Sicherheit – eine ungleiche Chiffre für Frauen und Männer? oder: Sprechen statt Schweigen Gibt es eine gewaltfreie Revolution für tatsächliche Sicherheit und menschlichen Frieden?

 

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Sicherheit – eine ungleiche Chiffre für Frauen und Männer?                              

oder:

Sprechen statt Schweigen –  Gibt es eine gewaltfreie Revolution für tatsächliche Sicherheit und menschlichen Frieden?

 

Im Frühling 1989 hatte ich mich längere Zeit in Sizilien aufgehalten, um den Kampf der Frauen gegen die Mafia zu dokumentieren. Es war dies, wie mir schien, eine der bedeutendsten und mutigsten Frauenrevolutionen der europäischen Geschichte.

Während Generationen hatte für die sizilianischen Frauen das Gesetz des Schweigens gegolten, nicht aus eigenem  Willen, sondern aus Einschüchterung durch das Gesetz der Gewalt und aus tradierter, sprachlos gewordener Resignation. Scheinbar gab es keinen Ausweg aus dem Frauenschicksal des Duldens, der Angst, des Schweigens, der lebenslangen Trauer um verschwundene Söhne, um ermordete Ehemänner, Väter und Brüder, scheinbar gab es keine Alternative zur erniedrigenden, sprachlosen Rechtlosigkeit. Allein die Unterwerfung unter die “omerta”  schien “Sicherheit” zu gewähren. Ende der achtziger Jahre aber fanden Frauen den Weg zueinander, von denen jede einzelne Einschüchterung und Gewalt nicht länger ertragen wollte, von denen jede einzelne nicht länger Kinder auf die Welt stellen wollte, die, bevor sie erwachsen waren, als Instrumente eines skrupellosen Erpressungs- und Machtsystems den Müttern entfremdet, zu verbrecherischen Zwecken missbraucht und durch das System bedenkenlos “erledigt” wurden, wenn sie sich nicht widerstandslos duckten und anpassten. Als am 15. April 1989 nach einem elfmonatigen Prozess das Geschworenengericht von Palermo 82 angeklagte Mafia-Verdächtige, darunter einige notorische Mafia-Häupter, wegen scheinbar “ungenügender Tatbeweise” freisprach, ging nicht nur eine Welle der Bitterkeit und Resignation durch die sizilianische Öffentlichkeit. Aus der Unerträglichkeit dieses – letzlich gesellschaftlich legitimierten und allein aus Gründen der “omerta” möglichen – Urteils sprang auch ein Funke des Aufbegehrens und der zum Widerstand entschlossenen Unerschrockenheit von Frau zu Frau. Es waren Mütter und Ehefrauen, zugleich Töchter und Schwestern von Männern, die zum Teil Opfer, zum Teil aktive Mittäter des mafiosen Systems waren, Frauen, die das Gesetz der Gewalt nicht mehr ertrugen, die bereit waren, ihre vier Wände und das Schweigen aufzugeben und vor Gericht Zeugnis abzulegen. Sie entschlossen sich zu diesem Schritt, weil sie die Verlogenheit einer aus Einschüchterung, Gewalt und Angst gezimmerten “Sicherheit” nicht mehr mittragen wollten. Sie zogen die Unsicherheit des Widerstandes aus Verzweiflung vor und entdeckten, dass aus der veränderten Öffentlichkeit, die sie mit diesem Schritt schufen, eine neue Sicherheit erwuchs: die Sicherheit, “richtig” zu handeln, nämlich in Übereinstimmung mit den innersten eigenen Bedürfnissen, zudem eine Sicherheit, die aus der – vorher nicht erlebten – Solidarisierung mit anderen Frauen erwuchs.

Ist Sicherheit mehr wie eine Chiffre für ein unstillbares Bedürfnis?

Auf die Welt kommen bedeutet, die einzige vollkommene Sicherheit verlieren, die es gibt: die pränatale Symbiose mit der Mutter. Fortan prägt das Bedürfnis nach Sicherheit die ganze weitere Entwicklung. Zwar vermögen Liebe, Aufmerksamkeit und Zuwendung in der frühen Kindheit, regelmässige und bekömmliche Nahrung – köperliche und geistige – dieses Bedürfnis weitgehend zu stillen, sodass ein Gefühl des Vertrauens entstehen kann, das stärker ist als Angst und Verunsicherung.  Es ist heute unbestritten, dass Lebensfreude, Selbstvertrauen und Weltvertrauen nur entstehen können, wenn das primäre Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit  von den Eltern und den übrigen ersten Bezugspersonen, vor allem aber von der Mutter, liebevoll respektiert wird. Ob dieses Urvertrauen entstehen kann oder nicht, beeinflusst auf massgebliche Weise das gesamte weitere Leben, sowohl in der Zeit des Heranwachsens wie des Erwachsenseins.

