Flucht in die “freiwillige Knechtschaft” fundamentalistischer Kräfte

Flucht in die “freiwillige Knechtschaft” fundamentalistischer Kräfte

 

Vorspann:

Die zunehmende Verhärtung und Ausbrei­tung des islamischen Fundamentalismus, der wachsende Einfluss fundamentalisti­scher jüdischer Kräfte auf Israels Po­litik, der Rekurs auf einen fundamentalistischen Protestantismus bei der herrschenden Mehrheit in Südafrika oder in massgeblichen Kreisen der USA wie bei den Evangelikalen hier in Europa, die fundamentalistische  Versteifung  der katholischen Kirche in Fragen der Se­xualmoral und der Lehre, sich ausbrei­tende fundamentalistische sozio­politi­sche und neu­religiöse Strömungen in den westlichen Industrienationen etc.:

Wie und aus welchen Ursachen erklärt sich die weltweite fundamentalistische Verführung? Gibt es für die verschiede­nen Fundamentalismen einen gemeinsamen Nenner? Inwieweit werden durch den “fundamentalistischen Rückfall” Errun­genschaften der Aufklärung in Frage gestellt? ­ – die Emanzipation des Einzel­nen zu kritischem Denken und zu selbst­verantwortlicher Lebensführung rückgän­gig gemacht? ­  Menschenrechte, Plura­lismus und Demokratie gefährdet? ­  eine politische Kultur der Freiheit sabotiert, die nach den erlebten totalitären Erschütterun­gen und Zusammenbrüchen nun angesichts schier undurchschaubarer, weltweit ver­netzter wirtschaftlicher und techno­logischer Probleme zur Bewährung aufge­rufen ist?

Was lässt sich gegen die fundamenta­listische Bedrohung tun?

Eine Reihe von Fachleuten aus Philosophie, Theologie, Geschichtswissenschaft und Politik haben in Bonn im Rahmen der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Philosophisch-Politischen Akademie Frankfurt auf die bedrängenden Fragen Antworten gesucht.

Der folgende Text über grundsätzliche Aspekte fundamentalistischer Bewegungen soll deren Bedrohung der Freiheit deutlich machen

Vor mehr als 400 Jahren prägte ein junger Mann, Etienne de la Boétie, das Wort von der “freiwilligen Knechtschaft”. Ein “Unrecht” gegen die “von Grund aus vernünftige Natur” nannte er den selbstauferlegten, selbstvollzogenen Zwang zur Gleichstimmung und zum Verzicht auf Freiheit, “die doch so gewaltig und so herrlich ist, dass ihr Verlust alle Uebel nach sich zieht, und selbst das Gute, das noch bliebe, völlig den Geschmack  und Reiz verliert, verrottet durch die Knechtschaft”. “Freiwillige Knechtschaft” ihrer Anhänger und Mitglieder kennzeichnet die vielfältigen religiösen und sozio- politischen fundamentalistischen Bewegungen, die in jüngster Zeit zunehmend an Verbreitung und Macht gewinnen, auf der einen Seite; auf der anderen Seite hierarchische Strukturen, eine autoritäre Führung, ein ganzheit- liches Weltbild, welches feste Verhaltensregeln fürs private Leben, Vorschriften fürs politische Handeln, einheitliche Sinnangebote und Erklärungsschlüssel für den Gang der Geschichte enthält und in manichäischer Weise Zugehörigkeit als ausschliessliche Bedingung für die Erfüllung “göttlichen Willens” und damit für Heil und Erlösung setzt, Opposition, Abtrünnigkeit und Nicht-Zugehörigkeit dagegen als Angriff auf den “göttlichen Willen”, als Werk und Reich des “Bösen” und damit als bekämpfenswert. Während der ursprüngliche Fundamentalismusbegriff in klarer Weise nur den amerikanischen Protestanten zufiel, die sich um 1918  zu einer bald weltweit wirkenden Organisation zusammenschlossen, deren Ziel die Bekämpfung “modernistischer” Bibelkritik, Evolutionslehre und Moralaufweichung, sowie die Verteidigung der unverfälschten “fundamentalen Wahrheit” der Bibel war (und noch immer ist), wird er heute ebenso für den militanten und missionarischen Islamismus der Moslem-Bruderschaften und des Khomeinischen “Gottesstaates” verwendet wie für die ultra-orthodoxen, kämpferisch intoleranten israelischen Gush Emunim oder Cach-Parteianhänger. Immer wird die blinde Ueberzeugung von der ausschliesslichen Wahrheit, der die Bewegung verpflichtet ist, als “heiliger Auftrag” gedeutet, dieser Ueberzeugung mit allen Mitteln, auch mit Gewalt, zur Durchsetzung zu verhelfen.

