Gerechtigkeit herstellen – ein feministisches Programm – Feministinnen aus vier Generationen tauschen Analysen, Standpunkte und Perspektiven aus

Gerechtigkeit herstellen – ein feministisches Programm

Feministinnen aus vier Generationen tauschen Analysen, Standpunkte und Perspektiven aus

 

Warum werden Frauen zu Feminstinnen? Mit anderen Worten, warum machen Frauen nicht ihr partikuläres Interesse, sondern die Sache der Frauen überhaupt, deren politische und gesellschaftliche Realität zum Gegenstand ihres Engagements? Was ist dessen Inhalt und Ziel heute? Die Geschichtsstudentin Gisela Hürlimann (geb. 1969), Mitglied der SGA Zug, FraP!-Nationalrätin und Erwachsenenbildnerin Christine Goll. (geb. 1956) und MOMA-Redaktorin Maja Wicki (geb, 1940), d.h. Feministinnen aus drei Generationen setzten sich zum Gespräch zusammen. Alt-Ständerätin Esther Bürer  (geb.   ) fügte später ihre Überlegungen bei.

Maja Wicki: Du kandidierst dieses Jahhr als Spitzenkandidation der FraP! nicht nur ein weiteres Mal für den Nationalrat, Christine, sondern zugleich für den Ständerat. Wann und warum begann dein Engagement für die Sache der Frauen?

Christine Goll: Mein feministisches Engagement geht weit in meine Kindheit und Jugend zurück. Es hängt in starkem Mass mit meiner sozialen Herkunft zusammen. Ich stamme aus einer Unterschichtsfamilie. Mein Vater war Arbeiter, meine Mutter war Arbeiterin. Sie hat bis zum siebzigsten Jahr als Putzfrau gearbeitet, um ihren Teil zum Unterhalt der Familie beizutragen. Die soziale Frage hat mich in diesem Sinn schon sehr früh geprägt, und schon sehr früh war mir auch klar, dass die soziale Frge mit der Frauenfrage eng verbunden ist. In meinem heutigen politischen Engagement setze ich daher viel Energie dafür ein, aufzuzeigen, dass Frauenpolitik immer auch Sozialpolitik ist und umgekehrt. Meine eigentliche Politisierung begann während meiner Mittelschulzeit. Ausschlaggebend dafür waren drei Bewegungen: einerseits die Gewerkschaftsbewegung, die ich durch meinen Vater kannte, der Gewerkschafter war, andererseits die Neue Linke seit Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, sodann vor allem die neue Frauenbewegung, damals in Zürich die FBB – die Frauenbefreiungsbewegung -, die mich massgeblich prägte. Mein erstes Engagement fand im Rahmen der FBB statt, in der sogenannten “Meitligruppe”. Unsere erste politische Aktion war eine Boykottaktion gegen die “Rüebli-RS”. Während der Mittelschule konnten die Knaben nämlich Praktika nach wahl absolvieren, zum Beispiel Industriepraktika, während die Mädchen keine Wahl hatten, sondern die Hauswirtschaftsschule besuchen mussten.

Maja Wicki: Und was hat dich, Gisela, die du im Kanton Zug, in einem konservativen, überschaubaren Zusammenhang aufgewachsen bist, zu deinem feministischen Engagement bewegt?

