Hannah Arendt

Hannah Arendt

 

Als 1929 im Springer Verlag, Berlin, Hannah Arendts Dissertation „Der Liebesbegriff bei Augustin“[1] erschien, war sie 23 Jahre alt; der Doktorvater war Karl Jaspers. Das über die vielfache Bedeutung von Kommunikation, über Existenzphilosophie und politisches Denken geschaffene Tochter-Vater-Verhältnis, das in der Abschlusszeit des Studiums, insbesondere bei der Arbeit über den Liebesbegriff in Augustinus‘ „Confessiones“ erkennbar wurde,  hielt mit Verehrung und Vertrauen, allmählich mit wachsender Freundschaft an bis zu Karl Jaspers‘ Tod im Februar 1969[2]. Hannah Arendt verehrte ihn zutiefst nicht nur wegen seines Humanismus, sondern auch wegen seiner Sprache. „Wo Jaspers spricht, wird es hell“, pflegte sie mit lächelnder Ergriffenheit zu sagen. Ihm gegenüber wie allen ihre nahestehenden Menschen gegenüber unterliess sie jede politische Beurteilung; nie machte sie ihm den leisesten Vorwurf, dass er seine Stimme kaum gegen die Naziverbrechen erhoben hatte oder dass er in keiner Weise bei einer der Widerstandgruppen mitgewirkt hatte. Jaspers war mit seiner jüdischen Frau Gertrud Mayer rechtzeitig aus Deutschland emigriert und hatte sich in Basel niederlassen können, wo Hannah Arendt ihn nach dem Krieg fast jährlich besuchte. Die wechselseitige Verehrung und Unterstützung wurde auch öffentlich bekundet. Als Karl Jaspers 1958 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, war es Hannah Arendt, welche die Ehre hatte, die laudatio auszusprechen; ein Jahr später, 1959, hatte Jaspers mitveranlasst, dass ihr von der Stadt Hamburg der Lessing-Preis übergeben wurde.

 

Hannah Arendt hatte sich an Karl Jaspers gewandt, damals Professor in Heidelberg, als das Studienjahr 1923-1924 bei Martin Heidegger in Marburg zu Ende ging. Zu Beginn dieses Studienjahrs war sie 17 Jahre alt, eine auffallende junge Denkerin, die im Milieu der Studierenden wenig Kontakt mit Gleichaltrigen hatte – wohl mit Anne Mendelssohn, einer ihrer verlässlichsten Freundinnen, sodann mit Hans Jonas und mit Günther Stern, beide nur wenige Jahre älter als sie, beide ebenfalls aus jüdischen Familien und von lebenslanger Bedeutung für sie. Wie Hannah Arendt damals auf die Studenten in Heideggers Seminar wirkte, teilte Hans Jonas 52 Jahre später mit: „Wie gut ich mich an diese einzigartige Neue erinnere. Scheu und in sich gekehrt, mit überwältigend schönen Zügen und einsamen Augen, ragte sie sofort auf eine bis unbeschreibliche Weise als aussergewöhnlich, als einmalig heraus. Grosse Intelligenz war dort keine Mangelware. Aber hier war eine Intensität, eine innere Zielrichtung, ein Gespür für Qualität, ein Suchen nach dem Wesentlichen, ein Bohren nach Tiefe, die ihr etwas Magisches gaben. Man spürte eine absolute Entschlossenheit, sie selbst zu sein, gepaart mit dem zähen Willen, auch angesichts grosser Verletzlichkeit daran festzuhalten.“ [3] Der Grund für Hannah Arendts Zurückhaltung in Marburg war die als Geheimnis gewahrte Liebesgeschichte mit dem 17 Jahre älteren Martin Heidegger, für die junge Frau eine aufwühlende Liebe, für Heidegger selber, der verheiratet und Vater von zwei Söhnen war, eine animierende Bestätigung seiner Männlichkeit, gleichzeitig ein Risiko seiner Karriere (er war damals an der Niederschrift von „Sein und Zeit“). Wie sehr Hannah Arendts Hunger nach väterlicher Liebe missverstanden und missbraucht wurde, wurde nie zugestanden. Nach einem knappen Jahr wurde auf seinen Entscheid hin die Liebesbeziehung abgebrochen.

„Der Abend hat mich zugedeckt

So weich wie Samt, so schwer wie Leid.

Ich weiss nicht mehr wie Liebe tut

Ich weiss nicht mehr der Felder Glut

Und alles will entschweben

Um nur mir Ruh zu geben.

Ich denk an ihn und hab ihn lieb

Doch wie aus fernen Landen

Und fremd ist mir das Komm und Gieb

Kaum weiss ich was mich bangt.

Der Abend hat mich zugedeckt

So weich wie samt so schwer wie Leid

Und nirgends sich Empörung reckt

Zu neuer Freud und Traurigkeit.

Und alle Weite die mich rief

Und alles Gestern klar und tief

Kann mich nicht mehr betören.

Ich weiss ein Wasser gross und fremd

Und eine Blume die keiner nennt

Was soll mich noch zerstören?

Der Abend hat mich zugedeckt

So weich wie Samt, so schwer wie Leid“[4]

Das Gedicht schrieb Hannah Arendt, als sie das Dilemma der verbotenen und sie beherrschenden Liebe durch den Abbruch, den sie geahnt hatte, verarbeiten musste. Nun wünschte sie zu verstehen, was sie die „Hingegebenheit an ein Einziges“[5] nannte, sie wünschte, aus dem Eingefangensein in Traurigkeit und Leid frei zu werden, sie wünschte, selbst den Abbruch als Teil der Liebe, wie diese für sie galt, in die Liebe zu integrieren. Als junge Intellektuelle versuchte sie, die Philosophie, mit welcher sie sich auseinandersetzte, für sich zu benutzen und eine Neuorientierung der Liebe zu finden, die im Augustinischen Sinn den Zweifel am Sinn der Liebe zu korrigieren vermöchte. Abbruch sollte in der zeitlichen Dimension zugleich Aufschub bedeuten. „Schlägt das Denken in sich selbst zurück und findet an der eigenen Seele seinen einzigen Gegenstand, wird es zur R e f l e x i o n“[6], hielt sie damals in einer Sammlung von Aufzeichnungen fest, die sie unter dem Titel „Die Schatten“[7] an Heidegger überwies. Die Sprache war ihr Halt; gleichzeitig aber spürte sie, dass die Worte „das Dunkle“ in ihr, die Niedergeschlagenheit und Traurigkeit nicht erreichten.

„Kein Wort bricht ins Dunkel –

Kein Gott hebt die Hand –

Wohin ich auch blicke

Sich türmendes Land.

Keine Form, die sich löset,

kein Schatten, der schwebt.

Und immer noch hör ich’s

Zu spät, zu spät.[8]

„Zu spät“? Zu spät erscheint jede Erkenntnis, die, hätte sie sich früher eingestellt, verhindert hätte, was Leiden und Traurigkeit, Verlust und Trauer nach sich zieht. Trauer und Traurigkeit sind so nah verwandt, dass Hannah Arendt zutiefst spürte, dass sie der Klärung ihrer Gefühle bedurfte – ihres Hungers nach väterlichem Halt und nach väterlicher Liebe, der sie in eine Liebesgeschichte verwickelt hatte, deren Abbruch und Ende aus Gründen der Vernunft sie belastete. Dass das Gebot, tapfer zu sein und keinen Schmerz zu zeigen, das sie mit acht Jahren beim Tod ihres Vaters Paul Arendt und wenige Monate später ihres geliebten Grossvaters Max Arendt zu befolgen versucht hatte, einen brennenden Mangel in ihr zurückgelassen hatte, wusste sie nun, zehn Jahre später, als ein neuer Verlust mit dem ungeheilten alten zusammenfloss. Das ungeheilte Trauma (gr. Leck, Wunde) des Todes der zwei geliebten Menschen hatte sie verführbar gemacht. Durch Vaterersatz, den sie in der Kindheit gesucht hatte, war ihr kein Leid angetan worden, weder durch Rabbi Vogelstein[9], der ihr Religionsunterricht gab, ohne dass er verlangte, dass sie an Gott glaubte noch durch Kurt Blumenfeld[10], der mit ihrem Vater studiert hatte, der der zionistischen Bewegung in Deutschland vorstand und der später für sie lebenswichtige Kontakte in Paris und in New York vermittelte noch durch ihren Onkel Ernst Aron, den Ehemann von Frieda Aron Arendt, einer Halbschwester ihres Vaters, der ihr Studium mitfinanzierte.

Dass Martin Heidegger ihre tiefschürfende Suche nach einem Vater für sich benutzt hatte, dies wusste Hannah Arendt im Geheimen, doch sie konnte/durfte sich nicht zugestehen, Trauma und Retraumatisierung, Vaterverlust und Missbrauch in Verbindung zu bringen. Sie wollte am Wert der Liebe festhalten. Sie versuchte, mit Aufzeichnungen, die sie vom Ich auf eine dritte Person – auf ein „sie“ – übertrug, das Persönliche auf die Ebene des Allgemeinen zu versetzen, um ihr leidendes Ich zu schützen. „Alles Gute nahm ein böses Ende, alles Böse nahm ein gutes Ende. Schwer zu sagen, was unerträglicher war. Denn das gerade ist ja das Unerträglichste, das den Atem verschlägt, so man daran denkt in grenzenloser Angst, die die Scheu vernichtet und hindert, dass ein Solcher je sich heimisch fühlt -: zu leiden und zu wissen, in jeder Minute und Sekunde zu aufmerksam und zu höhnisch zu wissen, dass es auch für den bösesten Schmerz noch zu danken gilt, ja dass just dieses Leiden es ist, um dessentwillen es überhaupt noch gilt und sich lohnt.“[11]

Hannah Arendt bemühte sich, ebenso tapfer zu sein wie in der Kindheit und durch das Denken ihre Emotionen zu bewältigen. Trotzdem gestand sie sich zögerlich in der dritten Person zu, was sie belastete. „Ihre Zerstörtheit, die ihren Grund vielleicht nur in hilfloser, verratener Jugend hatte, äusserte sich in diesem Auf-sich-selbst-gedrückt-sein, und das so, dass sie selbst sich Blick und Zugang zu sich verdeckte und verstellte.“[12] Um im Gefühl von Zerrissenheit und Mangel ihren Selbstwert wahren zu können, wollte sie sich nicht als Opfer empfinden, nicht als Opfer von Missbrauch, nicht als Opfer von Willkür und von Betrug. Gleichzeitig machen die Aufzeichnungen deutlich, wie wichtig es ihr war, die Verdrängung zu lösen und Klarheit zu finden. „Sie wusste um vieles – durch Erfahrung und eine stets wache Aufmerksamkeit. Aber alles, was ihr so geschah, fiel auf den Grund ihrer Seele, blieb dort isoliert und verkapselt. Ihre Ungelöstheit und ihre Unaufgeschlossenheit verwehrten es ihr, mit Geschehnissen anders umzugehen, als in dumpfem Schmerz oder träumerischer, verwunschener Verbanntheit. (…) die Dinge waren recht eigentlich versunken: – eines verschollen, anderes dumpf aufbegehrend ohne Zucht und Ordnung.“[13]

Der Wunsch zu verdrängen und der Wunsch klärend zu heilen hielten sich die Waage. Dass sie sich die Untersuchung des Liebesbegriffs bei Augustinus – jenes „appetitus“, der letztlich dem Streben nach einem „frei sein von Angst“ -„metu carere“ – gerecht zu werden sucht, als Dissertationsthema gewählt hatte und damit bei Karl Jaspers den Doktortitel erlangte, half ihr kaum bei der Verarbeitung ihrer psychischen Belastungen. Es war eine intellektuelle Arbeit, die ihr im akademischen Sinn eine Bestätigung ermöglichte, sie jedoch nicht entlastete.

