Die 7 Todsünden – Kunstmuseum Bern

 

Die 7 Todsünden – Das Betrachten von Bildern

Zum Abschluss der Vorlesungen im Wintersemester 2010 ergab sich das Vergnügen, mit einer Kuratorin[1] des Kunstmuseums Bern einen gemeinsamen Abend und eine Auswahl von Bildern zu vereinbaren, die ermöglichten, die Darstellung der „7 Todsünden“ in der Malerei zu thematisieren. Bei der Auswahl galt es, den Wechsel  von der noch byzantinisch geprägten, religiösen Malerei des Mittelalters über die naturnahe, sinnestrunkene Kunst der Renaissance zur Darstellung der menschlichen Affekte mit dem Verständnis und den aktuellen Mitteln der Kunst unserer Zeit zu verdeutlichen, letztlich ein Erforschen der bildhaften Übertragung von der Divina Commedia über die Aufklärung zur Banalität des Bösen, immer auf der menschlichen Suche nach Glück.

  1. Die Auswahl der Bilder:
  2. Antwerpener Meister: Das jüngste Gericht (um 1490 – 1500)

(Daten im Vergleich: Dantes Commedia entstand zwischen 1304 und 1320 (er selber lebte von 1265 bis 1321 / Petrarca 1304  bis 1374 / Leonardo da Vinci 1452 – 1519 / Descartes 1596 bis 1650)  – Ein bilderbuchähnliches Gemälde für das gläubige Volk, für den damaligen Zeitgeist in den kunstfreudigen Niederlanden noch sehr altertümlich, das in drei Teile aufgegliedert ist: im oberen Teil auf der ganzen Breite himmlische Gestalten in bunten Gewändern, umringt von  leuchtendem Gold, dem göttlichen Licht, vor diesen viel kleiner die nackten Verstorbenen, die je nach dem richterlichen Entscheid der Sphäre des lichtvollen Paradieses oder der finstern Hölle zugeteilt werden. Darunter findet sich das Erdendasein in zwei Hälften – dem über Jahrhunderte vermittelten Entweder-Oder von Gut und Böse -, in denen wie in kleine Kammern eingeteilt auf der einen Seite die sieben Todsünden dargestellt werden, auf der anderen Seite die sieben Tugenden der Wohltätigkeit, immer auf symbolhafte, zugleich klar erkennbare und starre Weise mit männlichen oder weiblichen Gestalten.

 

  1. Zeichnungen von Federico Zuccari (1542 – 1609), dem jüngeren Bruder von Taddeo Zuccari, einem Maler aus der florentinischen Renaissance resp. aus der Medici-Zeit unter dem ehrgeizigen und bedenkenlos machthungrigen Cosimo I, der in seinen Intrigen und Kämpfen gegen die republikanischen Kräfte in Lucca, in Siena und in Florenz von Kaiser Karl V geschützt und unterstützt wurde. Federico Zuccari vollendete einerseits das Werk seines früh verstorbenen Bruders, malte andererseits bedeutende Palast- und Kirchenbilder, so die Cappella Paolina im Vatican oder die Kuppel in der Chiesa di Santa Maria del Fiore, der Bischofskathedrale von Florenz. Hier findet sich eine atemraubende Darstellung des jüngsten Gerichts. Die im Kunstmuseum ausgestellten Bilder sind Entwürfe der Peinigungen, denen die Zornigen, die Trägen, die Geizigen, die Unmässigen und die Wollüstigen in der Hölle ausgesetzt sind, die er im Kuppelgemälde grossformatig umsetzte, Zeichnungen von hervorragendem Können in der Schilderung körperlicher und perspektivischer Vielfalt.

Federico Zuccari verfasste 1605-07, wenige Jahre vor seinem Tod, ein Buch unter dem Titel Idea dei scultori, pittori ed architetti. Er erklärte darin Platons Ideenlehre als Voraussetzung für die Kunst: der Künstler – die Künstlerin – überträgt auf Grund der angeborenen „göttlichen Gaben“ resp. auf Grund der Begabung „il disegno interno“ in ein „disegno externo“ und schafft damit Werke – Kunstwerke -, vergleichbar der Schöpfung der Natur.

 

  1. Lena Maria Thüring (geb. 1968). In camera. Eine Videoinstallation.

Einerseits zwei männliche Körper von gleicher Kraft und Grösse im pausenlosen Ringen miteinander, letztlich der eine wie der andere im Ringen mit sich selber, schmerzhaft, atemraubend und unabschliessbar, bis sich im Widersprüchlichen ein Einverständnis ergibt. Andererseits zwei Frauengesichter in einer Situation psychischen Ringens, im Hintergrund ein Mann von wechselndem Einfluss auf jede der Frauen, ein zwischen Einsamkeit und unausweichlicher Abhängigkeit von einander zugleich belastend, ja qualvoll wirkendes Gespräch über die Bedeutung des Blicks: der Blick des anderen Menschen als Spiegel des eigenen Ich.

