Zum Gedenken an Eda Strassberg-Teich

Zum Gedenken an Eda StrassbergTeich

 

Über Eda Strassberg-Teich zu schreiben müsste, um ihr auch nur annähernd gerecht zu werden,  grosse Bücher füllen.  In den letzten Tagen ihres Lebens war ich ergriffen zu spüren, wie es ihr möglich wurde,  ohne Ängste einzuschlafen,  leicht und fein, getragen von Vertrauen, vielleicht von frühen Kindheitsbildern  aus dem damaligen, vergangenen  Polen, von Gefühlen des Wohlbefindens,  das zutiefst in ihr erhalten bleiben konnte,  Gefühlen der Sommerzeit mit den langen Tagen draussen im  Schatten der Birken,  mit den duftenden Wiesen,  mit dem Singen der Grillen,  mit der Ruhe, Weite und Geborgenheit, und mit dem schönen Haus aus Holz, wo sie sich als Kind manchmal unter den grossen Esstisch gesetzt hatte, um dem Vater und den Gästen beim klugen Sprechen zuzuhören,  all dies geprägt von der tragenden  Sicherheit der grossen Liebe des Vaters, der Mutter und der Brüder zu ihr als ersehnter Tochter und Schwester,  zu ihrem besonderen Wert, den sie durch ihre liebevolle Verlässlichkeit  und ihre Wachheit,  durch ihre leuchtende Ausstrahlung und ihre ruhige Klugheit auch vermittelte.

Später gab sie die gleiche Liebe,  die sie in der Kindheit erlebt hatte, ihrem Ehemann Max Strassberg und dessen Familie,  die sie mit warmer Herzlichkeit  aufgenommen hatte,  ihrer Tochter Judith und ihrem  Sohn Daniel, später deren Kindern und Angehörigen zu spüren,  als stete und untrügliche Umsetzung  des Wertes, der Lebensbeziehung  heisst,  gleichzeitig des Glücksempfindens  zu leben und das Leben gestalten zu können.  In allem Alltäglichen wie im Zeitüberdauernden,  mit dem sie sich befasste,  setzte sie mit steter Sorgfalt ihr Wissen um das untrüglich Kostbare und Köstliche um, mit einer Fülle von Begabungen  und Fähigkeiten.  In den Sinneswahrnehmungen,  im Denken und in den Empfindungen,  im Wahrnehmen  von Farben und im Betrachten  von Bildern,  im Unterscheiden  von scheinbarem und von wirklichem  Schönen,  im Zuhören und Verstehen von sprachlichen und musikalischen

Werken,  im Lesen und Nachvollziehen von weit umfassenden Texten ebenso wie im Kochen und im Feiern von Festen war sie geprägt von einer besonderen,  kreativen Intuition, von Intensität und innerer Sicherheit, wenn nötig auch von offener Unmissverständlichkeit und von Mut.

Die Entfaltung ihres grossen menschlichen Vermögens im Kreis geliebter Menschen war für Eda Strassberg selber verbunden mit Staunen. Denn zwischen der Kindheit und der Lebenszeit hier in der Schweiz lag der masslos dunkle,  nicht zählbar lange und kaum erzählbare Weg im qualvollen Ghetto von Lodz, mit dem ständigen, brennenden Hunger und mit erstickendem Durst,  mit der eisigen Kälte in den langen Wintern,  mit der täglichen Schinderei,  der sie ausgesetzt war unter zweihunderttausend erniedrigten und von lähmender Ohnmacht gepeinigten,  angstbesetzten  Menschen,  von denen vorweg Tausende neu eingepfercht wurden, während ebenso viele in den Tod ausgeschafft wurden,  darunter ihre lieben Eltern.  Eines Tages wurden sie abtransportiert  und kehrten nicht mehr zurück. Dass Eda Teich zu den letzten Überlebenden  von Lcdz gehörte, die im  Sommer  1944 nach Auschwitz deportiert wurden,  dass sie auch dieses Todeslager und weitere Lager trotz Auszehrung und Tuberkulose  durchstehen konnte,  auch die schweren Gefährdungen nach Beendigung des Krieges, empfand sie selber als kaum erklärbares,  wunderbares  Geschenk. Warum war es ihr gegeben? – und warum mehr als zwölf mal zwölf Familienangehörigen nicht? War es die tragende Liebe ihrer Mutter,  die ihr – nach deren Tod – in einem Traum mit grosser Klarheit sagte,  ihr werde das Leben erhalten bleiben?

Eda Strassberg-Teich war während all der Jahre,  in denen ich sie kannte, von kaum vergleichbarer  Wärme und Klugheit, von beispielhafter  Geradheit und Feinheit,  Tapferkeit und Lebenszustimmung,  bei all der Trauer und dem Schweren,  das sie zutiefst in sich trug. Freundschaft bedeutete  ihr Erleichterung  und Nahrung.  Immer wieder empfand sie es als Glück, gemeinsam  an einem schönen,  geschützten,  aber weiten Platz in der Natur zu sitzen und so eine Brücke zur guten Zeit ihrer Kindheit zu bauen,  oder anderswo Gespräche zu führen über das vielfältige und in vielem kaum verstehbare Leben, auch über Bücher und über Erfreuliches,  insbesondere über die geliebten Grosskinder.  Ganz wach bleibt in mir der warme, dunkle Klang ihrer Stimme, wie auch ihr warmer,  intensiver Blick.  Augen und Stimme stimmten überein,  gaben ihr grosses Wissen wider,  auch vieles, was in ihr an Leiden nicht heilbar war,  gleichzeitig  die Kraft ihrer so persönlichen, wunderbaren Liebe zum Leben.

Dass sie von den Schmerzen erschöpft, aber kindhaft leicht,  mit grosser innerer Ruhe den Kreis des Lebens zur Pessach-Zeit, in welcher sie auch zur Welt gekommen war,  schliessen durfte,  ist als Trost für diejenigen Menschen zu deuten,  die sie vermissen.  Es sind Zeilen von Margarete  Susman,  an welche ich mich erinnerte,  als ich sie zusammen mit ihren lieben Angehörigen und vielen ihr nahestehenden Menschen zum Grab begleitete:

„Ich bin so weit gegangen

Durch diese brennende  Welt

So ganz von Leid verhangen

So ganz von Licht erhellt”

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