Um ihre eigene Geschichte verstehen zu können, genügte die schulkonforme Abhandlung über Augustinus’ unterschiedliche Liebesbegriffe nicht. Hannah Arendt bedurfte einer anderen Frauengeschichte, in welche sie eintauchen konnte, um eine Klärung zu finden. Anne Mendelssohn, die ihr seit dem 15. Altersjahr nahe stand und die von ihrer Liebe zu Heidegger wusste, riet ihr an, sich mit den Briefen und den Tagebüchern Rahel Varnhagens zu befassen, einer Frau, die hundert Jahre früher ihr Leben wie Wetter ohne Schirm“ gelebt hatte. Rahel Varnhagens Empfindsamkeit und Verletzbarkeit waren Hannah Arendt schnell vertraut, ihr Akzeptieren von Enttäuschung und Rückweisung in der Liebe als Erfahrung des Lebens wurde für sie zum Vorbild. Auch die Schwierigkeit, jüdische Herkunft nicht als Belastung und Entwertung, auch nicht als Grund für Assimilation oder Flucht in eine andere Religionszugehörigkeit zu erleben, obwohl Rahel Varnhagen die garstigsten Erfahrungen durchgestanden hatte, fand sie mit einem Widerstand vorgelebt, der sie beeindruckte. „Unter Umständen“, überlegte sich Hanna Arendt, „ist die Existenz von Mauern nur an wundgestossenen Köpfen nachweisbar“.[14]  Rahel Varnhagen war immer wieder an Mauern angeprallt, „alle Wege, die in die fremde Welt führen könnten, ist sie entlang gelaufen, und auf allen Wegen hat sie ihre Spur hinterlassen, hat sie zu jüdischen Wegen, zu Pariawegen gemacht, endlich ihr ganzes Leben zu einem Stück jüdischer Geschichte in Deutschland. So versteht sie schliesslich ihr ‚ganzes Leben als ein historisches, nicht abzuwendendes, alttestamentarisches, ja als den F l u c h, dem die Kinder seiner Anhänger vergeblich auf allen Erdpunkten entfliehen’“[15].

Franz Kafka, Walter Benjamin und unzählige andere hätten zugenickt. Für Hannah Arendt war klar, dass sie nicht resignieren wollte, dass sie weder sich anpassen noch sich leugnen wollte, dass es galt, sich selber in jeder Art von Aussenseitertum, im jüdischen wie im weiblichen, zu akzeptieren. „Man wird kein zweites Mal geboren“,  zitierte sie Rahel Varnhagen, „das Leben verwandelt sich in eine nicht abreissende Folge von Kränkungen, wenn man sich selbst nicht hat akzeptieren wollen“.[16]

Auf erstaunliche Weise schrieb Hannah Arendt in ihren reifen Jahren, nach der Erfahrung von Ehe und Freundschaft mit Günther Stern (von 1929 bis 1936) und anschliessend nach Jahren intensiven gemeinsamen Lebens mit Heinrich Blücher, als Kommentar zu einer Serie von Photos, die sie von Martin Heidegger gemacht hatte – „… dem ich die Treue gehalten habe und nicht gehalten habe, und beides in Liebe“. Es ist anzunehmen, dass damit weniger eine Zustimmung zu Martin Heidegger als eine Zustimmung zum zeitlosen Wert von Liebe gemeint ist, die für Hannah Arendt für jede Liebe und für jede Freundschaft galt, von der frühen Studienzeit bis ins hohe Alter. Sie verteidigte mit der Widmung wohl ihr eigenes, als Siebzehn- und Achtzehnjährige empfundenes Bedürfnis nach Liebe, so wie sie Liebe als Wert im philosophischen wie im existentiellen Kontext verstand. Ob sie dabei nicht bedachte, dass sie gleichzeitig dem Missbrauch ihrer selbst eine Rechtfertigung erteilte, lässt sich nicht beantworten. Dass Intellekt und Psyche sich bei ihr während langer Zeit in einem wechselseitigen Prozess von Abwehr verhielten, so dass Akzeptieren und Verdrängen zu einem doppeldeutigen Verstehen führten, mochte oder konnte sie vermutlich kaum bei sich selber einsehen.

So mag sich erklären, dass Hannah Arendt selbst in der Nachkriegszeit die Liebe zu Heidegger nicht als Irrtum bedauerte, als dessen nationalsozialistische Mitgliedschaft und dessen Verhalten gegenüber Husserl ihr bekannt waren. Sie versuchte, Heideggers Anpassung an den Nationalsozialismus zu übersehen, sie trug ihm sein Mitläufertum nicht nach. Allerdings hatte sie sich nie mit dem von ihm vertretenen „Geworfensein“ der Existenz begnügen können. Sie bemühte sich, einen eigenen Weg zu finden und diesen zu gehen. Als sie 1949 im Auftrag der Jewish Cultural Construction das erste Mal wieder in Deutschland weilte, entschied sie sich zu einer neuen Begegnung mit Heidegger, auf welche ein – zum Teil intensiver – Austausch gegenseitiger Bewunderung führte[17].

Allerdings galt die Haltung, die sie mit ihrem Bekenntnis zur gleichzeitigen Treue und Freiheit in der Liebe bekundete, nicht nur für das Verhältnis zu Martin Heidegger, sondern für alle Verhältnisse, die für sie im Sinn von Liebe und von Freundschaft (im engeren und weiteren Sinn) Bedeutung hatten, nicht in Blindheit oder in kritikloser Benommenheit, sondern immer mit einer Akzeptanz der Fehlerhaftigkeit und des teilweisen Ungenügens. Es war 1947, dass sie in einem Gespräch über Heidegger Karl Jaspers zustimmte, der bemerkte, Heideggers Philosophie sei ohne Liebe, daher auch im Stil unliebenswürdig“. Sie schrieb etwa um die gleiche Zeit in einem Aufsatz über „Existenz-Philosophie“, in welchem sie auf Heideggers „Sein und Zeit“ einging, mit einem kritischen Blick, den sie früher abgewehrt hatte: „Der wesentliche Charakter dieses Selbst ist seine absolute Selbstischkeit, seine radikale Abtrennung von allen, die seinesgleichen sind. Dies zu erzielen war der Vorlauf zum Selbst als Existential eingeführt; denn in ihm realisiert der Mensch das absolute principium individuationis“[18].

Hannah Arendts Verhalten zu Heidegger mutet schwer verständlich an. Auch wenn sie in philosophischer Hinsicht die kritische Beurteilung zuliess, unterliess sie diese in politischer Hinsicht. Urteilen verstand sie als das klare Unterscheiden von Recht und Unrecht, das nach ihrer Ansicht die Fähigkeit zum politischen Handeln begründet, das jedem Mensch selber obliegt. Dass gerade durch das politische Urteilen und Handeln, wie Heidegger es in Deutschland vertrat, menschliches Leben in Millionenzahl – jüdisches und nichtjüdisches – der Entrechtung, der Erniedrigung und Vernichtung ausgesetzt wurde, dass das mangelnde kritische Urteil zur Mittäterschaft wurde, das verdrängte Hannah Arendt keineswegs, im Gegenteil. In vielen Aufsätzen und Kommentaren, die veröffentlicht wurden[19], nahm sie dazu Stellung. Doch sie tat es nicht in Bezug auf Heidegger. Ich nehme an, dass sie ihn einer anderen Kategorie zuordnete, jener der Liebe, in welcher es – nach ihren Überlegungen – der Zustimmung zur Differenz und zur Besonderheit bedarf, um Unvollkommenheiten, ja selbst Enttäuschungen zu ertragen.

Es brauchte lange, bis Liebe und Skepsis sich in ihr als Band zwischen Fühlen und Denken halten konnte, und zugleich den Massstab für die moralische Beurteilung des Handelns bot. Von sich selber hielt sie viel später, im Gespräch mit Günter Gaus anlässlich des Fernsehgesprächs von 1964 fest: „Ich habe mich mit den Leuten auseinandergesetzt, ich bin nicht sehr freundlich, ich bin auch nicht sehr höflich, ich sage meine Meinung“.  Ebenso sagte sie unmissverständlich, als sie auf Differenzen in psychischen und intellektuellen – auch in politischen – Belangen angesprochen wurde: „Wenn man diese Dinge miteinander verwechselt, wenn man also die Liebe an den Verhandlungstisch bringt, um mich einmal ganz böse auszudrücken, so halte ich das für ein sehr grosses Verhängnis“[20]. Im gleichen Gespräch sagte sie auch, in der Freundschaft und in der Liebe werde ein Mensch direkt, ohne Weltbezug, angesprochen, während die politischen Verhältnisse sich ausschliesslich im Weltbezug abspielen würden.

Was Hannah Arendt unter Liebe verstand und welche Werte sie damit verband, war mit ihrem ganzen Leben verknüpft. Der Verlust der väterlichen Liebe in der Kindheit, die grosse Nähe zu ihrer Mutter, die nach dem Ersten Weltkrieg ein zweites Mal heiratete, Martin Beerwald, einen Witwer, der zwei Töchter hatte, sodass Hannah Arendt, damals 13 Jahre alt, fortan zwei Halbschwestern hatte, die 20jährige Clara[21] und die 19jährige Eva[22], jedoch ihre Mutter mit diesen teilen musste, all dies hatte sowohl den Hunger nach verlässlicher Bindung wie nach persönlicher Wahlmöglichkeit verstärkt. Fortan pflegte sie ihre eigenen Freundschaften zu pflegen und auszuweiten.