Gisela Hürlimann: Ich möchte auch mit einem Rückblick auf meine Jugend beginnen. Meine Entwicklung zur Feministin hat ohne Zweifel damit zu tun, dass ich aus einer Bauernfamilie komme. Ich habe meine Familie, meine Eltern immer als anders wahrgenommen, als anders im Vergleich zu den Eltern meiner Mitschülerinnen. Die Bauern sind ja eine Minderheit, auch in einer Schweiz, in der bäuerliche Strukturen lange noch ideologiemässig vorherrschten. Vor allem meinen Vater habe ich als Aussenseiter wahrgenommen, als jemanden, der sich nicht unterordnen wollte. Ich habe seine Trotzhaltung irgendwie übernommen und selber weiter ausgebildet, dies lange vor meinem feministischen Engagement. Als ich sechzehn Jahre alt war, begann ich, mich politisch zu interessieren. Ich kam zu den “Maulwürfen” in Zug. Das hatte theoretisch noch nichts mit Feminismus zu tun. Ich kann mich gut erinnern, dass ich einmal an einem Jugendkongress teilnahm, wo es eine Frauengruppe gab. Ich habe mich damals geärgert. Ich empfand ihr Veralten als unbedarft, dachte, dass man, wenn man selbstbewusst ist, sich bei den Männern durchsetzen kann, dass man dann die Diskussionen über Frauen als Opfer gar nicht braucht. Erst etwas später merkte ich, dass es mit persönlichem Selbstbewusstsein und mit persönlicher Durchsetzung allein nicht reicht. So habe ich begonnen, mich in dieser Frage zu radikalisieren, zuerst allgemein polititsch links. Ich habe bei der GSoA mitgemacht, bis ich merkte, dass es auch in linken Organisationen mit der Männermacht und den Frauen nicht stimmt. Ich habe den Widerspruch zwischen Körper und Geist immer stärker empfunden. Allmählich hat mich der theoretische und praktische Feminismus so weit geführt, dass ich gemerkt habe, dass ich nur Frauenbeziehungen wirklich leben kann, dass ich es anders mit mir selbst nicht vereinbaren kann.

Christine Goll: Du bist ebenfalls seit Jahren politisch engagiert, Maja. Unter anderem kandidierst du jetzt auch auf der FraP!-Liste hier in Zürich. Was hat dich veranlasst, von deinem Hintergrund her, auf einer Liste der FraP! für den Nationalrat zu kandidieren?

Maja Wicki: Ich wuchs im Gegensatz zu euch in einem bürgerlichen Milieu auf, das ich als das repressivste aller Milieus empfinde. In diesem Milieu hatten die Stimmen, die Bedürfnisse der Frauen überhaupt kein Gewicht. Auch das Beispiel meiner Muttter, die überaus aufopfernd und unermüdlich sozial tätig war, fügte sich in dieses Milieu ein. Persönlicher Einsatz, zugleich aber Unterordnung und Schweigen waren ihr Programm. Sie war der festen Überzeugung, dass den Opfern geholfen werden musste, dass aber die Strukturen unangetastet bleiben sollten. Schon als junges Mädchen, mit zwölf oder dreizehn Jahren, begann ich, diese Strukturen als unerträglich zu empfinden und mich dagegen zu empören. Aus dieser Auflehnung heraus, ein wenig deiner Haltung vergleichbar, Gisela, habe ich versucht, meinen eigenen Weg zu definieren, in erster Linie gegen das Milieu, in welchem ich aufgewachsen war. Ich war noch sehr jung, am Anfang des Studiums, als meine ersten Kinder zur Welt kamen. Ich habe vier Kinder geboren und grossgezogen, in einer Zeit, als es weder Krippen noch andere institutionelle Hilfen für Frauen gab, die zugleich studieren wollten und die den Lebensunterhalt mitverdienen mussten, denn so war es damals für mich. Das brauchte viel Durchhaltevermögen und viel Eigendefinition, die ich mir zunehmend schuf, schaffen musste. So kam ich zu meinem politischen Engagement für andere über die gelebten eigenen Erfahrungen, wie ihr auch, aber von einer anderen Seite her. Die Theorie kam erst später hinzu. Schon früh auch habe ich die Enge der Schweiz, die Konstruktionen einer idealen Scheinwelt, durchschaut und zu durchbrechen versucht, wurde daher Mitglied der Europabewegung, dies  sicher auch infolge der Kindheitsprägungen durch die Kriegs- und Nachkriegszeit. Nach meiner Scheidung begann ich, diese politischen Anliegen auch durch meine journalistische Tätigkeit  umzusetzen, später dann durch meine Tätigkeit bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, wo ich dafür kämpfte, dass vorläufig aufgenommene Flüchtlinge, in unserem System “rechtlose” Menschen, paritätische Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten haben sollen, dass sie nicht weiter einfach Almosenempfängerinnen und -empfänger sein dürfen, dass es dringlich ist, gesetzlich “legitime” Unrechtsverhältnisse in der Schweiz nachhaltig zu korrigieren. Letztlich ging es mir – und geht mir noch immer – darum, dass die Forderung nach Menschenwürde, die wir als feministisches Anliegen formulieren, nicht nur für uns Frauen gelten, sondern auch für die Schwächsten in der Gesellschaft.