Durch die kämpferische, intolerante Behauptung der alleinigen Wahrheit, welche zur Schaffung fixierter Feindbilder und zur Legitimation von Gewalt führt, unterscheidet sich Fundamentalismus von Orthodoxie, welche seit Jahrhunderten sowohl innerhalb des Islams wie des Judentums, wie auch innerhalb der katholischen und protestantischen Kirche als gottesfürchtiges, frommes Leben und als Vollzug traditioneller religiöser Riten gepflegt wird und innerhalb pluralistischer Systeme ohne Einschränkung tragbar ist, da sie allein das private Leben Einzelner und religiöser Gemeinden betrifft. Durch den Rekurs auf ein “heiliges” Fundament setzen sich dagegen fundamentalistische Bewegungen von anderen organisierten Formen des politischen Radikalismus- und Extremismus ab, wie sie sich zum Beispiel in den terroristischen Aktionen der Roten Brigaden äusserten. Anti-Modernismus dagegen, welcher zwar jeden religiösen Fundamentalismus prägt, muss nicht unbedingt in die fundamentalistische Einbahnstrasse einmüden; Gandhi etwa war Anti-Modernist und war zugleich Reformer im aufklärerischen Sinn, er war eine unbestrittene Identifikationsfigur für Millionen von Menschen, ohne diese deshalb zu ausschliesslicher Gefolgschaft zu verpflichten noch mit Gefolgschaft oder Anhängerschaft so etwas wie Auserwähltheit oder ausschliessliches Heil zu verbinden. Vollends verwirrlich wird der Fundamentalismusbegriff, seit der “harte” Kern innerhalb der Grünen Partei in der Bundesrepublik sich al s “Fundalos” bezeichnet und unter “Fundamentalismus” die radikale, kompromisslose Durchsetzung ihrer  Prinzipien versteht, im Gegensatz zu den “Realos”, welche bereit sind, die Realität, wie sie ist, in ihr Aktionsprogramm einzubauen. Oder seit er von Rudolf Bahro selbst zur Charakterisierung seines meta-oeko-politischen Konzepts verwendet wird, das zwar wohl ein holistisches Heilsprogramm mit totalitären   Apsekten enthält, das aber – vorderhand wenigstens – eher als abstruse anti-freiheitliche Utopie gelten mag. Oder seit er auf den spiritualistischen Ganzheitsmythos der New Age-Bewegung Anwendung findet, die zwar von besorgniserregender Massenattraktivität ist, sich aber –  ebenfalls vorderhand –  an die demokratischen Spielregeln hält. Oder seit ein Teil jener Jugendsekten unter neue Fundamentalismen eingereiht wird, welche durch ihr “Geborgenheits-” und Führungsangebot Abertausende junger Menschen gewinnen und diese durch Gesinnungszwang und Gesinnungskontrolle zunehmend entmündigen.

Ob der erweiterte Fundamentalismusbegriff zutreffend verwendet wird oder nicht, oder ob eher von totalitären Heilslehren und von politischem Fanatismus gesprochen werden sollte, scheint eher nebensächlich angesichts der Tatsache des in allen diesen Bewegungen programmatisch verkündeten und praktizierten Freiheitsverlustes: ein “Unrecht”, das jeder einzelne Mitläufer und Adept sich selbst antut, die Reduktion der vielfältigen Realität auf ein je einziges Deutungs- und Handlungsmuster, die als um sich greifende Massenneurose eine weltweit bedrohliche politische Perspektive eröffnet.

Was lässt sich gegen diese organisierte Angst vor der Freiheit tun, die zur grossen Gefahr für die Freiheit wird?  Zweierlei erscheint dringlich:

Erstens muss Freiheit angstfrei eingeübt werden dürfen. Erziehung darf nicht länger die Gehorsamspflicht und unwidersprochene Unterordnung zu ihrem Hauptziel erklären, noch darf sie ins andere Extrem des belanglos beliebigen Gewährenlassens ausarten. Zum Prozess der Selbst- und Weltentdeckung des Kindes und Jugendlichen gehört sowohl die Erfahrung seiner Bedürfnisse und Fähigkeiten wie der Widersprüche und Grenzen ihrer Verwirklichung, und das Wählen- wie das Verzichtenkönnen müssen im Spannungsfeld der gegebenen Möglichkeiten immer wieder neu erprobt, begründet und ertragen  werden können, als Erfahrung von Autonomie innerhalb des wechselseitigen Wählens, Verzichtens und Handelns anderer in einer Gemeinschaft. Dieses “Einüben von Freiheit” setzt voraus, dass die erziehenden Erwachsenen einerseits den Vorsprung an Autonomie, sozialer Erfahrung und an liebevollem Verstehen ernst nehmen, andererseits den Kindern gegenüber die gleichen Regeln des Respekts beachten, deren Beachtung sie für sich fordern.