Die grosse Liebe in Hannah Arendts Leben war Heinrich Blücher. Sie hatte ihn 1936 im Pariser Emigrantenmilieu  kennengelernt, das Erich Cohn-Bendit (ein Rechtsanwalt, Daniel Cohn-Bendits Vater), Fritz Fränkel (ein Psychoanalytiker), Karl Heidenreich (ein „entarteter“ Maler), Chanan Klenbort (ein aus Polen stammender Journalist) und dessen Frau Lotte Sempell Klenbort u.a.m. frequentierten, oft bei Walter Benjamin, nachdem 1936 Günther Stern in die USA ausgewandert war. Heinrich Blücher entsprach in seiner Persönlichkeit, seiner männlichen Sicherheit und Welterfahrung allen Bedürfnissen, Vorstellungen und Wünschen Hannah Arendts. Als deutscher Kommunist durch die Gestapo verfolgt, lebte er seit 1934 unangemeldet in Paris und gab sich unter dem Namen Heinrich Larsen als eleganter Tourist aus, der keinen polizeilichen Argwohn weckte. Warnend und aufklärend informierte er sowohl über den totalitären Charakter des Stalinismus wie über das politische System des Nationalsozialismus. Blücher war kein Akademiker, sondern ein „Proletarier“, 1899 in Berlin geboren, Sohn eines Fabrikarbeiters, der an den Folgen eines Arbeitsunfalls vor der Geburt seines Sohnes gestorben war, und einer Wäscherin, die ihr Kind allein – vaterlos – aufgezogen hatte. Heinrich Blücher hatte den Ersten Weltkrieg an der Front erlebt und war wegen Gasvergiftung längere Zeit in einem Lazarett gelegen. Er wurde Gründungsmitglied der 1918 geschaffenen Kommunistischen Partei Deutschlands und hatte an den Arbeiteraufständen von 1918 in Berlin auf Seiten der Spartakisten teilgenommen, deren führende Köpfe, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, am 15. Januar 1919 aufs brutalste ermordet wurden. Hannah Arendt hatte damals mit ihrer Mutter in Königsberg an einer Demonstration teilgenommen; sie hatte die politischen Veränderungen als Beobachterin und aus Distanz verfolgt, die Heinrich Blücher aus grösster Nähe miterlebt hatte.

Für Hannah Arendt war er ein „Mann der Tat“, wie sie ihn bezeichnete, anders als ihr Vater gewesen war – und vielleicht trotzdem ihm ähnlich. Blüchers Leidenschaft galt dem Lesen und Lernen, dem Sprechen und Verstehen, insbesondere dem leidenschaftlichen Diskurs. An der 1920 in Berlin gegründeten Hochschule für Politik, die auch Studierende ohne Abitur zuliess, hatte er Politische Theorie studiert. Seine Erfahrung mit dem Aufbau, dem Niedergang und dem Fall der Kommunistischen Partei Deutschlands war für Hannah Arendt das Lehrbeispiel für eine  revolutionäre Bewegung, die nur Erfolg haben könne, wenn sie über ein gutes Netz von Arbeiterräten verfüge, wie sie immer wieder schrieb. Er war ein politischer Kopf, von dem Hannah Arendt sagte, dass sie dank ihm „politisch denken und historisch sehen gelernt habe, ohne deswegen davon abzulassen, sich historisch wie politisch von der Judenfrage her zu orientieren“. Alle grossen Werke Hannah Arendts – „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, „Vita activa“, „Über die Revolution“ u.a.m. – waren in enger Zusammenarbeit mit Blücher entstanden.

Dass Blücher noch in zweiter Ehe verheiratet war, als Hannah Arendt sich mit ihm 1936 befreundete, erfuhr sie erst 1937, als seine Frau Natascha Jefroikyn ebenfalls nach Paris flüchtete.

Sowohl Blücher wie Hannah Arendt, die selber noch mit Günther Stern verheiratet war, liessen sich von ihren Ehepartnern scheiden und heirateten 1940 auf einem Pariser Zivilstandsamt, als die deutsche Wehrmacht Frankreich besetzte. Die Heirat war die Voraussetzung, damit sie 1941 gemeinsame Visa nach den USA beantragen konnten, deren Realisierung von Günther Stern ermöglicht wurde. Im April 1939 war auch Hannah Arendts Mutter, Martha Beerwald, in Paris angelangt, dank der Unterstützung durch Lotte Sempell Klenbort, die als Nichtjüdin noch nach Königsberg fahren konnte, um Martha Beerwald bei der Flucht zu begleiten[23]. Seit fünf Jahren hatte sie ihre Tochter nicht mehr gesehen. Wie sie nun als alte Emigrantin unter den schwierigen politischen Bedingungen in Paris beim jungen Paar wohnte, führte die grosse kulturelle und gesellschaftliche Differenz zwischen ihr und Heinrich Blücher bald zu Spannungen, die sich nach der weiteren Flucht in die USA fortsetzten und noch verschärften. Im Blick von Martha Beerwald war Heinrich Blücher ein „ungeschliffener und etwas fauler Geselle“, selbst Elisabeth Young-Bruehl beurteilte ihn als „flatterhaft und starrsinnig“, zugleich als so erbarmungslos und grundsätzlich in seinem Urteil, dass er für die einen unerträglich war, für die anderen erfrischend und von hohem Wert.

Bevor auch Paris von der deutschen Armee besetzt wurde, wurde auf Befehl der Vichy-Regierung die Gefangennahme und Internierung der in Paris lebenden, noch nicht 55jährigen Flüchtlinge umgesetzt, zuerst der Männer. Auch Heinrich Blücher gehörte dazu und war während ca. drei Monaten in Villemalard in einer Bauernscheune auf fauligem Stroh  inhaftiert. Hannah Arendt konnte ihn besuchen. Wieder war es Lotte Sempell Klenbort, die seine Freilassung zustande brachte. Nach der Rückkehr nach Paris lagen auch die Scheidungsdokumente für ihn wie für Hannah Arendt bereit und die Heirat wurde am 16. Januar 1940 bestätigt.  Am 5. Mai 1940 gab der gouverneur général von Paris bekannt, dass alle Männer wie Frauen über 17 und unter 55 Jahren, die in Paris als Flüchtlinge lebten, sich für den Abstransport in Internierungslager  melden mussten, die Männer am 14. Mai 1940 im Stadion Buffalo und die Frauen am 15. Mai 1940 im Vélodrome d’Hiver, in zwei riesigen Sportanlagen, aus welchen der Abstransport in die Lager erfolgte. Acht Tage später wurde Hannah Arendt mit 2‘363 weiteren Frauen aus Paris und aus den Vororten von Paris ins Lager von Gurs in der weiten, sumpfigen Ebene am Fuss der Pyrenäen transportiert. In den von Stacheldraht umzäunten Baracken waren vorher Flüchtlinge aus dem Spanischen Bürgerkrieg und Angehörige der Internationale Brigade interniert gewesen. Nach der deutschen Besatzung von Paris entstand im Sommer 1940 während wenigen Tagen ein Chaos im Lager, das etwa 200 von gegen 7‘000 Frauen ermöglichte, daraus zu entkommen. Hannah Arendt war eine von ihnen[24].

Das Gebiet der Hautes Pyrenées gehörte der Vichy-Regierung an, doch es gab eine kleine Stadt, Montauban, in welcher ein sozialistischer Stadtpräsident danach trachtete, die Flüchtlinge zu schützen. Viele begaben sich dorthin, um Angehörige wieder finden zu können. Hannah Arendt hatte das Glück, eines Morgens auf der Hauptstrasse von Montauban inmitten eines Stroms von Menschen Heinrich Blücher gegenüber zu stehen, dessen Lager beim Einmarsch der deutschen Armee in Paris evakuiert worden war. Mit Fahrrädern gelangten sie im Spätsommer nach Marseille, wo sie die von Günther Stern besorgten Visa abholen konnten und wo sie ein letztes Mal Waltern Benjamin trafen. Als im Januar 1941 die Vichy-Regierung die Reisebestimmungen ein wenig lockerte, fuhren Hannah Arendt und Heinrich Blücher nach Lissabon, wo sie während drei Monaten darauf warteten, Tickets für die Überfahrt nach Amerika zu erhalten. Da Martha Beerwald noch allein in Frankreich war, übernahm Nina Gourfinkel, eine russische Freundin Hannah Arendts aus dem Kreis in Paris, die Verantwortung, dass die alte Frau sicher nach Lissabon gelangen konnte. Im Mai 1941 traf Martha Beerwald tatsächlich in Lissabon ein, konnte wenige Wochen später ebenfalls ein Schiff besteigen und nach New York ausreisen. Einmal mehr bewährte sich das Band der Freundschaft.

Während Hannah Arendt dank der Vermittlung Kurt Blumenfelds in New York sofort  eine Stelle beim deutschsprachigen jüdischen Magazin „Der Aufbau“ fand, auch eine Stelle als Lektorin im Schocken-Verlag, wo sie die Bücher von Walter Benjamin und Franz Kafka, Bernard Lazard und Gershom Scholem betreute, später einen Lehrauftag beim Brooklyn-College, war es für Blücher sehr viel mühsamer, Fuss zu fassen. Er weigerte sich lange, wirklich Englisch zu lernen, während Hannah Arendt bald nach der Ankunft sich zuerst für zwei Monate nach Winchester /Massachusetts begeben hatte, wo sie mit Hilfe Paul Tillichs aus Frankfurt bei einem amerikanischen Ehepaar Aufnahme finden konnte, um ihre Englischkenntnisse zu verbessern. Heinrich Blücher gehörte zu den Luftmenschen, die weder Arbeiter noch Intellektuelle waren. Für ihn und für Hannah Arendt bedeutete Emigration eine ungleiche Realität, doch beide trugen gemeinsam die beklemmende Last der Nachrichten aus Europa über Hitlers „Endlösung“, das Entsetzen über das Schicksal der Menschen in den Lagern, die lähmende Ohnmacht.  Beide waren von Gefühlen der Verzweiflung besetzt. Am schwersten war es für Martha Beerwald, die vor der Abreise aus Lissabon während eines ganzen Jahres voller Unsicherheit in Frankreich herumgeirrt war und in New York ausgezehrt und erschöpft mit einem Kindertransport eintraf.