Für die Mehrzahl der Menschen bilden allerdings nicht Sicherheit und Vertrauen, sondern Unsicherheit, Verunsicherung und daraus resultierende Angst die Grundkonstante des Lebens, und durch alle Stadien des Lebens hindurch zeigt sich Sicherheit allein als Bedürfnis, als letztlich unstillbares Bedürfnis nach Überwindung von Unsicherheit.

Was entwicklungspsychologisch beim einzelnen Kind feststellbar ist, gilt in der grösseren Perspektive für die Entwicklung der Menschheit ebenso: Wenn gemäss der Überlieferung die Zivilisation mit der Sesshaftigkeit ihren Anfang nahm, so lässt sich sagen, dass hierfür das Bedürnis nach Sicherheit ausschlaggebend war: ein festes Haus, Eigentum an Grund und Boden als Garantien gegen die Unsicherheit des In-der-Welt-seins, gegen die Unsicherheit des unsteten, nomadischen Lebens. Der Zusammenschluss mehrerer einzelner Menschen oder einzelner Familien zu sichernden Nachbarschaften, zu Dorf- und später zu Stadtgemeinschaften sollte zur Verstärkung der Sicherheit beitragen – gegen räuberische Überfälle, aber auch gegen die Unbill der Natur. Damit innerhalb der Gemeinschaften Übergriffe auf Leben und Gut der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft kontrollierbar oder verhinderbar waren, denn auch ihnen gegenüber  herrschte weniger Vertrauen als Misstrauen vor, wurden bindende Vereinbarungen getroffen, aus denen schliesslich das ganze komplizierte Rechtssystem erwuchs. Darin waren seit ältester Zeit Sanktionen vorgesehen, die bei Verfehlungen, das heisst bei Missachtung der Vereinbarungen, anzuwenden waren. Darin wurde aber auch die Unterscheidung von “Einheimischen” und “Fremden” oder “Feinden” festgehalten, auch dies seit ältester Zeit, wobei zwar Schutzbestimmungen auch bezüglich der Fremden vorgesehen waren. Die Unterscheidung selbst aber verhinderte eine Entwicklung, die selbst heute noch Postulat und Hoffnung bleibt: dass das respektierte Zusammenleben in der Pluralität  der Herkünfte, Religionen und kulturellen Zugehörigkeiten die Chance für kollektive Sicherheit ist. Dagegen begründete die Unterscheidung eine Entwicklung jahrhundertelangen Unrechts, begründete die Legitimation von Kriegen, von Verfolgungen und rechtlichen Diskriminierungen, die bis heute andauern. Jedes Rechtssystem war von Anfang an ein Vorrechtssystem. “Der grösste Feind des Rechts aber ist das Vorrecht” hielt Marie von Ebner-Eschenbach in einer ihrer Aphorismen fest.

 

Sind Freiheit, Pluralität und Sterblichkeit unvereinbar mit Sicherheit?

Was die bindenden Vereinbarungen und Gesetze eindämmen und kontrollieren sollte, betrifft die eine Quelle des Grundmisstrauens und des fortwährenden Gefühls der Verunsicherung: die nicht berechenbaren und nicht vorhersehbaren Handlungen derjenigen, die gleichzeitig in der Welt sind und handeln. Das Grundmisstrauen hat somit mit der Freiheit der anderen zu tun, vor allem mit der bedrohlichen Freiheit derjenigen, die mehr “anders” sind, der “Fremden”, vielleicht aber letztlich mit der Freiheit überhaupt, auch mit der eigenen. Sicherheit und Freiheit scheinen somit unvereinbar zu sein.

