Lissy Funk im Helmhaus 14. Juli 1989

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Lissy Funk im Helmhaus

14. Juli  1989

 

 

Etwas von meiner Freude, ein paar Gedanken zur Eröffnung von Lissy Funks Werkretrospektive hier im Helmhaus beizu-tragen, möchte ich Ihnen im voraus vermitteln, noch bevor Sie diese Freude durch die Betrachtung der Bildwerke selbst kennen werden.  Unweigerlich kennen werden,  nehme ich an; denn in den Werken Lissy Funks liegt eine Bereitschaft zum Dialog, der man sich kaum entziehen kann.  Ein Anruf geht von ihnen aus,  löst sich aus der verdichteten,  zugleich textil-sinnlichen und transzendenten Sprache und weckt eine Fähigkeit, die im Alltag zunehmend verschüttet wird und verschüttet bleibt:  das Staunen, das uns an den Anfang des Erkennens zurückführt und so das Bewusstsein der Realität verändert.

Hierin liegt das revolutionäre Potential  dieser stillen Werke, die einen selbst stille werden lassen beim Betrachten der leuchtend leichten und schweren bestickten Flächen, dieser Seiden- und Leinen-. dieser Baumwoll-und Wollfasern, -garne und -stränge, die sich zusammenfügen und Bildsprache werden –  in Lissy Funks frühester Zeit üppig naturnah und träumerisch schwebend,  später in unmissverständlichen Symbolen, religiösen Symbolen zumeist, noch später in rhythmisch bewegten Ordnungen, die ganz für sich und aus sich sprechen.

Ein “r-e v o l u t i o n är e s  Potential” sage ich, nicht um an den heutigen 14. Juli  anzuknüpfen; denn mit der Erstürmung der Bastille haben diese nach traditionellem Frauenkönnen mit der Nadel  in unzählbaren Stunden geschaffenen Bildwerke nichts zu tun,  nichts mit der rauschhaften Gewalt, mit der die gesellschaftlichen Verhältnisse im Namen hoher Ideale –  Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit –  hätten verändert werden sollen, nichts mit dem Hohn, mit welchem der Anspruch der Frauen auf Respektierung  ihrer  Rechte als Menschen quittiert wurde –  auf dem Schaffott,  auch nichts mit der Trauer, dass die hohen Ideale durch die in ihrem Namen angewendete Gewalt sich als Leerformel, als Lüge demaskierten.

Das revolutionäre Potential  von Lissy Funks Werken liegt in der Schlichtheit ihrer Auflehnung gegen die Zeit.  Das ist das revolutionäre Potential  von Kunst überhaupt:

Da ist keine Flüchtigkeit mehr möglich,  kein entweichen. Die Berührung erfolgt vom Werk her, das ahnen lässt, dass Zeit und Flüchtigkeit Menschenzwang sind, dass es jenseits dieses Zwangs aber anderes gibt:  Ein aus ungewöhnlichem Können, das die Tücken und Hürden der Ausdruckstechnik hinter sich gelassen hat, und aus ungewöhnlichem Wissen um das tragende Ganze einer Idee und um den Prozess des Werdens zustandegekommener Ausdruck, der Schöpfung bedeutet.

Bei  Lissy Funk kommt die Beharrlichkeit der Hoffnung dazu, dass Tag und Nacht und wieder Tag und Nacht genügen, um die kleinflächige Ueberschaubarkeit innerhalb des Stickrahmens in die grosse Idee einzubringen,  Punkt um Punkt, die Augen immer wieder auf den Punkt fixiert, der noch offen ist, der verdichtet sein muss, damit das Werk vollständig ist,  und gleichzeitig jeden dieser Punkte zu vergessen um nur das  Ganze zu sehen, die einzelnen verrinnenden Minuten zu vergessen,  auch um des Werks willen die bedrängende Frage zu vergessen, was wohl das aufgegebene Pensum Zeit ist. Was  zählt,  ist allein die Beharrlichkeit der Auflehnung gegen den Verlust und für die Erhaltung des Lebendigen, des Lichts.