Hannah Arendt und Heinrich Blücher wurde erst in New York verständlich, was Walter Benjamin 1940  in den Tod getrieben hatte. Sie schrieb damals ein Gedicht, das sie dem toten Freund widmete:

„Einmal dämmert Abend wieder. Nacht fällt nieder von den Sternen, liegen wir, gestreckte Glieder, in den Nähen, in den Fernen

Aus den Dunkelheiten tönen sanfte kleine Melodien. Lauschen wir, uns zu entwöhnen, lockern endlich wir die Reihen.

Ferne Stimmen, naher Kummer: Jene Stimmen jener Toten, die wir vorgeschickt als Boten, Uns zu leiten in den Schlummer.“[25]

Im „Aufbau“ kämpfte Hannah Arendt für die Idee einer jüdischen Armee, damit den Juden nach dem Krieg ein Platz in Europa gesichert wäre. Zugleich geriet sie mitten in den innerjüdischen Zwiespalt zwischen den zionistischen Kräften um David Ben Gurion, der einen jüdischen Nationalstaat anstrebte, und Judah Magnes von der hebräischen Universität, der sich für einen Zwei-Völker-Staat im Rahmen einer arabischen Föderation einsetzte und der Hannah Arendt zu überzeugen vermochte – ein Gegensatz, der sich auf der Biltmore-Konferenz von 1942 in New York zuspitzte und der ihr ein Schreibverbot im „Aufbau“ einbrachte. Was Hannah Arendt vorschwebte und was sie in einem Artikel festhielt, war ein staatliches Gebilde, in dem es keine Unterschiede zwischen Majoritäts- und Minoritätsstatus geben sollte und welches Teil des britischen Commonwealth wäre. Sie fühlte sich in ihrer Auffassung zwar von Judah Magnes auf väterliche Weise unterstützt, wurde von ihm auch aufgefordert, sich in öffentlichen Diskussionen für die Sache einzusetzen, doch das fiel ihr schwer. Sie empfand sich im Kreis der Jewish Agency zunehmend isoliert. Es war für sie ein Glück, eine Forschungsstelle bei der „Conference on Jewish Relations“ angeboten zu bekommen, auf Grund derer sie nachher in den „Jewish Social Studies“ eine Liste – vorläufige Liste – der jüdischen Kulturgüter in den von den Nazis und den italienischen Faschisten besetzen Ländern erstellen konnte. Im Auftrag der daraus entstehenden „Commission on European Jewish Cultural Reconstruction“ machte sie 1949 ihre erste Europareise und kam so auch das erste Mal wieder nach Deutschland, wie ich schon erwähnt habe[26].

Während Hannah Arendts pausenloser Aktivität, mit welcher sie für den gemeinsamen Unterhalt sorgte und gleichzeitig an der Fertigstellung des noch in Paris mit Heinrich Blüchers Unterstützung begonnenen Buchs über „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ arbeitete[27], wurde das private Leben der Blüchers und Martha Beerwalds so angespannt und schwierig, dass eine Änderung dringlich wurde. Mitte Juli 1948 bereitete Hannah Arendt die Abreise ihrer 74jährigen Mutter nach England vor, wo Eva Beerwald sie erwartete. Doch Martha Beerwald gelangte nicht mehr nach England. An Bord der Queen Mary erlebte sie zuerst einen schweren Asthma-Anfall und wenige Tage später, am 27. Juli 1948, den Tod. Noch am selben Tag wurde Hannah Arendt per Fax durch Eva Beerwald informiert: „Mutter letzte Nacht im Schlaf gestorben – regeln Einäscherung – herzlich Eva.“[28] In einem Brief an Heinrich Blücher schrieb Hannah Arendt: „Ich bin natürlich zugleich traurig und erleichtert. Vielleicht habe ich nichts in meinem Leben so schlecht gemacht wie diese Angelegenheit“[29]. Sie ging auf den Zwiespalt ein, der darin bestanden hatte, dass die Mutter „aus Liebe“ ihr nachgereist war und „aus einer Unbedingtheit, die ihr immer grossen Eindruck gemacht und sie vielfach beeinflusst hatte“, dass sie aber ihren Erwartungen nicht hatte entsprechen können. Unter den Bedingungen der Emigration eng zusammen zu leben und bei jeder Gelegenheit zu spüren, dass Martha Beerwald die Ehe zwischen ihrer Tochter und Blücher als eine bedauernswerte „mésalliance“ einschätzte, so dass die Differenz zwischen Ehemann und Mutter unüberwindlich wurde, das hatte sie neben allen anderen Überbelastungen in einen Zustand der Ratlosigkeit und Erschöpfung versetzt.

Im Strom der Zeitgeschehnisse, denen Hannah Arendt mit ihrer deutsch-jüdischen Herkunft ausgesetzt war und aus welchen sie immer wieder, dank dem Glück der Rechtzeitigkeit, einen Fluchtweg fand,  folgte sie der Prägung ihrer Kindheitserfahrungen. Das wachsende Bewusstsein über den grossen Reichtum väterlicher und mütterlicher Erbschaft, über den sie in ihrer geistigen Wachheit verfügte, ermöglichte ihr freie Wahlmöglichkeiten. Wofür sie sich seit der Jugend entschieden hatte, war die Zustimmung zu Menschen, zu Idealen und zu Ideen, im wachen Beibehalten kritischen Denkens und Urteilens, in der Akzeptanz der Widersprüchlichkeit menschlichen Lebens,  immer im Wissen um die „unendlichen Möglichkeiten der Liebe, auch der unerwiderten Liebe“, wie sie einmal zu Mary McCarthy bemerkt hatte. Wenn sie bis zuletzt am „amor mundi“ festhielt, so blieb sie auch bis zuletzt die mit Rahel Varnhagen seelisch verwandte Frau, die sich dankbar zeigte für jede ihr entgegengebrachte Freundschaft und Liebe. Was ihr in der Jugend, als sie über den augustinischen Liebesbegriff doktorierte, noch zu komplex erschien, wurde im Lauf des gelebten Lebens zu tragender Klarheit.

Es ist die Liebe zur Welt – „amor mundi“ -, die für Hannah Arendt in allen Belangen einen  Antrieb bedeutete. In „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ hatte sie dieser Kraft der Lebenszustimmung einen weiten Exkurs gewidmet, der in philosophiegeschichtlicher wie in zeitkritischer Hinsicht Beachtung verdient. Sie geht auf die vielfältige menschliche Bedingtheit ein, auf die Bedingungen der Zeitlichkeit, des öffentlichen und des privaten Raums, auf die Bedingungen von Eigentum und Arbeit, von Instrumentalisierung, Industrialisierung und Handel, schliesslich auf die zunehmende Weltentfremdung und die Umstülpung von Theorie und Praxis. Was sich in ihrem Eintreten für den „amor mundi“ manifestiert, verbindet sich auf eigenwillige Weise mit Augustinus‘ komplexen Erklärungen von „caritas“.  Für Hannah Arendt findet sich hierin die unverbrüchliche Zustimmung zum Leben als Mensch unter Menschen, d.h. zur Existenz in der Welthaftigkeit. Ohne die Rückkoppelung der menschlichen Existenz in der Pluralität des Zusammenlebens erscheint Hannah Arendt jedes Leben sinnlos. Existenz kennzeichnet sich über die Freiheit des Entscheidens und Handelns, und Freiheit wiederum konstituiert sich nur auf Grund der Pluralität.

Hannah Arendt versteht Freiheit daher als lebenszustimmende, schöpferische Potenz, die sie  mit der Natalität –  der Gebürtlichkeit –  verbindet. Die Tatsache der menschlichen Sterblichkeit – die Mortalität –  verliert dadurch das Verhängnisvolle, das ihr anhaftet. Mit jeder Geburt geht ein Neuanfang einher, dem die Möglichkeit zukommt, zum „inter-esse“ – dem Zusammen-Sein – der Menschen untereinander und miteinander beizutragen. Trotz der Nichtwählbarkeit von Herkunft und Zeitzugehörigkeit findet sich in dieser mit der Geburt gegebenen persönlichen Kraft die Möglichkeit der Wählbarkeit von Lebensgestaltung. Freiheit in Hannah Arendt‘s Verständnis lässt sich daher als neuzeitliche Interpretation der augustinischen Liebeskraft in Verbindung mit „sapientia“ interpretieren.  Während sie sich bei Augustinus jedoch vom „appetitus“ über „caritas“ auf das zeitlos Göttliche – den „amor Dei“ – hin entfaltet wird, ist es bei Hannah Arendt der „amor mundi“, der jede andere Liebe einschliesst. Es ist die Weltzugehörigkeit, die der Zustimmung und der Sorgfalt bedarf. Von zentraler Bedeutung ist nach ihrem Ermessen dabei die Sprache. „Sofern wir im Plural existieren, und das heisst, sofern wir in dieser Welt leben, uns bewegen und handeln, hat nur das Sinn, worüber wir miteinander oder wohl auch mit uns selbst sprechen können, was im Sprechen einen Sinn ergibt.“[30] Doch wie lässt sich der Sinn der Sprache wieder finden, nachdem die Sprache weltweit sinnentleert wurde? War nicht die Vernichtung menschlichen Lebens und die Zerstörung der Welt durch die Sprache propagiert, wiederholt und befolgt worden? War die Welt nicht sprachlos geworden?

Was Hannah Arendt im Grossen mit Beklemmung zur Kenntnis nahm, beeinträchtigte ihre Lebenszustimmung und Weltzustimmung nicht; sie hielt sie über alle Verluste und Enttäuschungen hinweg wach. Den kindlichen Hunger nach Glück, der mit dieser Wachheit verknüpft war – in der grossen Bedeutung von Glück[31]– gab sie nie auf.  Hierin mag  ein bedeutender Teil des Erbes bestehen, das sie weitergab. Was sie damit verknüpfte, hielt sie 1960, als sie als amerikanische Staatsbürgerin, als Professorin und Autorin zahlreicher Bücher den Höhepunkt intellektueller Anerkennung erlebte und gleichzeitig in Deutschland durch den Lessing-Preis der Stadt Hamburg geehrt sowie durch die Zahlung des  deutschen Wiedergutmachungsbüros[32] wohlhabend geworden war, in einem Buch[33] fest, in welchem sie die schwierigen Widersprüchlichkeiten zwischen den Schwingungen des Herzens und den Forderungen der Vernunft zu klären trachtete. Die Frage zu beantworten, wie es gelingen kann, mit dem grossen Trümmergepäck der Vergangenheit angesichts des unbekannten Kommenden im kleinen Moment der Gegenwart der Aufgabe gerecht zu werden, zwischen Freiheit und den Folgen der Freiheit resp. zwischen Freiheit und bewusstem Entscheiden in Übereinstimmung mit dem Gewissen – consciousness und conscience – zu handeln, erschien ihr von zunehmender Bedeutung. René Char, aus dessen Aphorismen sie jenen über die Tatsache, dass keinerlei Testament unserer Erbschaft vorausgegangen ist[34], als Leitmotiv auswählte, wurde dabei zu einem anderen Begleiter.

