Jeanne d’Arc

Jeanne d’Arc

 

„Hätte ich hundert Väter oder hundert Mütter gehabt, und wäre ich als Tochter eines Königs geboren, ich wäre fortgegangen, da Gott mich hiess.“[1]

Am 6. Januar 1412 kam in Domrémy, einem kleinen Dorf in  Lothringen, in einer bescheidenen Bauernfamilie mit eigenem Haus und einigen Feldern ein Mädchen zur Welt, Johanne Darc[2]. Ihre Mutter war Isabelle Romée, ihr Vater Jacques Darc (oder Tarc).  Sie hatte zwei Brüder, Jean und Pierre, die ihr später als Soldaten zur Seite standen. Vermutlich war sie ein versponnenes, überkluges Mädchen, das unter den Gleichaltrigen auffiel, das vermutlich Lesen und Schreiben lernte, das kaum im Haushalt Pflichten erfüllte, sondern eher jene der Knaben teilte, vielleicht sich draussen auf dem Feld um Schafe und Ziegen kümmerte.

Sie wuchs in einer Zeit auf , die seit 75 Jahren durch Krieg geprägt war, Krieg innerhalb von Frankreich sowie zwischen Frankreich (vertreten durch das Fürstenhaus der Armagnac-Valois  und jenes der Herzöge von Orléans) auf der einen Seite, England und Burgund auf der anderen Seite, eine Zeit der Entbehrungen und Verwüstungen, der Unruhen und der schlechten Ernten. Am 25. Oktober 1415, als Johanne drei Jahre zählte, hatte mit der Schlacht von Azincourt  (im Département Pas-de-Calais) der Sieg der englischen über die viel grössere französische Armee  die katastrophale Lage Frankreichs verschärft, die 1420 durch den Vertrag von Troyes noch bestätigt wurde. Katharina von Valois, eine französische Königstocher, musste die Heirat mit dem englischen König Henri V akzeptieren, dessen Anspruch auf den französischen Thron dadurch gefestigt wurde.

Johanne soll schon mit 13 Jahren, als ganz Nordfrankreich bis zur Loire von der englischen und burgundischen Armee besetzt war, eine erste Vision gehabt haben, in welcher sie durch die Heilige Katharina, die Heilige Margareta und den Erzengel Michael aufgefordert wurde, sich gegen die englische Besatzung für Frankreich und für die Krönung des Dauphins einzusetzen. Vermutlich konnte sie ihrer Familie, ihrer Mutter und den Brüdern,  davon erzählen, ohne dass sie als verrückt erklärt wurde. Die Visionen wiederholten sich, so dass sie als  16jährige, am 25. Dezember 1428, die innere Stimme als göttlichen Auftrag ernst nahm und ihr Elternhaus verliess. Sie scheute sich nicht,  alle Mühen und Schwierigkeiten zu wagen, um diesen umzusetzen. Zum grössten Wagnis gehörte, ihr langes Haar zu schneiden und Männerkleider zu tragen, trotzdem aber Johanne Darc, die Tochter ihrer Eltern aus Domrémy  zu bleiben.

Johanne war somit noch nicht 17 Jahre alt, als sie am 1. Januar 1429 erreichen konnte, Robert de Baudricourt,  den Festungskommandanten von Vaucouleurs, ihrer Bezirkshauptstadt, zu einem Gespräch zu treffen. Sie wurde von diesem auf Herz und Nieren geprüft, sowohl was ihre Loyalität zum Dauphin wie was ihren Glauben betraf. Die junge Frau muss in allen Fragen so überzeugend gewirkt haben, dass er sie mit einem Empfehlungsschreiben und mit zwei Begleitern, deren Namen bekannt sind – Jean de Metz und Bertrand de Poulengey – ans Königshaus in Chinon weitervermittelte. Man muss sich vorstellen, was diese Tatsache unter den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen und Gewohnheiten bedeutete, zumal es keinen anderen Weg als durch feindlich besetztes Gebiet gab. Johanne traf tatsächlich am 5. März 1429 in Chinon ein und wurde vom Dauphin empfangen. Wie das erste Gespräch  verlief, ist nicht dokumentiert. Doch ihre Ausstrahlungskraft muss so überzeugend gewirkt haben, dass er ihrem Plan nicht widerstehen wollte: Der Feind sollte vertrieben und er zum König gekrönt werden. Um zusätzliche  Sicherheit zu gewinnen, liess er die junge Frau in Poitiers während Tagen von Theologen ins Kreuzfeuer nehmen und zusätzlich von Hofdamen auf ihre Jungfräulichkeit untersuchen. Da ihr nicht der kleinste Mangel vorgeworfen werden konnte, stimmte der Kronrat dem Dauphin zu, dass eine Rüstung für sie angefertigt werde und dass ihr ein Pferd sowie eine Truppe von Soldaten zur Verfügung gestellt werden sollte, die meisten von ihnen Räuber und Diebe, die ihr die Treue schworen und sich ihr ohne Widerstand fügten.