Vermutlich seit ältester Zeit, aus der weder Spuren noch Überlieferungen erhalten sind, stand im Zentrum der Ängste jedoch zugleich etwas zweites: die Unsicherheit, Flüchtigkeit und Bedrohtheit des physischen Lebens. Krankheiten, Leiden und Tod konnten ja während Jahrhunderten nicht erklärt, geschweige denn auf irgendeine Weise kontrolliert werden.  Als Quelle der stärksten Verunsicherungen und Ängste konnten sie auch bis auf den heutigen Tag nicht überwunden werden, obwohl Medizin und Religionen, Wissenschaft und Beschwörungen als Mittel dagegen entwickelt wurden. Die Religionen versuchen nach wie vor mit der Zusicherung eines Lebens nach dem Tod die Angst  vor dem Tod zu mindern, während die Medizin und ihre Begleitwissenschaften Techniken der Lebensrettung und Lebensverlängerung entwickelt haben, die, insbesondere mit den jüngsten gentechnologischen Methoden, die den Menschen gesetzten Grenzen zu sprengen scheinen – bis auf den Tod selbst, diese letzte Grenze, die nicht gebannt und nicht überwunden werden kann. Auch vermag der in allen Bereichen feststellbare Fortschritt nicht, die Angst vor dem Tod aufzuheben, im Gegenteil. Zeitlichkeit und Sterblichkeit bleiben der verunsichernde Widerspruch zum Fortschritt des Wissens. Mehr noch: Seit beinah alle Prozesse als steuerbar und kontrollierbar oder vorhersehbar erklärt werden, seit beinah alles, bis vor kurzem noch Unmögliche, nicht nur möglich, sondern realisierbar, machbar  oder verhinderbar erscheint, wird die Tatsache des Todes zur definitiven Grenze, und die Angst vor dem Tod wird zur Angst schlechthin.

 

Gibt es geschlechtsspezifische Vorstellungen und Handlungsmuster bezüglich Sicherheit und Verunsicherung?

Geschichtliche und zeitgenössiche Analysen belegen auf vielfältige Weise, dass die Mehrzahl der Frauen und Männer verschieden mit dieser Angst und mit der damit verbundenen existentiellen Verunsicherung umgeht, ebenso mit den Vorstellungen und Bedingungen kollektiver Sicherheit.

Wodurch mag die Verschiedenheit begründet sein? Sie lässt sich vor allem durch Rollenmuster erklären, die seit Jahrhunderten in unserem Kulturkreis tradiert und anerzogen werden, die über Beispiele vermittelt, nachvollzogen und wieder von neuem weitergegeben und gelebt werden, Rollenmuster, die auf entscheidende Weise unsere Zivilisation prägen. Die Nähe oder Distanz dieser Rollenmuster zum ursprünglichen Bedürfnis nach Sicherheit, diesem geheimen Wunsch nach Wiederherstellung der liebevollen Geborgenheit des Kindes, sagt Entscheidendes aus über das, was zumeist als “Sicherheit” vorgegeben und angenommen wird. Denn eigentlich sollte ja längst für Frauen und Männer gleichermassen klar sein, dass Sicherheit nichts wie ein unstillbares Bedürfnis ist, und dass kollektive Sicherheit weiterhin nichts wie ein Postulat und Ziel ist, dass daher alle Vorgaben von Sicherheit, dass alle Gesetze und alle Verträge und alle Versicherungen, die privaten wie die öffentlich-rechtlichen und politischen, dass Ersparnisse und Eigentum, dass Polizei, Gefängnisse und Armee, dass Nationen und Nationalismen, kurz dass alle diese und ungezählte weitere Sicherheitsvorkehrungen nichts wie Surrogate sind, dass kollektive Sicherheit nur in Utopien und in Diktaturen, nirgendwo sonst, zu einer Art von Realfiktion wird, da sie in der Ort- und Zeitenthobenheit der Utopie unwidersprochen ist durch die Tatsachen der Realität, durch Freiheit einerseits, durch Sterblichkeit und Tod andererseits, und da in den Diktaturen die  – ängstigende – Freiheit der Menschen total kontrolliert und ausgeschaltet wird. Doch weiterhin werden “Sicherheits”fiktionen und Surrogate für  Sicherheit gemeinhin genommen, nicht nur in Utopien und Diktaturen.

