geheiratet, einen damals angesehenen Bankier. Doch der Bankier ging pleite und starb, und sie, die ihr ganzes Vermögen vertrauensvoll in dessen Geschäft eingebracht hatte, war zum Schluss allein noch auf die Fürsorge ihrer „herzenslieben Kinder“ angewiesen.

Dass es in der Nachfolge Glückels von Hameln schon im 17. und 18. Jahrhundert immer wieder vorkam, dass sich jüdische Frauen nicht nur um den Haushalt, sondern auch ums Geldverdienen kümmern mussten, erklärt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass sich die Männer häufig auf das Thorastudium und den Austausch unter Gelehrten zurückzogen. Eine unter ihnen war Chaile (Karoline) Kaulla, 1739 in Buchau in Oberschwaben geboren, aus einer wohlhabenden und fortschrittlichen Familie. Nachdem sie mit achtzehn Jahren Akiba Auerbach geheiratet und eine Schar Kinder auf die Welt gesetzt hatte, sah sie ein, dass sie für diese auch zu sorgen hatte, da sich ihr Ehemann ganz dem religiösen Studium widmete. So führte sie zusammen mit ihrem Bruder das Handelshaus Kaulla, vertrat dieses als Chefin gegenüber Landesfürsten und Geschäftspartnern, weitete es vom Pferde- und Warenhandel zum Bankhaus aus (das bis 1924 bestand, als die Bank Kaulla im Lauf der grossen Depression in der Deutschen Bank aufging), wurde Königlich Würtembergische Hofbanquière und erhielt schliesslich 1807, zwei Jahre vor ihrem Tod, vom Haus Habsburg die „grosse goldene Ehrenkette mit Medaille“. Immer blieb sie dabei eine fromme Frau im traditionellen Sinn, gesetzestreu und wohltätig, und unterstützte mit ihrem Vermögen zahlreiche karitative Einrichtungen.

Die meisten Frauen jedoch, die in jener Zeit eigenes Geld verdienen mussten, wurden nicht selbständige Handelsfrauen, sondern suchten Lohnarbeit in den aufkommenden Industriebetrieben. Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Dampfmaschine eingeführt wurde, setzten gleichzeitig überall in Europa revolutionäre Bewegungen ein, die auch während des ganzen 19. Jahrhunderts nicht zur Ruhe kamen. Ein starkes Bevölkerungswachstum liess die ohnehin schon armseligen Wohn- und Lebensverhältnisse sowohl in den Städten wie auf dem Land noch elender werden und schaffte zugleich ein Überangebot an billigen Arbeitskräften. Hunger und Not trieben auch die Frauen auf die Strasse, sie forderten Rechte und Schutz für sich und ihre Kinder vor den ausbeuterischen  Bedingungen. „Der am meisten unterdrückte Mann kann noch ein anderes Wesen unterdrücken: seine Frau. Sie ist die Proletarierin ihres eigenen Proletariats“, schrieb Flora Tristan in ihrem 1843 erschienen Werk „Arbeiterunion“, worin sich frühsozialistische Kapitalismuskritik und frühfeministische Patriarchatskritik verbanden. Diese Verbindung findet sich auch in den  Deklarationen und Manifesten anderer Frauen jener Zeit, etwa im 1832 von den Arbeiterinnen aus den Pariser Manufakturen veröffentlichten „Aufruf an die Frauen“, in welchem diese ein Ende der Tyrannei und Ausbeutung forderten. 13 bis 15 Stunden Arbeitszeit waren üblich, in der Textilindustrie bis zur Jahrhundertmitte sogar bis 18 Stunden, und die Löhne der Frauen waren bis um die Hälfte geringer als jene der Männer. Der Kampf der Frauen um gerechte Löhne wurde von der männlichen Arbeiterschaft kaum unterstützt, im Gegenteil. Zum geringeren Lohn kam nicht nur die Anfeindung durch die Männer hinzu, sondern zusätzlich die Sorge um die Kinder, die Plackerei mit der Hausarbeit und eine – schon aus Zeit- und Energiegründen – weitgehende Einschränkung der gewerkschaftlichen Organisation. Bis in die heutigen postindustriellen Produktions- und Dienstleistungsbedingungen hienein ist die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, die 1991 massgeblich zur Ausrufung des  Frauenstreiks geführt hatte, nicht erfüllt. Bis heute trifft zu, was Alice Rühle-Gerstel 1932 in ihrer grossen Untersuchung „Die Frau und der Kapitalismus“ bemerkte, dass „auf dem Arbeitsmarkt die Männer die Frauen wie fremde Einwanderer behandeln“ und sie zu drücken und zu vertreiben versuchen. Bei diesem Kampf geht es in erster Linie ums Geld. Clara Zetkin hatte dies in ihrer Rede am Internationalen Arbeiterkongress von 1889 in Paris auf den Punkt gebracht: „Wenn die Frau wirtschaftlich nicht mehr vom Mann abhängt, so gibt es keinen vernünftigen Grund für ihre soziale Abhängigkeit von ihm.“