Hannah Arendt selber stand vor dem Entscheid, in Jerusalem am Prozess gegen Adolf Eichmann, der am 24. Mai 1960 in Argentinien von israelischen Agenten gefangen genommen worden war, als Berichterstatterin teilzunehmen. War es Neugier, war es ein Gefühl der Pflicht, das sie veranlasste? Wie viel Freiheit stand ihr zu? Als sie vom Chefredakteur des „New Yorker“, William Shawn, grünes Licht erhielt, war ihr bewusst, dass sie der Unterstützung ihrer väterlichen Begleiter bedurfte – Heinrich Blüchers für die amerikanische Presse, Karl Jaspers’ für die deutsche Presse, Kurt Blumenfelds für die hebräische Presse – und eines eigenen, sichern Kompass.

„Halte den anderen gegenüber, was du dir, dir allein versprochen hast. Darin besteht dein Vertrag.“

„Wenn eine Erbschaft wirklich gross sein soll, muss die Hand des Verstorbenen unsichtbar sein.“

Warum bezog sich Hannah Arendt auf René Char[35]? Was bedeutete ihr dieser fast gleichaltrige Dichter und Denker, Résistance-Kämpfer und Frauenheld, dem in Frankreich alle grossen Ehrungen und Anerkennungen zuteil gekommen waren?

Auch René Char hatte mit acht Jahren den Vater verloren, der zugleich Stadtpräsident von L’Isle-sur-la-Sorge und Besitzer eines grossen Gipsunternehmens gewesen war, auch er hatte sich in der Gymnasialzeit gegen das bürgerliche Schulsystem zur Wehr gesetzt und fand Unterstützung durch seine Mutter, durch eine mütterliche Tante und durch seine Schwestern, während er mit dem älteren Bruder in stetem Kampf stand. Im Gegensatz zu Hannah Arendt hatte er jedoch in keiner Weise eine akademische Karriere angestrebt, sondern das Milieu der „transparents“ , der bedeutungslosen Menschen sowie der Künstler, der Dichter, Schriftsteller und Maler gewählt, in welchem er sich mit den Grössten an den gleichen Tisch setzte.

Es mutet merkwürdig an, dass sich Hannah Arendt in dieser wichtigen Lebensphase auf die Denkbilder eines Menschen bezog, der ihr persönlich nie begegnet war und der in keiner anderen Lebensverbindung zu ihr stand ausser in jener der Gleichzeitigkeit. Während der Kriegszeit in Frankreich hatte sie mit der französischen Résistance keine Verbindung, zumal diese vor allem in den letzten Kriegsjahren von 1943-44 ihre grosse politische und militärische Bedeutung als Widerstand gegen die deutsche Besetzung einnahm. Vor 1960 findet sich in keinem Briefwechsel, selbst nicht in jenem mit Mary McCarthy, ein Hinweis auf René Char, und trotzdem widmet ihm Hannah Arendt in „Between Past and Future“ eine grosse Hommage. Es ist anzunehmen, dass sie seinen 1946 erstmals veröffentlichten schmalen Aphorismen-Band „Feuillets d’Hypnos“[36] erst durch die 1959 erschienene deutsche Übersetzung[37] von Paul Celan kennen lernte. Er wirkte auf sie wie ein Leuchtfeuer.

Es gab zwar wohl eine indirekte Verbindung zu Hannah Arendts Leben, von der sie jedoch kaum grosse Kenntnis hatte. 1955 war René Char in Paris Martin Heidegger begegnet; er lud den deutschen Denker zu Reisen in seine Heimat ein, in die wild und dicht überwucherte, bergige Provence, dem maquis des französischen Widerstands, hielt später auch mehrere gemeinsame Seminare mit ihm in Südfrankreich ab, bis er in den Siebzigerjahren von Heideggers NS-Zugehörigkeit erfuhr und sich von ihm distanzierte. Im Briefwechsel mit Hannah Arendt erwähnte Heidegger erstmals  am 6. September 1968 René Char in Zusammenhang eines gemeinsamen Seminars in Le Thor, sodann findet sich am 2. August 1969 der Hinweis auf die Adresse eines mit René Char befreundeten Dichters, Dominique Fourcade, in Paris, schliesslich am 26. März 1971 die Ankündigung eines Gedichtbandes, der René Char von seinen Freunden gewidmet wurde und zu welchem Heidegger einen Beitrag verfasst hatte[38].

Hannah Arendt geht in der Einleitung zu „Between Past and Future“ ausführlich auf die Bedeutung ein, die René Char’s Aussage für sie hatte, dass unserer Erbschaft keinerlei Testament vorausgegangen ist. Diese stand in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Erkenntnis, dass der grosse Schatz der Geschichte ohne Hinweis ist auf die Zukunft, dass es weder eine Vorbereitung noch eine feste Vorgabe gibt, wie der Mensch sich im Augenblick, der ein besonderes Verhalten fordert, entscheidet, dass er die Freiheit hat, selber zu entscheiden. „Das Testament, das dem Erben sagt, was rechtmässig sein eigen ist, verfügt über vergangenen Besitz für eine Zukunft. Ohne Testament oder, um die Metapher aufzulösen, ohne Tradition, die auswählt und benennt, die übergibt und bewahrt, die anzeigt, wo die Schätze sind und was ihr Wert ist, scheint es keine gewollte zeitliche Kontinuität und also, menschlich gesprochen, keine Vergangenheit und Zukunft zu geben, nur immerwährenden Wandel der Welt und den biologischen Kreislauf der lebendigen Geschöpfe in ihr. (…) Durch Vergesslichkeit wurde der Verlust zur Vollendung gebracht, genauer: durch einen Mangel an Gedächtniskraft, von dem  nicht nur die Erben befallen waren, sondern auch sozusagen die Schauspieler, die Zeugen, diejenigen, die für einen vorbeihuschenden Augenblick den Schatz in ihren Händen gehalten hatten, kurz: die Lebenden selber.“[39]

Für Hannah Arendt bedeutet der Widerstand – la Résistance -, zu welchem sich Einzelne wie René Char ohne historisches Vorbild und ohne Gebot entschieden hatten, eine überzeugende Bestätigung der Freiheit, deren Folgen jedoch mehr als den Einzelnen betreffen; sie betreffen die Öffentlichkeit im Sinn der namenlosen Geschichte. „Es ist die Namenlosigkeit des verlorenen Schatzes, auf die der Dichter anspielt, wenn er sagt, dass unsere Erbschaft ohne Testament überlassen wurde.[40] Der Einzelne, der sich in Freiheit für andere einsetzt, wird in der Erinnerung der nachrückenden Generationen wieder verschwinden, „dessen Hand wird unsichtbar sein“, und trotzdem wird sein Erbe Beweis menschlicher Freiheit bleiben.  „Bei jedem gemeinsamen Mahl bitten wir die Freiheit an unseren Tisch. Der Platz bleibt leer, aber das Gedeck liegt bereit“, zitiert Hannah Arendt zu ihrer Bestätigung weiter René Char. Das Grosse und Bedeutende dieser Tatsache ist, dass es junge Menschen sind, die Herausforderer der Gesellschaft werden. Die Jugend hält den Spaten. Möge man ihn ihr nicht wieder aus den Händen nehmen!“[41]

Wie schwierig es ist zu wissen, wie resp. was der richtige Entscheid im Augenblick ist, schildert René Char mit einem Vorfall, der ihn sehr belastete. Sollte er mit seiner Truppe, versteckt im Maquis, zusehen, wie ein Freund von der SS erschossen wurde, oder sollte er den Befehl geben, den Freund zu retten, gleichzeitig aber zu riskieren, dass in der Folge das ganze nächst gelegene Dorf der deutschen Rache ausgesetzt wäre? „Entsetzlicher Tag! Ich habe, aus wenigen hundert Metern Entfernung, der Hinrichtung von B. zugesehen. Ein Druck auf den Abzug meiner Maschinenpistole, und er hätte gerettet werden können! Wir waren auf der Anhöhe oberhalb von Céreste, die Büsche strotzten von Waffen, an Zahl waren wir der SS mindestens ebenbürtig. Die zudem nichts von unserem Vorhandensein ahnte. Den Augen ringsum, die um das Signal, das Feuer zu eröffnen, flehen, antwortete ich mit einem Kopfschütteln… Die Junisonne fuhr mir eisig in die Knochen. – Er fiel, als habe er seine  Mörder gar nicht gesehen; und so leicht, schien mir, als hätte der leiseste Hauch ihn vom Boden hinweg heben können. – Ich habe das Signal nicht gegeben, weil das Dorf  u m  j e d en    P r e i s  verschont bleiben musste. Ein Dorf – was ist das? Ein Dorf wie jedes andere auch? Vielleicht hat er das gewusst in diesem Augenblick?“[42]

Das Beispiel entspricht den Paradoxien, die Aristoteles in der „Nichomachischen Ethik“ ausführt. Allein das bewusste Nachdenken über die Folgen des Entscheids – allein das Gewissen – kann den Entscheid rechtfertigen. Das Gewissen ist der Kompass und zugleich der innere Richter. Einerseits wird das Gewissen geprägt durch die Vergangenheit, die sich ihm aufdrängt, andererseits durch die Zukunft, die noch leer ist. Hannah Arendt erinnert sich in diesem Zusammenhang an eine Parabel Kafkas aus dem Jahre 1920: „ E r  hat zwei Gegner: Der erste bedrängt ihn von hinten, vom Ursprung her. Der zweite verwehrt ihm den Weg nach vorn. Er kämpft mit beiden. Eigentlich unterstützt ihn der erste im Kampf mit dem zweiten, denn er will ihn nach vorne drängen, und ebenso  unterstützt ihn der zweite im Kampf mit dem Ersten; denn er treibt ihn wieder zurück. So ist es aber nur theoretisch. Denn es sind ja nicht nur die zwei Gegner da, sondern auch noch   e  r   selbst, und wer kennt eigentlich seine Absichten. Immerhin ist es sein Traum, dass er einmal in einem unbewachten Augenblick – dazu gehört allerdings eine Nacht, so finster wie noch keine war –  aus der Kampflinie ausspringt und wegen seiner Kampfeserfahrungen zum Richter über seine miteinander Kämpfenden erhoben wird.“[43] Hin und her gerissen ist der Mensch, doch die Vergangenheit, die in den Ursprung der Geschichte zurückreicht, zieht nicht rückwärts, wie Hannah Arendt betont, sondern drückt vorwärts. „Im Gegensatz zu dem, was man erwarten würde, ist es die Zukunft, die uns in die Vergangenheit zurücktreibt. Dort, wo  E r  steht, ist eine Lücke in der Zeit, die von den dauernden Kämpfen gegen die Gegenwart und die Zukunft aufrechterhalten wird.“[44]

Die „Lücke in der Zeit“ ist für Hannah Arendt der existentielle Moment des Erkennens, des bewussten Denkens und Entscheidens. Immer wieder im menschlichen Leben ist dies der Boden, der ermöglicht, aus den Erfahrungen des Hin- und Hergerissenwerdens – aus den Kampfeserfahrungen – auszusteigen, zu überlegen und zu entscheiden. Sie war überzeugt, dass die Katastrophen der menschlichen Geschichte, die im Sinn Walter Benjamins als Trümmerhaufen gegen die Zukunft ansteigen, immer aus dem Mangel des Nachdenkens im Lapsus Zeit, der eine Besinnung zulässt, geschaffen wurden.

