Zwischenräume – ein Dokument des Femia-Projekts des cfd – Buchvernissage in der Buchhandlung Oprecht am 9. Februar 1994

Zwischenräume – ein Dokument des Femia-Projekts des cfd

Buchvernissage in der Buchhandlung Oprecht am 9. Februar 1994

 

  1. Teil

 

Es gibt Modebegriffe, deren Richtigkeit oder Trefflichkeit kaum in Frage gestellt werden, weil sie in aller Mund sind. „Interkulturalismus”  und „interkulturell” sind solche Begriffe. Die Vorstellungen über deren Bedeutung sind diffus-vielseitig, haben mit „Vermischung” und „Mischungen” zu tun – was immer mit „inter“ verknüpft sein könnte, etwa mit Schweizerdeutsch, mit russischem Vodka bei Sambamusik, oder mit Hilfspersonal aus allen Weltgegenden unter Schweizer Managment. Der Begriff, so wie er zumeist verwendet wird, ist entsprechend je eigenen Wertekriterien eher positiv besetzt. Er setzt in der Anwendung voraus, dass es sich um etwas handle, was für jenen Teil der Bevölkerung, zu welchem man sich selber zählt, wie das nicht-störende Resultat von Einwanderungen und Vermischungen akzeptabel wäre: um Anpassung der zugereisten Fremden an die hiesigen Standards, gleichzeitig unter Wahrung folkloristischer Elemente, die das graue und monotone Muster der hier geltenden Standards bunter machen, ohne dass sie diese gefährden. Wenn Angst um sich greift, dass diese Muster gefährdet sein könnten, fällt das Fremdwort mit seiner beliebigen Bedeutung unter den Tisch, dann wird nicht mehr von „Interkulturalismus“ gesprochen, sondern gehässig bis hasserfüllt von „Überfremdung“. Vergessen geht dabei zumeist, was „Kultur“ heisst: dass mit dem Begriff eigentlich die Bedeutung des aus dem Lateinischen übernommenen „cultura“ gemeint ist, d.h. Bearbeitung, Bebauung, abgeleitet vom Verb „colere“, das „bebauen“ und „bearbeiten“, aber auch „geistig pflegen“ und „veredeln“ bedeutet. Es geht um die Bearbeitung dessen, was das Leben auf der Erde, mit den Gaben und Möglichkeiten der „natura“ anbietet, auf je spezifische und je besondere Weise, je nachdem, ob der Boden hart und trocken ist und der intensiven nährenden Stärkung bedarf, oder überbordend üppig, so dass „Pflege“ eher strukturierende Ordnung einschliesst – wie auch immer, jeder Platz der Erde versteht unter „cultura“ des je Besondere, das den eigenen Wert der lebensaufbauenden, eigenen Werte einschliesst.

Dass zum Begriff der Interkulturalität auch die Entwurzelung von Menschen gehört, dass dazu ebenso deren schwierige und schmerzhafte Suche nach neuer Beheimatung gehört, dass dies ein Prozess ist, in dem das Bedürfnis, die eigenen Werte zu bewahren im Widerstreit steht mit jenem anderen Bedürfnis, nicht ausgegrenzt zu sein, wird bei der achtlosen Verwendung selten mitbedacht. Der Begriff hat mit Exil, das heisst mit der zeitlichen Befristung des Aufenthalts in der Fremde und mit der von Sehnsucht genährten oder von feindlicher Notwendigkeit bestimmten Rückkehr zu tun, mit Exil und mit Emigration, das heisst mit der – notbesetzten, vorweg als definitiv geplanten – Auswanderung oder Flucht. Er hat vor allem mit dem tatsächlichen Leben von Menschen zu tun: mit deren Bedürfnissen, mit deren traumatisierenden Erfahrungen, mit deren Träumen, mit deren Ängsten, mit der Notwendigkeit, das tägliche Überleben zu bestreiten, mit deren Wunsch nach Glück.

Bei “Interkulturalität” geht es, wie es präziser nicht gesagt sein könnte, um “Zwischenräume”, um “interespacios” zwischen Heimat und Fremde und in der Fremde, die vielleicht Heimat werden kann, die vielleicht zur Übereinstimmung der inneren und der äusseren Realität führen kann. Diese Zwischenräume sind nicht fixiert, sie sind veränderbar, sie werden durch Erfahrungen, durch Begegnungen, durch Gefühle und durch Reflexion gebildet. Sie werden allein in der persönlichen Wahrnehmung erfasst, in der Spannung und im Aushaltenkönnen des “Zwischen-“, im Durchschreiten des “-raums”. Sie finden Ausdruck in der Sprache, jedoch nicht nur in der Flüchtligkeit des gesprochenen Austauschs, sondern hier nun auch in einem Buch, das damit zum konkreten Symbol des Zwischenraum wird.

So ist das Buch, dessen Erscheinen uns hier zusammenführt, eine Art kollektiven Protokolls: zugleich ein Dokument des Femia-Projekts des cfd, in dessen Rahmen es entstand, wie der Selbstbefragung der einzelnen Autorinnen, der Befragung ihrer Identität, auch der Erkenntnis, dass ihre Erfahrungen, in Zwischenräumen zu leben, je individuell und zugleich vergleichbar sind, dass sie einander ergänzen, erweitern und fortsetzen, so wie die Texte, die sie dazu geschrieben haben, dass etwas Gemeinsames, ein gemeinsamer Zwischenraum daraus entsteht. In diesem Zwischenraum hat vieles Platz: das, was weh tut ebenso wie das, was Staunen weckt, die Erniedrigung ebenso wie der Protest dagegen, der lebenshunger, die Hoffnung und Neugier, die zum Verlassen des heimatlichen Dorfs und der Familie führten, wie die Enttäuschung, die Schweiz und – nicht selten –  der Schweizer Ehemann mit seinen verlockenden Versprechen, wie Scheidung und Rückkehr. Selbst die Erfahrung hat darin Platz, dass die Enttäuschung Anfang sein kann für eine neue Orientierung,  für einen neuen Weg, dass sie Chance sein kann. Es haben im Zwischenraum des Buches Namen und Schicksale Platz, die in Gedichten, Überlegungen und Berichten Form annehmen, es haben darin viele Frauengesichter Platz, die uns, die das Buch vor uns haben, jedoch nur selten anschauen, sondern meistens von uns wegschauen, zurück oder auf ein Ziel hin, wohl beides.

Es ist ein schwesterliches Buch, so kommt es mir vor: keine lauten Töne, keine Verdrängung des einen Textes durch einen anderen, keine Gleichschaltung. Die verschiedensten Tonarten lösen einander ab, Spanisch, Portugiesisch und Deutsch, wobei in den Muttersprachen die Kindheitsmelodien mitklingen, die die Seele stärker prägen als die Grammatik, die in die Seele eindringen und sie “stimmen”  für den Einsatz im Orchester der Menschen, ob in der Heimat oder in der Fremde. Ob die Fremde, ob die Zwischenräume schliesslich Heimat werden können, bleibt im Buch offen. Das ist Teil seiner Qualität. Was die Autorinnen nicht wissen, geben sie nicht vor zu wissen. Was sie aber wissen, wollen wir nun hören:

 

  1. Teil

Auswahl von Texten. Spanisch und Portugiesisch durch die Autorinnen gelesen, Deutsch durch mich.

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