“Literatur und Politik sollten nicht vermischt werden, die Literatur hat ihre eigene Berechtigung” – Gespräch mit dem kurdischen Exilverleger Yusuf Yesilöz

“Literatur und Politik sollten nicht vermischt werden, die Literatur hat ihre eigene Berechtigung”

Gespräch mit dem kurdischen Exilverleger Yusuf  Yesilöz

 

 

Seit 1994 tritt der Ararat-Verlag mit deutschen Übersetzungen kurdischer Literatur an die Öffentlichkeit. Hinter dem mutigen Unternehmen steht ein einzelner Mann, Yusuf Yesilöz. Maja Wicki hat mit ihm ein Gespräch geführt.

 

Welche Motive stehen hinter deiner Verlegertätigkeit, Yusuf?

1987 kam ich in die Schweiz und begann, Deutsch zu lernen. Bald stellte ich fest, dass viele, die mich nach meiner Herkunft fragten, meinten, Kurdistan befinde sich auf einem anderen Planeten. Von der kurdischen Kultur hatten sie nicht die geringsten Kenntnisse. Als Flüchtling fühlte ich mich unter einem enormen Druck, meine Kultur verständlich zu machen. So habe ich 1992, nach Jahren der unterschiedlichsten Tätigkeit – unter anderem als Psychiatrie- und Operationshilfspfleger, als Gehilfe beim Gemüsebau –  in St. Gallen meine eigene Buchhandung eröffnet. Eine Ausbildung als Buchhändler habe ich nicht, ich habe einfach Bücher immer gern gehabt. Ich habe mich auf orientalische, insbesondere auf kurdische Literatur spezialisiert, jedoch festgestellt, dass davon in deutscher Sprache sehr wenig verfügbar ist. Die Literaturen der verschiedenen Kulturen müssen jedoch untereinander ausgetauscht werden können. Der Hauptgrund für die Gründung von “Ararat” war daher mein Bedürfnis, meine eigene Kultur im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Allerdings war das erste Buch, das ich 1993 herausgab, eine Vermittlung in umgekehrter Richtung, nämlich die Übersetzung ins Türkische von Linus Reichlins “Vom Verstecken eines Gastes”. Das Buch erschien in Istanbul und fand viel Beachtung.

Spielt bei deinem Engagement auch die Tatsache mit, dass der türkische Staat die kurdische Kultur, insbesondere die Literatur, seit Jahrzehnten unterdrückt, ja zu vernichten versucht?

Gewiss, diese Tatsache spielt mit. Auch ich hatte als Kind keine Gelegenheit, die kurdische Schriftsprache zu lernen. Kurdischunterricht war durch den türkischen Staat unter strengsten Strafen verboten. Ich musste, als ich in die Schule kam, Türkisch lernen. Zu meinem Glück sprachen die Eltern zu Hause ausschliesslich Kurdisch, sodass ich die gesprochene Sprache gut beherrsche. Die kurdische Schriftsprache kennen heute nur noch wenige; sowohl in meiner Generation wie schon in früheren muss man sie mit  Kerzen suchen. Meine Familie war im 18. Jahrhundert aus der Gegend von Urfa-Diyarbekir nach Mittelanatolien vertrieben worden. Seither lebt sie im Exil. Ich wuchs in der Privinz Konya auf, in einem Dorf, das türkisch Gölyazi, kurdisch Halikanli heisst, am Ufer des Salzsees. Ich war das dritte Kind und der zweite Sohn meiner Mutter, die nach mir noch drei weitere Kinder zur Welt brachte, also insgesamt sechs – mit Abstand die geringste Kinderzahl im Dorf. Meine Tante zum Beispiel hatte vierzehn Kinder. Der Vater arbeitete für den Staat, die Mutter führte selbständig einen Bauernhof, was damals ungewöhnlich war. Allein die Tatsache, dass ich zu meiner kurdischen Identität stehen wollte, stempelte mich zu einem Staatsfeind; ich wurde schikaniert, ohne dass ich mich besonders hervortat. Daher entschloss ich mich zur Flucht. Darüber mag ich nicht reden. Es waren schwierige Umstände – die Reise, die Befragungen, das Leben als Flüchtling. Einzelnen kurdischen Schriftstellern im Exil gelingt es allerdings, über ihre Romanfiguren die eigene Geschichte auf indirekte Weie zu erzählen. Ich wurde, als ich mein Asylgesuch stellte, in den Kanton Thurgau plaziert. Im Durchgangszentrum schafften es von 80 Asylsuchenden, die sich dort aufhielten, zwei, den angebotenen Deutschkurs zu absolvieren; den anderen wuchsen die Probleme über den Kopf.

