Alis Guggenheim (1896-1958)
Pressetext zur Ausstellung im Stadthaus
Alis Guggenheim (1896-1958)
Es war 1919, während ihres Aufenthalts in Moskau, dass die damals dreiundzwanzigjährige Alis Guggenheim erstmals den Willen spürte, Plastikerin zu sein. Während einer Mittagspause begab sie sich in die menschenleere Akademie der Künste und entdeckte unter den nassen Tüchern auf den Tischen lebensgrosse Köpfe. Sie war eingeschüchtert und voll Bewunderung. Wie sie ein Jahr später, nach der Geburt ihrer Tochter, wieder nach Zürich zurückgekehrt war, stellte sie fest: “Das kann ich doch nicht lernen, das muss ich von innen heraus bilden können. ” Der revolutionäre gestalterische Impuls, den sie in Moskau verspürt hatte, hat sie jedoch nie verlassen, auch nicht angesichts der Schwierigkeiten, die sich ihr in Zürich entgegenstellten. Eine alleinstehende Frau mit einem Kind, eine Künstlerin, Jüdin und Kommunistin: die offizielle Gesellschaft tat sich schwer, ihr Anerkennung entgegenzubringen. Alis Guggenheim liess sich von Geldknappheit und von Enttäuschungen nicht beirren, aber sie trug häufig schwer daran, als Künstlerin verkannt zu bleiben, wie Tagebuchaufzeichnungen und einzelne Briefe belegen: “Weder ein einziger noch die ganze Gesellschaft hat mich wirklich erfasst in meinen künstlerischen Bestrebungen. Wie gross war meine Energie, wie gross war mein Mut, wie vielseitig war meine Vorstellungswelt.”
Erst in den fünfziger Jahren wurde ihr Leben ein wenig einfacher. 1954 erhielt Alis Guggenheim den Kunstpreis für darstellende Kunst des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) und im gleichen Jahr wurde ihr erstmals eine grosse Einzelausstellung in der städtischen Galerie “Zum Strauhof” gewährt.
Es ist ein Glück, dass zum Anlass des hundersten Geburtstags von Alis Guggenheim eine Auswahl ihres grossen, vielseitigen Werkes – von Urs Hobi zusammengestellt – nochmals zu sehen ist. Wer im Spätherbst 1992 die umfassende Werkschau im Aargauer Kunsthaus in Aarau gesehen hat, oder wer einzelne ihrer Bilder, Plastiken und Keramiken kennt, ist der Präsidialabteilung der Stadt Zürich dankbar, dass sie während eines Monats – vom 12. März 1996 bis zum 12. April 1996 – das Stadthaus Zürich für eine Ausstellung zur Verfügung stellt. Selbst die lebensgrosse Plastik “Frau 1928 “, die Alis Guggenheim eine Serie von Ablehnungen und Enttäuschungen beschert hat, befindet sich unter den Exponaten. Einmal mehr wird deutlich, dass Alis Guggenheim innerhalb der Schweizer Kunst dieses Jahrhunderts, innerhalb der jüdischen Kunst und innerhalb der Kunst von Frauen ein singulärer Platz zukommt.
Zur Eröffnung der Ausstellung am 11. März 1996 erscheint die zweite Auflage der im Lars Müller Verlag, Baden, erschienenen Monographie von Susanne Gisel-Pfannkuch über Alis Guggenheim ‘‘Als ob ich selber nackt in Schnee und Regen stehe”. Um den Werdegang und die Hintergründe der aussergewöhnlichen Frau und Künstlerin kennenzulernen, ist dieses Buch unerlässlich, und dasselbe gilt von den Tagebuchaufzeichnungen und Briefen Alis Guggenheims, die durch Maria Becker am 19. März 1996 im Musiksaal des Stadthauses gelesen werden.