Christine Goll: Da möchte ich einhängen. Was du eben gesagt hast, ist für mich überaus wichtig. Wenn ich meine berufliche und politisches Biographie ansehe, so hat diese in starkem Mass mit der Frage der Menschenwürde zu tun, mit meinem Anliegen, den Menschen ihre Rechte zu geben. Meine berufliche und politische Tätigkeit hat sich immer in einem Dreieck von politischem Engagement, von Öffentlichkeitsherstellung über’s Schreiben und von Bildungsarbeit abgewickelt. Ich bin ja als Erwachsenenbildnerin tätig, vor allem in der Arbeitslosenbildung, in der Gewerkschaftsbildung und in der Frauenbildung. Es war für mich immer zentral, die – scheinbar verschiedenen – Fragen zu verknüpfen, etwa die Frage, wie den Langzeiterwerbslosen im reichsten Land der Welt geht, wie es gelingt, ihnen ihre Rechte zurückzugeben, wie sie es schaffen, ihre Rechte selber wahrzunehmen. Gleichzeitig ist es für mich wichtig, die Missstände öffentlich zu machen. Deswegen habe ich zum Beispiel das “Armutshandbuch” geschrieben, deswegen sezte ich mich auch politisch für deren Rechte ein. Die Verbindung der verschiedenen Engagements ist für mich von grösster Bedeutung.

Gisela Hürlimann: Bist du mit deiner FraP!-Kandidatur, Maja, das erste Mal öffentlich im frauenpolitischen Sinn aktiv?

Maja Wicki: Nein, gewiss nicht, mein politisches Engagement war immer auch frauenpolitisch definiert. Es stimmt jedoch, dass ich mich das erste Mal im Rahmen einer parteiähnlichen Gruppierung einsetze. Ich wollte nie in einer Partei Mitglied sein, da ich auch in den linken Parteien die hierarchischen Strukturen, die von den neu hinzukommenden Mitgliedern geforderte Unterwerfungshaltung, das Sich-hinaufdienen-müssen, die Gesinnungskontrolle und weiteres mehr als unerträglich empfand. Ich sympatisierte mit dem Anarcho-Syndikalismus, fand aber die Organisation, die mir entsprochen hätte, nicht. Dass ich nun für die FraP! kandidiere, dazu kann ich stehen, dies entspricht der Verbindung von sozialen und feministischen politischen Anliegen, die ich aus der Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderungen zu meinen eigenen Anliegen gemacht habe. Ich bin überzeugt, dass die Dringlichkeit, für diese Anliegen Öffentlichkeit zu schaffen, ein wichtiger Auftrag an uns ist, die wir über Sprache verfügen, dass die Sprachbefähigung derjenigen, die eigentlich sprachos sind, dazu gehört. In diesem Sinn habe ich schon in den sechziger und siebziger Jahren an der Zürcher Abendschule für “Fremdarbeiter”, wie die Migranten und Migrantinnen damals hiessen, unterrichtet und damit versucht, Menschen, die den ganzen Tag zu Gunsten unseres Systems schwer krüppelten, die oft über keinerlei Schulbildung verfügten, zu befähigen, sich auszudrücken, um sich besser wehren und behaupten zu können. Dabei ging es mir auch darum, den schweizerischen Hochmut, im europäischen Rahmen – oder gar im weltweiten Rahmen – als “arriviert” und effizient zu gelten, durch Bildung derjenigen zu korrigieren, die von der Schweiz gebraucht und zugleich verachtet wurden.