Mit dieser kleinen Armee, zu der sich auch ihre zwei Brüder Jean und Pierre gesellt hatten, und mit Lebensmitteln für die ausgehungerte Bevölkerung der Stadt Orléans an der Loire, die seit dem 7. Oktober 1428 besetzt war, traf Johanne  am 29. April dort ein. Ihr ursprüngliches Bestreben war, die mit den Bourbonen verbündeten Engländer zu einem friedlichen Abzug zu bewegen, doch die Armee des Dauphin, die vorgelagert auf Unterstützung wartete,  stimmte ihr nicht zu. Johanne wollte nicht davon absehen und schickte zwei Vertreter mit dem Angebot zu John of Lancaster, einem Bruder des englischen Königs Henri V, der die Einkesselung der Stadt und der Festungen in deren Umfeld leitete. Doch das Angebot wurde abgelehnt und die Herolde wurden, entgegen der geltenden Rechte, gefangen genommen. Johanne lies sich nicht abschrecken. Sie drang mit ihrer kleinen Truppe erst gegen die Aussenbezirke vor, am 4. Mai 1429 gegen die Festung von Saint-Loup, dann am 6. Mai gegen die Bastion Les Tourelles, die sich zur Wehr setzte, jedoch am 7. Mai ihre Niederlage eingestehen musste.  Beim Gefecht wurde sie von einem Pfeil verletzt und fiel vom Pferd, gab jedoch nicht auf, sondern kämpfte weiter.  Dass sie am 8. Mai den Sieg errang und den Auszug der englischen Armee aus Orléans zustande brachte,  war der unerwartete, eigentliche Wendepunkt in diesem verheerenden Krieg.  Am 17. Juli 1429 erlebte  sie die Erfüllung ihrer Vorhersage, die Krönung des Dauphins als König Charles VII in der Kathedrale von Reims. Es muss überwältigend gewesen sein: die 17jährige Johanne stand in ihrer Rüstung, mit einer Fahne in der Hand, neben dem Altar, ihre Soldaten waren unter dem Publikum, ihre Familie wurde vom König geehrt und in den steuerfreien Adelstand erhoben.