Hannah Arendt fand in René Char’s Gedanken den Anstoss, durch die eigene Präsenz am Prozess gegen Adolf Eichmann in die jüngste Geschichte einzusteigen, um eventuell verstehen zu können, warum Menschen es ablehnen zu denken, wenn sie sich gegen das menschliche Leben, d.h. zu dessen Unheil und Vernichtung entschliessen, wenn sie in gedankenlosem Mitläufertum fortsetzen und selber tun, was sie nicht ertragen könnten, wenn es ihnen angetan würde. René Char hatte für sie auf glaubwürdige Weise Kants kategorischen Imperativ neu formuliert, indem er diesen als Vertrag des Menschen mit sich selber verstand. Wer das eigene Leben zu schützen trachtet, ist verpflichtet, das Leben anderer Menschen zu schützen. Um diesen menschlichen Vertragsmissbrauch ging es ihr, als sie sich entschloss, durch ihre Präsenz beim Eichmann-Prozess sich mit dem monumentalen Verbrechen des „Verwaltungsmassenmordes“ zu beschäftigen, wie sie schrieb, insbesondere mit Eichmanns administrativer Umsetzung von Hitlers Entscheid der „Endlösung“, mit der tatsächlich erfolgten, millionenfachen Registrierung von Männern, Frauen und Kindern, die in erster Linie wegen ihrer Herkunft, jedoch auch wegen ihres Gesundheitszustandes oder ihrer politischen Überzeugung  als „lebensunwert“ eingestuft wurden und in Viehwagen in die Vernichtungslager gefahren wurden. Hannah Arendt nahm die Möglichkeit wahr, in die finsterste und kälteste Bibliothek menschlichen Handelns einzusteigen und darüber in fünf Essays zu berichten, die im „New Yorker“ und später als Buch erschienen[45].

Mit Beklemmung nahm sie im Lauf des Prozesses wahr, dass es dabei nicht um eine theoretische Abklärung über das Böse und das Tun des Bösen ging,  auch nicht in erster Linie um das Leiden der Millionen verfolgter, deportierter und ermordeter Menschen, nicht um das jüdische Volk, das vernichtet werden sollte und nicht um das deutsche Volk, das Hitlers Herrschaftssystem akzeptierte und es umsetzte, sondern dass es allein um die Person des Angeklagten ging, um Adolf Eichmann, der im Mittelpunkt stand und der für schuldig erklärt wurde.

Die Frage, die Hannah Arendt sich stellte, war, warum Eichmann überhaupt schuldig geworden war. Als Hannah Arendt sich mit den Ergebnissen der wochenlangen Befragungen Eichmanns befasste, musste sie feststellen, dass er nicht mit einem der grossen Verbrecher vergleichbar war, etwa Jago oder Macbeth oder Richard III., wie Shakespeare sie geschildert hatte, dass Eichmann keine anderen Motive hatte „ausser einer ganz ungewöhnlichen Befliessenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte“, dass er gegenüber dem jüdischen Richter Gideon Hausner, dem Hannah Arendt Fehler im Verfahren vorwarf, der von  Eichmann jedoch mit Respekt akzeptiert wurde und der ihm gegenüber versicherte, er werde sich bemühen, „die Tatsachen seiner letzten Amtsjahre in Deutschland ungeschminkt zu Protokoll zu bringen, damit der Nachwelt ein wahres Bild überliefert werde“[46], dass er auch immer wieder mit Bedauern betonte, es habe nicht an ihm gelegen, dass er es in der SS nicht weiter als bis zum Obersturmbannführer gebracht habe[47]. Hannah Arendt wurde sich bewusst, dass das immense Verbrechen, dessen Eichmann angeklagt war, einerseits auf der Genauigkeit seiner amtlichen Durchführung bei der Organisation der Deportationen beruhte, andererseits auf der Unfähigkeit oder der Weigerung zu denken, insbesondere auf der Unfähigkeit, kritisch zu denken. Es erwies sich für sie, dass diese Unfähigkeit bei Eichmann mit der Abrichtung zum Gehorsam einher ging und mit der bedingungslosen Unterwerfung unter jegliche Autorität. „Es war gewissermassen schiere Gedankenlosigkeit – etwas, was mit Dummheit keineswegs identisch ist -, die ihn dafür prädestinierte, zu einem der grössten Verbrecher dieser Zeit zu werden. (…) Dass eine solche Realitätsferne und Gedankenlosigkeit mehr Unheil anrichten können als alle die dem Menschen vielleicht innewohnenden bösen Triebe zusammengenommen, das war in der Tat die Lektion, die man in Jerusalem lernen konnte.[48]

Hannah Arendt  war erschüttert über die Folgen gedankenloser Anpassung und Unterwerfung, die in einem verbrecherischen Staatsverband nicht einmal als Verbrechen  betrachtet werden, im Gegenteil; sie haben den Anschein von Legitimität. Sie geschehen ausserhalb jeder moralischen Dimension, ohne äusseren Anlass und ohne erkennbare Zwecksetzung. „Weder Nihilismus noch Zynismus, wie man vielleicht hätte erwarten dürfen, aber eine ganz besondere Verwirrung in den Elementarfragen des Moralischen ist zutage getreten.“[49] Sie war sich bewusst, dass Eichmann mit den Verbrechen der „Endlösung“, für die er vor Gericht stand, nicht als Initiator, sondern als Rad im Getriebe betrachtet werden sollte. Auch dass er zwar als Einzelner beurteilt und zur Todesstrafe verurteilt wurde, dass er jedoch nicht ein Einzelfall war, sondern dass jedes Verwaltungssystem und jede Art blinder Gesetzestreue zu ähnlichen Verbrechen führen können. „Es ist gut denkbar, dass in einer absehbaren Zukunft automatisierter Wirtschaft Menschen in Versuchung kommen, alle diejenigen auszurotten, deren Intelligenzquotient unter einem bestimmten Niveau liegt.“

So weit lösten Hannah Arendts Überlegungen in Zusammenhang des Eichmann-Prozesse bei den jüdischen Lesern und Leserinnen ihr gegenüber keine Vorwürfe aus. Es war die Tatsache, dass sie diese als „Bericht über die Banalität des Bösen“ überschrieb, auch dass sie ihre Ansicht verteidigte, dass es weder eine „Kollektivschuld“ noch eine „Kollektivunschuld“ gibt, dass höchstens eine „Kollektivhaftung im politischen Bereich besteht, die in der Tat unabhängig ist von dem, was man selbst getan hat“[50], auch dass allein die Handlungsentscheide und das Tun des einzelnen Menschen beurteilt werden können. Am schwersten ertragen wurde Hannah Arendts jüdische Selbstkritik, die sie innerhalb der aufwühlenden Untersuchung von Eichmanns Schuld einzufügen wagte. Es war der Vorwurf, dass von jüdischer Seite ein allgemeiner Widerstand und eine systematische Nichtbefolgung der Befehle hätte erwartet werden sollen. Es ging bis zur Selbstanschuldigung, dass die erfolgte Kooperation der Judenräte und der als Zwangsorganisation errichteten Reichsvereinigung der deutschen Juden mit den SS-Dienststellen bei der Registrierung der jüdischen Bevölkerung für die Deportation in die Konzentrationslager die Massenliquidierung mitgetragen hatte. Sie hatte damit nicht nur ein hoch empfindliches Tabu angeritzt, sondern hatte auch voreilig und in Unkenntnis der vielschichtigen Komplexität zu generell argumentiert.

Vermutlich wirkte in Hannah Arendt, die in der Kindheit von ihrer Mutter gelernt hatte, sich nicht zu ducken, sondern sich zu wehren, das Beispiel der französischen Résistance als Vergleich mit; auch standen ihr in ihren Überlegungen Heinrich Blücher als Mitglied der Spartacus-Gruppe  und René Char als Anführer seiner Truppe im Maquis näher als die unter grössten Ängsten in den unvorstellbaren Verhältnissen der Ghettos eingesetzten jüdischen Funktionäre. Wie aussichtslos eine Verweigerung der Kooperation in den Ghettos Osteuropas wie in Westeuropa gewesen wäre, welch furchtbare Massaker ein Widerstand durch die zuständigen SS-Behörden ausgelöst hätte, wird durch den einleitenden Begleittext des deutschen Historikers Hans Mommsen mit Sorgfalt belegt. Mommsen gibt dabei auch zu bedenken, dass „die jüdische Bevölkerung weder moralisch noch politisch auf die Liquidierungsmassnahmen vorbereitet war. Diese vollzogen sich zudem in einer eigentümlichen Diffusität, die eine Gewissheit über die Vernichtungsabsicht gegenüber der immer wieder aufkeimenden Hoffnung, überleben zu können, ausschloss.“[51]

Viele von Hannah Arendts langjährigen Freunde verziehen ihr dieses Anritzen schuldhafter Versäumnisse nicht, unter ihnen Gershom Scholem, Hans Jonas, auch Robert Weltsch. Sie bezichtigten sie des Verrats und brachen die Freundschaft mit ihr ab. Ausser Hans Jonas nahm keiner die Beziehung zu ihr später wieder auf. Kurt Blumenfeld verweigerte ihr wegen ihres „Berichts“ den Besuch, den sie ihm auf dem Sterbebett machen wollte. All dies belastete sie stärker als der öffentliche „Krieg“, der ihr gegenüber während Jahren fortgeführt wurde, eigentlich bis 1967, als mit dem Sechstagekrieg die Aufmerksamkeit sich von ihr abwandte.