Du sprichst hervorragend Deutsch. Ich nehme an, dass deine Sprachkompetenz für die Verwirklichung deines Verlagsprojekts eine entscheidende Rolle spielte und weiterhin spielt. Wie nahm dieses Projekt überhaupt Gestalt an?

Ich versuchte tatsächlich, neben meinen Brotjobs ständig meine Deutschkenntnisse weiter zu verbessern. Dazu kam, dass ich schon in der Türkei an einem Verlag mitbeteiligt war, auch dass ich in einer kurdischen Organisation mitmachte, die ebenfalls einen Verlag betrieb, allerdings ausschliesslich für politische Sachbücher. In der Schweiz war es mir auch möglich, mit einer viel grösseren Leichtigkeit an kurdische Literatur, überhaupt an Literatur zu gelangen. Hier konnte ich überhaupt erst mit Forschen beginnen. Diese Leichtigkeit gibt es in der Türkei nicht; dort dienen Bücher als Straftatbestände und als Schuldbeweise. Eigentlich hatte ich nicht den Plan, einen eigenen Verlag zu gründen, sondern bei anderen Verlagen kurdische Bücher in Deutsch herauszugeben. Da ich aber mit der Übersetzung des Theaterstücks “Die schwarze Wunde” des 1992 in Diyarbekir ermordeten, damals 74jährigen  Musa Anter, eines der grossen kurdischen Schriftsteller, nur auf verlegerische Bedenken und Ablehnungen stiess, machte ich aus der Not eine Tugend, gründete “Ararat” und gab das Buch in “meinem” Verlag heraus. Seither geht es mir wie den meisten schweizerischen Klein- und Kleinstverlagen: ich zahle die Bücher aus der eigenen Tasche. Ich wäre natürlich froh, sie würden sich mit der Zeit selbst finanzieren. Ein guter Vertrieb oder die Verbindung mit einem etablierten Verlag wären eine grosse Chance, aber all dies geht nicht von heute auf morgen.

Du hast neben einer Einführung in die kurdische Literatur Theaterstücke, Kindergeschichten und Volksmärchen aus Kurdistan herausgegeben. Nach welchen Kriterien stellst du dein Verlagsprogramm zusammen?

Es gibt in der kurdischen Literatur Klassiker von Weltrang, doch deren Verbreitung stellen sich grosse Hindernisse entgegen, selbst innerhalb der kurdisch sprechenden Bevölkerung. Das hat  vor allem mit der Tatsache zu tun, dass die kurdische Literatur in vier Alphabeten verfasst ist: für den russischen Teil Kurdistans in kyrillischer, für den iranischen in persischer Schrift, für den irakischen und syrischen in arabischen und für den türkischen in lateinischen Lettern. Infolge der türkischen Repression kommt gerade für diesen letzten Bereich seit Anfang dieses Jahrhunderts ein Abbruch der Literaturentwicklung hinzu. Wie kann sich eine Literatur entwickeln, wenn ein Buch zu schreiben oder gar zu lesen jahrelange Gefängnisstrafe und schreckliche Folterungen nach sich zieht? Bei den Werken aus allen vier Bereichen fehlt es an Transkriptionen und dadurch an einer fruchtbaren innerkurdischen literarischen und literaturkritischen Diskussion. Die mündliche kurdische Literatur dagegen ist reich, sehr reich. So hat zum Beispiel Yasar Kemal, der aus Kurdistan stammt, jedoch Türkisch schreibt, in seinen Werken, die in über zwanzig Weltsprachen übersetzt sind, viele kurdische Geschichten und Legenden festgehalten, so etwa in der “Ararat Legende”, die erstmals im Unionsverlag, Zürich, erschien und nun in einer zweiten Auflage beim dtv, Frankfurt, vorliegt.  Die von mir in Deutsch herausgegebenen Werke stammen alle aus Türkisch-Kurdistan. Was die Auswahl betrifft, so kann ich nur sagen, dass mir alle bis jetzt verlegten Bücher gefallen: es sind schöne Kindergeschichten, schöne Legenden, bedeutende Theaterstücke.