Wurde in diesem Gefühl des Triumphs ihr Mut grenzenlos? Orléans war befreit, aber Paris war noch von den Truppen der Burgunder und englischen Söldnern besetzt, deren Befehlshaber Jean de Luxembourg war. Sie wollte den König überzeugen, auch Paris zu befreien, doch Charles VII zögerte, er wünschte eher, Frieden zu schliessen und entliess einen Teil seiner Soldaten. Johanne liess aber nicht locker und erreichte gegen Ende September 1429 seine Zustimmung. Langsam rückte sie in den Wintermonaten mit ihrer geschwächten Truppe vor. Im Frühjahr 1430 gelangte sie bis vor Compiègne. Die Stadt war von der burgundischen Armee unter Jean de Luxembourg besetzt. Im Kampf um diese Stadt gelang es am 23. Mai 1430 einem seiner Gefolgsmänner, Johanne  gefangen zu nehmen, vermutlich infolge eines Verrats durch jemanden aus ihrer Truppe. Jean de Luxembourg soll dafür 6000 Francs bezahlt haben. Sie wurde in sein Schloss Beauvoir  überführt, wo sie von seiner Frau Jeanne de Béthune und seiner Tante Jeanne de Luxembourg bewacht wurde. Diese war eine Patentante von König Charles VII und setzte sich gegen den Plan ihres Neffen, die Gefangene an die Engländer zu verkaufen, durch. Doch als diese Schutzperson ein paar Monate später, am 28. September 1430,  starb, hatte Jean de Luxembourg freie Hand und lieferte Johanne gegen 10‘000 Francs an John of Lancaster, den Herzog von Bedford aus. Das war verhängnisvoll, Fluchtversuche waren nicht möglich. Während mehr wie fünf Monaten wurde sie im Gefängnisturm von Bouvreuil festgehalten. Sie muss dort schwerste Misshandlungen erlebt haben.  Lancaster wollte auf jeden Fall ihren Tod, hatte sie doch die Krönung des Dauphin erreicht und sich damit  dem englischen Anspruch auf den französischen Thron entgegen gestellt. Schliesslich übergab er sie an das Inquisitionsgericht in Rouen, das in der Hand des Bischofs von Beauvais, Pierre Cauchon, war.

Der Prozess in Rouen dauerte ca. drei Monate. Vieles davon ist dokumentiert, da Pierre Cauchon täglich ein Protokoll verfasste. Johanne  erklärte das Gericht als unzulässig und allein den Papst in Rom als akzeptierbaren Richter. Auch war sie ohne Verteidigung und nahm das raffinierte Kreuzverhör  der sechzig katholischen Geistlichen allein auf sich. Obwohl sie vielfacher Übergriffe und Folter ausgesetzt war, wie sie einem Bettelmönch berichtete, der sie ab und zu besuchen durfte, muss sie aufs geschickteste den ihr gestellten Fangfragen gewachsen gewesen sein, ohne ihrer Überzeugung untreu zu werden, auf Grund eines göttlichen Auftrags gehandelt zu haben. Doch auch diese Aussage wurde als ketzerische „superbia“ bewertet – wie die Männerkleidung. Am 19. Mai 1431 wurde Johanne in 12 der 67 Anklagen für schuldig erklärt, unter anderem „wegen Feenzaubers, wegen des Gebrauchs der Alraunenwurzeln, wegen Häresie, wegen Dämonenanbetung und wegen Mordes“ (als Kriegsteilnehmerin, ohne dass sie Soldat war) und wurde zum Tod verurteilt.

Als Johanne das Urteil und die Form der Urteilsvollstreckung eröffnet wurde, als ausgesprochen wurde, dass sie lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt würde, da muss die Angst sie überwältigt haben. Sie verlangte nach der Möglichkeit, ihre Aussagen, insbesondere ihren „Irrglauben“ zu widerrufen. Pierre Cauchon als oberster Richter nahm den Widerruf an und korrigierte das Urteil in lebenslange Kerkerhaft. Doch dagegen protestierte John of Lancaster, der vier Tage später einen neuen Prozess eröffnete und diesen innerhalb von zwei Tagen mit einem zweiten Todesurteil abschloss, mit der Begründung, sie habe weiter Männerkleider getragen, sie müsse als „renitente Ketzerin“ verurteilt werden. Es gab keine Fluchtmöglichkeit und keinen Aufschub, keine Gnade. Einen Tag später, am 30. Mai 1431, wurde Johanne, neunzehn Jahre alt, lebendig auf dem Scheiterhaufen auf dem Marktplatz von Rouen verbrannt, in qualvollster Folter. Die Asche wurde in der Seine verstreut, um ihren Anhängern jeglichen Totenkult zu verhindern.