Diese Retrospektive ist eine Zwischenbilanz.  Lissy Funk war 18 Jahre alt, als sie zu sticken begann. Damals, mit 18 Jahren, hatte sie schon manches bestanden: Abschied, Trennung,  Entwurzelung,  Ungewissheit, Neuanfang.  Berlin hatte sie hinter sich lassen müssen und mit der Stadt die für das Kind selbstverständliche Geborgenheit,  in der auch Kunst zum Selbstverständlichen gehörte,  als Kunstwissenschaft von des Vaters Seite her, als Sensibilität für die schöne Gestaltung des Raums von der Mutter Seite her.  Die Tanzausbildung bei Mary Wigman musste sie abrechen und arbeiten, für Lohn arbeiten, um sich selbst den weiteren künstlerischen Weg zu öffnen.

Dieser Weg, den sie ging, war eine Leistung ihrer Versöhnungskraft und ihrer Lebensbejahung. Aus den Erfahrungen der Kinder- und Jugendzeit lernte sie, dass das Verbindende mehr Kraft hat als das Trennende, und  dass jeder Verlust zum Gewinn werden kann.  Die Uebersiedlung in die Schweiz, allein mit der Mutter und der Schwester, brachte ihr das Erlebnis des Mendrisiotto, das ihr zur zweiten Heimat wurde, die Farben, die Harmonie und die Wärme südlicher Landschaft. Der Abbruch der Tanzausbildung wiederum bedeutete nicht den Abbruch des dabei  gewonnenen Wissens um die Bedeutung von Mass und Rhythmus, um die Bedeutung von Disziplin. So lernte sie, alle Lebenserfahrungen, auch die negativen, einzubauen in ein immer reicheres Lebensgefüge und in ihr Werk.

In diesem Lebensgefüge gibt es feste Pfeiler, die auch das starke Gerüst ihres Schaffens sind.  Ueber ihren Glauben zu spreche, getraue ich mich nicht;  ich weiss jedoch, dass er für sie die Sicherheit zeit- und raumübergreifender Sinnhaftigkeit ist und eine Quelle von Kraft, Von ihrer Familie und insbesondere von ihrem Mann, dem Künstler Adolf Funk aus Nidau, zu sprechen,  ist leichter. Dessen untrügliche Beobachtungsgabe und dessen unbestechliches Urteil  sind sprichwörtlich. Sie haben nicht zuletzt mit seiner Nähe zur Natur zu tun, zur Natur des Bielersees,  aus der er kommt  und die er sich im Herzen erhalten hat. Er und Lissy haben einander seit mehr als fünfzig Jahren im Leben und in der Kunst begleitet, einander je den eigenen künstlerischen Freiraum gelassen und einander gleichzeitig in ihrer Verschiedenheit fruchtbar beeinflusst. Auch von den Helferinnen zu sprechen, drängt sich auf, von den steten professionellen und von den wechselnden, die an den grossen Bildteppichen mitarbeiten.  Dem Entstehen eines Kunstwerks als Gemeinschaftswerk beizuwohnen, ist faszinierend.  Ich hatte Gelegenheit, das Zustandekommen des riesigen Bildteppichs, der in der Kirche Münchenstein hängt, mitzuverfolgen.  Lissy Funk leitete die Frauen an, die sich während vielen Monaten zusammensetzten und die einzelnen grossflächigen Bahnen stickten, Lissy Funk korrigierte, ermunterte, öffnete Stellen, die ihrer Vorstellung nicht genügten,  stickte neu, fügte zusammen. Als der Teppich dann endlich in der Kirche hing, wurde ein grosses Fest gefeiert.

Das vielleicht verbindete Lissy Funk mit den Revolutionärinnen der ersten Stunde, dass sie  als Frau (wie Olympe de Gouges es formulierte, eine der mutigen,  1793 auf dem Schaffott ermordeten Frauen)  “sich einen Weg gebahnt hat, indem sie sich nur auf die eigenen Augen verliess und nur der inneren Stimme gehorchte”. Hierin liegt wohl ihre Unbeirrbarkeit auf dem Weg, den sie weitergeht, hoffentlich noch lange, täglich neu.

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen nun viel  Freude beim Gang durch die von Marie-Louise Lienhard so schön gestaltete Ausstellung.

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