Die Art der Beurteilung und „Bestrafung“ ihres Denkens aus den eigenen Kreisen war für Hannah Arendt unverständlich. Nicht sie allein fühlte sich davon verletzt, sondern zutiefst auch Heinrich Blücher, der sie zu schützen und zu verteidigen suchte, der die Telefonanrufe abhörte und die Korrespondenz erledigte. Unverständlich war für sie der Bruch von Freundschaft, war es doch ihr wichtigstes Anliegen, dass Menschen, die einander nahe stehen, sich durch Meinungsverschiedenheiten nicht verlieren. Was sie Gershom Scholem geschrieben hatte, als er sich wegen eines noch während des Weltkriegs publizierten Artikels überworfen hatte – es handelte sich um „Zionism reconsidered“-, in welchem sie ihre Überzeugung eines föderalistischen, binationalen Staates mit rechtsichernder und friedensichernder Gleichberechtigung vertrat, das drückt ihre Haltung aus: „Vielleicht können Sie sich in diesem Fall entschliessen, es so zu halten wie ich: nämlich, dass Menschen mehr wert sind als ihre Meinungen, aus dem einfachen Grund, weil Menschen de facto mehr sind, als was sie denken oder tun.“[52]

Dieser Grundsatz der prinzipiellen Zustimmung, ohne dass es einer völligen Übereinstimmung bedurft hätte, erscheint mir für alle Beziehungen Hannah Arendts entscheidend. Er versteht sich, denke ich, aus ihrem Verständnis von Freiheit, das auch das Irren und Fehlen einschliesst. Eine Freundschaft, die auf Generosität gebaut ist, ist ohne dieses Verständnis von Freiheit ein konditionales Konstrukt. Hannah selbst war dieser Generosität rückhaltlos verpflichtet. Sie verstand ihre väterliche und ihre mütterliche Erbschaft in der umfassenden Zustimmung zur menschlichen Weltzugehörigkeit.

Unter den Bekannten und Freunden, die Hannah Arendt in den USA um sich geschart hatte und die sie nicht im Stich liessen, wurde ihr die Schriftstellerin Mary McCarthy besonders lieb. Die zwei Frauen kannten einander seit 1944, als sie zufällig einander an einer Abendveranstaltung begegnet waren, und sie blieben das Leben lang miteinander befreundet. Was sie verband, war eine ähnliche Liebesbereitschaft der Welt gegenüber, obwohl sie diese oft auch als feindlich empfanden; es war eine Mischung zwischen bewahrter Naivität und aufgeklärt-abgeklärtem „Pariatum“. „Was sie von anderen Schriftstellern auf  ihrem Gebiet unterscheidet“ – hielt Hannah Arendt im Zusammenhang ihrer Freundin fest – „ist, dass sie ihre Beobachtungen aus dem Blickwinkel und mit dem Staunen eines Kindes darstellt, das merkt, dass der Kaiser keine Kleider anhat“[53].

Mary McCarthy stand Hannah Arendt auch nahe, als Heinrich Blücher am 30. Oktober 1970 an einem Herzinfarkt starb, plötzlich, ohne Ankündigung, jedoch in grosser Ruhe. Eine Art Weltverlorenheit begann damit für Hannah Arendt. Blüchers Tod war so eingetreten, wie sie es über zehn Jahre befürchtet hatte. Sie fühlte sich hilflos, als stände sie nicht mehr mit den Füssen auf der Erde, wie sie Mary McCarthy gestand. Die zwei so verschiedenen Menschen waren in den dreissig Jahren Ehe einander beinah symbiotisch nahe gekommen. Beide teilten „die Fähigkeit, sich leidenschaftlich für einen Standpunkt einzusetzen und sich nicht darum zu scheren, ob man aufs falsche Pferd gesetzt hat – oder was es kosten könnte“[54], wie es ein amerikanischer Freund Blüchers, Dwight McDonald, formulierte.

Blücher, der nicht nur für seine Frau zum grossen Lehrer geworden war, sondern auch für zahllose Studierende am Bard College[55] in Annandale-on-Hudson (etwa zweieinhalb Stunden von New York entfernt), wo er seit 1952 eine Professur für Philosophie hatte, war in seiner letzten Vorlesung im Jahre 1968 auf die Skala der menschlichen Beziehungen zu sprechen gekommen, dabei auch auf die Liebe im Alter, auf das, was ihn und Hannah Arendt nach einem langen gemeinsamen Leben der Treue verband, trotz einiger Eskapaden, nach Jahrzehnten des gemeinsamen Kämpfens und Für-einander-Einstehens: (… ) „Der Eros ist überwunden. Er war am Anfang da, aber er ist überwunden worden und spielt keine Rolle mehr. Was jetzt zählt, ist die wechselseitige Einsicht zweier Persönlichkeiten, die einander als solche anerkennen, die letzten Endes zueinander sagen können: ‚Ich garantiere dir die Entwicklung deiner Persönlichkeit, und du garantierst mir die Entwicklung der meinen‘“[56]. Es war diese Garantie der Verlässlichkeit, die bei diesem Paar vom Freundeskreis mit Staunen begleitet worden war. Ob der Eros in dieser „Doppel-Monarchie“, wie das gemeinsame Leben bezeichnet wurde, allerdings überwunden war? Ich denke, dass im Sinn Hannah Arendts diese besondere, verborgene Kraft das Geheimnis der sich erhaltenden Liebe war, auch jene der Freundschaft, und dass sie selbst in den späten Jahren in der Beziehung zu Heinrich Blücher im Sinn des nicht erblassenden, wärmenden inneren Lichts erhalten blieb.

Hannah Arendt versuchte in den fünf Jahren, in denen sie Blücher überlebte, die „Vita contemplativa“ zu vollenden, d.h.  ihre Bücher über das Denken, über das Urteilen und über das Wollen; doch sie kam immer langsamer voran. Zwar erhielt sie noch verschiedene Anerkennungen und Preise für ihr Werk, sie machte Reisen nach Europa, traf auch Martin Heidegger wieder, verbrachte in Begleitung von Freundinnen und Freunden lange Ferienwochen im Tessin, in Tegna, aber die Welt „zog sich immer mehr von ihr zurück“, wie sie sich Mary Mc Carthy gegenüber äusserte. Eine der grössten Genugtuungen, die sie noch kurz vor ihrem Tod erlebte, war die Versöhnung mit einem der alten Freunde – mit Hans Jonas -, der sich von ihr nach dem Erscheinen des Eichmann-Buches abgewendet hatte. Der Historiker Walter Laqueur hatte 1979 in einer Besprechung des Buches festgehalten, dass die Angriffe auf Hannah Arendt eigentlich nicht auf dem beruhten, was sie gesagt hatte, sondern wie sie es gesagt hatte; dass sie eine Intellektuelle war, deren Temperament immer zu Übertreibungen neigte. Wir werden darauf noch eingehen.

Am 4. Dezember 1975, nach einem Abendessen mit einem befreundeten Paar in ihrer Wohnung in New York, starb Hannah Arendts an einem Herzschlag. Am 8. Dezember fand eine ergreifende Trauerfeier für sie statt. Hans Jonas und Mary McCarthy fassten zum Abschied persönliche Erinnerungen zusammen; ihr amerikanischer Verleger, William Jovanovich, verabschiedete sich mit den Worten: „Sie war so leidenschaftlich, wie es jemand, der an die Gerechtigkeit glaubt, nur sein kann, und wer an die Barmherzigkeit glaubt, bleiben muss“.

 

[1]  Eine sorgfältige Synopse findet sich in der ausführlichen Biographie von Elisabeth Young-Bruehl. Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit. S. Fischer Verlag, Frankfurt a .M. 1986. S. 650 bis S. 663. (Die deutsche Ausgabe ist eine Übersetzung der amerikanischen Ausgabe: Elisabeth Young-Bruehl. Hannah Arendt. For Love for the World. Yale University Press, New Haven / London 1982)

[2] cf. die eindrückliche Dokumentation im: Briefwechsel von Hannah Arendt und Karl Jaspers von 1926 bis 1969. Hrsg. Lotte Köhler und Hans Saner. Piper Verlag, München / Zürich 1985

[3] Anlässlich der Beisetzung Hannah Arendts in der Riverside Memorial Chapel in New York am 8. 12. 1975

[4] von Hannah Arendt 1926 / 27 verfasst

[5] Elisabeth Young-Bruehl, a.a.O. S. 100

[6] Hannah Arendt. Rahel Varnhagen.  Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik. Piper Verlag, München / Zürich 1959. S. 21

[7] Die Aufzeichnungen unter dem Titel “Die Schatten” finden sich unter: Arendt Papers, Library of Congress, Washington.

[8] erste Zeile aus einem Gedicht von Hannah Arendt, Winter 1923/24, in: Elisabeth Young-Bruehl, a.a.O. S. 78

[9] Er hatte mit seiner Familie Königsberg rechtzeitig verlassen können; Hannah Arendt traf ihn in New York wieder.