Alle privaten (religiösen oder anderen) Organisationen, einschliesslich Erziehungs- und Familienstrukturen, und alle staatlichen Systeme, die mit Gehorsam, Unterwerfung und mit Sanktionen bei Nichtbeachtung von Verboten und Geboten funktionieren (und deren Zuspitzung sich in den Diktaturen findet), begründen sich immer durch das Misstrauen vor der Freiheit und durch das Angebot (scheinbarer) Sicherheit, das denjenigen zukommt, die sich unterwerfen. Die unterdrückte Freiheit sucht jedoch einen Ausweg in kompensatorischem Handeln, das sich, zum Beispiel, als Widerstand gegen die (scheinbare) “Sicherheit” richtet, häufig unter Missachtung des (eigentlichen) Sicherheitsbedürfnisses, häufig in einer anderen Weise der Annäherung an dieses. Und eben die Wahl des”Auswegs” ist, mit Ausnahmen, je männer- und frauenspezifisch verschieden.

Ein männerspezifischer “Ausweg” ist, unter anderen, das Militär, das als unverzichtbare Garantie jeder “Sicherheits”politik gilt.  Freiheitsbeschränkung, Drill, Unterwerfung und “Effizienz” gehören zusammen, und diese ganze Versklavung der Seele geschieht – scheinbar – im Namen und Dienst der Sicherheit. Die Männer sagen ja buchstäblich, dass sie “in den Dienst einrücken”. Dass sie dabei das ursprüngliche Bedürfnis nach Sicherheit, diese geheime Erinnerung an die früheste Kindheit, mit Füssen treten, dass sie von ihm “abrücken” und aus ihm buchstäblich “ausrücken”, ist den wenigsten bewusst. Sicherheit kann nicht mit Gewalt hergestellt werden, “Sicherheits”politik, die mit ständiger Aufrüstung, Einschüchterung, Abschreckung und möglichem Krieg operiert, ist Sicherheitsbetrug. Daher stellt das Millitär, dieses Männersystem der Legitimation von Gewalt, von Tötung und Zerstörung, diese ständige Kriegsvorbereitung und Kriegsbereitschaft, die grösste vorstellbare  Distanz zur Sicherheit dar. Die Abermillionen von Toten und Trauernden allein der letzten zwei Weltkriege müssten genügen, um jeden Zweifel daran zu beseitigen.

Die mit diesem System verbundenen Handlungsmuster sind zugleich Muster der Selbstgefährdung, wie sie sich in fast allen – gesellschaftlich gestützten – Männerspielen wiederholen: in den Geschwindigkeits- und Alkoholräuschen, in den vielen, zum Teil materiell sehr aufwendigen, Sportarten, deren Hauptzweck darin besteht, das Gefühl der Angst, diese Warnung, dass das Leben gefährdet ist, mit Tollkühnheit zu überspielen. So sind diese Handlungsmuster, die mit dem gesellschafltichen Konstrukt von “Männlichkeit” einhergehen, eigentliche Betrugs- und Selbstbetrugsmuster: Ideologien, deren Macht sich seit Jahrhunderten von Generation zu Generation erneuert.

Warum bloss, nachdem doch diese Männer von Frauen sozialisiert werden?

 

Vermögen Aufstand und Umkehr der Frauen auch das Verständnis kollektiver Sciherheit zu verändern?

Auch die Mehrzahl der Frauen hatte sich jahrhundertelang einem immer wieder tradierten, gesellschaftlich (insbesondere bürgerlich) fixierten Weiblichkeitsmuster unterworfen, als dessen höchste Tugenden das Schweigen und die Gutheissung der männlichen Herrschaft galten. An der Gewalt, die die Frauen sich durch diese Unterwerfung selbst antaten, und an der Gewalt, die sie durch die männliche Herrschaft zu erleiden hatten, zerbrachen die meisten früher oder später. Resignation und Schwermut waren, insbesondere im Bürgertum, die am meisten verbreiteten, häufig tödlichen Frauenleiden.

Doch das Leiden wurde zu einer Erfahrung der Unerträglichkeit, nicht nur für einzelne, sondern für viele Frauen. Die Unerträglichkeit liess sie zu Rebellinnen und Reformerinnen werden. So sind seit mehr wie einem Jahrhundert Widerstand und selbstbestimmte Handlungsmuster der Frauen nicht mehr bloss vereinzelte Erscheinungen. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts schlossen sich Frauen in Vereinen und Assoziationen zusammen, um gemeinsam nicht nur für ihre eigenen Rechte zu kämpfen, sondern zugleich für ein Leben in Sicherheit, gegen trügerische “Sicherheits”angebote. Sie organisierten sich – und tun dies noch immer – gegen Gewalt, Militarismus, Ausbeutung und Willkür, das heisst für Schulung und Bildung, für den Schutz der Kinder gegen Ausbeutung in den Fabriken und in der Heimarbeit, für eine gerechte Entlöhnung, für Schutzbestimmungen am Arbeitsplatz, für Arbeitslosengelder, für einen Mutterschaftsschutz, für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch, gegen Prostitution und Alkoholismus. Vor allem für den Frieden.

