Rebellion und Gebet – Isaac Bashevis Singer ist gestorben

Rebellion und Gebet – Isaac Bashevis Singer ist gestorben

 

Einer der letzten jiddischen  Erzähler von Welt­bedeutung, Isaac Bashevis Singer, ist im Alter von 87 Jahren gestorben.  Als ihm 1978 der Nobelpreis für Literatur zugesprochen wurde, begründete   die  Schwedische   Akademie ihre Wahl  mit  Singers “leidenschaftlicher Erzählkunst, die mit ihren Wurzeln in der polnisch-­jüdischen Kulturtradition universale Bedingungen des Menschseins lebendig werden lässt” und mit “seiner Art zu schreiben,  die ans Magische  grenzt”.  Sein vielbändiges Werk ist ein stetes  Suchen nach dem Sinn  der Bedingungen des Menschseins, des Leidens, des Todes  sowie der vielgestaltigen  Sehnsucht nach Erlösung.

Isaac Bashevis Singer  sagte 1981 in einem Gespräch mit dem Filmemacher Erwin Leiser, dass es “kein  Paradies für langweilige Autoren” gebe. Er wusste von sich selbst, dass er keiner war.  Seine Geschichten, Romane und Gleichnisse schrieb er nur,  wenn er  von  der Notwendigkeit, sie zu erzählen, wie besessen war. “Ohne Leidenschaft gibt es keine Literatur”, hielt er fest, “ohne Leidenschaft würden wir nur vegetieren”. Leidenschaftlich hörte er selbst zu, erinnerte sich eigener erlebter Geschichten, kombinierte, fabulierte und liess die Gestalten seiner Bücher – Frauen, Männer und Kinder – reden  und  selbst wieder Geschichten erzählen, suchen, zweifeln und verzweifeln, sich auflehnen, verführen, betrügen, Busse tun, umkehren, leiden – kurz, liess sie in einer komplizierten Wirklichkeit, die auf fraglose Weise Dämonisches und Wunderbares einschloss, zwischen gläubigem Gottvertrauen  und gnadenloser  Weltlichkeit leben.

“Leidenschaft kann selbst der Dienst an Gott sein”

“Alles kann Leidenschaft sein, selbst der Dienst an Gott”, hielt Isaac Bashevis Singer Erwin Leiser gegenüber  fest. Er musste es wissen. Der Vater war ein chassidischer Rabbi gewesen, die Mutter eine Anhängerin der Mitnagidin, einer zwar streng orthodoxen, aber aufgeklärten und nicht wundergläubigen Bewegung innerhalb des osteuropäischen Judentums.  Die religiösen Auseinandersetzungen, die sich zwischen den Eltern abspielten, spiegelten den Konflikt zwischen    Mystizismus und Rationalismus wieder, der die jüdischen  Gläubigen seit Jahrhunderten zutiefst aufwühlte.  Isaac  Bashevis Singer besuchte selbst während einigen Jahren das Tachkemoni-Rabbiner Seminar  in Warschau, liess dann aber das Studium fallen und folgte seinem älteren Bruder Israel Joshua Singer  nach, der sich von den orthodoxen Traditionen abwandte und Schriftsteller wurde. Isaac Bashevis Singer veröffentlichte von 1926 an in jiddischen Literaturzeitschriften Geschichten und Literaturkritiken, zuerst in Hebräisch, dann in seiner jiddischen Muttersprache, seiner unvergleichlich reichen “mameloschen”, in der er auch nach seiner Uebersiedlung nach Amerika, das heisst von 1935  an bis in die jüngste Zeit, alle seine Texte verfasste. So wie in Warschau publizierte er sie auch in Amerika in Vorabdrucken zuerst im “Jewish Daily Forward”, bevor sie ins Englische übersetzt in Buchform erschienen.

“Jedes Leben ist sonderbar”

Isaac Beashevis Singers  grösste  Leidenschaft war zweifellos das Leben selbst. “Jedes Leben ist sonderbar”, hielt er in einem der vielen Gespräche mit Richard Burgin fest, die dieser publiziert hat (*). Dass die  Menschen das Leben nicht respektieren, dass sie sich Böses antun, dass sie einander quälen  und töten machte ihn hoffnungslos. Während des Kriegs und der systematischen  Vernichtung  der jüdischen  Bevölkerung in seiner alten Heimat hatte er ein Buch geschrieben, das er “Rebellion und Gebet” nannte und das er nie publizierte, ein Buch der Abrechnung mit dem schweigenden, verborgenen Gott, der so unermessliches  Leiden zuliess. In seinem ganzen publizierten Werk nahm er die gleiche Klage auf. Gleichzeitig versuchte er jedoch, durch dieses Werk andere Wege der  “fortdauernden Schöpfung”, wie er das Leben bezeichnete, aufzuzeigen, selbst augenzwinkernde und heitere.  Als Dichter, das heisst als Zeuge des Schöpferischen  und damit als Vermittler von Hoffnung in einer hoffnungslosen  Welt, wünschte er sich, dass das Leben immer weitergehe, wie er Erwin Leiser gegenüber  sagte.

 

 

(*)  Isaac  Bashevis  Singer. Ich bin ein Leser. Gespräche  mit Richard Burgin. Deutscher Taschenbuchverlag 1988. Die meisten Werke Isaac B.Singers in deutscher Uebersetzung sind im Hanser Verlag erschienen, die früheren bei Rowolth (auch als Taschenbücher), die Kinderbücher bei Sauerländer und Maier Ravensburg.

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