[10] Hannah Arendt begegnete Kurt Blumenfeld Anfang der Dreissiger Jahre wieder in Berlin. Als Präsident der Zionistischen Vereinigung für Deutschland bot er eine Möglichkeit an, sich dem wachsenden Antisemitismus gegenüber nicht hilflos zu fühlen. Sie trat der Zionistischen Vereinigung nicht bei, reiste jedoch als Studentin in deren Auftrag mit Aufklärungsvorträgen gegen den Antisemitismus in ganz Deutschland umher und engagierte sich in Berlin auch im Rahmen eines Forschungsauftrags  über Antisemitismus in Berufs- und Verbandsblätttern. Diese Tätigkeit in der Nationalbibliothek zog 1933 die Verhaftung durch die Gestapo nach sich, einen einwöchigen Gefängnisaufenthalt in Berlin mit zahlreichen Befragungen, anschliessend die Flucht nach Paris. Dank der Verbindung mit Blumenfeld hatte sie in Paris sofort Arbeit gefunden, eine Unterkunft und ein Einkommen. Sie arbeitete als Sekretärin für die Jugend-Aliyah, dank welcher jüdische Jugendliche aus Deutschland ins damalige Palästina auswandern konnten, nachdem sie vorher in Frankreich versorgt, ausstaffiert und mit Hebräisch-Kenntnissen versehen worden waren. Als Begleiterin einer dieser Jugendgruppen war es Hannah Arendt möglich, über Sizilien mit dem Schiff das erste Mal ins damalige Palästina zu reisen und dadurch sowohl architektonische Zeugnisse der griechischen Kultur kennen zu lernen wie die frühesten Kibbuzim. – Mit Kurt Blumenfeld, der seit 1933 in Palästina lebte, blieb sie bis zu dessen Tod in naher Verbindung, die, wie der 1995 veröffentlichte Briefwechsel beweist, herzlich, vertraut geschwätzig, und, wenn es um das Austragen von Meinungsverschiedenheiten ging, schonungslos offen war. In wichtigen Fragen, etwa in jenen, die das deutsche Judentum betrafen, insbesondere in Fragen der Assimilation und der Antisemitismusanalyse, war Hannah Arendt dankbar um die Unterstützung, die sie von dem älteren Freund bekam. Auch in Bezug auf Israel, auf das, was sie den Nationalismuskonflikt nannte, stimmten sie in vielem überein. Die grösste Differenz entstand nach Hannah Arendts Rapport über den Eichmann-Prozess und konnte nicht mehr geklärt werden, da Kurt Blumenfeld 1963, im gleichen Jahr, als das Buch erschien, starb. Obwohl er das Buch nicht gelesen hatte, folgte er der gegen Hannah Arendt gerichteten jüdischen Hetze und weigerte sich, sie ein letztes Mal zu sehen, als sie seinetwegen nochmals nach Jerusalem gefahren war.

[11] Elisabeth Young-Bruehl, a.a.O.  S. 95

[12] ibid. S. 95

[13] ibid. S. 95

[14] Hannah Arendt. Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik. R. Piper  Co. Verlag, München 1959/1981. – Dass Hannah Arendt sich mit der Biographie Rahel Varnhagens ursprünglich bei Karl Jaspers zu habilitieren dachte und dass dies wegen der Zeitgeschehnisse nicht zustande kam, da sie 1933 nach Paris emigrieren musste, bewirkte, dass sie das Manuskriptständig mit sich trug und erst in New York abschliessen konnte, wo es noch vor der Übersetzung und Publikation in Deutschland veröffentlicht wurde.

[15] cf. 262), S. 207

[16] cf. 262), S. 204-205

[17] cf.  Hannah Arendt – Martin Heidegger. Briefe 1925-1975. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a.M.1998

[18] Hannah Arendt. Sechs Essays.  (Von S. 48-80: Was ist Existenz-Philosophie?). Verlag Lambert Schneider, Heidelberg 1948, S. 72

[19] Hannah Arendt. Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Verlag Piper, München / Zürich 1986. – Hannah Arendt. Nach Auschwitz. Verlag Tiamat, Berlin 1989

[20] aus: Günter Gaus. Zur Person. Gespräch mit Hannah Arendt, München 1964, S. 19

[21] Clara Beerwald, hochbegabte Musikerin, die gleichzeitig Chemie und später Pharmakologie studierte, nahm sich nach mehreren Liebesenttäuschungen mit 30 Jahren das Leben.

[22] Eva Beerwald wurde Zahntechnikerin, nachdem ihr Freund Karl Aron, ein Vetter Hannah Arendts, 1938 in einem antijüdischen Pogrom ermodert wurde, blieb sie unverheiratet. Sie konnte rechtzeitig nach London emigrieren und blieb in stetem, nahem Kontakt mit Martha Beerwald, Hannah Arendts Mutter.

[23] Martin Beerwald, ihr Ehemann, fühlte sich zu alt, um Königsberg zu verlassen; er blieb bei seiner Schwestern zurück und starb zum Glück eines normalen Todes 1939. – Martha Beerwalds Schwester Margarethe Fürst in Berlin, bei der Hannah Arendt während der Gymnasialzeit gewohnt hatte, wollte ebenfalls die Flucht nicht auf sich nehmen und zu ihrem Sohn nach Palästina fahren; Sie wurde in einem Konzentrationslager umgebracht.

[24] Im Herbst 11940 wurden zusätzliche 6’000 jüdische Frauen und Kinder aus Baden und aus der Saarpfalz durch Adolf Eichmann in Güterwagen nach Gurs gefahren; ab 1942 und 1943 wurden  diejenigen, die die Lagerbedingungen irgendwie überlebt hatten, in die deutschen und polnischen Vernichtungslager abtransportiert.

[25] s. Elisabeth Young-Bruehl, a. a. O., S. 237

[26] Heinrich Blücher wartete bis 1961, um erstmals  Deutschland  wieder zu besuchen.

[27] Erschien erstmals 1955 in englischer Sprache „The Origins of Totalitarism“ in New York, dann neu überarbeitet in deutscher Sprache 1962 in der Europäischen Verlagsanstalt, Frankfurt a. M.

[28] s. Elisabeth Young-Bruehl, S. 331

[29] cf. 280) S. 333

[30] cf.  Vita activa

[31] Etymologische Klärung  von “Glück”: (a) Friedrich Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Achte verbesserte und vermehrte Auflage. Verlag Karl J. Trübner, Strassburg 1915, S. 174:

“G l ü c k: mittelhochdeutsch  (frühestes Zeugnis bei Heinrich von Veldeke) gelücke; Bedeutung “Glück, Zufall” – mittelniederländisch ghelucke, niederländisch geluk. Das dem Altgermanischen fehlende Wort (dafür althochdeutsch sâlida, mittelhochdeutsch saelde, altsächsisch sâlda, angelsächsisch saélp – cf. selig) scheint vom Nordwesten mit den frühesten Einflüssen des höfischen Rittertums im 12.-13. Jahrhundert durch ganz Deutschland vorgedrungen zu sein; wurde auch Quelle des englischen luck, des schwedischen lycka, des dänischen lykke Glück.  – Ein vorauszusetzendes altniederfränkisches  gilukki scheint zum althochdeutschen luckan, zum mittelhochdeutschen lücken, ‘locken’ zu gehören und mit locken verwandt zu sei.”

(b) Fritz Mauthner. Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Bd. I. Diogenes Verlag, Zürich 1980. (Nachdruck der Erstausgabe von 1910 / 11). S. 438: ” (…) Denn daran kann doch wohl kein Zweifel sein, dass Glück etymologisch mit ‚gelingen’  zusammenhängt und auch im objektiven Sinn von Hause aus den günstigen Zufall bedeutet. (…)

[32] eine Summe von 45’000 DM, wie sie in einem Brief  Heinrich Blücher mitteilte.

[33] Hannah Arendt. Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken. (Ein Teil des Buches ins Deutsche übersetzt von Ursula Ludz, ein Teil von Hannah Arendt selber). R. Piper GmbH & Co., München 1994. (Die Erstausgabe erschien in englischer Sprache: Between Past and Future. The Viking Press 1968)

[34] Nr. 62: „Notre héritage n’est précédé d’aucun testament“ in: René Char. Feuillets d’Hypnos. Editions Gallimard 1962 / 2007, S. 25

[35] geb. am 14. Juni 1907 in L’Isle-sur-la-Sorgue / Vaucluse, fest. Am 19. Februar 1988 in Paris

[36] gr. Hypnos – Schlaf. Der kleine Band erschien zuerst bei der „Collection Espoir“ der Editions Gallimard, Paris 1946 (Herausgeber war Albert Camus).

[37] René Char. Hypnos.  Fischer Verlag, Frankfurt a .M. 1959 (neue Ausgabe 1990)

[38] Hannah Arendt – Martin Heidegger. Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse. Aus den Nachlässen herausgegeben von Ursula Ludz. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 1998. S. 169 / S. 177 / S. 209.

[39] Hannah Arendt. Zwischen Vergangenheit und Zukunft. R. Piper GmbH & Co.Verlag, München 1994. S. 9

[40] cf. 296)

[41] René Char cf. 294), S. 57

[42] cf. 294), S. 57

[43] cf. 296), S. 11 (Franz Kafka. E r  in: Beschreibung eines Kampfes: Novellen, Skizzen, Aphorismen. Frankfurt a. M. o. J., S. 300)

[44] cf. 296),  14

[45] Hannah Arendt. Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Piper Verlag GmbH, München 1964 / 1986.

[46] cf. 301), S. 12

[47] cf. 301), S. 54-55-56

[48] cf. 301, S. 57

[49] cf. 301), 65

[50] cf. 301, 67

[51] cf. 301. 28-29 Hans Mommsen fügt noch bei: „Es wäre nützlich gewesen, wenn Hannah Arent die Etappen der stillschweigenden Kooperation zwischen jüdischen Organisationen und den nationalsozialistischen Machthabern stärker unterschieden hätte. Dass es in der Zeit vor 1936 zu einer Zusammenarbeit zwischen der Gestapo und den zionistischen Organisationen gekommen ist, lässt sich ebenso wenig bestreiten wie der Tatbestand, dass für beide Seiten eine negative Identität der Ziele gegeben war. Die vollständige Dissimilation der jüdischen Bevölkerung war fraglos eine entscheidende Voraussetzung dafür, die antijüdische Programmatik der NSDAP voranzutreiben, ohne nennenswerte Widerstände bei der Mehrheitsbevölkerung erwarten zu müssen. Die zionistischen Gruppen haben diesen Prozess anfänglich indirekt begünstigt, und es ist nicht schwer nachzuweisen, dass eine in der allgemeinen Zeitströmung wurzelnde Affinität zu vom Nationalsozialismus mobilisierten ideologischen Einstellungen auch bei der zionistischen Bewegung vorhanden war. Trotz der eindeutigen Stellungnahmen des Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens vor 1933 gegen die tödliche Gefährdung des Judentums durch den Nationalsozialismus überwog bei der Reichsvertretung, die als Nachfolgeorganisation zu betrachten ist, bis 1938 die Hoffnung, doch noch einen modus vivendi mit dem Regime finden zu können. Den Ablauf der Geschehnisse hat das nicht wesentlich beeinflusst, da die jüdische Auswanderung primär durch den Mangel an Devisen und die abwehrende Haltung der Einwanderungsländer gebremst wurde.“

[52] cf. E. Young-Bruehl, S.373

 

[53] s. Elisabeth Young-Bruehl, a. a. O., S.282

[54] ibdi., S.589

[55] im Garten des Bard College findet sich auch das Grab Heinrich Blüchers und Hannah Arendts

[56] ibid., S. 591

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