Am 15. Mai 1899 fand in Den Haag die erste Internationale Friedensdemonstration der Frauen statt, der Frauen aus allen Ländern Europas, aus England und Amerika, ja selbst aus Australien, Britisch-Indien und Japan. Gemeinsam bekundeten sie öffentlich ihren Widerstand gegen den Imperialismus der Grossmächte, gegen Menschenverachtung und Unterdrückung, gegen den bedrohlich sich ankündigenden Weltkrieg. Besonders stark war die feministische Friedenbewegung im damaligen Russland, obwohl die zaristische Polizei öffentliche politische Kundgebungen, insbesondere solche von Frauen, unter Strafe stellte. In Spanien und Japan gingen an jenem Tag die Frauen überhaupt das erstemal organisiert mit einem politischen Anliegen auf die Strasse. In Amerika schlossen sich 1’250’000 Frauen den Kundgebungen an.

Diese Frauen, die sich gegen das “methodische, organisierte, riesenhafte Morden stellten”, gegen diese “Bestialität der Praxis”, der die “Bestialität der Gedanken und der Gesinnung” vorangeht, wie Rosa Luxemburg in ihrer Junius-Broschüre schrieb, diese Frauen kamen aus allen Schichten der Gesellschaft, waren religiös oder nicht religiös, katholisch, reformiert oder jüdisch, waren Bürgerliche, Sozialistinnen, Kommunistinnen oder Parteilose, verheiratete Frauen oder unverheiratete. Indem sie die – wenigstens in den Anfängen zu befürchtende – Verunsicherung durch den Widerstand wagten, indem sie klar zu verstehen gaben, dass ihr Einsatz für den Frieden nicht ihr privater Zeitvertreib war, sondern dass sie die öffentliche Meinung und die männlichen Machthabenden in ihrem Sinn zu beeinflussen suchten, dass sie, denen keine politischen Rechte zugestanden waren, die politische Praxis zu verändern trachteten, setzten sie neue Masstäbe für “Sicherheit”. “Sicherheit” hiess und heisst fortan Absage an Gewalt, heisst Respekt  vor den Grundbedürfnissen der Menschen, heisst Förderung der Gerechtigkeit und der Kunst des Zusammenlebens, heisst Kultur.

In den Fusstapfen der Frauen von 1899 gehen die Frauen in Sizilien, die den Kampf gegen die Mafia aufgenommen haben. Den gleichen Weg gingen – und gehen noch immer – die Mütter von jungen Männern, die eingezogen wurden (und werden), um den Wahnsinn des jugoslawischen Kriegs mitzutragen. Gemeinsam zogen die Frauen vor die Kasernen und forderten ihre Söhne zurück, gemeinsam halten sie, schwarzgekleidet, Mahnwachen in den Hauptstädten der kriegführenden Länder, um mit ihrem Widerstand das Bewusstsein einer durch Gewalt und Hasspropaganda aufgehetzten Öffentlichkeit zu verändern, um eine Gegenrealität zu schaffen, die nicht verlogen ist, um deutlich zu machen, dass Sicherheit nicht durch Hass und Krieg, sondern nur im respektierten Zusammenleben verwirklicht werden kann.

Verstehen Frauen und Männer unter “Sicherheit” mithin Verschiedenes? Zu einem beträchtlichen Teil ist dies weiterhin so, auch wenn es auf beiden Seiten Ausnahmen gibt. Das heisst nicht, dass nicht das bessere Konzept für Frauen und Männer Geltung gewinnen und Realität werden muss, hier bei uns und weltweit, mit nicht mehr aufschiebbarer Dringlichkeit: das Konzept der nur gemeinsam von Frauen und Männern zu realisierenden Sicherheit, die sich aus dem Respekt vor den gleichen Grundbedürfnissen aller aufbaut, das heisst auf einer gerechten Verteilung der Güter, der Arbeit und des Mehrwerts, aus der Absage an Gewalt, aus der geteilten Verantwortung für die Zukunft der Kinder (aller Kinder): aus der Einsicht in die Notwendigkeit des Zusammenlebens in Frieden.

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