Gisela Hürlimann: Bei mir ging es eigentlich umgekehrt, wie ihr es eben für euch geschildert habt, nämlich den Weg vom allgemein Sozialen, d.h. vom Streben nach Menschenwürde, nach Gerechtigkeit zum spezifischen Weg nach Gerechtigkeit für die Frauen zu finden. Ich glaube, dass ich zwar ein diffuses Gefühl für Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit hatte, aber ich   musste zuerst meine Identität als Frau festigen, über das Zusammensein mit Frauen. Ich habe Frausein in meiner früheren Jugend immer als defizitär empfunden. Meine geistigen Vorbilder waren Männer. Doch ich konnte mich da nicht einordnen, bin dann ausgewichen auf  eine halbe Androgynität oder was auch immer. Erst als ich meine Identität finden konnte, als ich mit Frauen zusammen leben und lieben und die Realität gestalten konnte – wir haben zum Beispiel ein kleines Netzwerk geschaffen, das zu privaten, beruflichen und kulturellen Zwecken dient -, erst seither gelingt es mir, mich wieder auf Menschen allgemein einzulassen, zum Beispiel auf Ausländerinnen und Ausländer, die sich einbürgern wollen. Ich musste mich dafür zuerst der Stärke und Ganzeit des Frausein in autonomen Zusammenhängen versichern, bis ich selbst wieder als ganze Person aus mir heraustreten konnte.

Maja Wicki: Warum, denkt ihr, sind in der Schweiz nach wie vor die grosse Mehrzahl der Frauen der Meinung, es stehe alles zum Besten, es bedürfe keiner emanzipatorischen Veränderungen, so wie wir sie anstreben und zu realisieren versuchen? Warum gibt es dieses konservative Beharrungsvermögen auf Frauenseite, gerade in unserem Land?

Christine Goll: Ich denke, dass diese Tatsache auf eindeutige Weise zu beantworten ist. Sie hat in erste Linie mit den sozialen Hintergründen von Frauen zu tun. Gerade in der aktuellen AHV-Debatte zeigt sich, welche Frauen leichthin sagen können, zwei Jahre länger zu arbeiten macht mir nichts aus, und welche Frauen knallhart sagen, ich weiss nicht einmal, ob ich überhaupt bis 62 arbeiten kann, obwohl ich muss. Diesen Gegensatz erleben ich immer wieder bei öffentlichen Anlässen. Ich denke, der Konservativismus vieler Frauen, die Tatsache, dass so viele die Notwendigkeit, sich mit den fministischen Anliegen zu solidarisieren, nicht einsehen, hat damit zu tun.

Maja Wicki: Aber was nützt dann unsere Bildungsarbeit, unsere Öffentlichkeitsarbeit? Wie viel ist unser Optimismus diesbezüglich wert, wenn es uns nicht einmal gelingt, privilegierten Frauen die Augen für die Bedürfnisse und Rechte der Frauen, der Benachteiligten überhaupt zu öffnen? Und wie schaffen wir es trotz dieser Tatsache, Koalitionen zu bilden, um unsere politischen Ziele zu erreichen? Die feministischen Ziele sind ja nicht partikuläre Ziele, sondern haben eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung, und zu deren Realisierung bedarf es einer politischen Stärke, auch im numerischen Sinn.

Christine Goll: Gerade diesbezüglich müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht ständig selbst überfordern, gerade weil es sich nicht um partikultäre Interessen handelt, sondern weil wir uns für alle einsetzen wollen. Ich denke etwa an den Bereich der unbezahlten, aber gesellschafltich notwendigen Arbeit. Diese Arbeit wird zu 90 Prozent von Frauen geleistet, und gerade Frauen, die diese Arbiet leisten, bringen oft nicht auch noch die Energie auf, um sich politisch zu engagieren. Ich möchte davor warnen, dass wir uns überfordern, indem wir meinen, dass wir alles zu leisten haben.

Gisela Hürlimann: Ich möchte noch anfügen, dass wir drei ja ein bestimmtes Feminismusverständnis haben, das eindeutig mit sozialen Interesen, d.h. mit dem Streben nach Gerechtigkeit für alle benachteiligten Menschen einhergeht. Ich möchte bestreiten, dass dieses Feminismusverständnis Allgemeingut sei, auch nicht für Feministinnen. Es gibt ein Feminismusverständnis, welches mit anderen Interessen verbunden ist. Ich weiss jedoch , dass es Männer gibt, mit denen wir in sachpolitischen Fragen sehr wohl Koalitionen eingehen können.

