Susan Abelin, das Photoforum und die Stadtkultur

Susan Abelin, das Photoforum und die Stadtkultur

 

Susan Abelin soll das Photoforum an der Stadelhoferstrasse 26 verlassen. Die Stadt, Eigentümerin  des Hauses,  hat es so beschlossen.

Das Ausharren  der Photographin im Photoforum hat Gründe:  Es geht um ihr Beharren auf einem öfffentlichen Haus der Begegnung  – über Photographie als Weg zur Wahrnehmung  der Realität und zum Austausch über die Realität – die Realität unseres Gemeinwesens,  dieser von und für Menschen geschaffenen, von Gewinn- und Geldzwecken bedrohten  Stadt.

 

Der Aufschub kann täglich abgebrochen  werden,  gewaltsam. Susan Abelin kämpft dafür,  in den Räumen im Erdgeschoss des traditionsreichen  Hauses  so lange bleiben zu können, bis sie in einem anderen Haus (aber in welchem?) älr Projekt weiterentwickeln  kann: über die Photographie ein öffentliches  Zentrum der Begegnung und des Austauschs entstehen zu lassen, das die Wahrnehmung  derjenigen,  die dort ein- und ausgehen,   genauer werden lässt und das sie untereinander  verbindet  in dieser genaueren Wahrnehmung  der Realität.

Zugleich kämpft die Photographin  dafür,  dass diese Räume, in denen der Geist und der Widerstand, die Begegnung und der Austausch Tradition haben,  weiter in diesem Sinn Verwendung  finden: Schliesslich haben hier Aline Valengin und Vladimir Rosenbaum als Verfolgte Zuflucht gefunden und Menschen ihres Geistes um sich geschart,  hier hat Elias Canetti gelebt, hier hat er James Joyce getroffen.  In diesen Räumen hat Susan Abelin seit 1985  mit Ausstellungen dem Werk von Photographen,  deren Bedeutung sonst  vergessen worden wäre – Theo Frey etwa oder Hans Peter Klauser – ein Wiedererkennen  und einen Nachhall  verschafft,  der anderswo  kaum so erreicht worden wäre,  weil hier, in der Wohlproportioniertheit der sich auf-  und ineinander öffnenden Räume,  die Privatheit  des Schauens verbunden ist mit der öffentlichen Bedeutung des Geschauten.

Was Susan Abelin nun erlebt,  die gewaltsame  Vertreibung,  weil der Ort, wo sie ist, eine grössere Mietrendite  einbringen  soll, ist eine Erfahrung, die sich für sie wiederholt. Das erstemal ging es um die Auskernung  des Hauses an der Kirchgasse,  wo sie seit 1971  mit ihrer kleinen Galerie 38 die gleiche Idee zu verwirklichen  suchte,  die sie an der Stadelhoferstrasse im “Baumwollhof”  wieder aufnahm. Dann,  nach einer Zeit der Unbehausheit  und des Ausharrens im provisorischen  Unterschlupf bei Freunden,  im Übergang  zwischen Nichtmehr  und Nochnicht einer eigenen Zugehörigkeit  zu einem bergenden  Ort, einer eigenen Adresse,  eines eigenen privaten und werkmässigen  Zuhauses,  erschien ihr das Erdgeschoss an der Stadelhoferstrasse als Verwirklichung  sowohl ihres eigenen Bedürfnisses wie des Bedürfnisses vieler in dieser Stadt. Immer klarer  wurde für sie die Bedeutung der Behausung, des geschützten Raums,  wo Leben und Werk sich realisieren  lassen.

Dass es damit für sie einmal mehr zu Ende sein soll, stellt die Frage nach den Zusammenhängen:  Muss es so sein, dass die Stadt denjenigen,  die geistig arbeiten,  die einen Beitrag leisten zur Kultur des Zusammenlebens, die das Bewusstsein des Werts und der Fragilität  dieses Zusammenlebens und damit die Qualität des urbanen Gleichgewichts zu erhalten und zu fördern suchen,  muss es sein, dass die Stadt diesen Menschen keinen Platz mehr lässt? – ganz einfach,  weil die unsinnig gesteigerten  Mietzinsen nicht mehr bezahlt werden können? Und die Frage spitzt sich noch mehr zu: Warum sind die kulturellen Anliegen,  das heisst alles, was mit einem möglichst reichen und befruchtenden  Austausch zwischen Menschen aller Herkunft,  aller Generationen,  aller Befähigungen und Tätigkeiten zusammenhängt, nicht auf zentrale Weise Stadt- und Gemeindeanliegen? Warum werden nicht grösste Anstrengungen darauf verwendet,  die Stadt wieder zu einem vielfältigen Wohnort werden zu lassen,  statt sie zu einer Dienstleistungsenklave verkommen  zu lassen?

Dass diese Entwicklung  mit Gewalt zusammenhängt,  mit Gewalt gegen Menschen und gegen menschliche Grundbedürfnisse,  auch wenn es “nur” strukturelle  Gewalt ist, ist die erschreckendste Einsicht,  die sich aus der Befragung der zusammenhänge ergibt.  Wenn diese Gewalt sich eines Tages von der  – quasi – verborgenen  Form zur handgreiflichen  wandelt und die Strasse beherrscht,  wie vor gut zehn Jahren während der Jugendunruhen,  ist es viel schwerer,  Remedur zu schaffen.  Es ist heute schon schwer,  wo die Zahl der Unbehausten,  der Verzweifelten und Obdachlosen in der Stadt ständig anwächst und damit die Wut gegen die kalten Zwänge,  die das Leben in der Stadt immer weniger Menschen erlauben,  ständig zunimmt.

Die Vertreibung  Susan Abelins aus dem alten Haus an der Stadelhoferstrasse 26 ist Anlass,  diese Fragen aufs eindringlichste zu stellen. Es geht nicht allein um sie, nicht allein um die Photographin  und um die Idee des Photoforums: Es geht tatsächlich um die Lebenskultur  in unserer Stadt.

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