Du sagst, dass dir deine Bücher “gefallen”. Geht es dir bei der Auswahl somit vor allem um die literarische Qualität, respekitve um ästhetische Kriterien? Und welches sind deine weiteren Pläne?

Bisher wurde im deutschen Sprachraum noch kein grosser kurdischer Roman herausgegeben. Ich arbeite daher an der Übersetzung eines Romans von Mehmed Uzun, dessen Erscheinen vielleicht die verlegerischen Bedenken der kurdischen Literatur gegenüber verändern könnte. Im Ganzen aber möchte ich die Linie, die ich gewählt habe, weiterführen. Als Buchverkäufer konnte ich feststellen, welche Bedürfnisse nach kurdischer, überhaupt nach ausländischer Literatur vorliegen. Ich will weiterhin Belletristik und keine Sachbücher verlegen. Nicht dass ich einen Widerstand gegen politische Theorie hege. Aber es geht mir um das Zeitlose in der Literatur. Sachbücher sind dagegen zeitgebunden; kaum erschienen, sind sie in der Regel schon überholt. Eventuell bilden soziologische Untersuchungen, von denen es im Kurdischen wenige gibt, eine Ausnahme. Mir ist als Neuerscheinung in jüngster Zeit nur gerade ein Buch über die Stellung der Frau in der kurdischen Gesellschaft bekannt.

Achtest du auf Übereinstimmung zwischen literarischer Qualität der Bücher und politischer Haltung der Schriftsteller und Schriftstellerinnen?

Bisher war es in Kurdistan üblich, dass Parteiführer zugleich Schriftsteller oder Dichter sein mussten. Ich denke jedoch, dass die Vermischung von Literatur mit politischen Programmen für beide Teile – für das Literarische und das Politische – nachträglich ist. Für Literatur aus dem Widerstand mag es sich eventuell anders verhalten, Musa Anter etwa war ein Mann des Widerstandes. Aber alle meine Autoren sind in dieser Hinsicht verschieden. Der noch junge Yilmaz Erdogan, zum Beispiel, dessen  “Schmerzhafte Liebe” ich zweisprachig, in Kurdisch und Deutsch, verlegt habe – ein aufwühlendes Drama über die türkische Terrorwillkür in Kurdistan -, arbeitet heute für ein türkisches Privatfernsehen. Bestimmte kurdische Gruppierungen werfen ihm diese Kollaboration mit der “Bourgeosie” aufs schärfste vor. Das ist eine Art puristischer, moralistischer Gesinnungskontrolle, die heute Mode ist und die ich ablehne. Literatur und Politik dürfen nicht vermischt werden; die Literatur hat ihre eigene Berechtigung. Schriftsteller und Dichter müssen nicht immer zugleich auch Helden oder vollkommene Menschen sein. Weshalb sollten sie? Ich kenne kurdische Schriftsteller, die von niemandem unterstützt werden, die keine Stellung in der Gesellschaft haben, die aber durch ihresgleichen unter einen vernichtenden Konkurrenzdruck gesetzt werden. Es gibt so gute Geschichten. Lassen wir doch einfach die Geschichten gelten! Es geht nicht länger an, dass das Werk eines Autors oder einer Autorin verachtet wird, nur weil dessen oder deren Leben nicht mit meinen politischen Erwartungen übereinstimmt. Beim moralischen Purismus der Literatur gegenüber spielt wohl viel Unsicherheit mit – jene verhängnisvolle Unsicherheit, die zu allen Schwarz-Weiss-Mustern führt. Aber letztlich sind diese Vereinfachungen ungenügende Krücken.

 

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