Was also bedeutet Geld für die Frauen? Wird dies aus den erzählten Geschichten klar? Zuerst einmal, gewiss, bedeutet Geld für sie ein Tauschwert gegen andere Güter, materielle und immaterielle, so wie für die Männer. Und zusätzlich? Geld bedeutet für die Frauen vor allem die Sicherheit der eigenen Existenzsicherung und jener der Kinder, bedeutet mehr Unabhängigkeit von den Männern, geringere Unfreiheit, vielleicht sogar mehr wirklich realisierbare Freiheit, mehr Eigenbestimmung, mehr Gerechtigkeit. Auch mehr Glück? „Glück ist in der Schöpfung nicht vorgesehen“, hielt Sigmund Freud in einem seiner kulturkritischen Essays fest. Geld ist ein untauglicher Ersatz für Glück. Meine Grossmütter hatten mich dies gelehrt.

Die eine Grossmutter, in der elsässisch-väterlichen Linie, hatte Entbehrung und Not gekannt, jedes Geldstück drehte sie mehrmals um, bis sie es ausgab, aber ihre Grosszügigkeit war zauberhaft. Sie brachte mir eines Tages, gegen Ende des Kriegs, als das Geld noch knapper geworden war, die erste Banane und ein anderes Mal die erste Orange mit. Eines Abends nahm sie mich an der Hand und wir begaben uns zum Haus eines kurz vorher verstorbenen ledigen Grossonkels. Im Testament hiess es lakonisch „Eine Tabakkiste“. Nachdem sich im ganzen Haus keine fand, wurden die Holzdielen abgeklopft, und als es irgendwo dumpf wiederklang und die Diele gelöst wurde, befand sich darunter eine Holzkiste, angefüllt mit Abertausenden von Milliarden alter Reichsmark. Sie wurden mir zum Spielen überlassen, wertloses Papier, das der geizige alte Mann als vermeintlichen Schatz gehortet hatte.

Die Grossmutter auf der mütterlichen Seite war dagegen aus vermögendem Haus, hatte aber einen lebens- und spiellustigen Mann geheiratet, für den sie immer wieder die Schulden zahlte, in der Hoffnung, er würde ihr dadurch in Liebe verpflichtet sein. Doch die Hoffnung auf Glück erfüllte sich nicht. Sobald die Schulden den Grossvater nicht mehr drückten, zählten für ihn nur wieder die eigenen Zwecke, und die Grossmutter starb „an gebrochenem Herzen“, wie es damals hiess, als ich noch ein Kind war.

Gibt es ein Fazit? Christine de Pizan hatte die „Lebensklugheit der Frauen“ im Umgang mit dem Geld gerühmt, deren umsichtige Gerechtigkeit und Grossherzigkeit. Die Frühsozialistinnen hatten den Kampf der Frauen ums eigene Geld mit dem Kampf um die gleichen Rechte, wie das Patriarchat sie den Männern zugestand, verknüpft, letztlich, gemäss Hannah Arendt, ums „Recht, Rechte zu haben“. Noch immer ist dieser Kampf nötig, noch immer machen Frauen und Kinder den Hauptanteil der Notleidenden aus, selbst in der Schweiz. Nun lässt sich zwar Lebensklugheit in Situationen der Not und des Kampfes zwar erlernen, doch sie kann sich reicher entfalten, wenn grössere Wahlmöglichkeiten des Handelns bestehen. Da in der heutigen Situation der zunehmenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Polarisierung Gerechtigkeit, Umsicht und Grossherzigkeit in der Verwendung von Geld dringend erfordert sind, ergibt sich die Folgerung, dass Frauen mehr Geld und mehr Rechte, das Geld zu verteilen haben sollten.

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