zweitens ist statt des postmodernen Gejammers über die zerbröckelnde Aufklärung eine “Aufklärung der Aufklärunq” erfordert.  Dabei muss das kritische Ueberdenken von sogenannten liberalen Errungenschaften mit der Korrektur sinnlos gewordener Anwendungen einhergehen: “Fortschritt” etwa im Sinn einseitigen Wachstums zu Gunsten weniger oder unbegrenzter technologischer Entwicklung hat sich erschöpft und muss durch neue Inhalte und Zielsetzungen korrigiert werden, etwa durch bessere, gerechtere Verteilung oder durch Friedenssicherung im Sinn praktizierter Menschlichkeit.

Und “Freiheit”, dieses zentrale persönliche und politische Aufklärungsresultat, das grosse Massen von Menschen heute ängstigt?

Als Gustav Landauer die “Freiwillige Knechtschaft” von La Boetié las, schrieb er (im Jahre 1911, an Max Nettlau), dass “wir vom Mass Freiheit, das wir haben und das uns gar niemand nehmen kann, noch gar keinen rechten Gebrauch gemacht haben”, solange wir ”innerhalb des Drucks und der Unfreiheit, die von aussen auf uns lasten und uns einengen, noch Spielraum haben, den wir nicht ausfüllen”.

Könnte die Chance einer “über sich selbst aufgeklärten Aufklärung” als Voraussetzung und Beginn einer “überzeugenden Politik”, wie Thomas Meyer sie fordert, um der fundamentalistischen (und sonstwie totalitären) Versuchung aktiv zu begegnen, wahrgenommen werden, wenn anstelle des “um sich greifenden Ueberdrusses an Vernunft und Autonomie” diese noch offenen “Spiel”räume der Freiheit bewusst und genutzt würden? Richard Löwenthal (Berlin) weist als einzige optimistische Stimme im Chor der Zeitkritiker auf das Bejspiel der Sowjetunion hin: “… Ich sehe in der Tat keine weltweite Bedrohung für die Zukunft der Aufklärung”, sagt er in seinem Referat, “wie ich vorher nicht eine weltweite Durchsetzung der Aufklärung gesehen habe. Ich sehe Gegensätze zwischen Gesellschaften, die ohne Aufklärung nicht entstanden wären und ohne sie nicht leben könnten, allen Krisen und Gegentendenzen zum Trotz – und Gesellschaften, in denen die Aufklärung sich niemals durchgesetzt hat, und deren Fundamentalismus ein ständiges Potential für den aufgeklärten Teil der Welt ist. Und ich sehe Länder, … die vielleicht neuerdings an einem Punkt angekommen sind, an dem ihre klarsten Denker erkannt haben, dass sie die Bedürfnisse ihrer Völker und ihres Machtbereichs nicht ohne die Durchsetzung der Aufklärung und die Abweisung des Fundamentalismus erreichen können – ich denke hier an die Sowjetunion.

…Die Veränderung, die von Gorbachew als “Demokratisierung” beschrieben wird, ist nicht das, was wir als Demokratie kennen und verteidigen; doch sie ist eine reale und wichtige Veränderung … Es ist keineswegs sicher, dass sie gelingen wird, doch es ist nicht unmöglich –  und wenn sie schrittweise gelingt, wird sie das Bild der Sowjetunion wesentlich ändern… Ich glaube, dass wir an einem historischen Punkt sind, an dem die alten, gemässigten Aufklärer des Westens und die Nachkommen der seinerzeit gescheiterten Aufklärer des Ostens, die sich wieder nach Aufklärung sehnen, etwas gemeinsam haben – und zunehmend weniger an die Notwendigkeit der Waffenpolitik gegeneinander glauben.”

Wenn die eine Seite in  Bezug auf die andere fixierte Feindbilder abbaut, verliert ein ganzes Weltbild seinen manichäischen Stachel –  und gewinnt viel: eine breite Basis für den angstfreieren Umgang mit der Freiheit des anderen!

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