Der Krieg ging nach Johanne’s Tod wohl noch weiter, doch er veränderte sich. Zwar wurde noch im selben Jahr in Paris Henri V zum französischen König erklärt, doch die Wirkung war nicht vergleichbar mit jener der Krönung von Charles VII in Reims. Burgund zog sich 1435 aus dem Bündnis mit England zurück und ab dem darauf folgenden Jahr, ab 1436, ging die Rückeroberung der Ile-de-France voran, die Johanne angestrebt hatte, anschliessend auch jene Südwestfrankreichs und der Normandie. 1444 wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt, der aber noch nicht den Frieden bedeutete. Erst als 1453 auch Bordeaux erobert werden konnte, kam es zum Ende der englischen Besetzung in Frankreich (mit Ausnahme von Calais, das erst 1559 wieder französisch wurde) und damit zum Ende des Hundertjährigen Kriegs.

Johanne’s Mutter hatte sich bald nach ihrem Tod um einen Rehabilitationsprozess bemüht, doch es ging 24 Jahre, bis Charles VII diesen am 7. November 1455  in der Kathedrale Notre Dame in Paris eröffnete und am 7. Juli 1456 mit einer Erklärung der völligen Schuldfreiheit abschloss, wobei keiner der Richter und keiner der Folterer von 1430-31 im geringsten für die begangenen Verbrechen belangt wurde.

Der Mut von Jeanne d’Arc wurde zur Legende, sie wurde zur französischen Nationalheldin (mit einem Platz im Panthéon) und zur katholischen Heiligen (1920 durch Papst Benedikt XV). Ihre Gestalt wurde zu widersprüchlichsten politischen Zwecken benutzt, zum Beispiel  während der deutschen Besatzung  Frankreichs im Zweiten Weltkrieg durch die politische und militärische „Résistance“ als Vorbild des unbeugsamen Widerstandes, gleichzeitig von der Vichy-Regierung (wie auch in der jüngsten Zeit von Le Pen‘s Rechtsaussen-Partei) für die Begründung nationalistischer, juden- und fremdenfeindlicher Zwecke. Doch nicht diese Tatsachen erscheinen mir von Bedeutung. Unabhängig davon war Johannes  Mut zur Zeit, als sie lebte, eine Realität, die noch heute Staunen weckt. Sie hatte in jeder Hinsicht Ungewöhnliches gewagt, sie hatte Ängste überwunden und kaum vorstellbare Schwierigkeiten durchgestanden, schliesslich vielfache Folter und einen qualvollen Tod auf sich genommen, um gegen die übliche Vernunft zu handeln, entsprechend ihrer inneren Stimme, um zu Gunsten ihrer kriegserschöpften, unter der Besatzung leidenden Heimat eine politische Verbesserung zu erreichen.

 

[1] Jeanne d’Arc. Aus dem Prozessprotokoll des Bischofs von Beauvais, Rouen 1431 (gemäss Anna Seghers).

[2] Die Schreibweise Jeanne „d’Arc“ begann sich erst nach ihrem Tod durchzusetzen. –  Literatur, über die ich verfügte:  Georges et Andrée Duby. Die Prozesse der Jeanne d’Arc / Les procès de Jeanne d’Arc. – Übersetzt ins Deutsche durch Eva Moldenberg. 1999 Berlin, Verlag Wagenbach. Taschenbücher Nr. 350. – Colette Beaune. Jeanne d’Arc. Vérités et légendes. 2008 Paris, Edition Perrin. – Reégine Pernoud / Marie-Véronique Clin. Jeanne d’Arc. Der Mensch und die Legende. 1994 Bergisch-Gladbach, Lübbe Verlag. –  Neben den biografischen und historischen Untersuchungen gibt es zahlreiche belletristische Literatur, die sich auf Mut und Tragik ihres Lebens beziehen, z.B.  Dramen wie: William Shakespeare. Henri VI, oder Friedrich Schiller. Die Jungfrau von Orléans,  ferner Bertolt Brecht. Die heilige Johanna der Schlachthöfe, oder das Hörspiel von Anna Seghers. Die Prozesse von Jeanne d’Arc, das während des Exils in Paris zwischen 1933 und 1936 entstand, gestützt auf die lateinischen Prozessakte des Bischofs von Beauvais, und das 1937 im Amsterdam vom Flämischen Radio erstmals gesendet wurde.

 

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