Maja Wicki: Ich hoffe, dass dies in zunehmendem Mass möglich sein wird, d.h. dass unsere besseren Argumente in zunehmendem Mass auch für Männer eine emanzipatorisch Bedeutung haben. Die Gesellschaft steht ja vor so grossen und komplexen Aufgaben, nicht nur die Schweiz, die sich abschottet und eingrenzt, die von Ängsten regiert wird, sondern alle nationalen Gesellschaften, deren Probleme im europäischen und im weltweiten Rahmen vernetzt sind. Dies impliziert ja auch eine globale Verpflichtung, zu deren Lösung beizutragen. Was bleibt daher in erster Linie zu tun? Welches sind die Prioritäten für ein politisches Handeln, das nur Schritt für Schritt etwas erreichen kann?

Christine Goll: Ja, das sollten wir auch nocht tun, die besseren Argumente sollten wir auch noch haben, um die besseren Männer zu überzeugen! Gerade aus diesem Grund arbeite ich ja in einer Frauengruppierng, in der FraP!, weil ich es erlebt habe, wie aufreibend es  in gemischten Strukturen ist, selbst mit linken Männern, selbst mit aufgeschlossenen und fortschrittlichen Männern, wenn diese immer auch noch überzeugt werden müssen. Wahrscheinlich kommen da zwei Problempunkte zusammen: es geht einerseits um die Positionmacht, andererseits um die Definitionsmacht im Staat. Wenn ich Positionsmacht sage, meine ich damit, dass Männer heute immer noch Privilegien haben. Wenn Männer sich jedoch mit Feministinnen und mit feministischen Anliegen einlassen, müssen sie in erster Linie auf ihre Privilegien verzichten. Denn ich habe keine Lust, weiterhin, wie dies auch in den linken und grünen und alternativen  Gruppierungen der Fall ist, mir  meine feministische Politik von den Männern diktieren zu lassen.

Gisela Hürlimann: Ich finde, dass du recht hast, Christine. Ich denke auch, dass wir nicht die ganze Zeit versuchen sollen, die Männer zu überzeugen. Ich habe gar keine Lust dazu. Letztlich geht es darum, wer sich durchsetzt. Tatsächlich sind es oft die Männer, aber manchmal sind eben auch wir es. Ich vertrete diesbezüglich eine ziemlich pragmatische Auffassung. Nicht, dass es mir geradezu egal wäre, aber wenn ich mit jemandem auf einer  Sachebene einig sein kann, lässt sich gemeinsam auch etwas in dieser Sache tun. Was die gleiche Person sonst noch denkt, kümmert mich nicht. Hautpsache ist, dass ich mich in einer bestimmten Frage durchsetzen kann. Vielleicht komme ich zu dieser Auffassung durch meinen Lebenstil. Ich bin überzeugt, dass man sich abgrenzen muss. Die Frage stellt sich allerdings, wo man das macht, ob man es im Rahmen einer Frauenpartei macht – vielleicht wäre ich auch Mitglied einer Frauenpartei, wenn ich nicht im kleinen Kanton Zug leben würde -, oder ob man es eher über die privaten Zusammenhänge macht, die sich auch sehr politisch auswirken können. Könnte ich es nicht auf diese Weise tun, würde ich tatsächlich Ohnmachtsgefühle empfinden, weil es dann keinen Bereich gäbe, den ich völlig selber bestimmen könnte.

Maja Wicki: Dass Frauen sich selbst definieren, dass sie in der Öffentlichkeit Positionen einnehmen und dadurch Macht ausüben, um die Gesellschaft gemäss ihren Bedürfnissen zu verändern, dies war eine der zentralen Forderungen des Frauenstreiks von 1991, dessen vierten Jahrestag wir eben feierten. Was, denkt ihr, hat sich bezüglich dieser Forderungen, die von Feminstinnen erstmals schon vor mehr wie einem Jahrhundert formuliert wurden, seit dem Frauenstreik einlösen lassen? Gewiss, Christine, du bist seither als FraP!-Vertreterin im Nationalrat, auch wird unser Innenministerium durch Ruth Dreifuss geleitet, aber was hat sich in der gesellschaftlichen Praxis seither verändert? Und was bleibt zu tun?