„Die Hölle, das sind die Anderen“ ist die These, die den inhaltlichen Bausteinen von Jean-Paul Sartre’s Drama Huis clos zu Grunde liegt, das 1944 uraufgeführt wurde, eine gnadenlose, unversöhnliche Schilderung der Verengung menschlichen Zusammenlebens durch Neid und Eifersucht, durch Habsucht und Betrug, durch Feigheit und Rücksichtslosigkeit – durch Schuld.

Sartre ist der verstehende und damit verzeihende Blick des Menschen auf sich selber – und damit auf die Anderen – fremd. Die künstlerische Installation durch Lena Maria Thürings bietet einen die Sinne und Seele packenden Aufruf zum Nachdenken.

 

  1. II) Fragen im Gespräch am runden Tisch:
  2. Was enthält das „disegno interno“ resp. wie wirkt die Vorstellungskraft? Wovon geht sie aus? Was bewirkt sie resp. wie wird das „innere Bild“ ins „disegno externo“ umgesetzt?
  • Das Paradies – Traumbilder des Glücks, von göttlicher Unerreichbarkeit
  • Fegefeuer und Hölle – Albtraumbilder der Qual
  • Das Göttliche und das Dämonische im Bild – Licht und Finsternis
  • Körper und Geist resp. Körper und Seele
  • Weiblichkeit und Männlichkeit

 

  1. Was geschieht beim Betrachten eines Bildes? Wie unterscheiden sich Sehen, Schauen und Betrachten? Was bewirkt, dass Aufmerksamkeit geweckt wird resp. dass vom Bild zum wahrnehmenden Auge ein Dialog entsteht, der den menschlichen Geist tangiert und Emotionen auslöst?

Wie unterscheiden und ergänzen sich Bildsprache und Wortsprache? Wie Klangsprache, Bildsprache und Wortsprache? Wie z. B. Malerei und Philosophie? Oder wie Malerei und Dichtung?

 

  1. Wie wird ein Werk zum Kunstwerk? Ursprüngliche Bedeutung von „ars“ – Handwerk, auch für Bild und Skulptur, vielleicht auch für die Sprache (Bedeutung der Grammatik, der Rhetorik). Das Kunstwerk sollte ursprünglich sinnliche Schönheit ins Licht versetzen, das Unsichtbare sichtbar machen (Symbole, Allegorien, Abstraktionen), ferner Affekte erregen oder deren „Reinigung“ ermöglichen. Mit Beginn der Renaissance entwickelte sich die zunehmende Verfeinerung der mit dem Kunstwerk verbundenen „Idee“ – dem „disegno interno“ – wie auch die Zustimmung zum Sinnlichen, sowohl zum menschlichen Körper wie zur Natur in der Fülle von Farben und Perspektiven, nun gestützt auf Erfahrung. Die Kunst zeigte zunehmend, wozu der Mensch im „disegno externo“ fähig ist. „Die Einzigartigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradition selber ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas ausserordentlich Wandelbares. Eine antike Venusstatue zum Beispiel stand in einem anderen Traditionszusammenhang bei den Griechen, die sie zum Gegenstand des Kultus machten, als bei den mittelalterlichen Klerikern, die einen unheilvollen Abgott in ihr erblickten. Was aber beiden in gleicher Weise entgegentrat, war ihre Einzigartigkeit, mit einem anderen Wort: ihre Aura.“ – „Das Kunstwerk zeichnet sich durch eine eigentümliche Aura aus, durch die einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag.“ (Walter Benjamin)
  2. Wie erklärt sich der Wert des Kunstwerks „im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“[2]? Es ist die Gefährdung der Einmaligkeit und Einzigartigkeit, der Unwiederholbarkeit, die sich dem betrachtenden Menschen wie etwas Sakrales, Unnahbares offenbart oder ihn wie eine ersehnte visionäre Erfüllung tangiert. Kann „die Aura“, die gemäss Walter Benjamin das Kunstwerk kennzeichnet, auch in der Zeit der technischen Vervielfältigung gewahrt bleiben?

 

[1] Claudine Metzger. Luxuria / Wollust. In: Lust und Laster. Die 7 Todsünden von Dürer bis Naumann. Katalog zur Ausstellung im Kunstmuseum Bern und im Zentrum Paul Klee Bern. Ostfildern 2010, Verlag Hatje Cantz. S. 290 ff

[2] Walter Benjamin. Das Kunstwerk im Zeitalter der seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Gesammelte Schriften, Bd. I und Bd. II. Hrsg. Hermann Schweppenhäuser und Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. 1974 / 1977, Edition Suhrkamp. – Sonderausgabe: Walter Benjamin. Das Kunstwerk. Edition Suhrkamp. Taschenbuch Nr. 28.

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