Christine Goll: Eine gute Frage. Nun, ich denke, dass sich tatsächlich mehr Frauen seit der Aufbruchbewegung im Zusammenhang mit dem Frauenstreiktag, aber auch mit der grossen Empörung rund um die Bundesrätinnen-Nichtwahl im Jahre 1993 Definitions- und Positionsmacht angeeignet haben  und sich weiterhin aneignen. Der Anspruch an eine feminstische Politik ist es, nicht dabei stehen zu bleiben, sondern diese Macht mit politischen Inhalten zu füllen. Die drei Schwerpunkte, die wir im feministischen Uff!-Wahlkampf setzen, sind dabei von zentraler Bedeutung. Denn trotz der stärkeren Positions- und Definitionsmacht erleben wir laufend Rückschläge, zum Beispiel beim Sozialabbau. Die drei inhaltlichen Schwerpunkte umfassen eine feministische Sozial- und Wirtschaftspolitik, eine feministische Migrationspolitik, die wir allerdings nicht für Migrantinnen und Migranten machen können, sondern nur mit ihnen zusammen, sowie, drittens, eine feministische Sicherheitspolitik, die zentrale Bedeutung im Zusammenhng mit der bei uns herrschenden strukturellen Gewalt hat. Gerade weil der  Sicherheitsbegriff patriarchalisch-männlich besetzt ist, ist es wichtig, dass wir das, was Frauen unter Sicherheit verstehen, das, was dem feministischen Sicherheitsverständnis entspricht, in den Vordergrund stellen.

Gisela Hürlimann:  Wir müssen uns überlegen, was sich für die Frauen seit dem Frauenstreiktag politisch verändert hat. Und wir müssen davon unterscheiden, was sie im Sozialen und Wirtschaftlichen erreicht haben. Beim zweiten Punkt ist die Bilanz wahrscheinlich weniger günstig, gerade wenn wir uns die wirtschafltiche Krise vergegenwärtigen, etwa die Tatsache, dass die Löhne der Frauen weiterhin viel tiefer sind, dass die Arbeitssituation für Migrantinnen noch schlechter ist. Doch eben, diese Anliegen müssen politisch durchgesetzt werden, wie dies im Uff!-Programm zum Ausdruck kommt, sie müssen mehrheitsfähig werden. Ich befasse mich zum Beispiel im Augenblick mit Raumplanungsdebatten, die zu 95 Prozent von Männern geführt werden, obwohl die Raumplanung das Leben der Frauen, das Leben aller hunderprozentig betrifft. Das Rezept ist, denke ich, dass wir uns als Frauen die wirtschafltich und sozial wichtigen Praktiken aneignen müssen.

Maja Wicki: Es bleibt tatsächlich in allen Bereichen viel zu tun. Wenn du, Christine, eben sagtest, dass eine neue Migrationspolitik nur gemeinsam mit den Migrantinnen formuliert werden kann, so müssen wir bedenken, dass gerade die Verweigerung des Stimm- und Wahlrechts für Ausländerinnen und Ausländer dies erschwert, dass daher die Einführung des Ausländerinnenstimm- und -wahlrechts sowie eine erleichtere Einbürgerungspraxis auch ein Schwerpunkt des feministischen politischen Programm sein muss. Denn gerade die Erschwerung der Einbürgerung führt zum hohen Prozentsatz der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz, was von Behördenseite immer wieder als Grund für migrationspolitische Restriktionen angeführt wird. Da beisst sich die Schange in den Schwanz. Es ist für mich tatsächlich ein Skandal, dass Menschen, die jahre-, manchmal jahrzehntelang in einem Land leben und dort ihre Pflichten erfüllen, in keiner Weise über ihre eigenen politischen und sozialen Lebenszusammenhänge mitbestimmen können.

Christine Goll: Auch hier wiederum bedarf es des feminstischen Blicks, ist es doch zentral, ein von Männern und Ehemännern unabhängiges Arbeitsbewilligungs-, Aufenthalts- und Einbürgerungsrecht für Migrantinnen zu fordern.

Maja Wicki: Leider müssen wir hier das Gespräch abbrechen, das für uns unabschliessbar bleibt. Ich danke euch, dass wir es zusammen ein Stück weit führen konnten.

 

Transkription: Maja Wicki

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